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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.12.2017

Ein menschenscheuer antiquarischer Buchhändler

Das Buch der Fälscher
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... aus einem kleinen Ort in den Staaten, der gerade den für ihn größtmöglichen Verlust - nämlich den Krebstod seiner über alle geliebten Frau Amanda - erlitten hat, gerät durch einen Zufall in einen ganzen ...

... aus einem kleinen Ort in den Staaten, der gerade den für ihn größtmöglichen Verlust - nämlich den Krebstod seiner über alle geliebten Frau Amanda - erlitten hat, gerät durch einen Zufall in einen ganzen Strudel von Ereignissen. Er tätigt einen Fund, der sein ganzes Leben verändern sollte - und zwar das bereits vollendete bzw. seinen Blick auf dieses wie auch das zukünftige.

Dies geschieht in England, wo Peter Byers - so der Name des akademisch gebildeten Buchhändlers - schon mit seiner Frau Amanda, die einer berühmten Dynastie von Buchsammlern entstammte und deren Großmutter die Bibliothek der Universität, an der sie ihren späteren Mann kennenlernte, oft war und nach Büchern suchte.

Die Geschichte spielt in drei zeitlichen Ebenen: einmal in den 1980er Jahren in den Staaten, dann 1994/5 hauptsächlich in England und in einemvom 16. bis zum 19. Jahrhundert reichenden Rückblick, im dem die Geschichte von Peters Fund quasi von hinten aufgerollt wird und ist - dieses ist ihr ganz, ganz großes Plus - ausgesprochen atmosphärisch und mitreißend geschildert, die Charaktere werden eindrücklich skizziert, so dass der Leser sie bildhaft vor Augen hat. Der Leser findet sich wieder im England der Shakespeare-Zeit, des 18. und 19. Jahrhunderts... und liegt quasi mit Peter und Amanda im Bett bzw. in der Bibliothek, wo sich einige der - nicht zu aufdringlich geschilderten - Liebesszenen abspielen.

Keine Frage, Charlie Lovatt kann schreiben und ihm ist ein emotionales und mitreißendes Buch gelungen, das an keiner Stelle kitschig ist. Mit wenigen Worten vermag er den Leser so auf das Setting einzustimmen, mit der jeweiligen Szenerie vertraut zu machen, dass man sich sofort einfindet. Aber leider ist das Ende, die Auflösung lange nicht so rund wie der Rest des Romans. Peters Handlungen habe ich als teilweise widersprüchlich und seinem sehr zurückhaltenen Naturell entgegenstehend empfunden, auch die Einbindung weiterer Akteure, vor allem der Schuldigen, war nicht ganz so glatt. Über das letzte Drittel des Romans erfasste mich also ein ungutes Gefühl, das sich kontiuierlich steigerte - aber selbst dieses vermochte den Genuß, den der überwiegende Teil des Buchs mir bereitet hat, nicht auszulöschen!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Therapeut glücklos - Leserin glücklich

Der glücklose Therapeut
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Nämlich mit der Lektüre dieses Buches!
Ein kleines Juwel ist dieses Büchlein, durch dessen Lektüre ich mich durchaus in eine Ecke drängen lasse: nämlich in die der psychoanalytisch Interessierten. Für ...

Nämlich mit der Lektüre dieses Buches!
Ein kleines Juwel ist dieses Büchlein, durch dessen Lektüre ich mich durchaus in eine Ecke drängen lasse: nämlich in die der psychoanalytisch Interessierten. Für andere ist dieses Buch nämlich definitiv nichts - sie werden sich tödlich langweilen.

Worum es geht: David Winter, seines Zeichens Pychotherapeut und seit Jahren auf Depressionen spezialisiert, ist am Ende: beruflich wie privat. Er ist analytisch an seine Grenzen gestoßen, in bezug auf seine - aus Frau und erwachsener Tochter bestehenden - Familie läuft auch alles schief. Kurzum: der gute Mann befindet sich in einer Zwickmühle, aus der definitiv schwer rauszufinden ist. Wohl und Wehe des Mannes hängen von den zukünftigen Entwicklungen, von Winters Handeln ab, sein beruflicher Ruf steht auf dem Spiel.

Dies alles wird auf gerade mal 250 Seiten sowohl unterhaltsam als auch ungewöhnlich dicht beschrieben - der Autor Noam Shpancer, selbst Psychologe, hat es sprachlich einfach drauf! Ein Genuss, seine leicht sarkastisch angehauchten Bonmots und Erkenntnisse zu lesen - wenn man selbst an Psychotherapie interessiert ist, andererseits jedoch nicht zu kritisch an die Materie rangeht. Der Autor bezieht nämlich durchaus Stellung bzw. lässt er dies seinen Protagonisten tun: dieser muss sich Gedanken über selbstmordgefährdete Patienten, eine untreue Ehefrau sowie die Zukunft der immer selbständiger werdenden Tochter machen - am meisten jedoch über sich selbst was - wie der Leser rasch merkt - der schwierigste Part von allen ist.

David Winters Alltag wird hier geschildert, wobei zwei Extremsituationen in das Setting eingebettet werden. Der Leser wird aufgerüttelt, wird aufgefordert, sich Fragen zu stellen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sehr zu empfehlen, allerdings nur für Rezipienten, die bereit sind, ihr ganzes Umfeld und nicht zuletzt sich selbst in Frage zu stellen.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine moderne Visionärin

Wunder muss man selber machen
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Sina Trinkwalder hatte einen Traum: nämlich den einer gerechten Arbeitswelt, in der es auch Platz für ausgemusterte, zu alte, zu kinderreiche, zu unflexible Arbeitnehmer gibt. Außerdem hat sie zwei Hände, ...

Sina Trinkwalder hatte einen Traum: nämlich den einer gerechten Arbeitswelt, in der es auch Platz für ausgemusterte, zu alte, zu kinderreiche, zu unflexible Arbeitnehmer gibt. Außerdem hat sie zwei Hände, zwei Beine, einen gesunden Menschenverstand - und vor allem hat sie Mut. Und so wurde ihr Traum zur Realität.

Sina Trinkwalder ist eine moderne Visionärin, die sich nicht von festgefahrenem schrecken lässt - und so schuf sie in der traditionellen Textilstadt Augsburg, die schon lange die Bedeutung als Industriestandort verloren hatte, die Textilfirma "mannomamma", in der ein Herz für Arbeitnehmer schlägt - aber auch eins für umweltfreundliche und nachhaltige Produkte. Sie baute diese Firma in Augsburg auf, weil es eben ihre Heimatstadt ist - wäre sie aus Dortmund, hätte sie eventuell Bier gebraut, in Bremerhaven Fische verarbeitet. Frau Trinkwalder hat sich den Umständen angepasst - und daraus Unglaubliches, Totgeglaubtes wiederaufstehen lassen.

In diesem Buch beschreibt sie ihren Weg - ohne Beschönigungen, Schönfärbereien oder Ähnliches - ehrlich und lässt selbst Peinliches nicht aus. Es hat nämlich nicht alles sofort geklappt, manchmal war Sina Trinkwalder ziemlich naiv, ja sogar blauäugig. Aber sie hat nie den Mut und den Glauben an ihre Idee verloren.

Dabei ist sie beileibe kein Gutmensch - nein, dagegen verwahrt sie sich ausdrücklich! Ihre Firma ist kein Auffangbecken für Leute, die hier ihr Gnadenbrot bekommen, im Gegenteil: Sina Trinkwalder stellt zwar Leute ein, die sonst nicht unbedingt mit Kusshand genommen werden, aber arbeitswillig und effizient müssen sie schon sein. Wer sich nicht bewährt, bzw. nicht dazu bereit ist, geht oft schon von allein, ohne dass eine Kündigung ausgesprochen werden muss.

Nachhaltigkeitspreise, Auszeichnungen für Umweltbewußtsein - Sina Trinkwalder hat sie alle eingesammelt. Sie freut sich darüber, aber käuflich ist sie nicht: schonungslos geht sie mit denen ins Gericht, die das Label Bio nur aus marktschreierischen Gründen verwenden. Auch Promis, die sie bei solchen Veranstaltungen kennengelernt hat, kriegen ihr Fett weg - wenn sie es denn verdient haben!

Die junge Unternehmerin ist Visionärin und Realistin zugleich - und eine tolle Autorin, versteht sie es doch, ihre Idee lebendig an den Mann und an die Frau zu bringen. Sicher ist so viel Energie und Antriebskraft nicht jedem gegeben - doch wir sollten ihre Zeilen, ihr Lebensmodell in Zeiten verinnerlichen, in denen alles komplett festgefahren und ausweglos scheint. Ein bisschen Sina Trinkwalder sollte in jedem von uns stecken!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Ein Auswärtsspiel mit Volltreffer

Almuth spielt auswärts
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zumindest in erotischer Hinsicht und noch dazu mit einem 15 Jahre jüngeren Mann - das gelingt der fußballverrückten Haus- und Ehefrau Almuth unerwarteter- und unfreiwilligerweise bei einer Reise mit ihren ...

zumindest in erotischer Hinsicht und noch dazu mit einem 15 Jahre jüngeren Mann - das gelingt der fußballverrückten Haus- und Ehefrau Almuth unerwarteter- und unfreiwilligerweise bei einer Reise mit ihren Freundinnen - alle drei um die 60 - in die Schweiz. Ansonsten werfen die Erlebnisse eher Fragen in ihr auf - wie weit wird, wie weit kann Almuth gehen?

Ein lustiges, ein ungewöhnliches Buch mit einer sensationellen Protagonistin - der ältlichen Almuth, seit 33 Jahren mit dem Lehrer Günther verheiratet und Mutter von Karsten - und seit Jahren Riesenfan vom FC Barcelona, wegen dem sie sich sogar ein paar Brocken Spanisch angeeignet hat. Doch es sind Träume, die Almuth in ihrem festgefahrenen Alltag hegt - Träume, die Schäume bleiben, oder die sich zu etwas Konkretem verfestigen.

Almuth und ihre Freundinnen wie auch die anderen Figuren sind mit viel Humor gezeichnet, aber bei jeder steckt was dahinter - gekonnt vermengt Autorin Ernstes und Lustiges zu vielschichtigen, komplexen Charakteren, die einen zwar humorvollen, doch alles andere als oberflächlichen Roman , der leider einige Längen aufweist, bevölkern. Eine Autorin, die Botschaften zu versenden hat, die betonen will, dass es wichtig ist, das Gute im Leben zu erkennen und zu genießen und sich selbst nicht nur in Ausnahmefällen etwas zu gönnen - kurzum, sich selbst zu lieben oder zumindest zu achten.

Ein liebenswerter Roman vor allem für Damen in der zweiten Lebenshälfte, den ich sicher häufiger verschenken werde - an alle in meinem Umfeld, denen ich einen Freude machen möchte und die gut, aber nicht ohne Anspruch unterhalten werden wollen.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Erinnert zu sehr an Flavia de Luce

Die Eistoten
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Keine Frage, Christian Buder kann schreiben - glatt und elegant gleitet man förmlich in die Geschichte der 11jährigen - die Zahl 11 wird in dem Buch noch eine herausragende, sehr geheimnisvolle Rolle spielen ...

Keine Frage, Christian Buder kann schreiben - glatt und elegant gleitet man förmlich in die Geschichte der 11jährigen - die Zahl 11 wird in dem Buch noch eine herausragende, sehr geheimnisvolle Rolle spielen - Alice, die hochbegabt ist, sich mit Wittgenstein austauscht, in der eigenen Familie jedoch nicht immer auf Verständnis stösst, hinein. Der Stil ist anspruchsvoll, die Figuren witzig, der Rahmen - ein winziges Dorf im Allgäu in der allerkältesten Jahreszeit - originell und gut gewählt, zudem verwöhnt uns der Autor mit Sätzen wie "Auch Bücher sterben ...nur viel langsamer. Und selbst sterbend hatten sie noch viel zu erzählen! (S.24)"

Alice selbst ist eine ungewöhnliche, facettenreiche Figur, die nicht nur Wittgenstein, sondern auch auf andere Gestalten wie bspw. Sokrates trifft. Sie hat es nicht einfach: der Vater ein verschlossener Kommissar, die Mutter vor Jahren am Tag vor dem Heiligen Abend verstorben - ermordet, meint Alice, die Schwester ein nerviger Teenie... der Großvater ist schon auf ihrer Seite, kann aber nicht immer mithalten... Es geht um eine Reihe an Toten, die immer am 23. Dezember auftauchen - seit 10 Jahren wiederholt sich dies in jedem Jahr, doch gibt es noch mehr Tote. Auch Alice scheint in Gefahr zu sein und dann steht auch noch ihr geliebter Großvater unter Verdacht...

Trotz aller Schwierigkeiten, die sich ihr in den Weg stellen, kämpft Alice weiter und arbeitet verbissen an der Lösung des Falles.

Leider schwächelt das Buch am Ende: das ist vor allem sehr absehbar: ich hatte den Mörder ab dem 2. Drittel des Buches zumindest als möglichen Täter, auf jeden Fall aber als jemanden, der ziemlich tief mit drinhängt, im Blick und normalerweise tue ich mich beim Finden solcher Lösungen eher schwer.

Wunderschön geschrieben und anfänglich auch spannend - doch leider ist mir alles viel zu nahe dran an der großartigen Flavia de Luce, der Serienfigur in den Büchern von Alan Bradley : Buders Buch spielt zwar in Deutschland und in der Gegenwart, aber es gibt massenweise Parallelen - beide Protagonistinnen leben ausgesprochen ländlich und sind ungewöhnlich helle für ihr Alter, haben nervige Schwestern: hier eine, da zwei, beide Mütter leben nicht mehr, die Schwestern geben Alice/Flavia die Schuld daran....auch das Alter stimmt mehr oder weniger überein - und die Schwestern sind jeweils älter.

Obwohl Überirdisches vorkommt - in Form von Alices Erscheinungen, die jedoch genauso gut der Fantasie eines unterforderten Mädchens entspringen können - hat die Geschichte für mich nichts mit herkömmlichem Fantasy zu tun. Die Verbindung zu Wittgenstein hätte eleganter herausgearbeitet werden können, um auch eine Distanz zu Flavia de Luce herzustellen, die aus meiner Sicht überhaupt nicht gegeben war.


Was mir gefiel - das Lokalkolorit war gut hineingebracht, teilweise war die Handlung auch wirklich sehr spannend - aber irgendwann kam dann nichts Neues mehr.

Trotzdem würde ich auch das nächste Buch der Serie lesen wollen - der Stil gefällt mir wirklich gut und vielleicht kommen noch ein paar Alice-spezifischere Eigenschaften zum Tragen. Und... möglicherweise kann das Ende dann überraschen!