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Veröffentlicht am 21.02.2018

Montauk

Als das Meer uns gehörte
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So heißt eine sehr persönliche Erzählung von Max Frisch, in der er über einen Aufenthalt in dem kleinen Ort am Meer im Staate New York erzählt und um eine Romanze, die er dort erlebte: auch auf weitere ...

So heißt eine sehr persönliche Erzählung von Max Frisch, in der er über einen Aufenthalt in dem kleinen Ort am Meer im Staate New York erzählt und um eine Romanze, die er dort erlebte: auch auf weitere Beziehungen kommt er zu sprechen.

Die Protagonistin des Romans "Als das Meer uns gehörte" der amerikanischen Autorin Barbara J. Zitwer, begibt sich ebenfalls nach Montauk, allerdings unter vollkommen anderen Vorzeichen: Adam, ihr Mann ist ganz plötzlich unter dramatischsten Umständen verstorben, während sie noch ohnmächtig ist vor Trauer, erfährt sie, dass sein Herz schon lange einer anderen gehörte - ihrer besten Freundin nämlich.

Völlig am Ende mit den Nerven und am Ende mit ihrem Latein in Bezug auf den Sohn Robbie, der ebenfalls unter Schock steht und sich gegen sie stellt, begibt sie sich nach Montauk zu ihrem einzigen noch lebenden Verwandten, ihrem Onkel Ike.

Dort schöpfen sowohl sie als auch Robbie ganz langsam wieder Kraft, wenn auch zunächst jeder für sich. Werden sie sich einander wieder nähern? Wird Tess nach der großen Enttäuschung überhaupt wieder ins Leben zurückfinden können?

Kein einfaches Thema, dem sich die Autorin hier stellt und - wie ich meine - zumindest in Teilen grandios dran scheitert. Beispielsweise durch die unzulängliche Einführung einiger Figuren, durch Erzählstränge, die im Nichts versanden - vor allem jedoch dadurch, dass sie sich selbst gleich mehrfach ein Bein stellt und über ihre eigenen Erläuterungen stolpert, indem sie sie gleich auf der nächsten Seite widerlegt oder fragwürdig erscheinen lässt.

Beim Lesen kam mir ab und an die Redewendung "Gewollt, aber nicht gekonnt" in den Sinn, auch wenn mir andere Stellen - und auch die Idee zum Roman insgesamt gefallen haben. Das absolute Highlight waren Onkel Ike sowie ein paar andere männliche Nebenfiguren. Vielleicht sollte die Autorin als Nächstes einen reinen Männerroman, bspw. einen Western schreiben, mit Männern kann sie definitiv besser!

Veröffentlicht am 21.02.2018

Pieter Posthumus in seinem dritten Fall!

Der Tote im fremden Mantel
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Ein unkonventioneller Typ mit klaren Wertvorstellungen: das ist Pieter Posthumus, der Protagonist dieses ausgesprochen ungewöhnlichen Krimis aus den Niederlanden, der bereits in seinem dritten Fall ermittelt. ...

Ein unkonventioneller Typ mit klaren Wertvorstellungen: das ist Pieter Posthumus, der Protagonist dieses ausgesprochen ungewöhnlichen Krimis aus den Niederlanden, der bereits in seinem dritten Fall ermittelt. Auch diesmal steht die Atmosphäre an erster Stelle, danach kommt erst die Spannung - wobei diese auf ganz eigene Art übermittelt wird. Brutalität hingegen kommt in diesem Buch eher wenig vor, auch wenn es diesmal ein bisschen härter zugeht - aber nur im Vergleich zu den vorherigen Fällen. Vergleichen mit anderen Krimis und Serien geht es immer noch recht sanft zu, auch wenn dieser Krimi wie so viele nicht ohne Tote auskommt.

Das Setting ist ein ungewöhnliches: Posthumus arbeitet in einem Büro der Stadt Amsterdam, das sich um "einsame" Tote, um Leichen ohne Angehörige, kümmert. Dabei ist des Öfteren Ermittlungsarbeit vonnöten, denn es geht darum, möglichst viel über ihr Leben, ihr Umfeld, ihre Hinterlassenschaften in Erfahrung zu bringen - und dabei geraten Pieter und seine Kollegen immer mal wieder in die ein oder andere ungewöhnliche, prekäre oder gar gefährliche Situation. Diesmal hat er einen Obdachlosen in einem schicken Mantel "vorliegen" und es stellt sich heraus, dass das edle Teil einem Bekannten um mehrere Ecken gehörte - dieser wurde in der vorherigen Nacht schwer verletzt und liegt nun im Krankenhaus im Koma.

Überhaupt spielt Pieters Bekanntenkreis eine nicht geringe Rolle in diesem wie auch in den vorherigen Krimis - und genau das macht eine Menge vom Charme der Reihe aus, denn die Figuren sind nicht minder originell und liebevoll gestaltet als Pieter selbst - jede auf eine ganz eigene Art!


Genauso liebevoll wird auch die Stadt Amsterdam, in diesem Falle: Pieters Amsterdam geschildert. Ich habe mich gleich wieder gefragt, wie ich einer so faszinierenden Stadt so lange Jahre fernbleiben konnte, jetzt muss ich unbedingt wieder da hin.

Allerdings hoffe ich, dass ich nicht in einen Kriminalfall wie den hier geschilderten gerate, denn da geht es um Mord und Totschlag in spannenden Milieus - sowohl im Rahmen einer Umweltkonferenz als auch unter den Kleinkriminellen der Umgebung tauchen mögliche Verdächtige auf.

Wen ich aber sehr gern treffen würde, ist Pieter Posthumus selbst, gerade weil er so ist, wie er eben ist: eine Art linker Intellektueller, jedoch kein Althippie, sondern ein Mann mit einer Vorliebe für edle, hochwertige Kleidung und ebensolches Essen, auf seine Art jedoch ein durchaus unkonventioneller Typ, wenn auch mit vielen Wertvorstellungen, darunter auch althergebrachten sowie einigen sehr persönlichen Zwängen behaftet. Und er hängt an seinem Umfeld, vor allem an der Kneipenbesitzerin Anna und der jungen Tina. Wenn Sie wissen wollen, wie genau das alles zusammenhängt, müssten Sie sich die Geschichte aneignen, ja gönnen, denn es ist ein wahrer Lesegenuss, der hier auf sie wartet: Pieter Posthumus, der jüngere Bruder von Miss Marple, Dr. Siri und der große Bruder bzw. Onkel von Flavia de Luce gibt sich in seinem dritten Fall die Ehre!

Veröffentlicht am 21.02.2018

Zum Warten verdammt

Hier sind Drachen
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ist die Journalistin Caren - und sind es mit ihr viele andere Passagiere - am Flughafenterminal in London Heathrow. Es ist Samstag, der 14. November 2015, der Tag nach dem Pariser Anschlag und eben Paris ...

ist die Journalistin Caren - und sind es mit ihr viele andere Passagiere - am Flughafenterminal in London Heathrow. Es ist Samstag, der 14. November 2015, der Tag nach dem Pariser Anschlag und eben Paris ist das Ziel der Reise - Caren soll von dort für ihr Blatt über den Anschlag berichten. Doch nun gibt es eine Verzögerung aus unklaren Gründen - die Wartenden sind auf sich gestellt. So kommt Caren mit einem Herren ins Gespräch, den sie Wittgenstein nennt, da er ein Buch ebendieses Philosophen liest.

Und es stellt sich heraus - nicht nur, aber auch durch diesen Wortwechsel - dass jeder seiner eigene, subjektive Wahrnehmung von Dingen, ja von allem, was um ihn herum passiert, hat. Jedenfalls ist es so, dass am Ende dieser Warterei Carens gesamtes Leben auf den Kopf gestellt wurde. Ihr Leben, von dem sie glaubte, es bestens im Griff zu haben - sowohl ihren Bereich als auch ihr Verhältnis zu den Menschen um sie herum.

Caren hat ein ganz besonderes Verhältnis zu Terroranschlägen, kann man sagen: sie hat ihre persönlichen Bezüge sowohl zu Ground Zero als auch zu Charlie Hebdo. Sie hat dem Drachen ins Auge geschaut, kann man sagen, doch wie ist es mit den Drachen in ihrem persönlichen, dem ganz privaten Bereich?

Einerseits ein leises Buch, andererseits so explosiv, wie eben ein Anschlag sein kann. Der Pariser Terroranschlag wird in einen Vergleich zu einem Anschlag auf Carens Leben gestellt und zeigt eindringlich, wie achtsam man stets sein sollte - sowohl, was sein eigenes Leben als auch, was das Leben der anderen betrifft. Ein Anschlag der persönlichen, der stillen Art kann uns jederzeit ereilen, völlig unerwartet - so wie hier.

Ein Buch, das den Leser - jedenfalls mich - auf der einen Seite fassungslos, auf der anderen ein bisschen unbefriedigt hinterlassen hat. Manches war zu viel, anderes wieder fehlte. Doch das waren Kleinigkeiten, die mich nicht davon abhalten, dieses durchaus ungewöhnliche Buch der Kölner Autorin Husch Josten von Herzen zu empfehlen. Es ist ein sehr internationales Buch, so weltoffen, wie man in diesen Zeiten nicht immer ist, aber unbedingt sein sollte - finde ich jedenfalls.

Veröffentlicht am 21.02.2018

Eine ungewöhnliche Geschichte aus Belgien

Heute leben wir
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Dass Belgien im Zweiten Weltkrieg - einmal mehr nach dem großen Leid, das dem Land und seinen Einwohnern bereits im Ersten Weltkrieg zugefügt wurde, unglaubliche Schäden zugefügt wurden, ist bekannt. Wie ...

Dass Belgien im Zweiten Weltkrieg - einmal mehr nach dem großen Leid, das dem Land und seinen Einwohnern bereits im Ersten Weltkrieg zugefügt wurde, unglaubliche Schäden zugefügt wurden, ist bekannt. Wie groß das Ausmaß dieser Leiden vor allem und gerade auch in Bezug auf Einzelschicksale ist, das konnte ich bisher nur erahnen.

Hier begegnen wir der kleinen Renée, einem siebenjährigen jüdischen Mädchen, das es in die Ardennen verschlagen hat - woher sie kommt, wer ihre Eltern sind, das erfahren wir nicht, denn auch Renée kann sich nicht mehr an sie erinnern, so lange ist sie schon auf sich selbst gestellt - unvorstellbar in der heutigen Zeit. Bisher hat sie es dank unterschiedlicher mutiger Menschen, denen sie begegnet ist und die sie unter ihre Fittiche nahmen, geschafft zu überleben, doch jetzt macht der belgische Geistliche, dem sie zuletzt anvertraut wurde, einen entscheidenen, aber verständlichen Fehler: er übergibt sie an amerikanische Soldaten - so denkt er. Dass dies in Wirklichkeit Deutsche sind, Angehörige der SS, die sich mit fremden Federn schmücken und so in den letzten Kriegsmonaten noch versuchen, ihre Seite auf besonders perfide Art zu stärken, das ahnt er - und viele andere um ihn herum auch nicht. Doch Renée gerät an einen ungewöhnlichen Vertreter der nationalsozialistischen Ideologie und der SS: Matthias, der nicht nur deutsche, sondern auch kanadische Wurzeln hat und lange Jahre bei einem Indianerstamm gelebt hat, also für damalige Verhältnisse eine sehr internationale Vergangenheit aufweist. Und dieser, obwohl eigentlich außergewöhnlich brutal und kaltschnäuzig agierend, kann sie einfach nicht umbringen, wie es sein Auftrag gewesen wäre. "Nicht er hat entschieden, sie nicht zu töten. Sie hat es entschieden." (S. 283)

Er bringt sie bei einer belgischen Bauersfamilie unter, die - wie könnte es in diesem Roman anders sein - auch in vielem ziemlich besonders ist, gleichwohl wie alle zu der Zeit unter den verschiedenen Besatzungsmächten, die alle auf ihr Recht pochen, leidet. Gerade auch an diesen Menschen - der Familie Paquet - kann man das Leid der Belgier, die als Zivilisten quasi mitten an der Front "hingen", sehr gut und sehr schmerzhaft nachvollziehen.

Ein Buch, das mir lange im Gedächtnis bleiben wird. Ein Buch, in dem nichts schwarz bzw. weiß bleibt, ein Buch, das den Leser dazu herausfordert, nicht eindimensional zu denken, ihn daran hindert, die Figuren in "gut" und "schlecht" aufzugliedern. Auch die Verteilung der Sympathien fällt nicht immer leicht, einige Figuren, nicht zuletzt die beiden Protagonisten Matthias und Renée, aber auch einige Nebendarsteller, wie bsp. Philibert, der mitten im Roman wie aus dem Nichts auftaucht, "nicht alle Fritten in derselben Tüte hat" (S. 139) und dem Geschehen eine entscheidende Wendung gibt, erschienen mir doch arg konstruiert und teilweise so unglaubwürdig, dass es mir streckenweise schwerfiel, der Handlung so richtig ernsthaft und engagiert zu folgen - so wie es ein Roman, der eine solch wichtige Episode der jüngeren Geschichte thematisiert und dabei ungewöhnliche Wege beschreitet, es eigentlich verdient hätte.

Auch erschienen mir einige Handlungsstränge so ungewöhnlich, dass es hilfreich gewesen wäre, auf der anderen Seite das alltägliche, das damals übliche, soweit man etwas, das sich während des Zweiten Weltkrieges abgespielt hat, überhaupt so bezeichnen kann. Aber Sie verstehen hoffentlich, was ich meine: wenn alles außergewöhnlich und seltsam ist, nutzt es sich irgendwann ab.

Zudem hatte ich das Gefühl, dass einige Darstellungen und auch Redewendungen sehr modern abgefasst sind - zu modern für die 1940er Jahre. Dennoch habe ich den Roman sehr gern und mit Genuss gelesen und empfehle ihn mit den erwähnten kleinen Vorbehalten gerne weiter.

Veröffentlicht am 21.02.2018

Manchmal hat man einfach keine Wahl

Gott ist nicht schüchtern
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Wie schnell man in Damaskus vor ein paar Jahren vom angehenden Mediziner bzw. einer angehenden Schauspielerin zum Flüchtling werden kann, das schildert Autorin Orga Gjrasnowa in diesem Roman, der aus meiner ...

Wie schnell man in Damaskus vor ein paar Jahren vom angehenden Mediziner bzw. einer angehenden Schauspielerin zum Flüchtling werden kann, das schildert Autorin Orga Gjrasnowa in diesem Roman, der aus meiner Sicht eher dokumentarischen bzw. zeitgenössischen Wert hat. Eindringlich schildert sie die Geschicke der beiden jungen Leute Hammoudi und Amal, allerdings diese nicht so sehr literarisch wie zeithistorisch geprägt und gerade dies macht derzeit ihren besonderen Reiz aus, wenn es auch ein tragischer, ein dramatischer, ja ein überaus schmerzlicher Reiz ist. Aber einer, den jeder von uns vergegenwärtigen sollte, da er an uns nicht vorbeigehen kann, nicht vorbeigehen darf. Diese weltpolitischen Entwicklungen berühren jeden und sie sollten auch jeden schmerzen - wie kann es sein, dass dies nicht der Fall ist.

Wir erleben Hammoudi als Winner-Typen, den es für nur fünf Tage nach Damaskus verschlagen hat: er muss seinen Pass verlängern. Aus den fünf Tagen werden fast fünf Jahre - am Ende muss er - ebenso wie Amal - an Flucht denken, um das vor wenigen Jahren noch sichere Land verlassen zu können.

Es sind quasi zwei Einzelschicksale, die hier erzählt werden, quasi zwei Parallelwelten - eher ergänzender als völlig nebeneinander existierender Art- werden dargestellt. Die Wege von Hammoudi und Amal kreuzen sich nur kurz, nur punktuell.

Ja, manchmal hat man einfach keine Wahl: wie oft das bei Menschen von ganz ähnlicher sozialer Herkunft wie uns selbst bspw. aus Syrien der Fall ist, das zeigt hier die Autorin Olga Grjasnowa.

Auch wenn Frau Grjansowa, dokumentiert, also die Ereignisse darstellt, wenn man es so nennen kann, sehr sachlich erzählt - auch dann scheint es manchmal, als wolle sie uns eine Vorlage, ja, eine Vorgabe anbieten zu den Entwicklungen unserer Zeit und fast erscheint sie mir - wenn auch überaus eindringlich - zu plakativ. Dennoch: ein lesenswerter Roman, der uns unsere Ära in all ihrer Hoffnungslosigkeit und Grausamkeit vorführt. Mit einer Härte, die manchmal einfach unumgänglich scheint.