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Veröffentlicht am 05.11.2017

wie eine Nachtigall im Baum

Wer die Nachtigall stört ...
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„Atticus hatte recht. Er hatte einmal gesagt, man kenne einen anderen Menschen erst dann, wenn man in seine Haut schlüpfe und eine Weile darin herumginge.“ S. 444


Die kleine Scout lebt mit ihrem Bruder ...

„Atticus hatte recht. Er hatte einmal gesagt, man kenne einen anderen Menschen erst dann, wenn man in seine Haut schlüpfe und eine Weile darin herumginge.“ S. 444


Die kleine Scout lebt mit ihrem Bruder Jem, ihrem Vater Atticus, dessen Schwester Alexandra und der farbigen Calpurnia im beschaulichen Maycomb im Süden der USA. Der Sklavenhandel ist weitgehend abgeschafft und aus ehemaligen Baumwollpflückern sind Hausdiener geworden. Die Rechte der farbigen Bevölkerung sind dennoch kaum verbessert. Als ein junger farbiger Mann wegen Vergewaltigung vor Gericht gestellt wird und Atticus dessen Verteidigung übernimmt, erfährt Scout, wie unterschiedlich sich die Rassentrennung in den Köpfen der Menschen manifestiert.


„Wer die Nachtigall stört“ von Harper Lee galt lange als das einzige Buch der Autorin. Es wurde bereits 1960 erstveröffentlicht und gewann unter anderem den Pulitzer – Preis. Weiterhin wurde es in 40 Sprachen übersetzt und gilt als eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts.


Obwohl schon vor mittlerweile fast 60 Jahren veröffentlicht, hat der Roman bisher nur wenig an Aktualität verloren. Wenngleich die Problematik der Rassentrennung in den USA weitegehend vom Tisch ist, so ist es doch noch immer weltweit aktuell, wenn auch nicht mehr nur auf die farbige Bevölkerung bezogen. Der Roman wird aus der Sicht von Scout erzählt, die mit ihren 8 Jahren ein bisher unbekümmertes und freies Leben hatte. Durch Atticus haben sie und ihr Bruder früh gelernt, dass alle Menschen die gleichen Rechte erhalten sollten und es keine Bevorteilung der einen oder anderen Rasse geben sollte. Der Prozess zeigt ihr und den Lesern des Buches auf, wie stark viele Vertreter der weißen Bevölkerung aber an ihrer Sonderstellung festhalten.


Durch die Erzählweise eines Kindes bekommt das Buch einen sehr ehrlichen Charakter und als Leser wird man daran erinnert, wie es ist die Dinge aus der Sicht eines Kindes zu betrachten. Genauso sehr zeigt es aber auch auf, wie verstörend und verletzend viele Handlungen auf Kinder wirken können. Besonders gut gefallen hat mir eine bestimmte Situation im Buch, als es nur durch das kindliche eingreifen von Scout möglich war, eine aufgeheizte Situation zu entschärfen. Auch die vielen Stücke, die Scout, Jem und ihr Freund Dill während der Ferien über immer aufführen, spiegeln die Gesellschaft dar und wie sehr sie das kindliche Heranwachsen beeinflusst.


Mit den unterschiedlichen Charakteren im Buch hat Harper Lee einen interessanten Überblick über die verschiedenen Haltungen der Menschen. Atticus ist ein besonnener Vater, dem es wichtig ist seinen Kindern beizubringen, dass alle Menschen gleich behandelt werden sollten. Seine Schwester Alexandra verkörpert die Schicht der eleganten weißen Frauen, die mehr auf Tratsch und Eleganz aus sind als auf Gleichberechtigung. Calpurnia als farbige Haushälterin ist den Kindern in vielen Situationen wie eine Mutter und weiß sich entsprechend zu verhalten in Gesellschaft. Auch Boo Radley als düsterer Nachbar zeigt auf, wie sehr man sich doch von Äußerlichkeiten täuschen lassen kann.


„Wer die Nachtigall stört“ ist gleichermaßen erfrischend kindlich, wie auch bedrückend. Aber auf jeden Fall eine Bereicherung für die eigene Bibliothek.

Veröffentlicht am 05.11.2017

einmal Vergangenheit und zurück

Liebten wir
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„Die Wahrheit? Hier? Jetzt? Einfach so? Aber ich muss wirklich noch viel lernen. Zum Beispiel, dass es manchmal leichter wird, wenn man Geheimnisse preisgibt, so traurig und beängstigend sie auch sein ...

„Die Wahrheit? Hier? Jetzt? Einfach so? Aber ich muss wirklich noch viel lernen. Zum Beispiel, dass es manchmal leichter wird, wenn man Geheimnisse preisgibt, so traurig und beängstigend sie auch sein mögen.“


Moira, von allen nur Mo genannt, lebt für ihre Kamera und die Fotographie. Besonders die Momente, in denen sich die Menschen unbeobachtet fühlen, zeigen deren wahre Natur und Geheimnisse, so glaubt sie. Vor allem auf Familienfeiern, Hochzeiten etc. gibt es mehr davon zu sehen als man denkt. Als sie selber mit ihrem neuen Freund zu deren Familienfest eingeladen ist, endet dies in einem Desaster. Ein toter Vogel, Fahrerflucht und die scheinbar senile, mürrische 85ig jährige Aino auf dem Beifahrersitz, mehr hat Mo nicht gebraucht um einfach auf´s Gaspedal zu drücken. Die alte Dame zwingt sie auf eine Fähre nach Finnland. Was Mo nicht ahnt, ist, dass diese unfreiwillige Reise nicht nur die Vergangenheit von Aino ans Licht bringt, sondern das sich auch Mo ihren tief ins Unterbewusstsein verdrängten Dämonen stellen muss.


Nina Blazon hat mit „Liebten wir“ eine gemeinsame Reise zweier Frauen dargestellt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. So scheint es im ersten Moment. Doch beide verbindet eine Vergangenheit, die viele Jahre tief in ihrem Innern ruhte. Sei es durch die Jahre in Vergessenheit geraten oder aufgrund von Verdrängung. Mo und Aino erinnern ein wenig an Thelma und Luise mit ihrem Road Trip nach Helsinki. Im Laufe des Buches entwickelt sich zwischen den Beiden eine Art Freundschaft, aber auch Hassliebe. Mehr und mehr entdecken beide die Geheimnisse des jeweils anderen. Aino nimmt Mo mit auf eine gedankliche Reise in das Helsinki der 1940iger Jahre, als der Krieg die Stadt und auch Aino´s große Liebe zerstörte. Beide Frauen machen sich auf die Suche nach dem letzten Portrait dieser Liebe und treffen auf dessen Enkel Aarto. Mo verliert sich zunächst in der Suche nach Aino´s großer Liebe. Doch nach und nach rückt auch ihre Pandoras´s Box aus der Vergangenheit immer mehr in die Gegenwart und Mo muss sich den Dämonen ihrer unglücklichen Kindheit stellen.


Wenn man nur vom Cover ausgeht mit dem Pink und dem Titel „Liebten wir“, so mag das Buch im ersten Moment vor allem als simpler Liebesroman durchgehen. Doch vielmehr ist es eine Reise in die Vergangenheit mit all seinen schönen, aber auch hässlichen Facetten. Es ist eine Aufarbeitung von Gefühlen, die lange unterschwellig weiterlebten und dabei unterdrückt wurden. Gepaart mit der Melancholie, die Nina Blazon Helsinki ausstrahlen lässt, taucht man als Leser mit ein in die Stimmung des finnischen Tangos und der unterirdischen Bunker zu Kriegszeit.


Immer wieder streut die Autorin auch finnische Wörter mit in die Gespräche der Protagonisten ein, die mitunter nicht näher erläutert werden. Dies mag für manchen etwas irritierend sein, aber ich empfand es eher als passend für die Handlung. Da Mo ja überhaupt kein Finnisch spricht, passt es zu der Fremdartigkeit, die Helsinki zunächst auf sie Ausübt. Mit der Zeit lernt auch Mo die Sprache und viele Dinge erschließen sich besser für den Leser.


Auch vom Handlungsverlauf empfand ich das Buch als Gelungen. Es war nicht zu vorhersehbar und bis zum Ende spannend. Das Ende mag für manch einen zu offen sein, es ist aber dennoch stimmig mit dem generellen Ton des Buches.


Alles in allem ist „Liebten wir“ ein spannendes Buch, welches einen als Mensch, der gerne auch hinter die Fassade der Leute blickt, einige schöne Lesestunden bietet.

Veröffentlicht am 05.11.2017

Casa Celstina

Das Haus ohne Männer
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"Ihr seid außergewöhnliche Frauen, jede einzelne auf ihre Weise.“

Brief von der Königin an ihre Nachbarinnen.


Ein Haus in Paris. Fünf Frauen. Sie alle könnten unterschiedlicher nicht sein, doch eines ...

"Ihr seid außergewöhnliche Frauen, jede einzelne auf ihre Weise.“

Brief von der Königin an ihre Nachbarinnen.


Ein Haus in Paris. Fünf Frauen. Sie alle könnten unterschiedlicher nicht sein, doch eines eint sie: sie wohnen gemeinsam in der Casa Celestina, dem Haus ohne Männer mit einer „Königin“ im obersten Stockwerk. Es gibt nur Klempnerinnen, Malerinnen, Pizzalieferantinnen, die das Haus betreten dürfen. Jean-Pierre, der Kater, ist das einzige männliche Wesen, das freien Zugang hat. Doch kann man ohne Männer leben? Als Juliette, die jüngste der fünf Frauen und diejenige, die der Liebe noch nicht vollends abgeschworen hat, einzieht, beginnen auch die Anderen daran zu zweifeln…


Unter dem französischen Original „L'immeuble des femmes qui ont renoncé aux hommes“ wurde das Buch von Karine Lambert 2014 erstveröffentlicht. Nun erschien es erstmals in deutscher Ausgabe.


Guiseppina, Juliette, Simone, Rosalie und die „Königin“. Dies sind die fünf Frauen im Haus ohne Männer. Jede von ihnen stammt aus unterschiedlichen Schichten und Kreisen. Ein jeder von ihnen übt einen anderen Beruf aus und die „Königin“ als ehemalige Primaballerina hängt den vergangenen Ovationen nach ihren Auftritten nach. Diese bunte Mischung an Charakteren verspricht den Großteil des Buches ein angenehmes Lesevergnügen. Es handelt sich aber eher um eine leise und manchmal auch etwas langatmige Geschichte, die aber immer wieder mit dem gewissen Etwas aufwartet, wenn man mehr über die Gründe der Frauen erfährt, warum sie in dem Haus ohne Männer leben. Sei es durch eine Kindheit ohne Zuneigung, dem Sitzengelassen werden durch den Partner oder dem Verlust des Kindes, jede Geschichte berührt und lässt einen als Leser nachvollziehen, warum die Frauen den Männern abgeschworen haben.


Der Roman wird stets aus der Perspektive der 3. Person erzählt. Diese wird nur durch Dialoge, sowie den Gedanken von Juliette unterbrochen. Durch letzteres kommt immer wieder Schwung in den Erzählverlauf.


„Dieser Vogel ist etwas für Rosalie. Sie würden zusammen den sakralen Skarabäus machen“ S. 119


Karine Lambert versteht es, dem Leser die Schauplätze so zu beschreiben, dass man glaubt sogar den Blaubeertarte riechen zu können. Man fühlt sich wohl in den Wohnungen der Protagonisten, die auch ihre jeweiligen Charaktere wiederspiegeln.


Die „Königin“, die das Haus regiert „wie eine Biene den eigenen Stock“, ist für sich ein bemerkenswerter Mensch, der es sich in seinen späten Jahren nicht erlaubt noch einmal nach der Liebe zu greifen.


„Das Haus ohne Männer“ ist ein ruhiger und charmanter Roman über gebrochene Herzen, die eine gemeinsam Zuflucht suchen. Ob dies in der Realität funktioniert, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Veröffentlicht am 05.11.2017

Das kleine Notibuch des Monsieur Jean

Monsieur Jean und sein Gespür für Glück
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„Die wirklich wichtigen Fragen bleiben immer ein Geheimnis.“ Monsieur Jean

Als Monsieur Jean nach 43 Jahren Dienst als Concierge des Grandhotels „Tour au Lac“ in Zürich in den Ruhestand geschickt wird, ...

„Die wirklich wichtigen Fragen bleiben immer ein Geheimnis.“ Monsieur Jean

Als Monsieur Jean nach 43 Jahren Dienst als Concierge des Grandhotels „Tour au Lac“ in Zürich in den Ruhestand geschickt wird, weiß er zunächst nicht, was er mit all der neuen freien Zeit machen soll. Seine geliebte Marie ist schon verstorben und durch seine Nachtdienste hat er einen anderen Zeitrhythmus als seine Mitmenschen. Was hat er zu nächtlicher Zeit für Gästen kennengelernt. Mit all ihren besonderen Wünschen, Vorlieben und kleinen Geheimnissen. Und immer wusste Monsieur Jean was die Gäste wünschten. Manchmal schon, bevor diese es selbst wussten. Und warum sollte dies nicht auch jetzt noch so sein…

Mit „Monsieur Jean und sein Gespür für Glück“ erschafft Thomas Montasser einen wunderbaren Roman über das Glück der kleinen und großen Dinge, das passieren kann.

Monsieur Jean mit seinem kleinen Notizbuch, das so viele Geheimnisse und Wünsche kennt, ist einfach wunderbar zu lesen. Es sind keine großen Worte, die einem den Protagonisten ans Herz wachsen lassen, sondern die vielen kleinen Dinge, die er für seine Mitmenschen macht. Sei es der jungen Kellnerin Sophie mit dem schlechten Schuhwerk, die dadurch nicht gut arbeiten kann. Den beiden alten Damen im Obergeschoss des Hotels, die sich seit Jahrzehnten in der Wolle haben und eigentlich keiner mehr weiß warum. Dem Hotelbesitzer und seiner Frau, die glauben sich nicht mehr zu lieben, oder der jungen Ana, die aus dem alten Pub seines verstorbenen Freundes ein kleines Café zaubern möchte.

Monsieur Jean hilft als Unbekannter, was die Geschichte noch umso bezaubernder macht. Er verteilt kleine Zettelchen, schickt Sophie im Auftrag des Hotels zum Schumacher, um sich neue Schuhe fertigen zu lassen, kauft Fenster für das Café de Balzac, damit es pünktlich eröffnen kann. All diese Gesten sind stellvertretend für den bezaubernden, hilfsbereiten und warmherzigen Charakter des Monsieur Jean. Doch auch er hat Geheimnisse, die ihm im Laufe der Geschichte immer wieder einzuholen drohen.

Erzählt wird der Roman aus der 3. Person und Thomas Montasser schafft es durch seine Erzählkunst den Leser mit nach Zürich zu nehmen. Man selbst schlendert an der Limmat entlang, bestaunt das wunderschöne Tour au Lac, oder genießt einfach nur das Flair der Straßen von Zürich.

Ebenso zeigt der Autor auf, wie schwer es sein kann nach über 40 Jahren auf einmal im Ruhestand zu sein. Ohne Aufgabe oder Partner. Somit wäre es jedem Menschen zu wünschen, ein kleines Notizbuch mit Wünschen und Geheimnissen zu haben um ab und an darin zu stöbern. Auch wenn es nur die eigenen sind.

„Monsieur Jean und sein Gespür für Glück“ gehört mit zu den schönsten Büchern, die ich dieses Jahr gelesen habe. Ohne Kitsch, dafür ungemein ehrlich und bezaubernd!