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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.03.2017

Wir lieben es!

Der rote Ballon
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Der rote Ballon erzählt die Geschichte zweiter Geschwister, die zusammen einen Samstag verbringen. Es regnet, doch das hindert die Kinder nicht, in den Garten zu gehen. Das ältere Geschwisterchen übernimmt ...

Der rote Ballon erzählt die Geschichte zweiter Geschwister, die zusammen einen Samstag verbringen. Es regnet, doch das hindert die Kinder nicht, in den Garten zu gehen. Das ältere Geschwisterchen übernimmt fast ausschließlich die Rede, einen Erzähler gibt es nicht und das kleinere Geschwisterkind unterstütz nur mit einzelnen Worten. So wird das Buch im Grunde zu einem einzigen Monolog. Ein ausdrucksstarker Monolog.
Die Geschichte wird darum auch erst in Zusammenhang mit den Bildern vollständig, die vom Autor selbst stammen. In einer wunderschönen Symbiose führt das große Kind sein jüngeres Geschwisterchen, das noch im Gitterbettchen schläft, und damit den Leser durch den verregneten Samstag. Dabei zeigt es die beneidenswerte Fähigkeit, immer das Positive zu sehen. Das reißt mit. Sowohl das kleinere Kind, als auch den Leser jeden Alters.
Sehr gelungen finde ich die universelle Art der Kinder. Der einzige Hinweis, dass der Autor eventuell seine Kinder als Vorlage nutzt – zwei Mädchen – steckt in dem Kosenamen des größeren Kindes für das Kleine. „Clemmie“, sagt es. Die jüngste Tochter von Liniers heißt Clementina. Doch das Geschlecht spielt keine Rolle. Genauso wie es für Kinde in dem Alter der Figuren absolut noch keine Rolle spielt. Der Blick, den der Autor und Künstler hiermit erzeugt, ist exemplarisch für das Buch. Es ist der absolut unschuldig kindliche Blick. Der Blick, der das Samstagsfrühstück besser schmecken lässt und Regen zu einem wunderbaren Spiel werden lässt.
Doch das ist noch nicht alles, was Der rote Ballon Lesern, Vorlesern, Zuhörern und Betrachtern ermöglicht. Das Buch zeigt außerdem eine rührende Geschichte von einer Geschwisterbeziehung. So wie das kleine Kind sein großes Geschwisterchen verehrt und folgt, bemüht sich das Große, auf die Ängste und Bedürfnisse einzugehen, die das Kleinkind zeigt. Ein wunderbarer Spiegel für die Verkopftheit der Erwachsenen, die nur ihren eigenen Weg sehen. Doch hier ist das ältere Kind zwar in gewisser Weise lehrend, lernt aber selbst genauso. Fast scheint es, dass es seine kindlichen Fähigkeiten nur entdeckt, um das Kleine zu begeistern.
Viel Herz und Wärme stecken in diesen 32 Seiten, die uns alle begeistern. Der Große liest es seinen kleinen Geschwistern vor, die sich auch allein durch die Bilder begeistern. Und ich freue mich immer wieder auf das Buch, auf seine Geschichte, sein Ende, das Gefühl, dass es in uns hinterlässt. Absolute Empfehlung!

Veröffentlicht am 10.03.2017

Meckert ehrlich

Windelwahnsinn
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Sarah Turner berichtet sehr ehrlich aus dem Leben als Mutter zweier Jungs. Von der Schwangerschaft bis zu dem ganz normalen Alltag schafft sie dabei immer wieder die Belastungen aufzuzeigen. Immer dabei ...

Sarah Turner berichtet sehr ehrlich aus dem Leben als Mutter zweier Jungs. Von der Schwangerschaft bis zu dem ganz normalen Alltag schafft sie dabei immer wieder die Belastungen aufzuzeigen. Immer dabei ein wunderbar ironischer Ton, eine offene Art und die Kunst, andere nicht anzuklagen, die eine andere Meinung vertreten. Eine Seltenheit gerade unter Mütter.
Sehr schön finde ich, dass die Autorin den Vater nicht ausklammert. Sie präsentiert ihn nicht nur als Erzeuger der gemeinsamen Kinder, sondern als Erzieher und Mann an ihrer Seite. Gleichzeitig zeigt sie dabei auch auf, wie unterschiedlich die Verteilung von (Haus)Arbeit dennoch ist. Dass es dabei zu Krisen und Streitereien kommt, lässt Sarah Turner nicht außen vor. Da fliegen schon mal die Fetzen und fast täglich genervte SMS.
Denn das was Sarah Turner als Figur hier ist, ist genau das. Genervt. Die Kinder nerven sie, der Mann nervt sie, die Mutterrolle nervt sie, die Zuschreibungen nerven sie, der Schlafmangel nervt sie, die Hausarbeit nervt sie. Das Buch könnte als einzige große Meckerei am Leben durchgehen, würde sie nicht wenigstens ab und an erklären, dass sie die Kinder liebt und auch die schönen Momente kennt.
Die finden nur leider kaum Einzug ins Buch. Erzählt sie auf der einen Seite noch, wie lieb sie ihre Jungs hätte, nennt sie sie auf der nächsten „Arschlöcher“. Eine fragwürdige Zuschreibung vielleicht. Aber vor allem eines: Ein Ventil. Denn auch das wird schnell klar: Für Sarah ist das Meckern, die SMS, die Beschimpfungen das Ventil, das sie braucht, um durch den Tag zu kommen. Dass sie dennoch anerkennt, dass sie dabei ungerecht wird, ihren Kindern und ihrem Mann gegenüber, macht sie menschlich und gibt dem Buch Tiefe.
Die hat es auch bitter nötig. Denn wie vielen, fällt es auch der Erzählerin leicht, nur das Schlechte zu erwähnen. Die positiven Erlebnisse bleiben auf einzelne Sätze beschränkt. Kinder zu haben wird zur unerträglichen Last. Eine Antwort auf den Druck gegenüber Müttern, immer perfekt, geduldig und liebevoll zu sein, aber über das Ziel hinausgeschossen. Statt einem Mittelmaß droht das Buch das gegensätzliche Extrem zu zeigen. Dabei, und das wird eben ansatzweise gut deutlich, hätte die Autorin das Potential. Als arbeitende Mutter, die einen modernen Blick auf Mutterschaft und Beziehungen hegt, könnte sie neue Wege gehen, statt nur die alten zu verteufeln.
Natürlich sind dabei viele Probleme, die angesprochen werden, wahr. Das zeigt sich besonders in den Kommentaren der Blog-Leserinnen, die immer wieder eingestreut werden. Menschen, die sich mit Sarah identifizieren können, weil sie die gleichen – oder ähnlichen - Probleme haben. Mit Sicherheit ist es dabei leichter, gemeinsam mit den Augen zu rollen und auszuflippen. Aber ist das nicht am Ende nur Polarisierung? Mit Sicherheit. In ihren Texten schafft die Autorin aber immer wieder, wenigstens die Spur der anderen Meinung einzuflechten. Ob das nun die Verzweiflung des Kindes ist, allein schlafen zu müssen oder der Stress eines Vollzeitjobs, wenn zu Hause nicht nur die Kinder, sondern auch eine geschaffte Ehefrau warten. Sarah Taylor findet dafür Raum.
Windelwahnsinn ist im Grunde kein Buch für junge Eltern, sondern eines, das auch getrost werdenden oder „älteren“ Eltern in die Hand gedrückt werden darf. Es ist ehrlich, persönlich, ohne den Finger in eine angeblich richtige Richtung zu strecken. Nicht ohne Schwächen, aber gut zu lesen.

Veröffentlicht am 02.03.2017

fokussiert gegen Schreibblockaden und Plotlöcher

Schreibdenken
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Aber was ist Schreibdenken überhaupt? Im Grunde etwas ganz Simples, darum zählt Ulrike Scheuermann auch erst einmal die Vorteile auf, die der Prozess haben kann. Wie es den Fokus verschärft und Probleme ...

Aber was ist Schreibdenken überhaupt? Im Grunde etwas ganz Simples, darum zählt Ulrike Scheuermann auch erst einmal die Vorteile auf, die der Prozess haben kann. Wie es den Fokus verschärft und Probleme löst, einfach nur durch Schreiben. Und tatsächlich ist es auf den zweiten Blick dann doch etwas komplexer. Schreibdenken bezeichnet den Prozess des Einfachdrauflosschreibens – allerdings mit einer gezielten Fragestellung. Die kann allgemein sein „Welches Thema will ich in meinem nächsten Buch“ behandeln, oder sehr konkret „Wie kann ich die These, dass Mutterschaft von der Frau getrennt zu betrachten ist, deutlich machen“, auch im literarischen Feld „Wie schaffe ich es, dass meine Protagonistin Grund hat, dieses oder jenes zu tun“.
Schreibdenken ist, wie auf den ersten Blick klar ist, das Denken beim Schreiben. Das Weiterdenken komplexer Fragen, ohne einen Aspekt aus dem Auge zu verlieren – weil ja alles noch da steht. Aber auch das Konkretisieren, wenn wir das Gefühl haben, irgendetwas wäre noch zu schwammig. Während in unserem Kopf die Gedanken da sind, bringen wir sie dann zu Papier und halten sie fest. Das hilft beim Argumentieren in wissenschaftlichen Aufsätzen wie beim Beseitigen von Plotlöchern, ohne sie mit Käse zu überbacken.
Doch nicht nur bei Struktur, Argumentation und Plot hilft Schreibdenken. Ulrike Scheuermann zeigt die Anwendung dieser Schreibart in Unterricht und Lehre, auf Seminaren und im Einzelfall. Die Übung kann schnell Ruhe in eine aufgewühlte Gruppe bringen oder fast schon psychologische Hilfe bei individuellen Problemen liefern. Darum ist Schreibdenken meiner Meinung nach eine universelle Möglichkeit, die weit über eine Schreibhilfe für Autoren hinaus geht.
Ob als kleiner täglicher Schreibeinstieg, der den Fluss kommen lässt, oder als konkrete Hilfestellung bei Schreibblockaden und Unsicherheit, Schreibdenken ist so simpel wie effektiv. Um das zu verdeutlichen und die unterschiedlichen Ansätze und Anwendungen zu zeigen, erklärt das Buch nicht nur, wie ein Schreibprozess aussehen kann, sondern bietet auch konkrete Übungen, die alltagstauglich sind.

Veröffentlicht am 22.02.2017

Große Unterhaltung

Das Geheimnis der Sternentränen
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2162 ist die Umwelt der Erde quasi zusammengebrochen. Die Überlebenden wohnen in großen Türmen, werden im Labor fortgepflanzt und über allen steht Präsidentin Gold. Jade ist eine Wissenschaftlerin und ...

2162 ist die Umwelt der Erde quasi zusammengebrochen. Die Überlebenden wohnen in großen Türmen, werden im Labor fortgepflanzt und über allen steht Präsidentin Gold. Jade ist eine Wissenschaftlerin und soll eine Brücke aufbauen, die in die mittelalterliche Erde führt. Doch stattdessen entsteht eine Einstein-Rosenberg-Brücke nach Ägeon und Ranon steht vor ihr, ein junger Mann von einem fremden Planeten. Gemeinsam erkennen sie, was Gold mit Ägeons Herrscher vereint und kommen der Geschichte von den Sternentränen der Königin Risa auf die Spur.
Jades Welt ist klar eine dystopische, Ranons dagegen scheint zumindest auf den ersten Blick eine fantastische zu sein. Doch nach und nach entpuppt sich das, was dort als Magie oder Macht bezeichnet wird als Technik. Diesen Trick fand ich sehr gut, um das Genre nicht zu überstrapazieren und die Vielfalt der Auslegung zu zeigen. Die Perspektive, das wird immer wieder klar, bestimmt, wie Dinge bezeichnet werden und wie die Menschen darauf reagieren. Der Punkt ist so wunderbar eingespielt und wird immer wieder aufgegriffen, dass es richtig Freude macht und immer wieder Aha-Erlebnisse folgen.
Die Erzählform ist nicht klar personal. Ich finde eher, dass ein auktorialer Erzähler sich auf verschiedene Personen fokussiert. Darum kann er zwischen den einzelnen Figuren springen, in Gedanken und Träume blicken und weiß mehr, als die Figuren. Dass er nicht alles dem Leser auf die Nase bindet, hat mir gut gefallen. Auch sorgt die umfassende Sicht für einen wunderbaren Blick in die verschiedenen Welten, so dass der Leser sich zurecht finden kann und Nähe zu den Figuren aufgebaut wird.
Ganz toll fand ich, wie gekonnt Motive eingesetzt und später wieder aufgegriffen wurden. Das hat immer wieder dafür gesorgt, sich trotz unterschiedlicher Schauplätze und Figuren zurecht zu finden und dabei Spaß zu haben. Dabei spielt der Roman auch mit Klischees auf eine wunderbar angenehme Weise. Ich bin richtig in dem Buch versunken.
Jades Welt ist ein Matriarchat, Männer werden nur noch als Soldaten und zum Saubermachen „gebraucht“. Wie schön der Roman gerade hier an vorgefertigten Rollen und Klischees stößt und damit arbeitet, zeigt sich nicht erst, als Ranon aus der patriarchisch geprägten Welt dazu kommt. Schnell spielt Das Geheimnis der Sternentränen mit Erwartungen und Mustern, überrascht und begeistert immer wieder.
Doch es gab auch zwei Stellen, die mir persönlich aufgestoßen haben. Zum einen das erste Treffen zwischen Ranon und Jade, bei dem sich die beiden sofort um den Hals fallen. Und dann die schnelle „Abfertigung“ auf Ägon, bei der ein wichtiges Ereignis lediglich als Bericht wiedergegeben wird. Während der zweite Punkt zumindest die Illusion des personalen Erzählers aufrecht erhält und verschmerzbar ist, machen den ersten die vielen Vorteile des Romans weg, eine Schwachstelle bleibt es aber.
Mir hat das Buch großen Spaß gemacht und ich glaube, dass es ehr gekonnt fantastische Elemente so in die Science Fiction Handlung einbaut, dass auch Fantasy-Leser wunderbar damit beraten sind. Die Autorin werde ich auf jeden Fall im Auge behalten.

Veröffentlicht am 17.02.2017

Hat uns alle begeistert

Mein Freund, der Superheld
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Lenny ist nicht der Mutigste. Vom Baum zu springen traut er sich nicht und die anderen Kinder lachen ihn deswegen aus. Doch dann taucht plötzlich Falk, der Superheld auf. Lenny ist beeindruckt und verwirrt. ...

Lenny ist nicht der Mutigste. Vom Baum zu springen traut er sich nicht und die anderen Kinder lachen ihn deswegen aus. Doch dann taucht plötzlich Falk, der Superheld auf. Lenny ist beeindruckt und verwirrt. Superhelden gibt es doch gar nicht. Doch je öfter er auf Falk trifft, desto mehr merkt Lenny, dass der mutige Superheld unter seiner Maske ihm vielleicht gar nicht so unähnlich ist.
Eine kleine Geschichte zu diesem Buch. Es kam und ich hatte alle Hände voll zu tun. Also landete es auf dem Sofatisch und ich ließ es meinen Großen (8) ganz alleine beschnuppern. Plötzlich hörte ich nur noch „Cool, ohhh, supercool“, Gekicher und noch mehr „Boah, toll!“. Er las das Buch gleich zweimal, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Am Abend konnte ich es dann selbst (vor-)lesen und verstand, warum.
Lennys Unsicherheit wird bereits am Anfang toll rübergebracht. Er erfährt hier, was alle Kinder irgendwann kennenlernen: Gruppenzwang. Super-Falk ist an der Stelle der Retter aus der Not und bekommt einen großen Auftritt. Dass der aber mit Vorsicht zu genießen ist, erkennt auch Lenny, als die zwei sich im Supermarkt wiedersehen. Die Zusammentreffen sind immer unterschiedlich, glaubwürdig und fokussieren immer mehr Falk und dessen eigene Geschichte.
Interessant fand ich Lenny als Figur. Er geht sehr überlegt an den „Superhelden“ heran und spricht mit seiner Mutter darüber, ob das jetzt eine Lüge ist. Sehr schön ist, dass die Erwachsenen hier nicht wie in einer fremden Welt verortet sind. Lennys Mutter und Falks Vater haben beide einen guten Zugang zu ihren Kindern.
Mir hat vor allem der Stil wirklich gut gefallen. Da ich (zwangsläufig, aber auch sehr gerne) immer wieder Kinderbücher lese, kenne ich auch solche, die wie von oben herab geschrieben sind. Das passiert Anja Kiel nicht. Sie erzählt Lennys Geschichte, nicht eine Geschichte über Lenny (ja, das ist ein Unterschied). Die Perspektive ist klar die eines Kindes und sehr realistisch eingenommen. Hut ab dafür. Auch der Stil ist nicht versimpelt, sondern sorgfältig durchdacht und stimmig.
Auch die Bilder sind wirklich toll. Sie sind nicht überzeichnet und helfen dabei, die Geschichte in der Wirklichkeit zu veorten. Auch sind sie wirklich ganz wunderbar auf den Text abgestimmt, was in nicht allen Kinderbüchern der Fall ist und gerade kleinen Lesern oder Zuhörern viel Spaß macht. Auch die Unterschiedlichkeit der einzelnen Figuren ist toll aufgegriffen und dargestellt.
Die Leserabe-Bücher von Ravensburger haben nach jedem Kapitel eine kurze Frage, die den Kindern helfen sollen, den Inhalt zu überdenken und zu verinnerlichen. Beim Vorlesen lasse ich diese Fragen immer für die Kleinen einfließen. Dieses Miteinander-Lesen macht ihnen großen Spaß und ich habe mir mittlerweile angewöhnt, das auch bei anderen Kinderbüchern immer wieder einfließen zu lassen. Während der Große selbst schon ein Vielleser ist (schuldig) und das Buch als kleines Intermezzo immer wieder liest, ist es für die Kleinen eine schöne Vorleseeinheit.
Mein Freund der Superheld ist ein wundervoller Lesespaß für Groß und Klein.