Überraschendes Ende
Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt“Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt” von der amerikanischen Autorin Nicola Yoon läuft bald im Kino an und ist passend dazu jetzt als Taschenbuch erschienen. Ein Roman über eine seltene Immunkrankheit, ...
“Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt” von der amerikanischen Autorin Nicola Yoon läuft bald im Kino an und ist passend dazu jetzt als Taschenbuch erschienen. Ein Roman über eine seltene Immunkrankheit, durch die ein junges Mädchen ihr Leben lang ihr Haus nicht verlassen hat und eine unerwartete Liebe. Gefühlvoll, romantisch, humorvoll — angereichert mit einem Sammelsurium an Notizen und Zeichnungen. Dieses Buch kann sich definitiv sehen lassen, sowohl optisch (bezieht sich auf die Hardcover-Ausgabe, siehe unten), als auch inhaltlich! Für Jugendliche ab 13 Jahren.
Seit 17 Jahren hat Madeline ihr Haus nicht verlassen. Jetzt hat sie gerade ihren 18.Geburtstag gemeinsam mit ihrer Mutter und mit Carla, ihrer persönlichen Vollzeitkrankenschwester, gefeiert. Das Mädchen leidet unter einer äußerst seltenen Immunkrankheit: “Im Grunde bin ich allergisch gegen die Welt. Alles kann einen Anfall auslösen. Es könnten die Chemikalien im Putzmittel sein, mit dem der Tisch abgewischt wurde, den ich gerade berührt habe. Es könnte das Parfüm von irgendwem sein. Oder das exotische Gewürz in meinem Essen. […] Meine Mom sagt, dass ich als Kleinkind ein paarmal beinahe gestorben wäre.” (Zitat aus “Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt”, S.12) Menschen sieht sie so gut wie nie. Sie wird per Internet unterrichtet. Nur sehr selten kommt ein Lehrer zu ihr ins Haus. Denn jeder, der hinein will, muss durch eine Sicherheitsschleuse und sich dekontaminieren lassen. Fremde müssen ihre Krankheitsgeschichte Nicola Yoon - Du neben mir und zwischen uns die ganze Weltoffen legen, um eventuelle Gefahren für Madeline vorauszusehen. So ist es auch kein Wunder, dass ihre Mutter selbst den als Höflichkeitsgeschenk abgegebenen Kugelhupf der neuen Nachbarsfamilie ablehnt, den der Sohn der Familie Olly und seine Schwester Kate vorbeibringen. Doch der äußerst gut aussehenden Nachbarsjunge, der Madeline am Fenster entdeckt hat, fragt nach ihr. Ob sie ihnen nicht die Gegend zeigen könne. Madelines Mutter wimmelt ihn ab. Doch Olly lässt nicht locker und inszeniert eine aufwendige Kugelhupf-begeht-Selbstmord-in-dem-er-sich-aus-dem-Fenster-stürzt-Szene, die Madeline doch tatsächlich zum Lachen bringt. Das, obwohl sie gar nicht weiß, ob sie näheren Kontakt zu diesem Jungen haben möchte. Der Junge, der seine Emailadresse bald darauf gegen sein Fenster hält, das ihrem gegenüber liegt. Denn schon einmal ist eine Familie nebenan eingezogen, die Madeline fast das Herz brach, als sie wieder umzog. Die Sehnsucht nach draußen zieht Madeline erneut in ihren Bann. Der Hunger nach Leben. Nach dem echten, pulsierenden, aufregenden Leben… doch wie weit kann sie gehen?
“Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt” wird durchgängig aus Madelines Sicht erzählt. Schon der erste Satz des Buches macht neugierig: “Ich habe viel mehr Bücher gelesen als du. Es spielt keine Rolle, wie viele du gelesen hast. Bei mir sind es mehr. Glaub mir. Ich hatte genügend Zeit dazu.” (Zitat S.9). Sehr gut kann man sich in ihre Welt hineinfühlen, in ihr weißes Zimmer mit den weißen Wänden und weißen Bücherregalen, in denen nur ihre Bücher “die einzigen Farbtupfer” (Zitat S.9) sind. Bunt sind in ihrem eintönigen, sich unablässig wiederholenden Alltagsleben nur die Bücher und die Filme, die sie sieht. Die ihr einen Hauch von dem vermitteln, was draußen ist. In der “echten” Welt. Als sie Olly näher kennenlernt, kommt noch mehr Farbe in ihr Leben und das Nicola Yoon - Du neben mir und zwischen uns die ganze WeltGefühl definitiv etwas verpasst zu haben. Doch was ist besser? Eine Ahnung davon zu bekommen, was einem bisher entgangen ist und dann so weiterleben wie bisher oder am besten gar nichts von den ungeahnten Möglichkeiten wissen? Der Roman macht nachdenklich und bringt den Leser dazu sein Leben bewusster zu erleben, anstatt alles für selbstverständlich zu erachten. Was mir in “Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt” auch gut gefallen hat, sind die Zeichnungen, die sich in den Text einfügen, die Ausschnitte von Krankenblätter, die Definitionen von Wörtern, die Madeline auf ihre Art beschreibt, die Chats und Emails. Man darf sich auf eine Menge Vielseitigkeit freuen, sogar Nachbarbeobachtungsbögen und zeichnerisch festgehaltene Kussanalyseprojekte finden sich in dem Buch. Teils recht kurze Kapitel sorgen für einen sehr angenehmen Lesefluss und abwechslungsreiche Unterhaltung. Die Liebesgeschichte, besonders die Annäherung der beiden Protagonisten wird sehr behutsam und sensibel erzählt: “Er schmeckt nach salzigem Karamell und Sonnenschein. Oder zumindest, wie ich mir salziges Karamell und Sonnenschein vorstelle. Er schmeckt nach Dingen, die ich noch nie erlebt habe, wie Hoffnung und Möglichkeiten und Zukunft. Diesmal bin ich es, die sich als Erste zurückzieht, aber nur, weil ich Luft holen muss […] “Ist das immer so?”, frage ich atemlos. “Nein”, sagte er. “So ist es nie.” Ich höre das Staunen in seiner Stimme. Und mit einem Mal ändert sich alles, einfach so.” (Zitat S. 1544). Höchst dramatisch und geradezu herzzerreißend wird es, als Madelines Mutter hinter die von Carla eingefädelten, heimlichen Besuche von Olly kommt und diese beendet. Man möchte das Buch kaum aus den Händen legen, so ergreifend ist die Geschichte geschrieben! Neben Madelines unheilvoller Krankheit kommt jedoch auch das Thema Alkoholismus und Gewalt in der Familie zum Tragen, welches die Ehe von Ollys Eltern prägt. Das Ende überrascht und passt (auch wenn ich damit irgendwie schon ein wenig gerechnet habe).