Platzhalter für Profilbild

Venatrix

Lesejury Star
offline

Venatrix ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Venatrix über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.12.2021

Mut zur Einmischung

Der Engel von Warschau
0

„Ihr müsst jetzt stark sein. Nein, stärker, Wir alle müssen so viel stärker sein als die da draußen … Dann werden wir das hier vielleicht überleben.“

Mit diesen und ähnlichen Sätzen versucht Irena Sendler ...

„Ihr müsst jetzt stark sein. Nein, stärker, Wir alle müssen so viel stärker sein als die da draußen … Dann werden wir das hier vielleicht überleben.“

Mit diesen und ähnlichen Sätzen versucht Irena Sendler der immer größer werdenden Zahl von Armen in der polnischen Stadt Warschau Unterstützung zu bieten. Irena ist Mitarbeiterin des Sozialamtes und ist es gewöhnt, um Hilfe zu betteln, egal bei wem. Daher hat sie ein dicht gewebtes Netzwerk, das sie nun, da die Deutschen die Stadt besetzen und alle Juden in ein Getto sperren, vortrefflich nützen kann.

Als Schlüsselerlebnis gilt, der Schmuggel eines kleinen jüdischen Mädchens aus dem Getto, das sie bei einer polnischen Familie unterbringt. Daraus entwickelt sich eine groß angelegte Rettungsaktion für zahlreiche Kinder. Babys und Kleinkinder lassen sich relativ leicht aus dem Getto schmuggeln und mit gefälschten Dokumenten versorgt. Um die Tarnung nicht auffliegen zu lassen, werden die Kinder oft getauft, was deren Eltern in Gewissenskonflikte bringt. Irena versteht dies und führt eine geheime Liste auf der die wahre Identität und der Tarnname aufgezeichnet sind.

Irena arbeitet rund um die Uhr und muss noch um das Leben ihrer großen Liebe Adam bangen, denn Adam ist Jude. Mehr als einmal steht das Unternehmen auf der Kippe und droht aufzufliegen. Als sie 1943 von den Deutschen verhaftet und zum Tod verurteilt wird, gelingt es anderen Untergrundaktivisten, sie freizukaufen. Dann muss sie untertauchen und kann nicht einmal dem Begräbnis ihrer Mutter beiwohnen.

Meine Meinung:

Dieser historische Roman beruht auf wahren Begebenheiten und ist Teil der Reihe „starke Frauen der Geschichte“ aus dem Verlag Piper. Irena Sendler (1910-2008) hat tatsächlich wie beschrieben rund 2.500 jüdischen Kindern das Leben gerettet. Sie wird 1965 als „Gerechte unter den Völkern“ von Yad Vashem gewürdigt.
Irena Sendler wird häufig mit Oskar Schindler verglichen. Doch ich sehe hier gravierende Unterschiede. Während Schindler vermögend ist und durchaus vom NS-Regime profitiert, hilft Sendler selbstlos. Ohne die zahlreichen kleinen und größeren Hilfestellungen anderer wäre es Irena Sendler nicht gelungen, so viele Kinder zu retten. Das kommt in diesem Roman auch deutlich zur Sprache. Der Fokus liegt auf der Rettung der Kinder, obwohl Irena hier die treibende Kraft ist. So gibt es auch den einen oder anderen deutschen Soldaten, der davon überzeugt ist, Unrecht zu begehen und deshalb dezent wegsieht. Leider waren es viel zu wenige.

Fazit:

Für mich der bislang beste Roman aus der Reihe „Starke Frauen der Geschichte“. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 07.12.2021

Fesselnd bis zur letzten Seite

Tanz bis ans Ende der Welt
0

Tereza Vanek versteht es ausgezeichnet, mit ihren Büchern die Leser zu fesseln. Mit diesem hier tauchen wir in die Welt der „Goldenen Zwanziger Jahre“ ein, die so golden gar nicht waren. Oh, werden sich ...

Tereza Vanek versteht es ausgezeichnet, mit ihren Büchern die Leser zu fesseln. Mit diesem hier tauchen wir in die Welt der „Goldenen Zwanziger Jahre“ ein, die so golden gar nicht waren. Oh, werden sich einige denken, nicht schon wieder ein Buch aus dem Berlin dieser Zeit. Doch die Protagonisten überraschen. Worum geht’s also?

Klarissa erbt von ihrer Tante Anna ein Haus und findet ein Foto, auf dem Anna mit einer Chinesin abgelichtet ist. Neugierig geworden, begibt sie sich auf Spurensuche und taucht aus dem München der 1960er Jahre tief in die Vergangenheit der 1920er ein.

Zhang Penjun, Tochter einer wohlhabenden Familie, reist ohne deren Erlaubnis von Shanghai nach Berlin, um ihren Verlobten zu treffen. Auf dem Weg zu ihm wird sie bestohlen und muss dann noch feststellen, dass er mit einer Deutschen zusammenlebt.

Unmittelbar darauf lernt sie die Schuhverkäuferin Anna kennen, die sie unter ihre Fittiche nimmt. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, treten die beiden in Cabarets auf und feiern große Erfolge, bis die Nazis an die Macht kommen und alles Fremde aus Deutschland verbannen.

Meine Meinung:

Teresa Vanek ist ein fesselnder historischer Roman auf zwei Zeitebenen gelungen. Zum einen begeben wir uns nach Berlin in die Weimarer Republik und zum anderen in das konservative München der 60er Jahre, in dem die Studenten zu rebellieren beginnen.

Tereza Vanek, deren Bücher ich sehr gerne lese, fesselt ihre Leser mit den Schicksalen zweier Frauen von höchst unterschiedlicher Herkunft. Wer glaubt, bereits alles aus der Zwischenkriegszeit zu wissen, wird eines Besseren belehrt. Denn, dass es eine chinesische Community in Berlin gab, habe ich auch nicht gewusst.
Herrlich ist zu lesen, mit welchen Vorstellungen die junge Zhang Penjun, die sich in Deutschland Susan nennt, nach Europa kommt. Hier müssen alle Leute reich sein, man wohnt in großen Häusern und Bettler sowie Elend gibt es nicht. Schnell lernt sie die Realität kennen.

Der Schreibstil ist mitreißend und die Charaktere wachsen den Lesern bald ans Herz. Wir lernen sie mit allen ihren Stärken und Schwächen kennen.

Fazit:

Ein historischer Roman auf zwei Zeitebenen, der einen kaum loslässt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 06.12.2021

Ein gelungener hist. Roman

Die Brücke der Ewigkeit
0

Wolf Hector entführt seine Leser in das Prag des Spätmittelalters. Als der jugendliche Jan Otlin und seine Mutter beim Einsturz der Judith-Brücke über die Moldau nur knapp mit dem Leben davonkommen, schwört ...

Wolf Hector entführt seine Leser in das Prag des Spätmittelalters. Als der jugendliche Jan Otlin und seine Mutter beim Einsturz der Judith-Brücke über die Moldau nur knapp mit dem Leben davonkommen, schwört er, eine Brücke für die Ewigkeit zu bauen. Er erlernt das Handwerk des Steinmetzes und kehrt nach langen Jahren in Frankreich wieder nach Prag zurück. Dort sind die Brüder Peter und Michael Parler dabei, den Veitsdom und andere Bauwerke zu errichten. Als Wenzel, König von Böhmen, die abermals zerstörte Judith-Brücke durch einen Neubau ersetzt haben will, beteiligt sich neben Otlin und Parler auch der Straßburger Rudolph an der Ausschreibung. Jan Otlin erhält den Auftrag. Rudolph ist neidisch auf Jan Otlins und Peter Parlers Erfolge. Zudem verdreht im Peter Parlers Ehefrau, die sich von ihrem Mann vernachlässigt fühlt, den Kopf. Er fängt mit ihr eine Liebesbeziehung an, was zu dieser Zeit mit dem Tod des Liebespaares geahndet wird. Von Neid und Wut zerfressen will Rudolph alle seine Widersacher aus dem räumen und bedient sich der undurchsichtige Ricarda Scorpio, die aber ihre eigenen Intrigen spinnt...

Meine Meinung:

Wolf Hector hat ein großartiges Mittelalterepos geschaffen, das an Ken Folletts Kingsbridge-Reihe erinnert, dennoch einen ganz eigenen Schreibstil aufweist.
Der Autor verquickt die historischen Personen wie Jan Otlin, Peter Parler, den kaiserlichen Leibarzt und Astrologen Gallus von Strahlov sowie den Prediger Militsch von Kremsier geschickt mit seinem fiktiven Personal wie Rudolph von Straßburg. Da wir uns nach wie vor im Mittelalter befinden, haben Astrologen und Sterndeuter Hochsaison. Doch, wenn deren Vorhersagen nicht oder verspätet eintreffen, sind sie in Gefahr. Daher spinnen sie, wie Ricarda Scorpio, ein Netz von Informanten, um möglichst treffsichere Prognosen abgeben zu können.

Der Beginn, die Lehr- und Wanderjahre, des Jan Otlin sind für meinen Geschmack ein wenig zu ausführlich geraten. Dieser Abschnitt hätte getrost ein wenig gestrafft werden können. Sonst gefällt mir der Schreibstil sehr gut.

Bei der Vielzahl der Charaktere ist es nicht immer möglich, alle komplett „durchzustylen“. So fehlt mir das Motiv der Ricarda, warum sie alle ihre Schandtaten begeht. Zu Beginn ist sie mir (fast) sympathisch. Doch sie verändert sich im Laufe der Geschichte zu einer bösen Intrigantin.

Gerne hätte ich noch mehr Details über die Technik beim Brückenbau gelesen. Interessant finde ich, dass man dem Mörtel (rohe) Eier, Topfen/Quark und Wein beigemengt hat, um eine bessere Haltbarkeit zu erreichen. Vermutlich trägt das im Topfen enthaltene Kasein dazu bei. Die Topfen/Wein-Mischung soll bereits von den Römern verwendet worden sein.

Fazit:

Ein spannender Mittelalterroman, dem ich gerne 4 Sterne gebe. Die Brücke steht übrigens heute noch und heißt nach mehreren Umbenennungen nach ihrem Auftraggeber Karl IV. (=Wenzel, 1316-1378) „Karlsbrücke“.

Veröffentlicht am 06.12.2021

Nicht einfach zu lesen

Der Silberfuchs meiner Mutter
0

Als die Norwegerin Gerd Hörvold 1941 von Anton Halbleben, einem deutschen Besatzungssoldaten, schwanger wird, wird sie als Nazi-Hure beschimpft und muss ihre Heimat. Nach einer langen Odyssee erreicht ...

Als die Norwegerin Gerd Hörvold 1941 von Anton Halbleben, einem deutschen Besatzungssoldaten, schwanger wird, wird sie als Nazi-Hure beschimpft und muss ihre Heimat. Nach einer langen Odyssee erreicht sie Hohenems in Österreich, wo
Antons Familie lebt. Doch statt Aufnahme erlebt sie Ablehnung und muss das Kind, Heinz, in ein Kinderheim geben, weil sie auf Grund ihrer Epilepsie und der Umstände nicht in der Lage ist, für ihren Sohn zu sorgen. Erst 1946 kann sie Heinz zu sich holen und schlägt sich so recht und schlecht in Lustenau durchs Leben. Heinz ist mit der Situation überfordert, versteht die reale Welt nicht und flüchtet sich in die Scheinwelt des Theaters und später in den Film.

Meine Meinung:

Obwohl das Buch nur 224 Seiten hat, habe ich diesmal ein wenig länger als üblich gebraucht es zu beenden. Ursache dafür ist die teilweise raue, abgehackte Sprache, mit der der Autor seinen Lesern die Erinnerungsfetzen des alternden Heinz näherbringt. Zeit seines Lebens ist Heinz auf der Suche nach seinem Vater und entwickelt, da er keine Antworten bekommt, eigenen Fantasien über seine Wurzeln. Die wenigen schönen Momente seiner Kindheit und Jugend im engen, konservativen Vorarlberg, werden regelmäßig von den Fragen nach dem Warum und Wieso überlagert. Selbst Jahre später stößt Heinz auf beharrliches Schweigen der Kriegsgeneration.
Heinz flüchtet in diverse (Theater)Rollen, die ihn auch im Alltag nicht loslassen.
Die Erinnerungen des Ich-Erzählers sind nicht immer leicht zu lesen. Stellenweise ist der Monolog ein wenig ausufernd und langatmig. Zahlreiche lose Enden bleiben übrig. Dennoch ist die Erzählung ein Stück Zeitgeschichte, denn ähnliche Schicksale sind dokumentiert. Der eine oder andere Betroffene kann besser mit den Lücken und Brüchen in seinem Leben umgehen. Heinz bleibt ein ewig Suchender, Teil einer verlorenen Generation.

Fazit:

Eine nicht einfach zu lesende (Lebens)Geschichte eines Mannes, der die Lücken in seinem Leben zu schließen versucht. Gerne gebe ich hier 3 Sterne.

Veröffentlicht am 24.11.2021

Ein lesenswerter biografischer Roman

Mutters Lüge
0

Dieser autobiografische Roman ist bereits unter dem Titel „Marta“ erschienen. Er handelt von Marta, die als Jugendliche gemeinsam mit Mutter und Zwillingsbrüder illegal von Polen nach Deutschland gekommen ...

Dieser autobiografische Roman ist bereits unter dem Titel „Marta“ erschienen. Er handelt von Marta, die als Jugendliche gemeinsam mit Mutter und Zwillingsbrüder illegal von Polen nach Deutschland gekommen ist.

Wir erfahren einiges aus dem Leben im kommunistischen Polen, stellen uns mit Marta um Lebensmittel an, nur um dann erfahren zu müssen, dass alles ausverkauft ist. Wenn man über Dollars verfügt, ist dann doch einiges erhältlich. Wir ärgern uns mit Marta, wenn sie von ihrer Mutter, die unnahbar scheint und kaum anwesend ist, Hausarbeit aufgebürdet bekommt und Zwillingsbruder Tomek auf der faulen Haut liegen oder sich seinem Hobby, dem Kampfsport, widmen darf.
Marta ist ehrgeizig und versucht durch schulische Höchstleistungen die Anerkennung der Mutter zu erringen, doch vergeblich. Bis zum Tod der Mutter wird das Verhältnis distanziert bleiben. Die Mutter wird Marta zeitlebens ein Rätsel bleiben. Während sie sich rührend um Heimkinder in Polen kümmert, sind ihr die eigenen nicht so wichtig. Warum spricht sie perfekt deutsch? Warum gibt es keine Verwandten? Ist Marta das Opfer von Mengeles Menschenversuchen? Fragen über Fragen, die nicht oder nur unzureichend von Dritten beantwortet werden. Als Marta das Geheimnis um ihren Vater lüftet und ihn trifft, bekommen manche Äußerungen der Mutter eine andere Bedeutung.

Meine Meinung:

Die Autorin hat einige Formulierungen ihrer Erstausgabe behutsam geglättet. All zu viel Unterschied kann ich nicht bemerken, was vermutlich auch daran liegt, dass ich das ursprüngliche Exemplar an eine Freundin weitergegeben habe und die beiden Texte nicht nebeneinander legen kann.

Wie schon im ursprünglichen Buch festgestellt, ist die Studienzeit von Marta sehr ausführlich beschrieben. Da hätte ich mir gut eine Kürzung vorstellen können. Die Anfangsschwierigkeiten in Deutschland nach der Flucht aus Breslau, Marta und Tomek können ja kein Wirt deutsch, erscheinen mir dafür gestrafft worden zu sein.

Als ich das Buch zum nochmaligen Lesen von der Autorin erhalten habe, habe ich gedacht, dass die eine oder andere drängende Frage, die mich beschäftigt, wäre beantwortet worden. Doch das ist nicht der Fall.

Fazit:

Dieser durchaus lesenswerte Roman erhält auch bei seiner Neubearbeitung 4 Sterne.