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Veröffentlicht am 20.12.2017

Der Mensch hinter der Tat

Ich schreibe Ihnen im Dunkeln
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Der Mensch hinter der wahren Tat, dem Mord am ehemaligen Verlobten: das ist Pauline Dubuisson. Ein Mord im Affekt war es, einer, der von einer schon vorher geschundenen und mißhandelten Frau begangen wurde, ...

Der Mensch hinter der wahren Tat, dem Mord am ehemaligen Verlobten: das ist Pauline Dubuisson. Ein Mord im Affekt war es, einer, der von einer schon vorher geschundenen und mißhandelten Frau begangen wurde, einer, der nach dem Ende der deutschen Besetzung Frankreichs, also dem Ende von Vichy-Frankreich, die Haare geschoren wurden. Was das heißt, weiß jeder, der sich zumindest ein wenig mit dem historischen Hintergrund, den Zusammenhängen, beschäftigt hat. Nichts Gutes jedenfalls, ganz und gar nicht.

Der Autor Jean-Luc Seigle gibt Pauline Dubuisson eine Stimme: sie ist die Erzählerin in diesem Buch, sie schildert ihre Sicht der Dinge. Selbstverständlich eine fiktive Sicht: Pauline hat bereits Anfang der 1960er Jahre das Zeitliche gesegnet, einer der vielen Selbstmordversuche war irgendwann erfolgreich.

Ein trauriges, ein ungerechtes Ende. Das arbeitet Jean-Luc Seigle ganz klar heraus und noch mehr: auf eine gewisse Art und Weise gibt er Pauline Dubuisson ihre Würde wieder. Es ist keine Rehabilitation, die hier stattfindet, das liegt nicht in der Absicht des Autors, denn er verurteilt Pauline Dubuisson gar nicht erst. Er zeigt sie als Menschen, dem tiefste Ungerechtigkeit widerfahren ist, schon früh - ja, und dann ergab eines das andere.

Dabei bleibt er - da er ja Pauline sprechen lässt, gewissermaßen außen vor, er lässt nicht andere urteilen. Im Gegenteil, er erklärt sich mit Pauline in der Hinsicht solidarisch, dass er sie berichten lässt, sie ihre Geschichte erzählen lässt. Eine Geschichte, die schmerzhaft ist für den Leser, so war es jedenfalls bei mir. Denn es ist die Geschichte eines unglücklichen Menschen, die hier geschildert wird, ein Leben, das nicht glücklich enden kann.

Jean-Luc Seigle schreibt sich einen Wolf, könnte man sagen: kraftvoll und stimmgewaltig auf eine stille Art und Weise ist das Buch, das ich dennoch nicht gern gelesen habe. Die Gründe dafür können sie oben lesen. Selbstverständlich empfehle ich es dennoch aus ganzem Herzen. Wenn auch nicht jedem: wenn sie sich auf diese Lektüre einlassen, benötigen Sie richtig, richtig viel Kraft. Aber dies ist ein Wagnis, das sich lohnen könnte!
Autor: Jean-Luc Seigle

Veröffentlicht am 20.12.2017

Island-Krimi mit allem Zipp und Zapp

Kalter Trost
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Wer sich mal einen richtig saftigen isländischen Krimi mit allem Zipp und Zapp gönnen will, der sollte es mit "Kalter Trost" von Quentin Bates probieren: Zipp und Zapp bedeutet in diesem Fall: Spannung, ...

Wer sich mal einen richtig saftigen isländischen Krimi mit allem Zipp und Zapp gönnen will, der sollte es mit "Kalter Trost" von Quentin Bates probieren: Zipp und Zapp bedeutet in diesem Fall: Spannung, Originalität, eine individuelle und vor allem sehr sympathische Ermittlerin, nämlich die Kommissarin Gunhildur, genannt Gunna, die eingebettet ist in ein ebenfalls sympathisches Umfeld. Aber was vor allem hervorzuheben ist: obwohl dies hier ein richtiger Krimi mit Mord und Totschlag ist und jede Menge kriminelle Energie freigesetzt wird, kommt der Humor nicht zu kurz und zwar durchgehend.

Gunna ist gerade aus einer Kleinstadt nach Reykjavik versetzt worden, als eine ehemals bekannte Schlagersängerin ermordet wird und obendrein ein stadtbekannter Häftling, der einen Mord zu büßen hat, aus dem Gefängnis ausbricht. Die Witwe und alleinerziehende Mutter stürzt sich in die Arbeit und hat nicht nur mit widerspenstigen Zeugen und Verdächtigen, sondern zum Teil auch mit problematischen Kollegen zu kämpfen.

Ein wenig hat mich die Masse der Charaktere und natürlich der dazugehörigen isländischen Namen überwältigt und irritiert und ich hätte mir ein Personenverzeichnis gewünscht, aber das war wirklich der einzige Kritikpunkt und hat meiner Begeisterung keinen Abbruch getan.

Der Autor ist Brite mit langjähriger "isländischer Vergangenheit" - er kennt seine zweite Heimat wie seine Westentasche und das spürt der Leser. Und mehr noch, auch die Hauptperson Gunnhildur zeichnet Bates sowohl souverän als auch einfühlsam. Kurzum: wüsste man es nicht besser, man würde weder merken, dass Quentin Bates kein Isländer, noch dass er keine Frau ist, so sehr ist er in seinen Themen zu Hause.

Ein Gewinn nicht nur für die skandinavische, sondern für die gesamte europäische Krimiszene - mindestens! Allen Krimifreunden, die nicht (nur) skandinavischen Schwermut, sondern (auch) nordeuropäische Leichtigkeit schätzen, wärmstens empfohlen!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Aufräumen plus

Manchmal muss es eben Mord sein
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Elfie Ruhland räumt auf und das mit voller Überzeugung und in jeder Hinsicht. Die ältere, betuliche, immer freundlich auftretende Dame ist ganz entgegen ihrer altmodischen Art als freiberufliche Office-Managerin ...

Elfie Ruhland räumt auf und das mit voller Überzeugung und in jeder Hinsicht. Die ältere, betuliche, immer freundlich auftretende Dame ist ganz entgegen ihrer altmodischen Art als freiberufliche Office-Managerin tätig - sie wird gerufen, wenn es an der Zeit ist, Ordnung in eingefahrene Bürostrukturen zu bringen. Das tut sie auf ihre ganz persönliche Art, denn Elfie Ruhlands Stil kann man getrost als "Aufräumen plus" bezeichnen. Bürotyrannen jeglicher Art und beiderlei Geschlechts, die die Arbeitsatmosphäre vergiften und die Mitarbeiter leiden lassen, werden gleich mit aus dem Weg geräumt.

Doch Elfie hat auch ein Privatleben, das sich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf dem Friedhof abspielt, wo sie der jungen Kommissarin Alex begegnet. Auch Alex hat ihr Päckchen zu tragen - sie ist zwar gerade mit ihrer großen Liebe Hubert zusammengezogen, doch nicht lange danach gibt es zwei weitere Mitbewohner: Huberts Tante Lydia mit ihrem verfressenen Mops Amadeus.

Das sind die Hauptpersonen, doch wird dieser lustige und durchaus ungewöhnliche Krimi durch weitere schräge Charaktere bereichert, deren Bekanntschaft zu machen sich durchaus lohnt. Liebhabern von Krimis mit Spassfaktor, wie denen der Bochumer Autorinnen Minck & Minck um Maggie Abendroth oder der in Schwäbisch Hall spielenden Reihe um den stickenden Kommissar im Ruhestand Seifferheld wird die Lektüre wärmstens ans Herz gelegt - sie hat das Potential zu einer weiteren Lieblingsserie!

Veröffentlicht am 20.12.2017

"Eines mußte man London lassen: Es gab ziemlich viel davon."

Kapital
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Dieser opulente, vielschichtige Roman handelt vom Leben in London in den Jahren 2007 und 2008, wobei sich London hier auf die Pepys Road konzentriert, eine Straße, in der sich ein buntes, die untere bis ...

Dieser opulente, vielschichtige Roman handelt vom Leben in London in den Jahren 2007 und 2008, wobei sich London hier auf die Pepys Road konzentriert, eine Straße, in der sich ein buntes, die untere bis obere Mittelschicht repräsentierendes Sammelsurium an Bewohnern und einem Kreis von weiteren Menschen, die in unterschiedlichster Form mit ihnen zu tun haben, tummelt.

Ein wenig gemahnt dieser Roman in seinem Ansatz an den Film "Short Cuts" von Robert Altman, der allerdings in L.A. spielt. Wie dort werden fragmentarische Sequenzen aus dem Leben einiger Menschen aufgeführt und wie im Film steht hier die Stadt im Hintergrund und bildet die Kulisse zur Handlung, vielmehr zu den vielschichtigen Parallelhandlungen des Romans.

Die Rentnerin Petunia, der pakistanische Lebensmittelhändler Ahmed, der Finanzhändler Roger, das hoffnungsvolle senegalesische Fußballtalent Freddy - sie alle leben im Kreise ihrer Familien in der Pepys Road, haben Träume und hegen Hoffnungen und Wünsche... und werden von unheimlichen, regelmäßig eintreffenden Karten mit der Botschaft "Wir wollen das, was Ihr habt" belästigt, denen bald ähnlich störende Aktionen folgen, um die sich das lokale Polizeipräsidium mehr oder weniger motiviert kümmert.

Doch das Leben in der Pepys Road zieht weitere Kreise: nicht nur um diese Sendungen rankt sich die Handlung: Nein, weitere Figuren, die in Zusammenhang mit dieser Straße stehen, beispielsweise der polnische Handwerker Zbigniew, das ungarische Kindermädchen Matya, Freddys Vertrauter Mickey, um nur einige zu nennen... sie alle haben ihren Auftritt, ihren Anteil an der Geschichte.

Ein tolles, pralles und monumentales Buch, das trotz der vielen darin vorkommenden Figuren nie verwirrend ist und nicht eine Länge aufzuweisen hat. Obwohl viel Alltägliches beschrieben wird, ist die hier erzählte Story voll von überraschenden Entwicklungen - es fällt wirklich schwer, die Lektüre zwischendurch zu unterbrechen.

Der Leser spürt, dass jede einzelne Seite wichtig und bereichernd ist - denn, um es mit Zbigniew, dem polnischen Handwerker zu sagen: "Eines mußte man London lassen: Es gab ziemlich viel davon"(S.541) - und zwar jede Menge pralles Leben, mit dem der Rezipient des Romans konfrontiert, durch das er mit allen Sinnen angeregt und mit Hilfe dessen er amüsiert wird. In diesem Sinne lege ich "Kapital" jedem ans Herz, der gerne einen sowohl anspruchsvollen als auch unterhaltsamen Roman, der gut geschrieben und ebenso gut übersetzt ist, zu genießen vermag.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ermittlungen im Gelobten Land

Die letzte Sünde
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Die junge Autorin Katharina Höftmann bietet uns einen klassischen Whodunnit mit allem Zipp und Zapp in ungewöhnlichem Setting, nämlich in Tel Aviv, der inoffiziellen Hauptstadt und dem schillernden Zentrum ...

Die junge Autorin Katharina Höftmann bietet uns einen klassischen Whodunnit mit allem Zipp und Zapp in ungewöhnlichem Setting, nämlich in Tel Aviv, der inoffiziellen Hauptstadt und dem schillernden Zentrum des israelischen Nachtlebens. Wer packend und eloquent formulierte, atmosphärische Krimis liebt, der ist mit Höftmanns erstem Krimi gut bedient.

Worum geht es? Eine junge Frau wird tot in einer Sprachenschule aufgefunden. Kommissar Assaf Rosenthal, eine Art israelischer James Bond und ehemaliger Armeeoffizier, ganz neu im Polizeidienst, ermittelt. Dabei tun sich Abgründe auf - genauso faszinierend ist allerdings das Drumherum, sein Team und die im Zusammenhang mit dem Mord auftauchenden Figuren, von denen jede einzelne ungeheuer plastisch und authentisch rüberkommt.

Der Auftakt zu einer Serie, wie die Autorin bereits angekündigt hat. Ich für meinen Teil bin trotz kleiner Abstriche, die vor allem die sich schon recht früh abzeichnende Auflösung des Falles und den in meinen Augen etwas zu sehr in den Mittelpunkt gestellten und dadurch vom Mord ablenkenden Auftritt des Kommissars als Frauenheld betreffen, bereits jetzt ein Riesenfan der Krimis von Katharina Höftmann! Die Autorin hat mit ihrem neuen Krimi eine Lücke auf dem deutschen Krimimarkt gefüllt und kann trotz der erwähnten kleinen Schwächen bereits jetzt mit so großartigen deutschen Krimiautoren wie Nele Neuhaus oder Siegfried Langer mithalten. Ich jedenfalls fiebere dem nächsten Werk aus der Feder dieser Autorin bereits jetzt entgegen!