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Venatrix

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Veröffentlicht am 02.07.2018

Ein verbotene Liebe im Nachkriegsdeutschland

Der englische Liebhaber
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Die junge Filmemacherin Charlotte kehrt anlässlich des bevorstehenden Todes ihrer Mutter Anna von Berlin nach Münster zurück.
Das Verhältnis der beiden Frauen ist unterkühlt und distanziert, denn Charlotte ...

Die junge Filmemacherin Charlotte kehrt anlässlich des bevorstehenden Todes ihrer Mutter Anna von Berlin nach Münster zurück.
Das Verhältnis der beiden Frauen ist unterkühlt und distanziert, denn Charlotte ist ein sogenanntes „Besatzungskind“. Anna hat in den Nachkriegsjahren, um ihre Familie zu erhalten, bei den Englischen Besatzern als Dolmetscherin gearbeitet und sich in einen der Offiziere, Jeremy Fraser, verliebt und ist prompt schwanger geworden. Noch bevor Jeremy die Scheidung von seiner englischen Frau vollziehen kann, wird er abkommandiert. Was Anna nämlich nicht weiß, dass für Jeremy, einem Geheimdienstoffizier des SIS, besondere Regeln des Fraternisierungsverbotes gelten.
Der beiderseitige Briefwechsel wird abgefangen und so muss Anna ihre Tochter ohne Vater aufziehen, im bigotten Nachkriegsdeutschland eine ziemliche Tortur für beide.

Erst 26 Jahre nach Jeremys Verschwinden gelingt es Anna ihren Geliebten ausfindig zu machen. Wird sich Jeremy wieder aus der Verantwortung stehlen?

Erst nach Annas Tod kommt Charlotte ihrer Mutter und Jeremy näher, findet sie doch in derem Nachlass Briefe, Tagebücher und Tonbandaufnahmen.

Meine Meinung:

Ich kenne fast alle Bücher der Autorin und ihren eindringlichen Erzählstil. Mit einfühlsamen und emotionalen Sätzen gelingt es ihr mühelos die Zeit nach 1945 in Deutschland wieder auferstehen zu lassen, ohne kitschig zu wirken. Der Kampf ums tägliche Überleben weicht den Schuldgefühlen an den Gräueln des Zweiten Weltkriegs beteiligt zu sein (die ewig Gestrigen ausgenommen).

Die Handlung selbst ist in zwei Erzählsträngen angelegt. Der eine spielt 1988 und der andere gibt, durch die Tagebucheintragungen Annas Situation ab dem Jahr 1945/46 wieder. Die Leser hungern und frieren mit Anna, können den Schrecken über die Niederlage Hitler-Deutschlands und die Angst vor der Zukunft hautnah miterleben.

Die historischen Hintergründe sind, wie wir es von der Autorin kennen, penibel recherchiert, zumal sie nahe an einer wahren Begebenheit aus ihrer eigenen Familie bleibt. Die Vorurteile, die unverheiratete Mütter und ihre Kinder ausgesetzt sind, lassen uns später Geborene ziemlich wütend werden.

Die Charaktere sind liebevoll gestaltet. Da ist zum einem Annas Herkunftsfamilie: Die Töchter, Linchen und Anna, sind nicht so geachtet, wie der einzige Sohn Manfred, der sich als strammer Nazi entpuppt und letztlich in Russland fällt. Während die meisten auf Hitler hereinfallen, hat sich Annas Mutter einen kritischen Geist bewahrt und trauert ihr Leben lang um ihre jüdische Freundin Nora Tannenbaum, der es nicht mehr gelingt aus Deutschland zu fliehen. Es ist keine Familie, die liebevoll miteinander umgeht. Das färbt auch auf Anna ab. Später wird sie ihre Verschlossenheit auch Charlotte gegenüber an den Tag legen, die mit schroffer Zurückweisung antwortet. Manchmal scheint Charlotte ohne Empathie zu sein. Ich denke, es ist schwierig Gefühle zu zeigen, wenn man selbst diese Erfahrung vermissen musste.
Auch Jeremys Charakter ist voller Ecken und Kanten. Er scheint tiefer Gefühle für Anna fähig, will sein bisheriges Leben aufgeben und mit ihr ein neues anfangen. Seine berufliche Situation als Geheimdienstmitarbeiter hält ihn bis zuletzt gefangen.

Fazit:

Ein historischer Roman, der unter die Haut geht. Gerne gebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 02.07.2018

Ein ganz normales Dorf

Ein ganz normales Pogrom
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Es war einmal ein ganz normales Dorf, irgendwo in Deutschland. So könnte dieses Buch beginnen, steht das beschriebene Weindorf Guntersblum in Rheinhessen, nämlich für viele Dörfer und Städte in der Weimarer ...

Es war einmal ein ganz normales Dorf, irgendwo in Deutschland. So könnte dieses Buch beginnen, steht das beschriebene Weindorf Guntersblum in Rheinhessen, nämlich für viele Dörfer und Städte in der Weimarer Republik.
Die seit Jahren subtil gestreute Saat des Judenhasses geht im November 1938 buchstäblich explosionsartig auf. Im gesamten Deutschen Reich (Österreich inklusive) brennen Synagogen, werden Juden misshandelt und deren Wohnungen zerstört und geplündert. Wie es zu den Ausschreitungen, von den Machthabern zynisch und euphemistisch „Reichskristallnacht“ genannt, gekommen ist, versucht der Autor an Hand von Guntersblum nachzuvollziehen. Bislang hat der geneigte Leser ja den Eindruck, dass die Pogrome eine Erscheinung in den großen Städten sind, doch diese (Irr)Meinung wird mit diesem Buch widerlegt.
Beginnend mit der Urkatastrophe des verlorenen Ersten Weltkriegs und den damit verbundenen Reparationszahlungen erzählt Historiker Kellerhoff, wie sich antisemitische Verschwörungstheorien in den Köpfen der Leute manifestieren und den Nationalsozialisten in die Hände spielen.
Ab 1933 werden jüdische Mitbürger schikaniert. Viele verlassen Deutschland, doch die Mehrheit bleibt. Wo sollten sie auch hingehen? Geschäfte und Beziehungen im Stich lassen?
Gerade anhand von Guntersblum zeigt sich, wie perfide das System funktioniert, da hier ja jeder jeden und seine Vermögensverhältnisse kennt. Die Anonymität der Großstadt, die anfangs ein wenig Schutz bieten könnte, fehlt hier natürlich.
Kellerhoff kann aufgrund von alten Dokumenten und Fotos die systematische Vertreibung (und Ermordung) der jüdischen Familien genau nachvollziehen.
Sehr interessant ist auch der Mangel an Unrechtsbewusstsein nach dem Krieg. Man schiebt die Schuld hin und her, leidet an kollektivem Gedächtnisverlust. Guntersblum ist einfach Deutschland im Kleinen.
Wiedergutmachung und Herausgabe des gestohlenen Eigentums? Meistens Fehlanzeige, langwierige Prozesse und nur teilweise Rückerstattung oder Schadenersatz. So manche Familie wird de facto ein zweites Mal betrogen.

Fazit:

Ein höchst interessantes Buch, das es wert ist ein zweites Mal gelesen zu werden, um die besonderen Details zu entdecken. Gerne gebe ich 5 Sterne.

Veröffentlicht am 29.06.2018

Ein durchaus kritischer Rückblick

Kein Blatt vor dem Mund
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Josef Cap ist in meinem Gedächtnis „schon immer da“ – ich bin quasi mit ihm aufgewachsen. Sei es, dass wir in den 1970ern im Unterricht über den „frechen Jungsozi“ diskutiert haben oder ihn später als ...

Josef Cap ist in meinem Gedächtnis „schon immer da“ – ich bin quasi mit ihm aufgewachsen. Sei es, dass wir in den 1970ern im Unterricht über den „frechen Jungsozi“ diskutiert haben oder ihn später als „Berufsjugendlichen“ ein wenig belächelt haben.
34 lange Jahre hat er in der österreichischen Innenpolitik mitgewirkt. Er ist einer der längst dienenden Parteisoldaten. Kaum einer hat ähnlich viele Partei-Vorsitzende erlebt wie er, nämlich 7 an der Zahl. (Bruno Kreisky, Fred Sinowatz, Franz Vranitzky, Viktor Klima, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern).
Wer ist er nun dieser Josef „Pepi“ Cap, der sich mehrmals mit den Mächtigen im Staat und in der eigenen Partei angelegt hat?
Geboren in Wien, geht er als Teil einer katholischen Familie brav in die Kirche und ist Ministrant. Die übliche Karriere eines bürgerlichen Sohnes – dann, im Piaristen-Gymnasium, schlägt die Stunde des Revoluzzers: er wird Herausgeber der Schülerzeitung. Es ist die Zeit der (erz)konservativen Regierung von ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus. Vielen Menschen ist diese Partei, die nach wie vor an den drei Ks (Kinder, Kirche, Küche) festhält, zu konservativ, zu spießig, zu verzopft und einfach viel zu langweilig. Dem vorlauten Josef bietet sich in Bruno Kreisky, der 1970 die Sozialistische Partei übernommen hat, eine Alternative. Kreisky gelingt es, durch viele, bis heute nachwirkende Staatsaufträge (Budgetdefizit!) Österreich zu modernisieren. Aufgrund seiner Analysen eckt der brillante Denker und Stratege Josef Cap auch bei Kreisky an. Er umreißt das Verhältnis mit folgenden Worten: "...Er [Kreisky] war fast enttäuscht, wenn ich mich im Parteivorstand nicht zwecks meiner eigenen Hinrichtung zu Wort meldete..."
Obwohl Sesselsägen und „Hack‘l schmeißen“ eher eine Domäne der ÖVP ist, bleibt auch der unbequeme Josef Cap nicht davor verschont.
Vor allem, die am 18.10.1982 gestellten „3 Fragen an den Theodor Kery“ machen ihn beinahe zum Paria. Cap ist Vorsitzender der Sozialistischen Jugend und fragt den umstrittenen burgenländischen Landeshauptmann Kery folgendes:

1. „Stimmt es, dass du mehr verdienst als der Bundeskanzler?
2. „Stimmt es, dass du als Aufsichtsratsvorsitzender verbilligten Strom der BEWAG [Burgenländische Elektrizitätswerke AG, Anm.] beziehst?“
3. „Ist es wahr, dass du in deiner Freizeit mit Maschinenpistolen schießt?“

Diese Rede führt unmittelbar danach zur Abwahl Caps aus dem Parteivorstand, während Kery, der wenige Tage später die Fragen positiv beantworten muss (Nur das Schießen mit Maschinenpistolen bestreitet er. Er hätte nur einen Schießstand für Kleinkalibergewehre im Keller.). Kery scheidet erst nach dem Verlust der absoluten Mehrheit 1987 aus der Politik aus.

Bei der darauffolgenden Nationalratswahl steht Cap de facto auf unwählbarer Stelle auf der Kandidatenliste. Um dennoch als Abgeordneter ins Parlament zu kommen, führt er – gegen den Willen der Partei - einen Vorzugsstimmenwahlkampf und gewinnt. Er zieht als erster, direkt vom Volk gewählter Abgeordneter in den Nationalrat ein. Dies ist besonders bemerkenswert, da er Unterstützung aus allen Lagern der Republik erhält. Meine Stimme ist auch dabei, weil mir seine lausbubenhafte Frechheit imponiert hat.
Josef Cap, der „der beste Redner im Parlament“ genannt wird, lässt in seinem Buch 50 Jahre österreichische Zeitgeschichte Revue passieren. Er erzählt kurz und prägnant wie es zum Niedergang der Sozialdemokraten (nicht nur in Österreich) kommen konnte und versucht eine Alternative zu den aktuellen (rechts)konservativen Parteien aufzuzeigen.

Er ortet drei grobe Fehler der Sozialdemokraten:
1. Die Unterschätzung der Grün-Bewegung
2. Den Wirtschaftskurs von Viktor Klima, der die Strategien von Tony Blair und Gerhard Schröder nachahmen wollte
3. Das Flüchtlingsthema spätestens ab 2015

Noch gibt Josef Cap die Sozialdemokratie und ihre Grundwerte (Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität) nicht gänzlich verloren. Allerdings muss sich die Partei schleunigst auf einen neuen Kurs einigen, um den aktuellen Strömungen der Regierung Paroli bieten zu können. Mit der Bewahrer-Mentalität und dem Pochen auf „wohlerworbenen Rechten“ wie es so mancher Gewerkschafter fordert, ist derzeit wenig zu gewinnen.
Nun 2017 ist die Karriere des Josef Cap als Abgeordneter, endgültig Geschichte. Er erhält bei der Nationalsratswahl (wieder) keinen sicheren Listenplatz und diesmal scheitert auch der Vorzugsstimmenwahlkampf.

Meine Meinung:

Ein sehr interessantes Buch, das Einblick in die Mechanismen der Macht gibt. Vielleicht ein bisschen eine Abrechnung mit den Genossen? Denn, wie sagt man in Österreich so treffend? „Freund – Feind – Parteifreund“. Mit mehr als 60 Jahren ist er, wie einst Curd Jürgens sang „kein bisschen weise“ und hält sich an Udo Jürgens „.. mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“. Josef Cap ist 1952 geboren – da passt dieser Song perfekt.
Hier im Rückblick geht er mit seinen liebsten Feinden Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Ex-Finanzminister Karl Heinz Grasser überraschend milde ins Gericht. Doch ein wenig gütig geworden auf „seine alten Tag“?

Fazit:

Eine pointierte Rückschau auf knapp 50 Jahre österreichische Innenpolitik – präzise und bestens analysiert. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 28.06.2018

Warum in die Ferne schweifen, der Chiemsee ist nah

Chiemsee und Chiemgau gehmütlich
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Der Salzburger Verlag Anton Pustet überrascht seine Fans mit einem tollen Reiseführer mit vielen Bildern.

Der Chiemsee und seine Umgebung sind beliebte Urlaubsdestinationen. Ob für Wassersportler, Wanderer ...

Der Salzburger Verlag Anton Pustet überrascht seine Fans mit einem tollen Reiseführer mit vielen Bildern.

Der Chiemsee und seine Umgebung sind beliebte Urlaubsdestinationen. Ob für Wassersportler, Wanderer oder Kunstbeflissene, unter den 33 Ausflugszielen findet sich für jeden etwas.

Der Urlaubsgast kann wählen, ob er die ausgewählte Route per Pedes oder per Fahrrad zurücklegen will. Um einem die Auswahl leichter zu machen, bekommt man eine präzise Kurzbeschreibung, die sogar angibt, ob und mit welcher Steigung zu rechnen ist.

Zum entspannten Ferienerlebnis zählen natürlich auch kulinarische Genüsse, die zum Verweilen einladen.
Landschaftliche wie kulturelle Sehenswürdigkeiten werden liebevoll beschrieben und machen den Aufenthalt am „Bayerischen Meer“ so richtig interessant.
Viele der Wanderwege sind für Familien mit Kinder und Kinderwagen geeignet. Dort, wo auch der beste Freund des Menschen auch willkommen ist, ist dies selbstverständlich vermerkt.

Alles in allem ein gelungener Ausflugs- und Reiseführer, der noch mit Geschichten und Anekdoten über regionale Berühmtheiten aufwarten kann.


Fazit:

Ein gelungener Reiseführer, der den interessierten Leser auch in der näheren Umgebung schöne Plätze finden lässt. Da muss man nicht in die Ferne schweifen.

Veröffentlicht am 28.06.2018

Wie aus Karl Marx ein Kommunist wurde

Karl Marx in Paris
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Autor Jan Gerber widmet sich in diesem Buch Karl Marx, genauer gesagt, den 1843-1845, die Marx mit seiner Frau Jenny in Paris verbracht hat und die lt. Marx-Biograf Isaiah Berlin prägend für sein weiteres ...

Autor Jan Gerber widmet sich in diesem Buch Karl Marx, genauer gesagt, den 1843-1845, die Marx mit seiner Frau Jenny in Paris verbracht hat und die lt. Marx-Biograf Isaiah Berlin prägend für sein weiteres Schaffen waren.

Ausgehend von den Jahren in Paris, beschäftigt sich Jan Gerber sowohl ausgiebig mit der Vergangenheit als auch mit der Gegenwart. Er zeichnet ein interessantes historisches Bild von Preußen im Biedermeier. Die Angst vor sozialen Unruhen lässt die Zensur und Polizei hart durchgreifen. Daher gehen engagierte Leute wie Marx ins Ausland, weil sie hoffen, vor allem in Paris Gleichgesinnte (Deutsche) zu finden. Doch leider sind die Exilanten mit sich selbst und dem Verdienen ihres Lebensunterhaltes beschäftigt. Wir begegnen interessanten Persönlichkeiten, wie Heinrich Heine oder Friedrich Engels mit dem Marx in engem Briefkontakt steht. Man philosophiert über die Anhänger Hegels.

Jan Gerber versucht zu analysieren, wie aus Marx, der ursprünglich kein Kommunist war, ein solcher wurde.

Der Aufbau des Buches ist gut gelungen. Mitunter wird einiges Fachwissen vorausgesetzt und die Schachtelsätze erfordern einiges an Zeit und Konzentration. Der Autor ist promovierter Politikwissenschaftler und habilitierter Historiker. Er lehrt an der Universität Leipzig.

Ich habe einiges Neues erfahren und werde zum besseren Verständnis die Marx-Biografie von Isaiah Berlin lesen, denn ganz hat mich das Buch nicht überzeugen können. 3 Sterne