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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.04.2023

Künstliche Intelligenz anno 1907

Seine Exzellenz der Android
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„Der Wahn ist das Wesentliche des menschlichen Daseins.“

Wer heutzutage das Wort „Android“ hört, denkt sofort an das Betriebssystem der meisten Mobiltelefone. Das ist hier in diesem Buch nicht gemeint, ...

„Der Wahn ist das Wesentliche des menschlichen Daseins.“

Wer heutzutage das Wort „Android“ hört, denkt sofort an das Betriebssystem der meisten Mobiltelefone. Das ist hier in diesem Buch nicht gemeint, sondern von Menschen konstruierte Roboter, die ein Eigenleben entwickeln. Androide bevölkern die Landschaft der SF-Literatur. sich.

Der geniale Physiker Frithjof Andersen konstruiert diesen vollkommenen Maschinenmenschen, stattet ihn mit allen menschlichen Attributen aus und führt sein Geschöpf in die Gesellschaft ein. Die (Vor)Täuschung gelingt. Zu Beginn seiner „Karriere“ folgt der Android auch noch brav seinem Schöpfer und lernt. Doch dann emanzipiert er sich tanzt den Menschen auf der Nase herum. Die angelernten Phrasen verquicken sich zu scheinbaren Bonmots und der Automat wird hofiert. Er schwingt sich zum Großindustriellen auf, wird zum Minister ernannt. Dann triggern ihn einzelne Worte wie „Krieg“ an, zu denen er Hetzreden von sich gibt und das Volk in eine Kriegsbegeisterung stürzt, die ihresgleichen sucht.

Ähnlich wie in Goethes Zauberlehrling kann auch Andersen sein Geschöpf nicht im Zaum halten.

„Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.“

Doch während bei Goethe ein Zauberspruch dem Treiben Einhalt gebieten kann, bleibt Frithjof Andersen nur, sein Werk wieder zu zerstören.

„Das Los eines Volkes abhängig von einer einzigen verdorbenen Puppe!“

Meine Meinung:

Dieser im Jahr 1907 vom jüdischen Wissenschaftsjournalisten Leo Silberstein-Gilbert (1861-1932) verfasste Roman gilt als Vorläufer der Science-Fiction-Romane.

Die Idee, ein Ebenbild des Menschen zu erschaffen, das nach dem Willen seines Schöpfers handelt, ist nicht wirklich neu. Diverse Homunculi oder Golems geistern durch die Literatur.

Anders, als der jüdische Golem, der als aus Lehm geschaffener künstlicher Nicht-Jude Arbeiten für die Juden verrichten soll und über keinen eigenen Willen, dafür aber über Bärenkräfte verfügen soll, ist Gilberts Android weniger ein Maschinenmensch à la Terminator, sondern ein humorvolles, sehr menschliches Geschöpf. Er lernt durch Nachahmen und ähnelt der Künstlichen Intelligenz (KI), die heute eingesetzt und manchmal auch schon gefürchtet ist.

„Für diesen Wahnsinn der Menschheit müssen sie, die Schöpfer der Werke, die Zwangsjacke bekommen.“ (S.277)

Dieser Roman weist in gerade zu prophetischer Weise auf das Ende der großem Monarchie (Österreich-Ungarn, das deutsche Kaiserreich und das Zarenreich) hin.

Der Schreibstil ist dem Fin de Siècle entsprechend und enthält zahlreich Worte, Redewendungen sowie Anspielungen auf die Donaumonarchie. Ich mag das, wenn Austriazisem wie „spintisieren“ verwendet werden.

Dass sein Roman wird 1933 aus allen deutschen Bibliotheken verb(r)annt wird, muss Leo Silberstein-Gilbert nicht mehr erleben.

Es ist Nathaniel Riemer zu verdanken, dass dieses Meisterwerk der Fantasie aus dem Fin de Siècle eine Neuauflage im Verlag W erfährt. Damit wird dieser erste SF-Roman vor dem Vergessen bewahrt.

Fazit:

Diesem prophetischen Meisterwerk gebe ich sehr gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 15.04.2023

Ein wichtiges Buch

Willkommen in Auschwitz
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Dieses Buch, das in der „Edition W“ des Westend-Verlages erschienen ist, setzt dem polnischen Schriftsteller Tadeusz Borowski (1922 - 1951) ein Denkmal.

Der Autor überlebt als politischer Häftling 3 Konzentrationslager ...

Dieses Buch, das in der „Edition W“ des Westend-Verlages erschienen ist, setzt dem polnischen Schriftsteller Tadeusz Borowski (1922 - 1951) ein Denkmal.

Der Autor überlebt als politischer Häftling 3 Konzentrationslager der Nazis. Er endete in jungen Jahren mit Selbstmord: „Den Gaskammern der Nazis war er entkommen, aber für seinen Suizid wählte er trotzdem das Gas, das er in seiner Warschauer Wohnung aufgedreht hatte.“

Warum Borowski Suizid begangen hat, in ungeklärt. Ob die Gerüchte über eine Liebschaft oder die Anfeindungen durch Nachkriegspolitik in Polen hier eine Rolle spielten, lassen sich nicht mehr feststellen. 1946 verschreibt er sich ganz der kommunistischen Ideologie und tauscht damit ein Terrorregime gegen ein anderes. Das ist zudem auch deswegen verwunderlich, weil seine aus der Ukraine stammenden Eltern von Stalin in Straflager verschleppt worden sind.

Tatsache ist, dass sich Borowski vor allem mit seinen Erzählungen „Willkommen in Auschwitz“ und „Meine Damen und Herren, bitte zum Gas“ wenig Freunde gemacht hat. Er zeigt, dass sich auch unter den jüdischen Mitgefangenen in den Konzentrationslagern immer wieder willfährige Helfer des Terrorregimes gefunden haben, die, um ihr eigenes Überleben (zumindest für einige Zeit) zu retten, die Befehle ausgeführt haben. Dass diese Darstellung von Opfern als Mittätern, in Polen nicht überall gut angekommen ist, verwundert nicht weiter.

Hier in diesem Buch finden sich neben den schon erwähnten Essays noch folgende Geschichten aus dem KZ Auschwitz:

„Der Abschied von Maria“
„Ein Junge mit der Bibel“
„Leute, die liefen“
„Ein Tag in Harmense“

Herausgeber Arthur Becker erklärt im Vorwort wie er sich dem Autor Borowksi angenähert hat. Im Nachwort werden die häufigsten Begriffe des Lagerlebens, soweit sie nicht durch Fußnoten erläutert sind, beschrieben.

Das Buch ist nicht einfach zu lesen. Es bildet genau den Lageralltag eines, wie Borowski von sich selbst sagt, „Privilegierten“, also in seiner Definition „Mittäters“, ab.

Der Schreibstil ist manchmal ironisch und berührt durch seine klare Sprache. Die Grenzen zwischen gut und böse verschwimmen

Fazit:

Diesem Vermächtnis, das eines der wichtigsten Zeugnisse der Holocaustliteratur ist, gebe ich gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 13.04.2023

Epigenetik - ein fesselndes Thema

Emotionales Erbe
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So wie Haarfarbe, Körperbau, Begabungen und/oder Disposition für verschiedene Krankheiten vererbt werden, so können auch Erinnerungen an emotionale Traumata an die nächste oder übernächste Generation weitergegeben ...

So wie Haarfarbe, Körperbau, Begabungen und/oder Disposition für verschiedene Krankheiten vererbt werden, so können auch Erinnerungen an emotionale Traumata an die nächste oder übernächste Generation weitergegeben werden. Diese Erfahrungen unserer Vorfahren spielen in diesem Sachbuch eine große Rolle.

Galit Atlas ist eine israelisch-amerikanische Psychoanalytikerin und Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden. Sie schleppt, wie Hunderte andere, das emotionale Erbe ihrer ermordeten Verwandten mit sich herum. Sie weiß daher, worüber sie schreibt.

In zahlreichen Fallbeispielen erläutert sie, wie man ein solches Erbe, das sich auf unterschiedliche Weise manifestiert, erkennt und welche Maßnahmen möglich sein können, dieses ererbte Muster zu durchbrechen.

Meine Meinung:

Mit Epigenetik beschäftige ich mich schon länger. Daher war der Griff zu diesem interessanten Buch vorprogrammiert (epigenetisch indiziert?).

Das Buch von Galit Atlas beschreibt sehr anschaulich, wie intergenerationale Wahrnehmungsmuster die menschliche Existenz prägen und in ihrer Entwicklung hemmen können.

Dieses Buch ist aufschlussreich und erklärt anhand der Beispiele, wie unausgesprochene bzw. nicht aufgearbeitete Traumata von Großeltern und Eltern das Leben ihrer Enkel und Kinder nachhaltig beeinträchtigen können. Das gilt jetzt nicht nur für Nachkommen der Shoa und anderer Genozide. Die Traumata der Nachfahren von Überlebenden des NS-Terrors ist vermutlich am besten erforscht.

Wenn man sich die aktuelle Situation auf der Welt (Covid, Kriege etc,) ansieht, wird klar, dass der Epigenetik auch in Zukunft mehr Bedeutung einzuräumen ist und entsprechend ausgebildete Therapeuten notwendig sein werden.

Fazit:

Diesem inspirierenden Buch, das dazu anregt, eigene Verhaltensweisen daraufhin zu analysieren, ob sie nicht Neuinszenierungen ererbter Traumata sind, gebe ich gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 13.04.2023

Eine Hommage an die Honigbiene

Bienengedanken
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Die Autorinnen Dorothea Brückner und Bettina Thierig, die eine Bienenforscherin, die andere Künstlerin, „möchten mit dieser ungewöhnlichen Mischung aus Kunst und Wissenschaft Menschen erreichen und für ...

Die Autorinnen Dorothea Brückner und Bettina Thierig, die eine Bienenforscherin, die andere Künstlerin, „möchten mit dieser ungewöhnlichen Mischung aus Kunst und Wissenschaft Menschen erreichen und für Bienen und Natur begeistern“. Der dritte im Bunde ist der Fotograf Michael Haydn, der die Bienen ins rechte Licht rückt.

Das ist dem Trio sehr gut gelungen!

In neun Kapiteln stellt uns die Bienenforscherin Dorothea Brückner den Mikrokosmos der Bienenvölker vor:

anfangen
kommunizieren
wimmeln
sammeln
nutzen
forschen
leben
bauen
fliegen

Dazu gewähren uns passende Illustrationen, (Fach)Texte, Gedichte und faszinierende Fotos aus dem Rasterelektronenmikroskope bislang unbekannte Einblicke in das Leben der Bienen.

Manche Eigenschaften der Bienen wie das Kurz- und Langzeitgedächtnis sind mir genauso bekannt wie die außergewöhnliche Art die Temperatur im Bienenstock zu halten bzw. zu regulieren.

Gut gefallen hat mir der Ausflug in die Welt der Wildbienen Afrikas sowie die Honiggewinnung abseits von neuzeitlichen Imkern. Die Fachtexte habe ich mit großem Interesse gelesen, Gedichte sind nicht so meines. Dennoch passt Lyrik gut zu den Bienen.

Fazit:

Ein außergewöhnliches Buch, das als Geschenk für Imker sicherlich Anklang findet. Gerne gebe ich diesem Gesamtkunstwerk 5 Sterne.

Veröffentlicht am 13.04.2023

Fesselnd bis zur letzten Seite

Zornige Flut
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Auch in ihrem 7. Krimi rund um die Ermittlerin Liv Lammers, weiß Sabine Weiss ihre Leserschaft bis zur letzten Seite zu fesseln.

Schon der Beginn hat es in sich. Nur mit viel Glück können sich Liv Lammers ...

Auch in ihrem 7. Krimi rund um die Ermittlerin Liv Lammers, weiß Sabine Weiss ihre Leserschaft bis zur letzten Seite zu fesseln.

Schon der Beginn hat es in sich. Nur mit viel Glück können sich Liv Lammers und Tochter Sanna aus dem brennenden Kapitänshaus retten. Schnell ist klar, dass hier ein fieser Brandstifter am Werk war.

Während sie sich noch um die traurigen Überreste der Habseligkeiten kümmern muss, wird sie nach Sylt gerufen, weil im Aquarium der dortigen Fastenklinik ein skelettierter Schädel entdeckt wird. Gleichzeitig wird eine Galeristin vermisst.

Liv Lammers muss sich gleich mehreren Fragen stellen: Erstens, wer trachtet ihr nach dem Leben? Denn der Brandanschlag wird nicht der einzige Mordversuch bleiben. Zweitens, wo ist der Rest des unbekannten Skeletts? Ist es die verschwundene Frau?

Meine Meinung:

Sabine Weiss schafft es regelmäßig, die ihre Leser in den Bann zu ziehen. Seit dem ersten Fall („Schwarze Brandung“) ermittelt Liv Lammers in undurchsichtigen Mordfällen. Immer wieder mit dabei ist Livs Familie, die ihr so manche seelische Wunde geschlagen hat. Allen voran der despotische Vater, dem sie sich immer widersetzt hat. Deshalb ist sie de facto „persona non grata“ in der Familie. Mit dem Tod von Ocke scheint der Albtraum zu Ende zu sein, wenn, ja wenn da nicht das Testament wäre. Das wird uns in einem achten Band sicherlich die eine oder andere Überraschung bieten.

Der Schreibstil ist wie immer fesselnd. Geschickt wird der Leser auf falsche Spuren gelockt und in Sackgassen manövriert. Gut gefällt mir auch, dass die Insel Sylt und ihre Bewohner samt dem örtlichen Dialekt wieder eine Rolle spielen dürfen.

Ein interessantes Thema ist diesmal die Gesichtsweichteilrekonstruktion. Hinter dem recht sperrigen Begriff verbirgt sich die mühevolle Kleinarbeit einem skelettierten Schädel wieder ein menschliches Antlitz zu geben. Manche von uns kenne das aus den diversen Krimi-Serien wie „Bones“.

Das Cover passt sehr zu den Vorgängern, sodass sich hier ein hoher Wiedererkennungswert ergibt.

Fazit:

Ein Krimi, der bis zur letzten Seite fesselt und dem ich eine Leseempfehlung sowie 5 Sterne gebe.