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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.12.2017

Eine ungewöhnliche Familiengeschichte

Zwei lange Unterhosen der Marke Hering
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Vorweg erstmal: dies ist ein emotionales und sehr, sehr herzliches Buch - eine Verbeugung eines Enkels, nämlich Ariel Magnus, eines argentinischen Schriftstellers mit deutschen Wurzeln vor seiner Großmutter: ...

Vorweg erstmal: dies ist ein emotionales und sehr, sehr herzliches Buch - eine Verbeugung eines Enkels, nämlich Ariel Magnus, eines argentinischen Schriftstellers mit deutschen Wurzeln vor seiner Großmutter: ein inniges Denkmal, das er ihr bereits zu Lebzeiten setzt. Davor habe ich allergrößte Hochachtung - doch hätte ich vor dem Lesen bereits gewußt, was mich erwartet; ich weiss nicht, ob ich mich darauf eingelassen hätte.

Ich habe natürlich eine Familiengeschichte erwartet, allerdings eine, die sehr viel stärker in den historischen Kontext, in die Zeit des Nationalsozialismus eingebettet ist, als es hier der Fall ist. Durch den Klappentext erfährt der Leser im voraus, dass die Oma als junge Frau mutig und freiwillig ihrer blinden Mutter erst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz folgte. Genau darüber hätte ich gern sehr viel mehr erfahren, über die Umstände, die dazu führten, über die persönlichen Erfahrungen der Oma, die es nach dem Krieg nach Brasilien verschlug, im Wandel der Zeit - wobei ich mir ein wenig mehr Fokus auf dem "Wandel der Zeit" gew

Veröffentlicht am 29.12.2017

Ein neues Lieblingsbuch

Geheime Tochter
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Vorneweg: als Vielleserin habe ich nicht ein, sondern gleich Dutzende von Lieblingsbüchern, zu denen sich jedes Jahr etwa 5-6 neue dazu gesellen. Dieses Buch hat eindeutig das Potential dazu.

Im Fokus ...

Vorneweg: als Vielleserin habe ich nicht ein, sondern gleich Dutzende von Lieblingsbüchern, zu denen sich jedes Jahr etwa 5-6 neue dazu gesellen. Dieses Buch hat eindeutig das Potential dazu.

Im Fokus stehen zunächst zwei Frauen: Somer in Kalifornien, U.S.A. und Kadita in Indien. Während die junge und ambitionierte Ärztin Somer, die mit einem Kollegen, dem Exil-Inder Krishnan, verheiratet ist, an ihrer Kinderlosigkeit verzweifelt, hat Kadita andere Probleme: sie bekommt Kinder, allerdings zunächst nur Töchter und die gelten in Indien nur als Geldverschwendung. Ihr Ehemann veranlasst die Tötung der ersten Tochter, bei der zweiten, Usha, greift Kadita ein und bringt sie in einem Kinderheim unter. Man ahnt es schon: aus Usha wird Asha und sie findet ihren Weg in die Staaten, wo sie als Tochter von Somer und Krishnan, die ihr die Adoption nie verschwiegen haben, aufwächst. Von Indien weiss sie nicht viel, bis sie erwachsen ist und ihren eigenen Weg gehen will: das grundlegende Kennenlernen ihres Geburtslandes ist ein entscheidender Schritt.

Das alles könnte kitschig und platt sein, ist es aber nicht. Einfühlsam und gleichzeitig mitreißend schildert die Autorin die Problematik von beiden Seiten, der amerikanischen und auch der indischen.

Eine Geschichte mit vielen Windungen, die vor allem eines zeigt: dass nichts nur schwarz und weiß ist. Auch wenn die Autorin, eine Amerikanerin mit indischem Migrationshintergrund, ihre westliche Sichtweise nicht verbergen kann und dies auch gar nicht will, wird dem Leser die Situation in Indien nahegebracht und veranschaulicht.

Ein Buch mit Ecken und Kanten, aber für mich vor allem eines, in dem man schwelgen kann - nicht nur wegen der mitreißenden und aufwühlenden Geschichte, nein, auch aufgrund der liebevollen Gestaltung des Bandes. Ein Buch für Genießer und eine wunderbare Geschenkidee!

Veröffentlicht am 29.12.2017

Eine Bekanntschaft

Der Tag ist hell, ich schreibe dir
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aus der eine Freundschaft wurde, die brutal endete: durch die Ermordung, das Attentat auf den Freund: Katja Langer hat dies selbst erlebt, als sie, noch keine 20, den Bankier Alfred Herrhausen - mit Anfang ...

aus der eine Freundschaft wurde, die brutal endete: durch die Ermordung, das Attentat auf den Freund: Katja Langer hat dies selbst erlebt, als sie, noch keine 20, den Bankier Alfred Herrhausen - mit Anfang 50 schon ein überaus erfolgreicher "Geschäftsmann" kennenlernt und mit ihm eine mehrjährige Brieffreundschaft aufnimmt - eine lebenslange Freundschaft, muss man sagen, endet diese doch mit dem Attentat auf Herrhausen im deutschen Schicksalsjahr 1989, Ende November, kurz nach dem Mauerfall. Um diese Freundschaft geht es in vorliegendem Buch, das die Autorin in Romanform verfasst hat.

Ein sehr, sehr emotionales, warmherziges Buch, ein Roman, in dem Tanja Langer ihre Protagonistin Helen sprechen lässt, sie ihre Freundschaft zu Julius Turnseck - so der Name des Bankiers im Roman - in den verschiedensten Facetten schildern und sie seinem Leben nachspüren lässt. Jahre nach Julius' Tod begibt Helen sich nämlich auf Spurensuche.

Ein sehr, sehr persönlicher Roman, gleichwohl ein Dokument von Tanja Langers und Alfred Herrhausens gemeinsamer Zeit, allerdings eines, in dem sich die Autorin durch die Darstellungsform etliches an dichterischen Freiheiten herausnimmt.

Der Leser erfährt vieles aus Julius' Jugend während des 3. Reiches, aber auch Interessantes aus den beiden Deutschlands der 1980er Jahre. Spannend und aufschlussreich, manchmal ein wenig langatmig, aber immer voller Wärme und Respekt nicht nur Julius/Alfred, sondern auch seinen Angehörigen gegenüber schildert Tanja/Helen ihre gemeinsame Geschichte.

Ab und zu ist es schon ein wenig irritierend und man überlegt beim Lesen, ob dies jetzt Realität oder dichterische Freiheit ist, trotzdem ist dies ein wichtiges Buch sowohl als subjektive Dokumentation deutscher Vergangenheit als auch als ungewöhnlicher Roman. Also: nicht vom Titel schrecken lassen, der aus meiner Sicht wie eine Zeile aus einem Pionierlied klingt: Leser, die sich für neuere deutsche Geschichte ab dem 2. Weltkrieg interessiert und diese auch gern in Romanform rezipieren, werden ihre Freude an diesem sowohl intelligent als auch liebevoll geschriebenen Buch haben!

Veröffentlicht am 29.12.2017

Eine Frau des 20. Jahrhunderts

Die Malerin
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Auch wenn sie bereits im 19. Jahrhundert geboren wurde und heranwuchs - alle signifikanten Ereignisse im Leben der Malerin Gabriele Münter fielen definitiv in das darauffolgende, das so tragische 20. Jahrhundert.

Tragisch ...

Auch wenn sie bereits im 19. Jahrhundert geboren wurde und heranwuchs - alle signifikanten Ereignisse im Leben der Malerin Gabriele Münter fielen definitiv in das darauffolgende, das so tragische 20. Jahrhundert.

Tragisch war auch das Leben der Künstlerin - nicht nur, aber auch, weil sie als Frau (noch) nicht die Rolle einnehmen konnte, die ihr Zustand. In den ersten Jahren ihres eigenen künstlerischen Schaffens stand sie klar im Schatten von Kandinskys, der ihr Lehrer und bald auch ihr Geliebter war - jahrelang hielt er sie hin, was die von ihr ersehnte Heirat anging, um dann zum Ende des Ersten Weltkrieges den Kontakt komplett abzubrechen. Erst Jahre später erfuhr Gabriele Münter, dass er damals bereits anderweitig verheiratet war.

Die folgenden, zunächst tragischen, dann zurückgezogenen Jahre der Gabriele Münter waren weniger spektakulär, doch ebenfalls interessant - und eben ein wichtiger Teil ihres Lebens.

Die Autorin Mary Basson fühlt sich aus meiner Sicht gut sowohl in das Leben der Künstlerin als auch in ihr Umfeld sowie in die gesamte Epoche (bzw. die Epochen), die den Rahmen bildet ein - im Gegensatz zu einigen anderen Bänden der "Künstlerreihe" aus dem Aufbau-Verlag wird hier den Künstlern ein Charakter verliehen, also Gewicht gegeben. Gabriele Münter, über die ich schon vorher einiges wusste, ist mir ein wenig näher gerückt - ich habe Lust darauf bekommen, mehr über sie zu recherchieren, ebenso über die Menschen um sie herum.

Kein sensationelles Buch, eher ein leiseres, in dem die Leidenschaft Münters in Bezug auf Kandinsky sehr herausgestellt wird - ob es wirklich so war? Da es ein Roman ist, in dem die Autorin alle Freiheiten hat und sie definitiv auch nutzt, kann sie es sich erlauben. Dafür ist die Lektüre auch spannender als die vieler Biographien und wird sicher auch Lesern Spaß machen, die vor einem Sachbuch zurückschrecken würden. Dennoch hätte ihm eine Zeittafel, ein Namensverzeichnis mit Erläuterungen zu den Personen aus meiner Sicht gut angestanden.

Veröffentlicht am 28.12.2017

Der böse Brundibár

Abschied in Prag
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ist die Hauptfigur einer Kinderoper des tschechischen Juden Hans Krása, die 1938 entstand und u.a. in Theresienstadt, wohin der Komponist deportiert worden war, aufgeführt wurde - eine sehr mutige Aktion, ...

ist die Hauptfigur einer Kinderoper des tschechischen Juden Hans Krása, die 1938 entstand und u.a. in Theresienstadt, wohin der Komponist deportiert worden war, aufgeführt wurde - eine sehr mutige Aktion, angesichts der Parallelen, die nicht nur von Mitinsassen gezogen wurden.

Lenka, eine der beiden Hauptfiguren des vorliegenden Romans, ist Augenzeugin, ist sie doch mit ihren Eltern und der kleinen Schwester dorthin deportiert worden. Sie hätte es besser haben können, wäre sie ihrem Ehemann Josef ins Exil gefolgt, die Möglichkeit hätte bestanden. Doch sie blieb - und das Eheleben der beiden, das gerade erst begonnen hatte, blieb auf der Strecke.

Alyson Richman ist hier ein eindringlicher Roman zu einem bereits oft beschriebenen Thema, der Situation der Juden im Dritten Reich, gelungen. Sie stützt sich auf wahre Begebenheiten und macht damit einmal mehr deutlich, dass das wahre, das echte Leben häufig die originellsten Ereignisse hervorbringt.

Definitiv ist dieser Roman, der teilweise in Künstlerkreisen in Theresienstadt - ja, die gab es - spielt, einer an den man sich lange erinnern wird. Gerade diese Passagen werden sehr authentisch vermittelt - zugegeben, es ist extrem starker Tobak, aber sehr lesenswert, auch wenn die Lektüre Mut erfordert. Denn sie wird den Leser auf lange Zeit nicht loslassen, wenn er sich mit ganzem Herzen und Verstand auf die Lektüre einlässt: Es ist die tragische Liebesgeschichte von Lenka und Josef, aber es ist auch ein Roman über eine schwere Zeit in der insgesamt sehr gebeutelten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Mich hat er sehr berührt und ich lege ihn jedem Liebhaber anspruchsvoller historischer Romane ans Herz. Ein sehr gefühlvoller Roman, doch die Emotionen werden sehr stimmig und eindringlich und mit hohem Anspruch vermittelt.