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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.05.2021

Ein Verwirrspiel mit den Gefühlen

Eine große Zeit
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Wem kann ich vertrauen? Diese Frage stellt sich dem Protagonisten von William Boyds Roman "Eine grosse Zeit", dem jungen Schauspieler Lysander Rief, im Verlauf der Geschichte mehr und mehr, wird er doch ...

Wem kann ich vertrauen? Diese Frage stellt sich dem Protagonisten von William Boyds Roman "Eine grosse Zeit", dem jungen Schauspieler Lysander Rief, im Verlauf der Geschichte mehr und mehr, wird er doch 1913 aus heiterem Himmel in Wien - dort hielt er sich eigentlich wegen einer Psychotherapie auf - verhaftet und der Vergewaltigung bezichtigt.

Dadurch verändert sich sein ganzes Leben, denn auch der britische Geheimdienst kommt ins Spiel. Nicht lange, dann beginnt der erste Weltkrieg mit all seinen Wirren, Lysander gerät im wahrsten Sinne des Wortes in die Schusslinie und in einen Strudel der Ereignisse, der alle Lebensbereiche betrifft und weiß nicht mehr, wem er noch trauen kann: dies umfasst auch die engsten Familienmitglieder und Freunde.

Nicht die politische Situation an sich ist es, die hier im Mittelpunkt steht, nein, es geht vielmehr um jähe, unerwartete Veränderungen. So ist das Setting des Romans durch den Kulturbetrieb und die intellektuellen Kreise jener Zeit geprägt, nicht durch den Militarismus und andere politische Elemente, die eher den Rahmen bilden.

Aber Details nachzuerzählen wäre müßig: all das beschreibt der großartige britische Autor William Boyd - den ich bereits seit Mitte der 1980er Jahre verehre - so treffend, spannend und sprachlich so ansprechend, dass ich von Herzen eine Leseempfehlung für dieses Buch aussprechen möchte.

Wer also erfahren möchte, welch fatale Folgen der stümperhafte Gebrauch von Französisch haben kann, was "Verzauberte" sind oder wer einfach in die Atmosphäre des Umschwungs im "Alten Europa" eintauchen will, die von Boyd trefflich transportiert wird, kurzum: wer auf intelligente Weise bestens unterhalten werden will und auch mal gern einen Spionageroman zur Hand nimmt, der kommt um dieses wundervolle Werk nicht herum.

Veröffentlicht am 12.05.2021

Spektakuläres aus dem beschaulichen Monschau

Monschau
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Monschau kenne ich als beschauliches Eifelstädchen - Herstellungsort köstlichen Senfes und Ausgangspunkt für schöne transnationale Wanderungen.

Hier jedoch erscheint es als Zentrum einer drohenden Seuche, ...

Monschau kenne ich als beschauliches Eifelstädchen - Herstellungsort köstlichen Senfes und Ausgangspunkt für schöne transnationale Wanderungen.

Hier jedoch erscheint es als Zentrum einer drohenden Seuche, der Pocken nämlich, die dort 1962 ausbrachen, als sie in Deutschland eigentlich keine Rolle mehr spielten: hier eingeführt aus Indien und zwar von einem Ingenieur, der dort dienstlich unterwegs war.

Die Verbreitung der Seuche konnte dann vermieden werden, doch spielt dieser Roman in der Phase, in der man noch dagegen ankämpfte, während die Monschauer isoliert waren - zwangsweise.

Kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder, sind Seuchen, Pandemien und Epidemien doch gerade ein Lieblingsthema der Kulturschaffenden - aus aktuellem Anlass.

Ich hatte mich sehr auf dieses Buch gefreut, meine Erwarten wurden aber leider nicht erfüllt: Im Mittelpunkt des Geschehens stehen Nikos, ein griechischer Arzt, der seine Ausbildung gerade in Düsseldorf vollendet und von seinem Doktorvater abkommandiert wird zur operativen Pandemiebekämpfung in Monschau. Er lernt dort die junge Vera Rither kennen, Erbin eben jenes Unternehmens, dessen Mitarbeiter die Pocken einführte.

Es geht um dieses Paar, um die Krankheit und, und, und....

Naja, eigentlich geht es um die ganze Welt. Autor Steffen Kopetzy bringt immer wieder Ereignisse des Weltgeschehens ein, die er den Ereignissen in der Eifel gegenüberstellt. Was dem Roman etwas stark Journalistisches verleiht - aus meiner Sicht jedenfalls. Dadurch wird der Anspruch des Romans nämlich heruntergespielt, die Betrachtung von Ereignissen, die mit dem eigentlichen Thema gar nichts zu tun haben, unterbricht die Stringenz der Handlung. Möglicherweise sollte damit Veras Figur - sie befindet sich in der Ausbildung zur Journalistin - gestärkt werden, aber aus meiner Sicht lenkt das nur ab.

Schade um das spannende Thema! Möglicherweise fällt mein Urteil aufgrund besonders hoher Erwartungen vernichtender aus, als der Roman es verdient hätte, aber da ist nun leider nichts mehr dran zu ändern!

Veröffentlicht am 11.05.2021

Eine Liebesgeschichte von Katzen und Menschen

Das Café der weisen Katzen
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Nagore ist in ihre Heimat Spanien zurückkehrt - ziemlich verbittert. Denn ihre große Liebe, mit der sie zusammen in London lebte und arbeitete, ist weg - einer Jüngeren verfallen, ohne Aussicht auf Besinnung. ...

Nagore ist in ihre Heimat Spanien zurückkehrt - ziemlich verbittert. Denn ihre große Liebe, mit der sie zusammen in London lebte und arbeitete, ist weg - einer Jüngeren verfallen, ohne Aussicht auf Besinnung. Obwohl Nagore ihm durchaus noch eine Chance gegeben hätte.

Zurück in Barcelona, fühlt sie sich nicht nur ganz verloren, nein, sie ist auch pleite. Aber wozu hat man gute Freundinnen: über eine von sie findet sie einen Job als Kellnerin. Aber ausgerechnet in einem Katzencafé und das, wo Nagore mit Katzen nun wirklich so gar nicht kann...

Aber nicht nur Menschen können lieben, nein, Katzen können es mindestens genauso gut und ihre Liebe geht oft ebenso seltsame Wege wie die der Zweibeiner.

Eine berührende, dabei amüsante und federleichte Geschichte über eine, die den Sinn des Lebens am entgegengesetzen Ende ihrer Erwartungen findet. In jeder Hinsicht.

Warmherzig und eindringlich, jedoch alles andere als oberflächlich kommt diese Novelle daher, die zudem wundervoll gestaltet ist. So eignet sie sich wunderbar für Katzenfreunde und solche, die es aus Ihrer Sicht endlich mal werden könnten!

Veröffentlicht am 09.05.2021

Zuerst der Vater, dann die Zwillingsschwester

Searching Lucy
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Amber ist verzweifelt: ja, ihre Zwillingsschwester und sie sind nicht eineiig, aber sie haben dennoch jeweils den absoluten Zwillingssensor und können spüren, ob es der anderen gut geht. Es ist jetzt schon ...

Amber ist verzweifelt: ja, ihre Zwillingsschwester und sie sind nicht eineiig, aber sie haben dennoch jeweils den absoluten Zwillingssensor und können spüren, ob es der anderen gut geht. Es ist jetzt schon ein paar Monate her, seit Lucy spurlos verschwand und Amber spürt auch, dass es ihr nicht gut geht - aber sie lebt!

Bei ihrem Vater, einem Gymnasiallehrer an ihrer eigenen Schule, ist sie sich leider nicht so sicher. Er war nämlich einen Monat vor Lucy weg - einfach so, dabei war er ein absolut zuverlässiger Typ, sowohl in der Schule als auch zu Hause! Jetzt hat Amber es unglaublich schwer, denn ihre Mutter ist zusammengebrochen und zu nichts mehr fähig - Amber muss alles am Laufen halten, was vor allem bedeutet, sich um den kleinen Bruder Oliver zu kümmern, der noch in der Kita ist.

Die 17jährige Amber ist ein findiges Mädchen: sie bricht bei all ihren Nachbarn ein, um nach Beweisen für die Entführung ihrer Schwester und ihres Vaters zu suchen. Was zunehmend schwieriger wird...

Ein Buch, das unter die Kategorie Thriller fällt - so zumindest steht es auf dem Cover. Es erfüllt aber auch die Bedingungen eines spannenden Whodunnits, bei dem am Ende alles aufgedeckt wird. Wie auch immer, das Buch ist toll geschrieben und einfach spannend. Sowohl für Kinder als auch für Erwachsene! Auch wenn es stellenweise ganz schön an die Nieren geht, aber daran sollten Krimi- und Thrillerfans ja gewöhnt sein!

Veröffentlicht am 05.05.2021

Das Leben der anderen

Eine ganze Welt
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Surie ist in Nöten: sie erwartet Zwillinge. Und das im Alter von 57 Jahren. Dabei wird sie in Kürze zum ersten Mal Urgroßmutter. Sie wundern sich? So ging es mir auch: doch Surie lebt als Chassidin, also ...

Surie ist in Nöten: sie erwartet Zwillinge. Und das im Alter von 57 Jahren. Dabei wird sie in Kürze zum ersten Mal Urgroßmutter. Sie wundern sich? So ging es mir auch: doch Surie lebt als Chassidin, also als strenggläubige Jüdin, in Williamsburg, New York. Das bedeutet, sie lebt unter ihresgleichen, denn in ihrem Viertel haben die Chassiden seit vielen Jahren eine eigene Welt geschaffen, in die sie die andere Welt, von der sie umgeben sind, nicht hineinlassen. Oder nur in Notfällen.

Surie blickt auf eine riesige Familie: gemeinsam mit ihrem Mann Yidel, mit dem sie seit 41 Jahren verheiratet ist - glücklich, wie es mir während der Lektüre an verschiedenen Stellen klar wurde - auf 10 Kinder, über 30 Enkel und Schwiegereltern und weiß nicht, was sie machen soll. Denn es ist ein Tabu - Kinder zu haben, wenn man bereits Uroma ist - und vor allem: dadurch wird klar, dass "es" noch in ihrer Ehe eine Rolle spielt. Bettgeschichten also. Das ist ein noch viel größeres Tabu.

Der Leser darf Surie in ihren Alltag begleiten, mit ihr die Hebamme Val besuchen, eine Frau aus "unserer" Welt, die bisher alle Kinder Suries zur Welt gebracht hat und Surie gute Ratschläge und Handlungsoptionen an die Hand gibt. Der Weg, den Surie einschlägt, gehört definitiv nicht dazu: sie schweigt. Und zwar allen gegenüber.

Ja, es ist ein "Leben der anderen", in das ich hier eingetaucht bin. Viel zu kurz übrigens, denn ich habe das Buch in einem Zug durchgelesen: Ich konnte einfach nicht anders, so haben mich Inhalt wie auch der mild ironische Stil der Autorin mitgerissen.

Suries Welt ist Lichtjahre entfernt von der meinigen. Und auch wieder nicht: ich las hier über eine etwa gleichaltrige Frau, deren Kosmos ein ganz anderer ist als der meinige und fand doch immer wieder Parallelen: Sind wir doch alle Gottes oder Allahs Kinder, bzw. Erdenbewohner, bzw. Nachkommen der Neandertaler oder was auch immer derjenige, der gerade zu Wort kommt, glaubt.

Ein wunderbarer, faszinierender Roman über eine zweifelnde Frau.