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Veröffentlicht am 30.12.2017

Schrebergartenleichen

Radieschen von unten
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... findet man in diesem unterhaltsamen Buch zuhauf!

Es geht hoch her in der Schrebergartenkolonie "Saftiges Radieschen", in die Loretta Luchs sich geflüchtet hat, um ihrem computerspielverrückten Freund ...

... findet man in diesem unterhaltsamen Buch zuhauf!

Es geht hoch her in der Schrebergartenkolonie "Saftiges Radieschen", in die Loretta Luchs sich geflüchtet hat, um ihrem computerspielverrückten Freund Tom mal für eine Weile zu entkommen. Loretta hat eine Woche Urlaub von ihrem ausgesprochen ungewöhnlichen Job genommen: sie arbeitet in einer Telefon-Sex-Zentrale, wo sie Männern ganztägig was vorstöhnt. Ihre Freundin und Kollegin Diana ist stolze Besitzerin einer Laube mit Garten in der obengenannten Kolonie mitten im Ruhrpott - einem scheinbar perfekten Ort zum Ausruhen - und so nimmt Loretta das Angebot gerne an. Eine Oase der Ruhe ist das "Saftige Radieschen" aber nicht. Nachbar, die man mit gutem Willen als gesellig, ohne diesen als aufdringlich bezeichnen kann, rücken ihr Tag für Tag auf die Pelle. So erhält sie rasch Einblick in die Verhältnisse und erfährt, dass einige Frauen nicht so nette Männer haben. Diese sterben dann nach und nach und Loretta ist gemeinsam mit Schrebergartenbekanntschaft Frank immer mitten im Geschehen. Parallel erfährt sie, dass Tom durchaus andere Interessen als Computerspiele hat - nämlich Spiele mit anderen Damen. Traurig und frustriert lenkt sie sich durch Ermittlungen ab - sie geht den Todesfällen nach, die durchaus Morde sein könnten.

Nun, alles ist sehr, sehr absehbar und nicht so furchtbar spannend - aber das stört überhaupt nicht, denn Lotte Minck schreibt ungeheuer atmosphärisch und vor allem witzig - wenn man das Ruhrpott-Idiom mag, was eine unumgängliche Voraussetzung für den Genuss dieses Buches ist.

Die Charaktere sind einfach wunderbar gezeichnet - man kann sich Diana, Frank und die anderen vorstellen, als wäre man selbst dabei. Allerdings darf man nicht zu schwach auf der Brust sein für den mitunter recht direkten Humor: einen der toten Herren aus der Schrebergartenkolonie findet man beispielsweise "als Fleischpuzzle inner Plastiktüte" (S.165).

Für mich genau das Richtige vor und nach einem anstrengenden Arbeitstag: Lotte Minck schreibt wie immer - ich bin seit Jahren ein Fan und habe schon vieles von ihr gelesen - einfach mitreißend und bezaubernd. Wer sich durch eine originelle Geschichte mitten aus dem Pott aufmuntern lassen will - nur zu, das ist genau das Richtige!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Tee trinken, ihn verkaufen und Morde aufklären

Göttinnensturz
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das tut die charismatische, übersinnlichen Themen nicht abgeneigte Exjournalistin Berenike im schönen Salzkammergut. Diesmal stößt die auf die erdrosselte Monika - Zufall oder Mord, das Band der Dirndlschürze ...

das tut die charismatische, übersinnlichen Themen nicht abgeneigte Exjournalistin Berenike im schönen Salzkammergut. Diesmal stößt die auf die erdrosselte Monika - Zufall oder Mord, das Band der Dirndlschürze hat sich um den Hals gewunden. Die Gute war zu Lebzeiten einerseits überaus lebenslustig, andererseits nationalsozialistischem Gedankengut nicht abgeneigt. Und es folgen weitere Leichen, die gewisse Rückschlüsse zulassen....

Auch Berenikes Liebster, der hübsche Kommissar Jonas, taucht auf - und mit ihm Wolken am Horizont. Wird die bucklige, aber attraktive Franziska ihn ihr ausspannen? Lebenslust und heitere Liebesreigen durchzogen von dunkleren Wolken - wenn mal ein/e Dritte/r btrogen wird - das scheint das Markenzeichen des Salzkammerguts zu sein.

Nun ja, wir alle wissen, dass man am Wolfgangsee gut lustig sein kann, dass sich dort aber auch jede Menge Leichen rumtreiben, das ist neu! Anni Bürkl schreibt durchaus atmosphärisch, lässt Lokalkolorit aufblitzen - manchmal wird es jedoch ein wenig fahrig oder gar wirr. Und der Schluss hinterlässt leider alles andere als Befriedigung. Schade - gerade bei einer so besonderen Protagonistin wie Berenike, die jede Menge Alleinstellungsmerkmale aufweist und somit eigentlich flink zu Österreichs Ermittlerin Nr. 1 aufsteigen könnte, hätte ich ein bisschen mehr erwartet. Nun, vielleicht dann in Berenikes fünftem Fall!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Hand in Hand der Sonne nach

Die andere Seite des Himmels
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So hieß eines meiner Lieblingsbücher in meiner Kindheit: es ging um zwei Waisenkinder, zwei amerikanische Schwestern, die ihr trauriges Leben hinter sich lassen wollten und aufbrachen, um eine bessere ...

So hieß eines meiner Lieblingsbücher in meiner Kindheit: es ging um zwei Waisenkinder, zwei amerikanische Schwestern, die ihr trauriges Leben hinter sich lassen wollten und aufbrachen, um eine bessere Zukunft zu finden - sehr erfolgreich, wenn auch komplett anders als ursprünglich gedacht.

Dieses Buch hat Jeanette Walls bestimmt auch mal gelesen, denn während der
Lektüre ihres aktuellen Buches "Die andere Seite des Himmels" ergaben sich immer
wieder mal Assoziationen: die Schwestern Liz und Bean, fünfzehn und zwölf Jahre
alt, sind zwar keine Waisen, doch sind sie in einer ähnlichen Situation, werden
sie doch von ihrer Hippie-Mutter mit musikalischen Ambitionen - wir schreiben
das Jahr 1970 - immer wieder in Stich gelassen.

Und so sind sie mehr oder weniger gezwungen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und tun es auch - mehr oder weniger gezwungenermaßen, um der Einweisung ins Jugendheim zu entfliehen: sie begeben sich per Bus auf eine Odyssee quer durch die Staaten - von Kalifornien an die Ostküste, wo ihre Mutter herkommt: da gibt es nämlich noch einen Onkel.

Onkel Tinsley erweist sich als verschrobener, aber liebenswerter Kerl, auch andere Verwandte finden sich - quasi unverhofft - die den Mädchen, vor allem Bean, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, ein wenig Wärme vermitteln. Auch die Mutter taucht wieder auf, zumindest partiell.

Und sie treffen auf den bösen Wolf - in Form eines der mächtigsten Männer der Gegend und sagen ihm den Kampf an - mit allen Konsequenzen, die sie dann auch brutal erfahren müssen.

Ein wunderbares Buch - wie bisher alles, was Jeanette Walls zu Papier gebracht hat - atmosphärisch und dicht geschrieben, so dass man es als Leser nicht aus der Hand legen kann. Man erhält einen Einblick in das USA der frühen 1970er Jahre: Vietnam, Rassismus, arm und reich - das alles ist noch sehr, sehr präsent - vor allem in den Südstaaten, wohin es die Mädchen verschlagen hat. Die Charaktere sind charismatisch, (fast) nie schwarz oder weiß, es gibt humorvolle, erschütternde, beklemmende, aufrüttelnde und ergreifende Szenen: ein wahres Gefühlskarussell, durch das man während der Lektüre geschleust wird.

Keine Frage, es lohnt sich - für Menschen, die aufbrechen wollen, die Anstöße und Impulse brauchen, für Menschen, die etwas über die neuere Geschichte der USA erfahren wollen und vor allem für Menschen, die nach dem absoluten Lesegenuss lechzen - hier werden alle reich belohnt: Ein Buch, das man nicht so schnell vergisst.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Penny Lane is in my ears and in my eyes

Abbey Road Murder Song
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... und spielt auch in diesem Buch eine ganz besondere Rolle - allerdings auch in einer ganz besonderen Form. Überhaupt: die Beatles als Rahmen und als Hintergrund swingen sich nur so durch den Krimi - ...

... und spielt auch in diesem Buch eine ganz besondere Rolle - allerdings auch in einer ganz besonderen Form. Überhaupt: die Beatles als Rahmen und als Hintergrund swingen sich nur so durch den Krimi - man bekommt eine Vorstellung von dem Hype um sie in London in den roaring sixties.

Aber das alles geschieht eher am Rande - dieser kluge und anschauliche Krimi vermittelt ein Bild des England der 1960er Jahre in sehr vielen Belangen - als einen noch sehr traditionellen Hort der Gesellschaft, in dem Frauen - wie in Deutschland auch - beruflich stark benachteiligt wurden. Detective Cathal Breen - auch er mit beruflichen Problemen, da er jahrelang für seinen kranken, nun gerade verstorbenen, Vater gesorgt hat und teilweise von seinen Aufgaben überlastet scheint, bekommt mit Helen Tozer eine Kollegin zur Seite - ein ungeheures Novum, sind Frauen bei der Polizei doch eigentlich in separaten Abteilungen organisiert, in denen sie ein Schattendasein führen. Zusammen sollen sie den Mord an einem jungen Mädchen, das quasi im Müll gefunden wurde, aufklären.

Neben der Gender-Problematik widmet sich Shaw hier dem Rassismus, dem Generationenkonflikt und natürlich der sozialen Lage in den 60er Jahren im allgemeinen - und bei keinem dieser Themen bleibt er an der Oberfläche. Ab und zu geschieht dies auf Kosten der Spannung, aber er fängt sich immer wieder. Ein ungewöhnliches Buch, dessen Lektüre sich auf jeden Fall lohnt, auch wenn es für manch einen starker Tobak sein mag - nicht wegen der Brutalität der kriminellen Szenen, sondern ganz einfach wegen der Brutalität des Alltags: bei Sätzen wie "Ich war schon immer dagegen, dass weibliche Beamte die Aufgaben von Männern übernehmen" muss man schon schlucken - und ist heilfroh, als berufstätige Frau im Hier und Jetzt zu leben.

Auch wenn es ein Krimi war: zeitweise fühlte ich mich versetzt in "We want Sex", Nigel Coles wunderbaren Film zur Situation der Arbeiterinnen in den 1960er Jahren in England - hier ging es zwar um einen höher qualifizierten Job, aber die Polizistinnen befanden sich in derselben Situation und mussten für jedes kleine Fitzelchen ihrer Rechte kämpfen. William Shaw vermag diese Situation ganz genau wie sein Geschlechtsgenosse Cole ganz wunderbar zu transportieren. Also ein Buch für Frauen? Nein, definitiv nicht bzw. nicht nur - einfach ein Buch für gesellschaftlich Interessierte, die es gern ein wenig spannend mögen.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Krimi mit Stil

Die satten Toten
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...wenn auch mit einigen Unwägbarkeiten und zahllosen offen gelassenen Fragen! Nun, niemand ist perfekt - auch nicht Karl Kane, der glücklose Privatdetektiv mit seinen Dauerproblemen - schmerzenden Hämorrhoiden, ...

...wenn auch mit einigen Unwägbarkeiten und zahllosen offen gelassenen Fragen! Nun, niemand ist perfekt - auch nicht Karl Kane, der glücklose Privatdetektiv mit seinen Dauerproblemen - schmerzenden Hämorrhoiden, einer gescheiterten Ehe, schwierigen Beziehungen zu Tochter und Lebensgefährtin - und sein Autor Sam Millar. So weist das vorliegende Werk, der 2. Band um Kane, einige Schwachstellen auf, besticht jedoch durch Stil, Charme und Gefühl... eine Seltenheit bei einem richtig harten Krimi bzw. Thriller!

Der Autor hat erneut ein spannendes Werk, das in der wohl zerrissensten Stadt Westeuropas, in Belfast spielt, vorgelegt: Wieder pflastern Leichen den Weg von Karl Kane, einem ehemaligen Polizisten und Detektiv, der in echter Noir-Manier daherkommt und dem auch diesmal neben einem Hauch von Coolness die Rolle des Losers zunächst scheinbar unabdingbar anhaftet.

Diesmal gerät Kane in die Ermittlungen um entführte, gefolterte und qualvoll ermordete Mädchen - die zudem vor ihrem Tod noch zwangsgemästet wurden. Kane ist eine Art Unglücksrabe unter den Detektiven: es mangelt ihm an Geld, er ist getrennt von Frau und Tochterund nicht gerade erfolgreich als Detektiv - und vor allem: er wird von der Welt nicht so recht verstanden. Auch Naomi, seine junge und hübsche Geliebte, die ihn zudem bei der Arbeit unterstützt, reagiert zunehmend verständnisloser. In einigen Facetten erschien mir die Figur des Karl Kane als eine Art männliche Claire DeWitt, Heldin der außergewöhnlichen Krimis von Sara Gran.

Die brutale und spannende Geschichte wird stilvoll, eloquent und mit Gefühl und Charme erzählt, wodurch auch ein wenig zartbesaitetere Leser wie ich bei der Stange bleiben, obwohl es gnadenlos zur Sache geht. Karl Kanes Feldzug gegen den brutalen Killer ist in bester Noir-Manier, stilvoll, teilweise kühl und meist wie aus der Ferne geschildert - für Freunde knallharter, moderner Thriller, die mittendrin sein möchten, vielleicht ein wenig zu manieriert, für Liebhaber des gehobenen Erzählstils, feiner literarischer Anspielungen und gekonnt gewählter, immer passender und spitzfindiger Zitate - die am Anfang jedes Kapitels stehen und für mich einen besonderen Leckerbissen darstellen - jedoch genau das Richtige. Allerdings bleibt leider doch einiges offen, anderes wiederum ist nicht ganz nachvollziehbar von der Logik her.