Wenn Werner von Kieckebusch dem Frieden nach dem Ende der Nazi-Diktatur nicht traut, so hat er damit Recht. Denn wenig später errichtet die Sowjetunion eine neue Diktatur, die Deutschland in West und Ost teilt und erst 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer zu Ende ist.
Der ehemalige Gutsherr Werner von Kieckebusch hat penibel Tagebuch geführt. Dieses hier umfasst die Zeit April 1945 bis Silvester 1946.
Trocken schildert er, den Alltag der Menschen in Potsdam und was sie in diesen Monaten erleben mussten: Sie wurden beraubt, vertrieben, gedemütigt, vergewaltigt und auch getötet. Allerdings schwelgt von Kieckebusch nicht im Selbstmitleid, denn er ist kein Anhänger des Regimes.
Interessant ist die Motivation, ein solches Tagebuch zu führen: Er schreibt es für seinen zweitgeborenen Sohn Burkhard, der seit Monaten vermisst wird. Sein Bruder ist bereits 1942 gefallen. Mit diesem Tagebuch sollen die Ereignisse für Burkhard nachzulesen sein. In seinen Eintragungen schwingt immer die Hoffnung mit, etwas über Burghards Verbleib zu erfahren. Die Ungewissheit ist schwerer zu ertragen, als die Nachricht vom Tod des Sohnes. Doch bis zu Werner von Kieckebuschs eigenem Tod 1975, wird die Suche nach der Gewissheit um Burkhards Schicksal erfolglos bleiben.
Trotz der vielen schrecklichen Erlebnisse und Ereignisse verliert Werner von Kieckebusch weder seinen Humor noch seine Hilfsbereitschaft.
Das Manuskript ist, wie Jörg Bremer, der mit Werner von Kieckebuschs Urenkelin verheiratet ist, ganz behutsam an die heutige Schreibweise angepasst. Der an manchen Stellen antiquiert wirkende Schreibstil lässt uns Leser direkt in diese Zeit eintauchen. Seine Zigarren nennt von Kieckebusch „Nasenwärmer“ - darüber musste ich schmunzeln.
Faszinierend finde ich auch die realistische Einschätzung des Autors, was das wirtschaftliche Fortkommen der ehemaligen großen Güter angeht. Die großangelegte Enteignung „Junkerland in Bauernhand“, Zerteilung in kleine Parzellen und die willkürliche Ansiedlung von Menschen, die keine Ahnung von der Landwirtschaft haben, konnte nur schief gehen. Als ehemaliger (und mäßig erfolgreicher) Gutsbesitzer hat Werner von Kieckebusch das Fiasko vorausgesehen.
„Das ist das Tagebuch von meinem Urgroßvater voller Schrecken, Trauer und Hunger – aber beim Lesen habe ich trotz allem auch gelacht.“ (Christiane Bremer, Urenkelin von Werner von Kieckebusch, im Vorwort)
Fazit:
Schnörkellos, aber mit einem Anflug von schwarzem Humor, erzählt Werner von Kieckebusch, in seinem Augenzeugenbericht, die Zeit zwischen zwei Diktaturen. Gerne gebe ich diesem wichtigen Zeugnis der Vergangenheit 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.