Platzhalter für Profilbild

Venatrix

Lesejury Star
offline

Venatrix ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Venatrix über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.06.2020

Eine gelungene Fortsetzung

Geisterfahrt
0

Dieser Krimi ist der dritte nach „Hell-Go-Land“ und „Sturmfeuer“ mit Anna Krüger, der Polizistin auf Helgoland.

Anna und Kollegin Saskia besuchen mit dem gemeinsamen Chef Paul Freitag und dessen kleiner ...

Dieser Krimi ist der dritte nach „Hell-Go-Land“ und „Sturmfeuer“ mit Anna Krüger, der Polizistin auf Helgoland.

Anna und Kollegin Saskia besuchen mit dem gemeinsamen Chef Paul Freitag und dessen kleiner Tochter Pauline das größte Volksfest im Norden Deutschlands: den Hamburger Dom.

Anna findet gleich beim Eingang einen Ausweis, den sie einem der zahlreichen anwesenden Polizisten übergibt. Dass sie damit sich und den anderen Besuchern keinen Gefallen tut, erfährt sie wenig später. Denn der Name Marco Kovacs auf dem Dokument ist der eines mutmaßlichen Gefährders. Während die Polizei Großalarm auslöst, geht Pauline im Getümmel verloren ...

Meine Meinung:

Der Krimi ist sehr spannend und, dass sich die Ereignisse innerhalb von nur 2 Stunden abspielen, erzeugt Adrenalin pur. Doch nicht nur die hektische Suche nach der neunjährigen Pauline und dem Gefährder sorgen für das hohe Tempo. Daneben spielt sich eine tragische Liebesgeschichte ab und Pauline wird von einem Obdachlosen aufgelesen. Hier zieht der Autor alle Register und lässt die Leser an allerlei Horrorszenarien denken. Doch gleichzeitig zeigt Tim Erzberg auf, wie schnell Vorurteile Menschen in den Fokus der Behörden geraten lassen.

Saskia ist mir nach wie vor unsympathisch. Für ihre bisweilen aufdringliche Art Männern gegenüber habe ich wenig Verständnis. Selbst ihr Vorgesetzter, Paul, geht ihr auf den Leim. Ihre Arbeitsauffassung halte ich ebenfalls für fragwürdig. Sie lebt ein Leben wie auf dem Vulkan, ohne Rücksicht auf andere. Selbst das Verschwinden von Pauline kostet sie nur ein Achselzucken. Ich empfinde Saskia als krasses Gegenteil zu Anna, die rund um die Ur im Einsatz ist. Doch auch die Figur der Anna ist nicht ganz friktionsfrei. Der ausufernde Tablettenkonsum wegen ihrer Migräne, die eine posttraumatische Belastungsstörung ist, ist kaum zu tolerieren. Ich halte sie nicht für dienstfähig. Da lässt es Paul als Vorgesetzter ein wenig an Sorgfaltspflicht mangeln, denn ihr nur die Medikamente wegzunehmen ist zu wenig.

Geschickt sind einzelne kurze Rückblick in Annas Vergangenheit eingeflochten.

Das Setting - der Dom in Hamburg - flößt mir persönlich großes Unbehagen ein. Solche Menschenmassen kann ich so gar nicht leiden. Zur Spannung trägt dieser Vergnügungspark natürlich bei.
Ein bisschen hat mir die Insel Helgoland und ihre teilweise schrulligen Einwohner gefehlt.


Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, wenn ich auch die Insel Helgoland ein wenig vermisst habe.

Veröffentlicht am 09.06.2020

Ein wichtiger Zeitzeugenbericht

Ich traue dem Frieden nicht
0

Wenn Werner von Kieckebusch dem Frieden nach dem Ende der Nazi-Diktatur nicht traut, so hat er damit Recht. Denn wenig später errichtet die Sowjetunion eine neue Diktatur, die Deutschland in West und Ost ...

Wenn Werner von Kieckebusch dem Frieden nach dem Ende der Nazi-Diktatur nicht traut, so hat er damit Recht. Denn wenig später errichtet die Sowjetunion eine neue Diktatur, die Deutschland in West und Ost teilt und erst 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer zu Ende ist.

Der ehemalige Gutsherr Werner von Kieckebusch hat penibel Tagebuch geführt. Dieses hier umfasst die Zeit April 1945 bis Silvester 1946.

Trocken schildert er, den Alltag der Menschen in Potsdam und was sie in diesen Monaten erleben mussten: Sie wurden beraubt, vertrieben, gedemütigt, vergewaltigt und auch getötet. Allerdings schwelgt von Kieckebusch nicht im Selbstmitleid, denn er ist kein Anhänger des Regimes.

Interessant ist die Motivation, ein solches Tagebuch zu führen: Er schreibt es für seinen zweitgeborenen Sohn Burkhard, der seit Monaten vermisst wird. Sein Bruder ist bereits 1942 gefallen. Mit diesem Tagebuch sollen die Ereignisse für Burkhard nachzulesen sein. In seinen Eintragungen schwingt immer die Hoffnung mit, etwas über Burghards Verbleib zu erfahren. Die Ungewissheit ist schwerer zu ertragen, als die Nachricht vom Tod des Sohnes. Doch bis zu Werner von Kieckebuschs eigenem Tod 1975, wird die Suche nach der Gewissheit um Burkhards Schicksal erfolglos bleiben.

Trotz der vielen schrecklichen Erlebnisse und Ereignisse verliert Werner von Kieckebusch weder seinen Humor noch seine Hilfsbereitschaft.

Das Manuskript ist, wie Jörg Bremer, der mit Werner von Kieckebuschs Urenkelin verheiratet ist, ganz behutsam an die heutige Schreibweise angepasst. Der an manchen Stellen antiquiert wirkende Schreibstil lässt uns Leser direkt in diese Zeit eintauchen. Seine Zigarren nennt von Kieckebusch „Nasenwärmer“ - darüber musste ich schmunzeln.

Faszinierend finde ich auch die realistische Einschätzung des Autors, was das wirtschaftliche Fortkommen der ehemaligen großen Güter angeht. Die großangelegte Enteignung „Junkerland in Bauernhand“, Zerteilung in kleine Parzellen und die willkürliche Ansiedlung von Menschen, die keine Ahnung von der Landwirtschaft haben, konnte nur schief gehen. Als ehemaliger (und mäßig erfolgreicher) Gutsbesitzer hat Werner von Kieckebusch das Fiasko vorausgesehen.


„Das ist das Tagebuch von meinem Urgroßvater voller Schrecken, Trauer und Hunger – aber beim Lesen habe ich trotz allem auch gelacht.“ (Christiane Bremer, Urenkelin von Werner von Kieckebusch, im Vorwort)

Fazit:

Schnörkellos, aber mit einem Anflug von schwarzem Humor, erzählt Werner von Kieckebusch, in seinem Augenzeugenbericht, die Zeit zwischen zwei Diktaturen. Gerne gebe ich diesem wichtigen Zeugnis der Vergangenheit 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 07.06.2020

Fesselnd bis zur letzten Seite

Sturmfeuer
0

Während einer Segelregatta in der „Optimisten-Klasse“ für Kinder, verschwindet der zehnjährige Nils Michelsen aus seinem Boot. Man hat ihn bei einem Wendemanöver, wie die Auswertung von Videas und Fotos ...

Während einer Segelregatta in der „Optimisten-Klasse“ für Kinder, verschwindet der zehnjährige Nils Michelsen aus seinem Boot. Man hat ihn bei einem Wendemanöver, wie die Auswertung von Videas und Fotos später zeigt, noch im Blick und dann findet man nur mehr das leere Boot. Eine Suchaktion bleibt ohne Erfolg. Wenig später wird der Vater des Kindes tot am Fuße der Klippen von Helgoland gefunden. Unfall oder Selbstmord? Und warum verhält sich Frau Michelsen so seltsam?

Für Anna Krüger, die Polizistin auf der Insel, sind dies ein wenig zu viele Zufälle. Als sie dann noch den verschwundenen Jungen zu sehen glaubt, beginnt sie intensiv zu recherchieren.

Dabei stößt sie auf ein lange gehütetes Geheimnis, das auch sie in Gefahr bringt.

Meine Meinung:

In diesem zweiten Fall für Anna Krüger und Paul Freitag bleibt die Spannung die ganze Zeit recht hoch. Obwohl ich recht bald die Zusammenhänge zwischen den fett gedruckten historischen Einschüben und dem Tod von den beiden Michelsens in der Gegenwart erkannt habe, hat mich die Auflösung gefesselt.

Die Charaktere sind gut ausgearbeitet. Jede bzw. jeder hat so sein eigenes Schicksal zu tragen. Anna leidet nach einem traumatischen Erlebnis seit Jahren an schwerer Migräne, die sie „Stalin“ nennt. Ihr Tablettenkonsum steigert sich ins Bedenkliche. Manchmal ist nicht klar, ob sie überhaupt diensttauglich ist. Aufgrund ihren eigenen Dämonen kann sie sich in andere recht gut hineinversetzen.

Tim Erzberg lockt seine Leser immer wieder auf Fährten, die sich als Sackgassen herausstellen.

Sehr gut haben mir die Rückblicke in die letzten Tage und Wochen der NS-Diktatur gefallen. Sind die Spuren des Flächenbombardements der Briten wirklich noch immer auf der Insel sichtbar?

Fazit:

Ein gelungener Regional-Krimi mit interessanten Charakteren, der für spannende Lesestunden sorgt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 07.06.2020

"Zäh wie ein sibirischer Häuslratz"

Das schwarze Band
0

Man schreibt das Jahr 1921 und Wien wird von einer noch nie da gewesenen Hitzewelle heimgesucht. Zahlreiche Menschen sterben an Dehydrierung. Doch nicht nur natürliche Ursachen kosten einigen Menschen ...

Man schreibt das Jahr 1921 und Wien wird von einer noch nie da gewesenen Hitzewelle heimgesucht. Zahlreiche Menschen sterben an Dehydrierung. Doch nicht nur natürliche Ursachen kosten einigen Menschen das Leben. Es wird auch weiter gemordet. Kriminalinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter werden in die Brigittenau gerufen. Zwei Frauen sind in ihrer Wohnung erschlagen worden, die dritte Mitbewohnerin ist verschwunden. Ist sie die Täterin oder ein Opfer?

Doch bevor die Ermittlungen so richtig in Fahrt kommen, wird August Emmerich zu einem „Benimm-Lehrgang“ in die Schwarzenbergkaserne abkommandiert. Er soll bitte endlich, seine ruppige Art ablegen und nicht immer das sagen, was er sich denkt. Doch als er die anderen Kursteilnehmer sieht und sein Widersacher in der Abteilung „Leib und Leben“ Peter Brühl als Ausbildner erscheint, kommt ihm dieser Kurs ziemlich „spanisch“ vor. Als dann noch ein Kursteilnehmer vor seinen Augen in den Tod gestoßen wird, ist ihm klar, dass hier etwas ganz gewaltig stinkt. Will man seine Karriere bei der Polizei nun endgültig ruinieren oder gibt es ein weit größeres Intrigenspiel mit weit reichenden Folgen für die junge Republik?

Meine Meinung:

Emmerich ist ein „Sau-Prolet“, wie Veit Kolja, sein einstiger Waisenhaus-Kumpel, Unterweltsboss und nunmehriger Neo-Parlamentarier zu sagen pflegt, während Ferdinand (von) Winter als seines Vermögens und Titel verlustiger Adeliger stets höflich und mitunter auch ein wenig zu zurückhaltend auftritt. So würde Ferdinand niemals über den neuen Bundeskanzler Johann Schober sagen, dass „er vielleicht ein guter Polizeipräsident war, aber als Bundeskanzler nichts tauge, weil er wie viele andere ein Geldsack und Emporkömmling sei.“ (S. 15) Ja, Ferdinand würde so etwas nicht einmal denken, geschweige denn, auf einem Empfang laut aussprechen und dabei noch von einigen Leuten belauscht werden.

Doch kann man Emmerich sehr gut verstehen. Er ist eben nicht auf der Butterseite des Lebens aufgewachsen. Derzeit kämpft er mit der steigenden Inflation, die ihm und den drei Kindern seiner ermordeten Freundin kaum das Nötigste zum Leben lassen.

Auch in ihrem vierten Fall für das ungleiche Ermittler-Duo flicht die Autorin wieder historische Fakten ein. So sind die steigende Teuerung, die Wohnungsnot und die unsichere politische Lage ein großes Thema. Interessant auch der Blick auf die wenigen weiblichen Abgeordneten im Parlament. Eine fiktive Figur sticht hier besonders heraus: Adelheid Rupert, die mit ihrer Aktion sogar Veit Kolja einen aufrichtigen Respekt abnötigt (S. 324).

Sehr spannend ist auch der zweite, abermals misslungene Restaurationsversuch von Ex-Kaiser Karl I. in den Krimi integriert.

Gut gelungen ist die langsame Weiterentwicklung Ferdinands, der ja in Abwesenheit von Emmerich, den Doppelmord aufklären soll und dem dabei jede Menge Prügel vor die Beine geworfen werden. Dabei hält er sich an den Rat, den ihm sein Vorgesetzter gegeben hat: „Machen Sie genau das Gegenteil davon, was Sie sonst machen würden.“ Ganz unbeschadet kommt der Assistent natürlich nicht davon. Denn das „Paradies“ ist kein solches sondern der Vorhof zur Hölle, auf den man ihn bei der adeligen Erziehung nicht vorbereitet hat.

Diese Krimi-Reihe besticht durch ihre authentischen Figuren und Beschreibungen des Alltags. Die Zahlen, Daten und Fakten sind penibel recherchiert. Das eine oder andere historische Ereignis ist dem Verlauf des Krimis angepasst worden. Im Nachwort vermerkt Alex Beer, die im bürgerlichen Leben Daniela Larcher heißt, diese Freiheiten.

Dass die Reihe noch nicht zu Ende ist, lässt uns die Autorin auch wissen. August Emmerich erfährt endlich, nach langer Suche, den Namen seiner Mutter bzw. seines Vaters. Darauf freue ich mich, denn die Suche nach dem Vater wird bestimmt kein Honigschlecken.

Ich habe diesen vierten Band nicht aus der Hand legen können und in einer Nacht gelesen.

Fazit:

Spannend bis zur letzten Seite - eine gelungene Fortsetzung der Reihe rund um August Emmerich & Ferdinand Winter. Schade, dass hier maximal 5 Sterne zu vergeben sind.

Veröffentlicht am 06.06.2020

SEK sind keine Erfindung der Neuzeit

Fürsten im Fadenkreuz
0

Dieses Buch von Yuval Noah Harari unterscheidet sich deutlich von seinen anderen Bestsellern wie „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ oder „Homo deus“.

Der Militärhistoriker hat sich in diesem Werk, ...

Dieses Buch von Yuval Noah Harari unterscheidet sich deutlich von seinen anderen Bestsellern wie „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ oder „Homo deus“.

Der Militärhistoriker hat sich in diesem Werk, das bereits 2007 unter dem Titel „Special Operations in the Age of Chivalry, 1100-1550“ erschienen und erst jetzt ins Deutsche übersetzt worden ist, einem interessanten Thema gewidmet: Militärische Spezialeinheiten im Mittelalter. Wobei er das Mittelalter nicht wie üblich mit 1492 (Entdeckung Amerikas) enden lässt, sondern bis 1550 erstreckt.

Das Buch ist in die folgenden Kapitel unterteilt:

Spezialkommandos, Strategie und Politik im Zeitalter der Ritter - ein analytischer Überblick
Das Tor zum Nahen Osten: Antiochia, 1098
Die Rettung König Balduins: Kharpurt, 1123
Die Ermordung König Konrads: Tyros, 1191
Für einen Sack Goldmünzen: Calais, 1350
Fürsten im Fadenkreuz: Aufstieg und Fall des Hauses Valois-Burgund, 1407-1483
Die Mühle von Auriol: Auriol, 1536

Mit der Darstellung seiner Betrachtungen wendet er sich, wie er schreibt, an die interessierten Laien. Daher liest sich dieses Sachbuch stellenweise eher wie ein Augenzeugenbericht denn als wissenschaftliche Expertise, was ja nicht unbedingt ein Nachteil sein. Vor allem für Einsteiger in diese Materie ist dieses Buch gut geeignet. Der detailverliebte Schreibstil lässt das Mittelalter wieder farbenprächtig auferstehen. Allerdings werden blutige Schlachten nicht ausgespart.

Zwischendurch geht Harari der Frage der Ritterlichkeit („Chivalry“) oder dem, was wir dafür halten, nach. Dabei fällt auf, dass mit der im Minnelied besungenen Tugend nicht ganz so weit her war. Ohne Spitzeldienste, Vorauskommandos und Verrat, der mittels klingender Münze einhergeht, ist auch im Mittelalter kein Blumenstrauß bzw. eine Schlacht zu gewinnen. Der Autor zeigt die schmutzige Seite des Krieges: Belagerung und Aushungern von Burgen oder Städten sind das Mittel der Wahl.

Fazit:

Ein populärwissenschaftlicher Einblick in Kriege des Mittelalters abseits der romantischen Balladen. Für Einsteiger in die Materie sehr gut geeignet, daher 5 Sterne.