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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.07.2018

lesenswert, mit Vorbehalt

Die Gabe
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Eingebettet in den Rahmen eines Briefwechsels zwischen einer Autorin und ihrem Mentee soll der Roman den ersten Entwurf des jungen Autors darstellen. Schon hier zeigt sich eine für den modernen Leser auffällige ...

Eingebettet in den Rahmen eines Briefwechsels zwischen einer Autorin und ihrem Mentee soll der Roman den ersten Entwurf des jungen Autors darstellen. Schon hier zeigt sich eine für den modernen Leser auffällige Verdrehung unserer Realität. In den Briefen wird klar, dass die Welt der fiktiven Autoren unsere Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verdreht entwickelt hat. Frauen sind stark, hart, dominierend, Männer weich, zurückhaltend, unterdrückt. So interessant das Gedankenspiel auch ist, fand ich schon hier beklemmend, dass diese Methode die Unterschiede, die unsere Welt zwischen den Geschlechtern annimmt, tatsächlich verstärkt. Die „Verdrehung“ lässt uns sofort aufhorchen, die binären Zuschreibungen ploppen geradezu auf und ordnen die Verhältnisse in zwei Lager.
Die Handlung des Romans berichtet von verschiedenen Frauenfiguren, die allesamt ihre persönlichen Erfahrungen durch männliche Unterdrückung gemacht haben. Vergewaltigungen, körperliche Gewalt, politische Macht – geradezu stereotypisch wird die Frau dabei zum Opfer klassifiziert, der Mann zum Bösen. Der einzige männliche Part auf Protagonistenseite ist der „rasende Reporter“, der selbstgemachte Investigativjournalist, der in der plötzlichen „übernatürlichen“ Fähigkeit der Frauen sofort seine Chance sieht. Diese Fähigkeit besteht darin, elektrische Impulse auszusenden. Von kleinen Funken bis hin zu tödlichen Stromstößen, von manipulierenden Effekten bis zur regelrechten Folter. Eine biologische Erklärung wird nachgeliefert.
Was anfänglich vor allem dazu genutzt wird, der Unterdrückung und Gewalt von Männern zu entkommen, gerät natürlich außer Kontrolle. Statt einem Umdenken erfolgt, was in den Briefen eigentlich schon angedeutet war, der Umwurf. A ist nun B, Frauen übernehmen die politische Macht, die militärische, sogar die sexuelle. Bedenken wir, dass damit gleichzeitig impliziert wird, dass eben diese Macht eigentlich eine „männliche“ ist, wird auch klar, wo mein Problem mit dem Buch liegt. Statt Balance wechseln von Beginn an Extreme und die Darstellung selbst verleiht Frauen in der Realität per se die Rolle von unterdrückten, misshandelten Opfern.
Dabei zeigt der Roman nichts weiter als den großen Topos „Mit großer Macht kommt große Verantwortung“ (ja, das sagte ein Mann, der Onkel von Peter Parker, aber genau darum geht es hier eben). Die Versuche, mit der neuen „Gewalt“ umzugehen und daraus Resultate zu erzeugen passen in die weltlichen Regeln, die wir kennen. Doch auch das Entstehen von neuen Religionen passt nach meinem Verständnis zum Umgang der Menschen mit Unbekannten. Im Fokus stehen dabei tiefe Psychologisierungen von Figuren. Das erzeugt nicht nur Nähe, sondern auch immer wieder viel Spannung. Der Handlungsverlauf spitzt sich immer wieder zu bis zu einem wahren Crescendo, das gleichzeitig viel verhüllt und doch so viel aussagt.

Veröffentlicht am 16.07.2018

Viel Aufklärung, wenig Ausblick

Kassandras Schleier
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Der Autor arbeitet als Psychoanalytiker und spricht daher aus der Praxis, aber auch aus persönlichen Erfahrungen und Umständen. Das Drama der hochbegabten Frau ist dabei oft, dass sie sich ihre Begabung ...

Der Autor arbeitet als Psychoanalytiker und spricht daher aus der Praxis, aber auch aus persönlichen Erfahrungen und Umständen. Das Drama der hochbegabten Frau ist dabei oft, dass sie sich ihre Begabung nicht eingesteht. Noch immer wird die Leistung von Frauen niedriger bewertet, nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch ihre Fähigkeiten selbst. Dutzende Beispiele drehen sich immer wieder um das Problem, dass die Frauen nicht glauben, besser oder klüger oder einfach gebildeter zu sein, als ihre Mitmenschen und darum die eigenen Leistungen verstecken oder von anderen zu viel fordern.
Parallel zum Problem der Selbstbewertung zeigt Schmidbauer das Phänomen und die Folgen von Narzissmus auf, den er eng mit Hochbegabung verknüpft. Teilweise kommt das etwas zu pauschal für meinen Geschmack rüber. Allgemein zeigt Schmidbauer vor allem Negativbeispiele auf, die er zwar fundiert analysiert, wo mir aber der Aspekt des Ausblicks fehlt. Die hochbegabte Frau, so scheint es, muss einen psychischen Knacks bekommen. Da möchte ich doch laut widersprechen.
Nicht zu verachten aber ist die Aufklärungsarbeit, die dieses Buch durchaus leistet. Nicht nur im Bereich Hochbegabung und dem Umgang damit, sondern allgemein in der alltäglichen Unterdrückung der Frau. Wie die Titelgebende Figur aus der griechischen Mythologie, Kassandra, bleibt die (hochbegabte) Frau ungehört. Ihr wird unterstellt, doch eh keine Ahnung zu haben oder sich in den Vordergrund drängen zu wollen. Dieses „Zum Schweigen bringen“ der Frau sehen wir täglich in jedem Bereich und nicht nur Hochbegabten gegenüber.

Veröffentlicht am 04.07.2018

unterhaltsames Sachbuch oder informatives Unterhaltunsbuch

Das Tage-Buch
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Heike Kleen ist ehrlich, so ehrlich, dass sie zuerst von ihrer eigenen Beklemmtheit das Thema Menstruation betreffend schreibt. Von der leiser werdenden Stimme, das Gefühl bloßgestellt zu werden und der ...

Heike Kleen ist ehrlich, so ehrlich, dass sie zuerst von ihrer eigenen Beklemmtheit das Thema Menstruation betreffend schreibt. Von der leiser werdenden Stimme, das Gefühl bloßgestellt zu werden und der Scham, die daran haftet. Um genau das geht es nämlich zuerst einmal. Um die Scham über die Regel, über einen natürlichen Prozess, dem sich die meisten Frauen auf die ein oder andere Art stellen (müssen). Woher kommt sie und was macht sie mit uns?
Viele Punkte waren mir vorher bekannt, andere haben mich überrascht und auch schockiert. Allein die Namen, die wir für „die Tage“ haben schwanken zwischen lächerlich, euphemistisch und beleidigend. Überhaupt kann die Menstruation schnell zum Knackpunkt werden. Dass eine Überhöhung des Phänomens genauso gefährlich ist, wie ein verschweigen, macht das Buch wunderbar klar. Diese Vielschichtigkeit an Blickwinkeln hat mich sehr überrascht und gefreut. Individuelle Zugänge ist hier das richtige Stichwort.
Heike Kleen folgt der Geschichte auch durch die Erfindung diverser Hilfsmittel wie Tampon, Binde und Menstruationstasse. Wie und wo sie entwickelt wurden, was ihre Vor- und Nachteile sind. Auch die Gefahren, die viele nicht kennen. Vergiftungserscheinungen, die durch Tampons entstehen genauso wie die Masse an Chemie, die gerade heute in diesen Produkten verarbeitet wird. Auch auf die Idiotie, dass Frauen auf etwas, dass sie oft monatlich benötigen aus einem natürlichen Prinzip heraus Luxussteuer zahlen müssen, wird dabei eingegangen und auf das immense Tabu, dass die Monatsblutung in einigen Ländern noch immer ist. Dort, wo Frauen für eine Woche aus der Gesellschaft verbannt werden, das Haus nicht verlassen dürfen oder sogar jegliche Kommunikation verwehrt wird, ist die Periode noch immer etwas Mysteriös-Gefährliches und dadurch auch die Frau selbst.
Gerade in den letzten Jahren ranken sich viele neue Vorstellungen um die Regel. Ein Teil davon kommt durch neue Methoden, das Blut aufzufangen. Heike Kleen hat in Selbstversuchen von Free Bleeding über Menstruationhöschen bis zur Tasse alles ausprobiert und gibt im Buch ihre persönlichen Erfahrungen wieder. Dahinter steckt auch viel Recherche zu den einzelnen Produkten, sodass ein tiefes und informatives Bild entsteht. Informativ sind auch die Kapitel zu PMS, Schmerzen bei der Menstruation und Mittel gegen die Blutung. Auch hier wird auf reelle Gefahren in Bezug zu hormonellen oder gar operativen Methoden fundiert eingegangen.
Neben der Fülle an Recherche und Auswertung kommt aber auch der Stil nicht zu kurz. Heike Kleen schafft es, einen amüsanten und gleichzeitig professionellen Zugang zum Thema zu schaffen. Dadurch wird Das Tagebuch zu einer Unterhaltungslektüre, aus der jede*r sehr viel mitnehmen kann. Tatsächlich habe ich beim Lesen des Buches auch immer wieder mit meinem Sohn geredet. Der hatte zum Ende der vierten Klasse das erste Mal Sexualkunde. Das passte und als er das Buch auf dem Couchtisch gesehen hatte und neugierig wurde, habe ich ihm erklärt, um was es geht. Was Menstruation ist, wusste er schon, dennoch konnten wir über viele Details und auch den Umgang mit der Blutung der Frau reden.
Ein Buch, dass ich darum nicht nur jeder Frau, sondern auch den Männern ans Herz lege. Es wird vieles erklären, bietet Möglichkeiten zum Gesprächsstoff und klärt einfach auf. Ein besonderer Tipp ist dieses Buch aus meiner Sicht auch für Jugendliche in der Pubertät, weil es vor allem Mädchen helfen kann, den eigenen Körper während einer seiner größten Veränderungen besser zu verstehen.

Veröffentlicht am 11.05.2018

Eine ganz besondere Superheldin

Pinella Propella
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Pernilla zieht alleine in die kleine Stadt am großen See, denn ihre Eltern sind Urwaldforscher, aber für das Mädchen wird es Zeit zur Schule zu gehen. Das eigentlich interessante an Pernilla ist aber, ...

Pernilla zieht alleine in die kleine Stadt am großen See, denn ihre Eltern sind Urwaldforscher, aber für das Mädchen wird es Zeit zur Schule zu gehen. Das eigentlich interessante an Pernilla ist aber, dass sie fliegen kann. Diese Tatsache lässt sie dann auch allerlei Abenteuer bestehen und sogar zur Superheldin werden.
Ein Mädchen, das fliegen kann und zur Heldin wird, ist doch genau das richtige. Nicht nur für meine Nudel, sondern auch für die Jungs, die zum Glück Protagonistinnen genauso annehmen wie ihre männlichen Pendants. Gerade die Kopplung von einer Protagonistin und dem eigentlich „männlich“ dominierten Superhelden-Thema fand ich von Anfang an sehr interessant.
Ich muss sagen, dass mich der Anfang doch leicht an ein anderes kleines Mädchen erinnert hat, dass alleine in einer kunterbunten Villa lebt und ebenfalls eine besondere Fähigkeit hat (sie ist superstark). Pernillas Eltern sind keine Südseekönige, arbeiten aber im Urwald (in dem es laut dem Buch keine Schulen gibt). Pernilla schläft nicht etwa mit den Füßen auf dem Kopfkissen, sondern in einem Mirabellenbaum. Ja, Parallelen sind auf jeden Fall da.
Auf der anderen Seite ist Pernilla wesentlich kindlicher. Sie liebt die Honigbrote ihrer Nachbarin und hütet sich vor Holunderbeersaft. Pernillas Gegner sind nicht etwa Erwachsene oder Regeln (an die hält sie sich artig), sondern zugleich ernstere, zugleich vielleicht auch wichtigere Themen wie Mobbing, Einsamkeit, Freundschaft. Das hat mich wieder sehr mit dem Buch versöhnt, das zwar ein Schema zum Aufbau der Geschichte nutzt (das ja auch bestens funktioniert), aber dann wesentlich weiter geht.

Veröffentlicht am 02.05.2018

Schöne Umsetzung

Die Stadt der Träumenden Bücher (Comic)
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Wer den Roman kennt, kennt den Plot. Das Ende ist bekannt und es geht beim Einlassen auf den Comic viel mehr auf die Umsetzung. Da setzt die grafische Aufarbeitung wirklich wundervoll die Ideen Moers um. ...

Wer den Roman kennt, kennt den Plot. Das Ende ist bekannt und es geht beim Einlassen auf den Comic viel mehr auf die Umsetzung. Da setzt die grafische Aufarbeitung wirklich wundervoll die Ideen Moers um. Dabei wird viel Farbe genutzt, der Stil ist wie im ersten Band – das ist durchaus nicht selbstverständlich, manche Comics wechseln da sehr schnell, aber natürlich für den Wiedererkennungseffekt wichtig.
Der Comic warte mit Elementen einer Graphic Novel auf, wenn längere Passagen erzählt werden – etwa den Hintergrund des Schattenkönigs. Trotzdem bleibe ich dabei, es im Ganzen als Comic zu sehen, dafür fehlen mir andere Elemente einfach. Der Stil und die Farbgebung ist klar comichaft. Interessant finde ich, dass auch die blutigen und düsteren Szenen dadurch entschärft werden. Meine Kinder haben fast eine Woche lang immer wieder in das Buch hineingeschaut und waren vor allem fasziniert, aber zu keiner Zeit verängstigt.
Sehr schön finde ich, dass durchaus eine gewisse Diskrepanz zwischen der Erzählung Mythenmetz‘ und seinem Erleben deutlich wird. Der dramatische Effekt wird dabei teilweise durch das Bild, teilweise aber auch nur durch das Wort transportiert. Hier kommt die Übertreibung des fiktiven Autors aus meinem Blickwinkel deutlicher rüber, als noch im ersten Teil. Etwas, was für mich den besonderen Charme der Zamonien-Romane ausmacht.