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Veröffentlicht am 28.02.2021

Joseph Melzer (1907-1984) - eine Biografie

"Ich habe neun Leben gelebt"
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Wer eine Biografie verfasst, erklärt Joseph Melzer (1907-1984) im Prolog, sollte bei der Wahrheit bleiben. Andernfalls wäre es besser, einfach einen Roman zu schreiben.

Wer ist dieser Joseph Melzer, ...

Wer eine Biografie verfasst, erklärt Joseph Melzer (1907-1984) im Prolog, sollte bei der Wahrheit bleiben. Andernfalls wäre es besser, einfach einen Roman zu schreiben.

Wer ist dieser Joseph Melzer, der erst wenige Monate vor seinem Tod seine Biografie aufgeschrieben hat?

Geboren wird der leidenschaftliche Buchhändler und Verleger 1907 in Kuty, Galizien, das damals noch Bestandteil von Österreich-Ungarn ist und heute zur Ukraine zählt, in eine jüdische Familie.

In neun Kapiteln, die er Jahreszahlen zuordnet, erzählt er seine Lebensgeschichte.

1907-1918
1918-1933
1933-1936
1936-1939
1939-1941
1942-1945
1946-1948
1948-1958
1958-1984

Jedes Kapitel endet mit einem Bruch, mit einem Ortswechsel und dem eisernen Willen, wieder von vorne zu beginnen.

Sein Leben in einem Satz zusammengefasst: „Zwei Kaiserreiche zerfallen gesehen, zwei Weltkriege erlebt, die Nazis überlebt, ihretwegen unfreiwillig Zionist geworden, den Kommunismus überlebt und den Sozialisten geholfen“.

Obwohl in seinem Umfeld schon vor der NS-Diktatur viele nach Palästina auswandern wollen, sind die Zionisten nicht seine Freunde - zu radikal in dem Bemühen um einen eigenen Staat. Mit einem Freund diskutiert er Theodor Herzls Werk „Der Judenstaat“ und kommt zu folgendem Schluss „Die Zionisten sprechen uns die Existenzberechtigung in Deutschland ab. Da sind sie sich mit den Antisemiten einig.“ (S.82)

Auch, dass viele Juden, es bedauern, nicht der NSDAP beitreten zu dürfen, denn sie sind ja in erster Linie Deutsche, fasziniert und stößt ihn gleichermaßen ab.

Nach dem Ende des NS-Regimes ist es für Joseph Melzer keine Frage, wieder nach Deutschland zurückzukehren, auch wenn die Anfänge mehr als beschwerlich sind. Im Gegensatz zu seiner Ehefrau, deren gesamte Familie bis auf eine Schwester dem Nazi-Terror zum Opfer gefallen ist, hat Melzer keine Berührungsängste. Er teilt allerdings das Schicksal vieler Juden, die nicht glauben können, dass aus den Deutschen, dem Volk der Dichter und Denker, ein Volk der Richter und Henker werden konnte. Erst als er 1946 eine „Führung“ durch ein KZ erhält, kann er den Erzählungen anderer Juden, die ihm von den Massenvernichtungen erzählen, Glauben schenken.

Als Resümee über sein Leben schreibt Joseph Melzer: "Ich bin jetzt am Ende meines Lebens. Es war wie das Leben vieler anderer Juden meiner Generation. Ein gewöhnliches jüdisches Schicksal."

Das kann ich so nicht unterschreiben, denn sechs Millionen ermordete Juden sprechen eine andere Sprache.

Fazit:

Eine sehr detaillierte, manchmal auch humorvolle Biografie, eines Mannes der sowohl die Nazis als auch die Kommunisten überlebt hat. Gerne gebe ich für dieses Zeitdokument 5 Sterne.

Veröffentlicht am 28.02.2021

NIcht einfach zu lesen, aber wichtig

Condorcets Irrtum
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„Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf!“ Dieser häufig zitierte Ausspruch, dem man Johann Wolfgang von Goethe nachsagt, ist heute aktueller denn je. Die meisten von uns kennen nur die ...

„Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf!“ Dieser häufig zitierte Ausspruch, dem man Johann Wolfgang von Goethe nachsagt, ist heute aktueller denn je. Die meisten von uns kennen nur die Demokratie, auch wenn sie Schwächen hat. Es soll sich nur niemand wirklich eine Diktatur herbei wünschen. Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen, das steter Pflege bedarf.

Wer zur Hölle ist oder war Condorcet? Nur den wenigsten unter uns ist der Name Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet (1743-1794) bekannt. Condorcet war ein überzeugter Aufklärer, ein Liberaler, ein Erneuerer Er trat 1790, kurz nach der Verkündung der Menschen- und Bürgerrechte trat er vehement dafür ein, diese auch den Frauen zu gewähren. Denn „Liberté, Égalité et Fraternité“ galt nur für Männer. Seine Forderungen nach Abschaffung der Sklaverei und für den Freihandel klingen sehr modern.

Condorcets wird Mitglied der Nationalversammlung während der Französischen Revolution. 1794 frisst ihn die Revolution. Er wird verhaftet und stirbt wenig später unter ungeklärten Umständen. Immerhin bleibt ihm das Fallbeil erspart.

Der schwedische Autor und Mathematiker Per Molander liefert uns in 13 Kapiteln einen interessanten Abriss historischer Abläufe und philosophischer Betrachtungen sowie die Sichtweise von Religionsgemeinschaften in den jeweiligen Zeitabschnitten.

Worin bestand nun Condorcets Irrtum? Dass er ein unverbesserlicher Optimist war?
Condorcet hat die Beharrlichkeit der herrschenden Systeme sträflich unterschätzt. Klingt irgendwie bekannt, oder?
Er erkannte die Bedeutung einer allgemeinen Bildung als wesentlich für eine Demokratie. Wo stehen wir heute? In zahlreichen Ländern schicken Eltern ihre Kinder in teure Privatschulen, um der nach unten nivellierten Bildung zu entgehen. Es entwickeln sich Parallelgesellschaften, die kaum in den Griff zu bekommen sind.

Condorcet war seiner Zeit weit voraus. Manche seiner Ideen hallen bis heute nach. Doch wo sind heute Menschen vom Schlage Condorcets? Wo sind sie, die Vordenker?

Am Ende seines Buches sendet uns Per Molander einen Hoffnungsschimmer, wenn er sagt „Condorcets Traum können wir weitertragen, aber zugleich müssen wir die Warnung des Doktor Rieux aus dem Motto zu diesem Buch in Erinnerung behalten und beherzigen – dass der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet, sondern jederzeit seine Ratten aufwecken und zum Sterben in die Stadt schicken kann.“ (S. 270)

Fazit:

Ein wichtiges Buch, das nicht unbedingt einfach zu lesen ist. Gerne gebe ich hier 5 Sterne. Pflegen wir das zarte Pflänzchen Demokratie!

Veröffentlicht am 28.02.2021

Eine österr. Erfolgsgeschichte

Vom Tellerwäscher zum Visionär
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Wolfgang Maria Gran, den ich schon durch „Legenden des Skisports“ kennengelernt habe, beschreibt in seinem neuen Buch die Karriere des Josef „Sepp“ Dygruber, der die Giganten der Geschirrspültabs herausgefordert ...

Wolfgang Maria Gran, den ich schon durch „Legenden des Skisports“ kennengelernt habe, beschreibt in seinem neuen Buch die Karriere des Josef „Sepp“ Dygruber, der die Giganten der Geschirrspültabs herausgefordert hat.

Kaum jemand macht sich Gedanken über so alltägliche Dinge wie Tabs für den Geschirrspüler. Man verwendet sie, flucht über sie, wenn sie sich nicht gut auflösen und kauft sie meistens im Sonderangebot. Welche Innovation dahinter steckt, bzw. welche umweltfreundlichen Komponenten sie enthalten oder eben nicht, wird gerne vernachlässigt.

Der Autor zeigt den Weg des anfangs als „Öko-Revoluzzer“ verlachten Unternehmers auf. Auch Rückschläge und Misserfolge werden nicht verschwiegen.

Der in einem kleinen Salzburger Ort geborene Dygruber sollte nach den Plänen seines Großvaters, Bankdirektor mit einem dicken Auto werden. Man kann nur froh sein, dass daraus nichts geworden ist.

Der Schreibstil des Autors ist launig und so darf auch ein Blick auf Dygrubers Werbeikone Dagmar Koller nicht fehlen, die ihre Bekanntheit und das Blondchen-Schema gekonnt in Szene setzt.

Dass der Firmengründer nach wie vor geerdet ist und ein Gespür für die kleinen Leute hat, zeigt sein Engagement für den Nachwuchssport. Bevor aus Anna Fenninger die berühmte Anna Veith geworden ist, ist Dygruber als Sponsor eingesprungen.

Auch für die Zukunft hat Josef Dygruber noch einiges vor. Seine Vision ist eine „Öko-Fabrik“.

Fazit:

Diese Erfolgsgeschichte habe ich gerne gelesen und gebe 5 Sterne.

Veröffentlicht am 25.02.2021

Fesselnd bis zur letzten Seite

Inspektor Takeda und die stille Schuld
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In einer Vorzeige-Senioren-Residenz in Hamburg kommen bei einem Brand insgesamt neun Bewohner ums Leben. Noch bevor Claudia Harms und Ken Takeda alle Spuren gesichtet haben, brennt es erneut: Diesmal in ...

In einer Vorzeige-Senioren-Residenz in Hamburg kommen bei einem Brand insgesamt neun Bewohner ums Leben. Noch bevor Claudia Harms und Ken Takeda alle Spuren gesichtet haben, brennt es erneut: Diesmal in einer Villa, zwei Tote. Der dritte Brand bringt das sympathische Ermittlerteam, das momentan privat in einer Krise steckt, auf eine Spur. Das Gemeinsame in allen Fällen ist „Lisa“, ein kleiner Pflegeroboter, der dem Pflegepersonal die Arbeit erleichtern soll, aber dem einen oder anderen den Job kosten könnte.

Meine Meinung:

Ich mag die Krimis rund um Claudia Harms und Ken Takeda und freue mich immer auf das Erscheinen einer Fortsetzung.

Diesmal sind viel Fingerspitzengefühl und Akribie sowie ein bisschen Fantasie gefragt, um diesen komplexen Fall zu lösen.

Autor Henrik Siebold führt seine Leser gekonnt an der Nase herum. Nichts ist, wie es scheint. Zahlreiche Personen scheinen ein Motiv zu haben. Doch reicht die Wut auf den Pflegeroboter aus, um den Tod zahlreicher betagter Bewohner der Seniorenresidenz billigend in Kauf zu nehmen? Oder steckt da mehr dahinter?

Trotz ihrer privaten Zores ermitteln Claudia Harms und Ken Takeda souverän. Dass sie nebenbei ein bisschen als Sozialberater fungieren und einem möglichen Tatverdächtigen gute Ratschläge geben, sein aktuelles Leben zu überdenken, macht sie sympathisch.

Fazit:

Diesen Krimi habe ich gerne gelesen, da er mich wieder nach Hamburg, meine Lieblingsstadt in Deutschland, führt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 23.02.2021

Quo vadis, Ungarn?

Orbáns Ungarn
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"Am Beispiel Viktor Orbáns zeigt sich, wohin es führen kann, wenn nationalistische Rechtspopulisten einmal an der Macht sind."

Quo vadis Ungarn?

Der langjährige ORF Korrespondent, Paul Lendvai, ein angesehener ...

"Am Beispiel Viktor Orbáns zeigt sich, wohin es führen kann, wenn nationalistische Rechtspopulisten einmal an der Macht sind."

Quo vadis Ungarn?

Der langjährige ORF Korrespondent, Paul Lendvai, ein angesehener Osteuropa-Experte, hat den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und seine Politik ins Visier genommen.

Mit einer Vielzahl durch Quellenangaben gestützter Fakten gelingt ihm eine kurzweilige Charakterisierung Orbáns.

Lendvai schildert den Werdegang des aus einfachsten Verhältnissen stammenden Orbán nicht ohne Respekt. Ist der junge Orbán doch gegen den Sozialismus auf die Barrikaden gestiegen. Wie kann es allerdings sein, dass eine solche Kehrtwende durchgemacht hat? Was treibt ihn an?

Mit seinem gnadenlosen Streben nach Macht und Einfluss, einer militanten Kampfbereitschaft und strategischen Wendigkeit hat Orbán sich und seine Partei in die heutige Position bringen können. Er prangert die Korruption der ehemaligen sozialistischen Regierungen an und bedient sich gleichzeitig aus den Kassen des Staates. Er lässt Freunde an die Futtertröge der Macht und lässt sie, sobald sie nicht mehr nützlich erscheinen, einfach fallen bzw. lässt sie verfolgen. Er spielt mit den nationalistischen Gefühlen der Menschen, wie es ihm gerade passt. Orbàn ist Nutznießer des Zerfalls und der Uneinigkeit der anderen Parteien, die seinem Aufstieg nur hilflos zusehen (können). Seine Hauptinteressen sind Vermehrung von Macht und Geld sowie Fußball.
Aufkeimende Opposition erstickt er im Keim. Selbst die ihm bislang nützliche rechtsradikale Partei „Jobbik“ überholt er durch seine ausländerfeindliche Politik. Und hier ist noch gar nicht seine Flüchtlingspolitik gemeint, sondern „Strafsteuern und „Strafzölle“ für ausländische Unternehmen, die in Ungarn Geschäfte machen woll(t)en. Beginnend mit den Lebensmittelkonzernen wie REWE oder Spar und diversen Banken. Auf den Millionär George Sörös, der einige Universitäten sponsert, hat er eine regelrechte Hexenjagd entfacht.

Zahlreiche Weggefährten werden, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan haben, auf ein Abstellgleis gestellt. So wird János Lázár entmachtet und erhält den Posten eines „Staatssekretärs für Nichtraucherschutz“. Echt, so etwas gibt es in Ungarn.

Was will Orbán mit seiner doppelbödigen Politik bezwecken? Die Rückkehr zu einem totalitären Staat wie einst unter den Kommunisten? Wiedererrichtung des Horthy-Regimes?

Das vorliegende Buch ist die 2020 aktualisierte Ausgabe des 2016 erschienenen Buchs und eine exzellent recherchierte Analyse der ungarischen Politik seit 1989. Einiges hat sich inzwischen weiter zugespitzt und Viktor Orbàns Populismus hat leider zahlreiche Nachahmer gefunden. Die eifrigen Kopisten von Orbáns Politik in Österreich sind inzwischen Geschichte.

„Die Seele des (ungarischen) Volkes wird mit Hass und Furcht vergiftet.“ (Agnes Heller (1929-2019)).

Fazit:

Das vorliegende Buch ist die 2020 aktualisierte Ausgabe der 2016 erschienenen Biografie Viktor Orbáns und eine exzellent recherchierte Analyse der ungarischen Politik seit 1989. Hier gebe ich eine Leseempfehlung und 5 Sterne.