lesenswert, mit Vorbehalt
Die GabeEingebettet in den Rahmen eines Briefwechsels zwischen einer Autorin und ihrem Mentee soll der Roman den ersten Entwurf des jungen Autors darstellen. Schon hier zeigt sich eine für den modernen Leser auffällige ...
Eingebettet in den Rahmen eines Briefwechsels zwischen einer Autorin und ihrem Mentee soll der Roman den ersten Entwurf des jungen Autors darstellen. Schon hier zeigt sich eine für den modernen Leser auffällige Verdrehung unserer Realität. In den Briefen wird klar, dass die Welt der fiktiven Autoren unsere Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verdreht entwickelt hat. Frauen sind stark, hart, dominierend, Männer weich, zurückhaltend, unterdrückt. So interessant das Gedankenspiel auch ist, fand ich schon hier beklemmend, dass diese Methode die Unterschiede, die unsere Welt zwischen den Geschlechtern annimmt, tatsächlich verstärkt. Die „Verdrehung“ lässt uns sofort aufhorchen, die binären Zuschreibungen ploppen geradezu auf und ordnen die Verhältnisse in zwei Lager.
Die Handlung des Romans berichtet von verschiedenen Frauenfiguren, die allesamt ihre persönlichen Erfahrungen durch männliche Unterdrückung gemacht haben. Vergewaltigungen, körperliche Gewalt, politische Macht – geradezu stereotypisch wird die Frau dabei zum Opfer klassifiziert, der Mann zum Bösen. Der einzige männliche Part auf Protagonistenseite ist der „rasende Reporter“, der selbstgemachte Investigativjournalist, der in der plötzlichen „übernatürlichen“ Fähigkeit der Frauen sofort seine Chance sieht. Diese Fähigkeit besteht darin, elektrische Impulse auszusenden. Von kleinen Funken bis hin zu tödlichen Stromstößen, von manipulierenden Effekten bis zur regelrechten Folter. Eine biologische Erklärung wird nachgeliefert.
Was anfänglich vor allem dazu genutzt wird, der Unterdrückung und Gewalt von Männern zu entkommen, gerät natürlich außer Kontrolle. Statt einem Umdenken erfolgt, was in den Briefen eigentlich schon angedeutet war, der Umwurf. A ist nun B, Frauen übernehmen die politische Macht, die militärische, sogar die sexuelle. Bedenken wir, dass damit gleichzeitig impliziert wird, dass eben diese Macht eigentlich eine „männliche“ ist, wird auch klar, wo mein Problem mit dem Buch liegt. Statt Balance wechseln von Beginn an Extreme und die Darstellung selbst verleiht Frauen in der Realität per se die Rolle von unterdrückten, misshandelten Opfern.
Dabei zeigt der Roman nichts weiter als den großen Topos „Mit großer Macht kommt große Verantwortung“ (ja, das sagte ein Mann, der Onkel von Peter Parker, aber genau darum geht es hier eben). Die Versuche, mit der neuen „Gewalt“ umzugehen und daraus Resultate zu erzeugen passen in die weltlichen Regeln, die wir kennen. Doch auch das Entstehen von neuen Religionen passt nach meinem Verständnis zum Umgang der Menschen mit Unbekannten. Im Fokus stehen dabei tiefe Psychologisierungen von Figuren. Das erzeugt nicht nur Nähe, sondern auch immer wieder viel Spannung. Der Handlungsverlauf spitzt sich immer wieder zu bis zu einem wahren Crescendo, das gleichzeitig viel verhüllt und doch so viel aussagt.