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Venatrix

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Veröffentlicht am 01.05.2018

Nichts ist, wie es scheint

Kaltenbruch
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Das fiktive Dorf „Kaltenbruch“ im Jahre 1954 ist Schauplatz eines Mordes. Kommissar Hoffmann, wegen eines dummen Scherzes zur braunen Vergangenheit seines Vorgesetzten strafversetzt, muss diesen Fall aufklären. ...

Das fiktive Dorf „Kaltenbruch“ im Jahre 1954 ist Schauplatz eines Mordes. Kommissar Hoffmann, wegen eines dummen Scherzes zur braunen Vergangenheit seines Vorgesetzten strafversetzt, muss diesen Fall aufklären. Was zunächst als klare Fall aussieht, immerhin findet, der als Säufer und Raufbold bekannte Gruber, die Leiche von Heinrich Leitner. Die Lage spitzt sich zu, als der mutmaßliche Täter selbst ermordet wird.
Von den Einheimischen ist wenig Brauchbares zu erfahren, haben sie doch nach wie vor mit den Nachwirkungen des verlorenen Krieges zu kämpfen. Die einen, weil ihnen Flüchtlinge aus dem Osten in Haus und Hof gesetzt werden, die anderen, weil ihnen die traumatischen Erlebnisse während des Krieges und der anschießenden Flucht noch schlaflose Nächte bereiten.

Hoffmann will den Fall so rasch wie möglich abschließen, doch nach dem Tod von Gruber beginnen die Ermittlungen von vorne. Ist Gruber vom selben Täter getötet worden? Was könnte das Motiv sein?

Je weiter er in die Geheimnisse der einzelnen Familien eindringt, desto klarer wird: Nichts ist, wie es scheint.

Meine Meinung:

Michaela Küpper gelingt es sehr gut, die misstrauische Haltung der Dorfbewohner einzufangen. Jede oder jeder scheint etwas zu verbergen. Sei es der Fabrikbesitzer Schlüter, der schon während des Krieges der größte Arbeitgeber der Umgebung war, oder sei es die Familie Leitner, deren jüngerer Sohn Heinrich das erste Opfer ist.
Auch die verschiedenen gestrandeten Personen wie Gertrude Starck und ihre Tochter Dana oder die ostpreußische Familie Kaminski haben ihre Last zu tragen. Und nicht zu vergessen Marlene, der das Schicksal nicht nur den Tod der Mutter aufbürdet, sondern auch das Geheimnis um ihren Vater.

Alle diese unterschiedlichen Schicksals- und Handlungsstränge verknüpft die Autorin geschickt mit den beiden Morden. Die fiktive Handlung ist genial in die reale Nachkriegswelt eingebettet. Elegant sind auch die Perspektivenwechsel aneinandergereiht, durch die Kapitelüberschriften weiß der Leser immer gleich, um wessen Geschichte es sich gerade handelt. Wir lernen im Laufe der Zeit die unterschiedlichen Lebensläufe der Menschen kennen und können ihre aktuellen Handlungen, wenn schon nicht verstehen und gutheißen, jedoch nachvollziehen.

Die teils grausamen Erlebnisse während des Krieges bzw. während der Flucht werden nicht voyeuristisch ausgeschlachtet, sondern durchaus knapp berichtet. Sprachlich ist das Buch gut gelungen. Der Leser ist mitten drin im Geschehen. Die Figuren sind authentisch gezeichnet. Auch durch die Schilderung der technischen Geräte, wie des Diktiergerätes und der Autos, kann man sich relativ leicht in das Jahr 1954 hineindenken.

Fazit:

Ein ansprechender Roman aus der Nachkriegszeit, der deutlich macht, dass mit dem Kriegsende 1945, das Elend und die Traumata noch lange nicht beseitigt gewesen sind. Gerne gebe ich eine Leseempfehlung und fünf Sterne.

Veröffentlicht am 01.05.2018

Ein Hype, oder doch nicht?

Denke nach und werde reich
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Die Münchner Verlagsgruppe (m-vg) hat in ihrem Finanzbuch-Verlag das 1937 erschienene von Napoleon Hill geschriebene Buch ungekürzt neu aufgelegt.
Napoleon Hill ist ein Garant für hohe Auflagen und Einnahmen. ...

Die Münchner Verlagsgruppe (m-vg) hat in ihrem Finanzbuch-Verlag das 1937 erschienene von Napoleon Hill geschriebene Buch ungekürzt neu aufgelegt.
Napoleon Hill ist ein Garant für hohe Auflagen und Einnahmen. Von diesem Buch wurden an die 70 Millionen Exemplare verkauft. Da muss es doch gut sein, oder?

Napoleon Hill beschreibt die 13 Erfolgsgesetze, die zu Erfolg und Reichtum führen. Die sind:
• Verlangen (Desire)
• Vertrauen bzw. Glaube (Faith)
• Autosuggestion (Auto-Suggestion)
• Fachkenntnisse (Specialized Knowledge)
• Vorstellungskraft bzw. Phantasie (Imagination)
• Organisierte Planung (Organized Planning)
• Entschluss (Decision)
• Ausdauer bzw. Durchhaltevermögen (Persistence)
• Brain-Trust (Power of the Master Mind)
• Die Umwandlung der Sexualkraft (The Mystery of Sex Transmutation)
• Das Unterbewusstsein (The Sub-Conscious Mind)
• Der Geist (The Brain)
• Der sechste Sinn (The Sixth Sense)

Ebenso wichtig findet er es, die „Die sechs Gespenster der Angst (How to Outwit the Six Ghosts of Fear)“ zu kennen und zu bekämpfen.

Meine Meinung:

Wer dieses Buch liest, muss immer den damaligen Zeitgeist im Hinterkopf behalten, sonst ist dieser Ratgeber häufig mit Kopfschütteln zu betrachten.
Einiges lässt sich auch heute noch anwenden: offen sein für neue Ideen, die eigenen Schwächen und Stärken kennen und entsprechend einsetzen. „Organisierte Planung“ und „Durchhaltevermögen“ halte ich für sehr wichtig.
Anderes, wie das Kapitel über die „Sexuelle Transmutation“ verursacht bei mir Magengrummeln.
„Männer, die besondere Leistungen vollbringen, verfügen über ausgeprägte sexuelle Energie und haben die Transmutation gemeistert.“ (S. 227)
Was das bedeutet, lesen wir täglich in der Zeitung, nicht erst seit #metoo.
Anhand von Bespielen aus den 1930er und 1940er Jahren erklärt er, wie die rund 500 von ihm interviewten Millionäre zu ihrem Reichtum gekommen sind.

Hm, und was ist mit den vielen Millionen Amerikanern, die es nur zu mäßigen oder gar keinem Wohlstand gebracht haben?

Über einige seiner Statements habe ich schmunzeln müssen. So findet er es klasse, dass eine Mutter ihrem Sohn das Bewerbungsschreib verfasst und der dadurch einen tollen Job erhält. (S. 108) Das klingt für mich ein bisserl naiv. Spätestens beim zweiten Satz wird der Stellensuchende vom Personaler entlarvt, dass er die Bewerbung nicht selbst geschrieben hat.

Auf Seite 170 werden die Kosten für eine beheizte Wohnung in New York City mit 65 Dollar im Monat angegeben. Das hätte der Verlag auf die Gegenwart umrechnen sollen. Ich verstehe schon, dass das Werk so originalgetreu wie möglich veröffentlicht werden sollte. Doch Kaufkraftbereinigt wäre es einen Tick professioneller. Man hätte ja Fußnoten einsetzen können.

Im Kapitel „Frauen kaschieren die Verzweiflung“ (S. 288) zeigt der Autor, dass er wenig Ahnung von Frauen hat. Er schreibt:
„Frauen reagieren in einer so prekären Situation anders. Vielen ist nicht ganz klar, dass auch eine Frau ganz unten landen kann. In den langen Schlangen vor den Suppenküchen sieht man Frauen selten, und sie betteln auch nicht auf den Straßen. … Damit meine ich natürlich nicht die zerlumpten alten Weiber in den Straßen der Großstädte, die das weibliche Gegenstück zum sprichwörtlichen Penner sind. Ich spreche von einigermaßen jungen, anständigen, intelligenten Frauen. Auch von ihnen muss es viele geben, doch ihre Verzweiflung ist nicht so offensichtlich. Vielleicht begehen sie häufiger Selbstmord.“

Dieser Absatz sagt viel über den Autor und die Zeit in der er lebte, aus.

Überhaupt nehmen Frauen kaum Raum in seinem Buch ein. Unter den rund 50 hier im Buch namentlich genannten Multimillionären, ist kein einziger Frauenname.

Den Buchtitel „Denke nach und werde reich“ hat Napoleon Hill für sich selbst beherzigt. Er hat nachgedacht, dieses Buch geschrieben und durch die „13 Gesetze“ hat er die Sehnsucht nach schnellem Reichtum in den Menschen geweckt. Garantie für späteren Reichtum, ist das Buch nicht. Dem Autor, seinem Verlag und seinen Erben hat es wohl Reichtum gebracht.

Fazit:

Ich habe das Buch vor rund 30 Jahren schon einmal gelesen und im jugendlichen Leichtsinn, keinen der Ratschläge befolgt. Daher bin ich keine Millionärin geworden. Das macht aber gar nichts, denn nicht immer ist monetärer Reichtum erstrebenswert. Leider kann ich dem Buch nur 3 Sterne geben.

Veröffentlicht am 01.05.2018

Eine Hommage an die Liebe

Wofür es lohnte, das Leben zu wagen
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Als im Morgengrauen des 22. Juni 1941 mehr als drei Millionen deutsche Soldaten unter dem Codenamen „Unternehmen Barbarossa“ ohne Kriegserklärung in der Sowjetunion einfallen, ist der Augenarzt Dr. Helmut ...

Als im Morgengrauen des 22. Juni 1941 mehr als drei Millionen deutsche Soldaten unter dem Codenamen „Unternehmen Barbarossa“ ohne Kriegserklärung in der Sowjetunion einfallen, ist der Augenarzt Dr. Helmut Machemer darunter. Was ihn so besonders macht?

Er bräuchte aus Grund seines Alters und eines Standes (noch) gar nicht dabei sein. Helmut Machemer hat sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, obwohl er dem Regime sehr reserviert gegenübersteht. Seine Frau Erna und die gemeinsamen Söhne gelten aufgrund der Nürnberger Gesetze als jüdische Mischlinge, da Erna, ohne dies jahrelang zu wissen, jüdischer Herkunft ist.
Machemer hat herausgefunden, dass ein arischer Reichsbürger auf den (durchaus seltenen) Gnadenakt von Adolf Hitler, eine jüdische Herkunft zu „arisieren“, hoffen darf, wenn entsprechende Gegenleistung vorhanden ist. In Machemers Fall wäre dies besondere Tapferkeit vor dem Feind und das „Eiserne Kreuz Erster Klasse (EK I)“.

Aus Liebe zu seiner Familie befindet er sich nun in der Aufklärungsabteilung der 16. Panzer-Division, fest entschlossen die entsprechenden Auszeichnungen zu erringen, um so seine Familie zu retten.


Meine Meinung:

Aus den zahlreichen Briefen, die in der Familie Machemer aufbewahrt worden sind, hat Hans Machemer, eine der drei Söhne, mit Unterstützung von Historiker Christian Hardinghaus ein beeindruckendes Dokument des deutschen Vorstoßes durch die Ukraine geschaffen.

Nach einer erklärenden Einleitung der beiden Autoren können die Leser gleich in das Leben von Dr. Helmut Machemer eintauchen. Die Briefe sind chronologisch geordnet und zu einigen sind Fotos erhalten, die das Leben im Feld dokumentieren.

Helmut Machemer schreibt in schnörkellosen, oft langen Sätzen (für die ihn seine Frau Erna, manchmal rügt) über den Alltag an der Front. Es sind Berichte über das Leben und Sterben in Russland. Machemer hat auch mit seinen Vorgesetzten ein wenig Glück. Sie wissen um seine Familiengeschichte und warum er als Arzt direkt an der Front und nicht dahinter in der Etappe arbeitet.

Hin und wieder kommt der Stolz, ein Deutscher zu sein, durch, wenn er die Logistik und/oder die Waffen lobt. Denn es ist schon eine logistische Herausforderung tausende Fahrzeuge über teils unbefestigte Wege zu bewegen. Immer wieder treffen sie auf russische Truppen, werden beschossen oder finden kaum Unterschlupf, da die Russen sie immer weiter in das Land hineinlocken, dabei aber die Taktik „der verbrannten Erde“ anwenden, d.h. Helmut und seine Truppen treffen nur auf zerstörte Dörfer.
Eine Zeit lang kommen sie recht gut vorwärts, doch als der Winter 1941 früh einsetzt und die Temperaturen auf minus 30 Grad fallen, fragt er sich, wo denn der Nachschub an Material oder die Winterkleidung bleibt. Hier spürt der geneigte und in diesem schrecklichen Kapitel der Geschichte bewanderte Leser, dass sich zwischen den Zeilen der eine oder andere berechtigte Zweifel am Vormarsch der deutschen Truppen in die Sowjetunion breitmacht.

Da er Angst haben muss, dass die Briefe abgefangen und gelesen werden, nennt er die Einsatzorte und Personen nicht mit vollem Namen. Außerdem ist er in seiner Ausdrucksweise sehr, sehr sachlich.
Im Gegensatz zu den Propagandafilmtrupps, die Kriegsszenen für die Wochenschau nachstellen, fotografiert und filmt Helmut auch zerstörtes deutsches Kriegsgerät bzw. tote und verwundete deutsche Soldaten. Oftmals sind die Fotos der Grabstellen die letzten Erinnerungen an einen geliebten Menschen fernab der Heimat. Brisantes Material, vor allem für seine Brüder, gibt er besonders vertrauenswürdigen Kameraden mit. Denn, sollten diese ungeschönten Aufnahmen des schrecklichen Krieges in falsche Hände geraten, wäre es sowohl um Helmut als auch um seine Familie geschehen.

Großes Augenmerk schenkt Helmut Machemer den vielen Päckchen und Briefen, die aus der Heimat an die Front kommen. Das ist schon erstaunlich, wie lange das Feldpostwesen noch funktioniert hat.

Durch seinen unermüdlichen Einsatz bekommt Helmut Machemer alle Auszeichnungen, die ihm als Unteroffizier zugänglich sind.
Am 15. Mai 1942, wenige Tage nach seinem 40. Geburtstag, erhält Helmut Machemer endlich das EK I.

Am 18. Mai 1942 wird er durch einen Granatsplitter am Kopf tödlich getroffen.

Am 17. März 1943 hat Adolf Hitler persönlich entschieden, dass Erna Machemer und ihre Kinder als „deutschblütig“ gelten. So ist Helmut Machemers sinnloser Tod nicht gänzlich umsonst gewesen.

Eine sehr eindrucksvolle Ergänzung ist auch die Begleit-DVD, in der Historiker Christian Hardinghaus einige der ausgesuchten Filmaufnahmen Helmut Machemers zeigt und kommentiert. Im Gegensatz zu den gestochen scharfen und teils farbigen Wochenschauaufnahmen des Goebbel‘schen Propagandaministeriums, sind Helmut Machemers Aufnahmen schwarz/weiß und grobkörnig. Sie scheinen nicht nachbearbeitet zu sein.

Fazit:

Ein bewegendes Dokument, das eindrucksvoll zeigt, wofür es wirklich lohnte, sein Leben zu wagen. Nicht um den Größenwahn eines Einzelnen zu unterstützen, sondern um die eigene Familie zu retten.
Ich gebe dieser Dokumentation 5 Sterne und eine ausdrückliche Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 01.05.2018

Hat mich nicht vollends überzeugt

Die Reise des Zeichners
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Autor Christian Schärf nimmt uns mit in das Jahr 1777, in dem Goethe seine erste Reise in den Harz unternimmt. Sein ehrgeiziges Ziel: Erstbesteigung des Brockens im Winter.
Schärf zeigt in seinem historischen ...

Autor Christian Schärf nimmt uns mit in das Jahr 1777, in dem Goethe seine erste Reise in den Harz unternimmt. Sein ehrgeiziges Ziel: Erstbesteigung des Brockens im Winter.
Schärf zeigt in seinem historischen Roman einen grübelnden und unzufriedenen Goethe. Ständig denkt er an seine kürzlich verstorbene Schwester Cornelia, mit der er eine innige, schon fast inzestuöse Beziehung hatte.

Auf seiner Reise in den Harz gibt er sich als Zeichner aus. Warum, erschließt sich mir nicht ganz. Außerdem verplappert er sich ein paar Mal, so dass es mich wundert, dass sein Inkognito nicht doch gelüftet wird. Da läge Spannung darin, die nicht genutzt wird.

Die Reise selbst wird wenige aufregend geschildert, obwohl böse Überraschungen stets vorhanden sind. Die Szene, in der er dem Scherenschleifer begegnet, der ihn in eine verlassene Einsiedelei begleitet, nur um ihn dort auszurauben, erscheint mir als Räuberpistole und hanebüchen. Die Rettung durch einen wild um sich schießenden Pater, ein wenig an den Haaren herbeigezogen.

Interessant finde ich die Reaktionen der Menschen auf seinen „Werther“, die von Begeisterung bis hin zur Ablehnung reicht.
Dass er vom Vergleich mit Klopstock genervt ist, kann ich verstehen.

Die Beziehung zu Jakob Lenz, der im „Sturm und Drang“ genauso zu seinen Freunden zählte wie Cornelias Mann Johann Georg Schlosser, wird hier nur gestreift. Seinem Schwager gibt er die Schuld am Tod seiner Schwester. Das passt mir so gar nicht zu einen wissenschaftlich und rational denkenden Goethe.

Der Schreibstil ist an einigen Stellen ein wenig langatmig. Die Sprache selbst ist dem Zeitalter angepasst. In einigen Abschnitten läge durchaus Spannung in der Luft. Diese zu einzusetzen, verstreicht ungenutzt. Schade!

Fazit:

Leider konnte mich dieser historische Roman, der einige biografische Elemente aus Goethes Leben enthält, nicht wirklich fesseln, daher nur 3 Sterne.

Veröffentlicht am 26.04.2018

Es war einmal in Königsberg

Letzte Fahrt nach Königsberg
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Ulrich Trebbin entführt uns in seinem Debütroman nach Königsberg.
In mehreren Zeitebenen verfolgen wir die Geschichte der Ella Aschmoneit. Sie wächst als Tochter eines gut situierten Weinhändlers und ihrer ...

Ulrich Trebbin entführt uns in seinem Debütroman nach Königsberg.
In mehreren Zeitebenen verfolgen wir die Geschichte der Ella Aschmoneit. Sie wächst als Tochter eines gut situierten Weinhändlers und ihrer abergläubischen Mutter Alice auf. Bis zum plötzlichen Tod des Vaters fehlt es Ella und ihren Geschwistern an nichts. Doch dann ist es plötzlich mit Beschaulichkeit und dem Wohlstand vorbei. Spekulanten nehmen der unbedarften Witwe die gut gehende Weinhandlung ab. Die Familie zieht in ein kleines Haus um, die Mädchen müssen die Schule und die Universität verlassen. Alice verfällt in depressive Trauer und misst dem aufkeimenden Nationalsozialismus keine Bedeutung bei.

Während die beiden älteren Schwestern bereits verheiratet sind und der einzige Sohn Hans beim Militär eine Fliegerausbildung macht, bleibt Ella sich ein wenig selbst überlassen. Geschickt umgeht sie Vorhaltungen der nach wie vor trauernden Mutter und übersiedelt zu ihrer Schwester nach Potsdam.
Man ist schon mitten im Krieg als sich zwischen Victor Jacoby und Ella so etwas wie eine Romanze entspinnt. Heiraten wird Ella allerdings den etwas älteren Hinrich, einen angehenden Historiker.
Um ihre eigene Familie, Ella und Hinrich haben inzwischen zwei Kinder, und die ihrer Schwester mit Nahrungsmitteln zu versorgen, entschließt sich Ella eine letzte Fahrt nach Königsberg zu machen. Denn, in ihrem alten Haus sind wahre Schätze versteckt: Eingerexte Köstlichkeiten, Mahlzeiten von denen die Menschen nur noch träumen können.

Meine Meinung:

Die Grundidee zu diesem Roman enthält einen wahren Kern und ist Teil der Familiengeschichte des Autors. Geschickt vermengt Ulrich Trebbin Wahrheit und Fiktion. Durch den häufigen Perspektivenwechsel, der auch mit mehreren Zeitebenen einhergeht, kann man sich diese bewegende und teilweise entbehrungsreiche Zeit sehr gut vorstellen.

Wir erhalten Einblick in den Alltag der Frauen, die ihre Kinder ohne Väter aufziehen müssen, die teilweise in Ruinen hausen und um jedes Lebensmittel anstehen müssen. Es sind immer die Frauen und Kinder, die unter Kriegshandlungen am meisten zu leiden haben.
Einfühlsam wird die Jugend gezeigt, die außer den Führer-Kult, Durchhalteparolen und die Vereinnahmung durch BDM und HJ nichts kennt. Viele Kinder sind indoktriniert und haben lieber einen toten Vater, der für den Führer gefallen ist, als einen lebenden, der mit dem Leben davongekommen ist, weil er rechtzeitig den Kopf eingezogen hat.

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen. Kriegsszenen und Gräueltaten werden mit Augenmaß und nicht sensationslüstern beschrieben.

Die Charaktere wirken authentisch und haben Ecken und Kanten. Da vor allem Ella, die zwar mit beiden Beinen im Leben steht, aber auch manchmal ein wenig naiv zur Sache geht. Allerdings muss man ihr zugutehalten, dass sie natürlich auch auf die Propaganda der Regierung hereingefallen ist. Ella hat ihre lebensuntüchtige Mutter vor Augen und will eben anders sein. Dafür geht sie, z. B. mit der Fahrt nach Königsberg ein enormes Risiko ein. Dass es Alice letztendlich auch gelingt aus Königsberg vor der Ankunft der Roten Armee zu verlassen, grenzt schon an ein Wunder.

Gut gefällt mir, dass die Leser völlig unaufgeregt und unterschwellig historische Tatsachen und Details erfahren, ohne dass hier ein „oberlehrerhafter“ Ton herrscht.

Die Beschreibung der Städte, der alltäglichen Probleme und die sehr facettenreiche und immer wieder überraschende Ella machen den Charme dieses Buches aus.

Fazit:

Ein Autor, den man sich merken wird müssen, denn ich hoffe, in Zukunft wieder von Ulrich Trebbin lesen zu dürfen. Gerne gebe ich diesem Debüt 5 Sterne.