Lesenswert - trotz kleiner Schwächen
Tochter der Flut“Tochter der Flut” von den amerikanischen Autoren Jake Halpern und Peter Kujawinksi ist ein Fantasyroman, der seine Leser auf eine Insel entführt, auf der abwechselnd 14 Jahre lang Tag und 14 Jahre Nacht ...
“Tochter der Flut” von den amerikanischen Autoren Jake Halpern und Peter Kujawinksi ist ein Fantasyroman, der seine Leser auf eine Insel entführt, auf der abwechselnd 14 Jahre lang Tag und 14 Jahre Nacht herrschen. Eine Nacht, die keiner überleben kann. Erzählt aus der Sicht von drei Jugendliche, die die rettende Abfahrt von der Insel verpassen. Geheimnisvoll, faszinierend und unterhaltsam. Mit ein paar gruseligen Momenten. Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Das sie erst 14 Jahre alt sind, haben sie es noch nie erlebt. Die Zwillingsgeschwister Marin und ihr Bruder Kana. Wie die erste Nacht sich ihrer Heimatinsel Bliss nähert: “Endlich geschah, was sie so lange erwartet hatten. In den vierzehn Jahren des Tages war ihre Insel ständig von Hochwasser umgeben. Doch dann, kurz bevor die Sonne verschwand, setzte plötzlich die Ebbe ein. […] Und das Wasser blieb weg, bis es bei Sonnenaufgang rund vierzehn Jahre später genauso schnell zurückkehrte.” (Zitat S.12) Doch die Nacht bedeutet eine große Gefahr für die Einwohner: denn sobald die Ebbe einsetzt, müssen sie Jake Hapern Tochter der Flutdie Insel innerhalb weniger Tage verlassen. Denn die Dauer der Dunkelheit überlebt niemand. Man würde erfrieren, verhungern oder verrückt werden. “In der Schule hatten viele Kinder behauptet, die Insel sei währen der Nacht über und über mit Spinnen bedeckt. Kana wusste allerdings, dass das nur Spekulation war. Alle wissen über die Nacht Bescheid, dachte er. Aber keiner hat sie je erlebt.” (Zitat S.102) Für Marin fühlt sich die herannahende Nacht an wie ein Weltuntergang. Und sie beobachtet etwas skeptisch die seltsamen Vorbereitungen ihrer Eltern, eher die Schiffe der Pelzhändler kommen, um sie ins Wüstenland zu bringen, wo sie die nächsten 14 Jahre verbringen werden. Warum müssen die Möbelstücke an bestimmten Orten stehen? Warum werden sogar Teller auf dem Tisch verteilt? Warum wird das Türschloss ausgebaut und Kalkpulver in den Räumen verteilt? Als dann noch ihr gemeinsamer Freund Line kurz vor der Abfahrt spurlos verschwindet, ahnen Marin und Kana bereits, wo er stecken könnte. Und machen sich auf den Weg dorthin. Doch dann sind die Schiffe plötzlich und sie sind ganz alleine auf der Insel. Und die Nacht bricht an…
Jake Hapern Tochter der Flut“Tochter der Flut” ist aus der Sicht eines allwissenden Erzählers geschrieben, der sich mal in die eine, mal in die andere Perspektive der drei Protagonisten hineinversetzt. Dies auch mehrmals innerhalb eines Kapitels. Die Sprache ist angenehm, mit teils schönen Metaphern. Zu Beginn konnte ich das Erzählgenre noch nicht ganz einordnen. Der Roman hat dystopische, aber auch fantastische Elemente, klingt zuweilen nach einer Abenteuergeschichte, hat aber auch fast märchenhafte Züge, betrachtet man die fünfhundert Einwohner, die in einer Siedlung von 100 Häusern am Küstenstreifen der Insel leben und den Wald eher meiden. “Vor der Entdeckung der Insel hatten sie das Eismeer befahren und waren den großen Fischschwärmen gefolgt, soweit Wetter und Strömungen es zuließen. Dann waren sie auf der Insel gelandet und hatten ein schönes Dorf wie aus dem Märchen vorgefunden, vollkommen intakt, aber ohne einen einzigen Bewohner.” (Zitat S.40) Auch Horrorelemente tauchen zuweilen in der Geschichte auf. Nur die angekündigte Liebesgeschichte, die auf dem Klappentext suggeriert wird, konnte ich nicht entdecken. Es wird eher Gegenteiliges erwähnt am Ende (dass Marin sich Line nicht wirklich als künftigen Ehemann vorstellen kann). Hier offenbart sich leider ein großer strategischer Fehler des Verlags, denn das Buch ist durchaus für Jungs geeignet, aber die Inhaltsangabe und das wirklich bildhübsche (mädchenhafte) Cover sprechen eine ganz andere Zielgruppe an. Schade, denn gerade männliche Leser dJake Hapern Tochter der Flutürften an diesem Buch ihre Freude haben (man betrachte hierzu das viel gelungenere, amerikanische Originalcover, siehe unten). Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, auch wenn ich zugeben muss, dass die Hauptfiguren manchmal etwas blass wirken. Aber in diese andere, fremde Welt einzutauchen, liest sich sehr faszinierend. Andere Namen, seltsame Traditionen und immer wieder mysteriöse Elemente, die in der Geschichte auftauchen und den Protagonisten ein Rätsel aufgeben: wie zum Beispiel die seltsame Statue mit der Aufschrift “Die Häuser müssen ohne Makel sein”, die die Ebbe freilegt oder die kreisrunden, kleinen Löcher, die sie in manchen Häusern entdecken. Und vor allem das größte aller Rätsel: “Was würde in den Jahren der Nacht mit ihnen geschehen? Verwelkten sie und starben ab oder fielen sie in eine Art Ruhezustand, bis sich die ersten Sonnenstrahlen wieder am Horizont zeigten? Marin hatte ein paar Leute gefragt, die das alles schon einmal erlebt hatten, aber sie hatten nicht darüber sprechen wollen. Niemand sprach über die Nacht, nicht einmal jetzt, wo sie unmittelbar bevorstand.” (Zitat S.7) Die Spannung ist am Anfang noch eher unterschwellig, baut sich dann aber langsam auf und liefert immer wieder ganz besondere Grusel-Momente.
Fazit: Ein besonderes Leseerlebnis, das in eine faszinierende Welt entführt und das eher mit größeren Umsetzungsproblemen des Verlags kämpft, als mit inhaltlichen Schwächen.