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Veröffentlicht am 14.08.2021

Interessante Themen, viel zu oberflächlich betrachtet

Ein erhabenes Königreich
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Ich habe sehr lange gebraucht, mich durch dieses Buch zu kämpfen, weil ich immer wieder versuchte, es zu mögen und es mir immer wieder misslang. Hier gibt es gleich mehrere Thematiken, die mich ansprechen: ...

Ich habe sehr lange gebraucht, mich durch dieses Buch zu kämpfen, weil ich immer wieder versuchte, es zu mögen und es mir immer wieder misslang. Hier gibt es gleich mehrere Thematiken, die mich ansprechen: Wie lebt es sich als schwarze Frau in den USA? Wie kommt jemand aus Ghana mit dem amerikanischen Leben zurecht - welche interkulturellen Erlebnisse/Gedanken stellen sich ein? Die Depression der Mutter und der naturwissenschaftliche Ansatz der Tochter - welche Einsichten ergeben sich daraus? Ich war also sehr gespannt auf dieses Buch.

Schon zu Beginn erfreute mich der Schreibstil. Er ist eingängig, der Umgang mit Sprache erfreulich, vom Stil her läßt es sich ausgezeichnet lesen. Es ist der Inhalt, der mir das Lesen zur schweren Aufgabe machte. Die Ich-Erzählerin Gifty berichtet distanziert und bleibt dadurch sehr blass, fast wie eine Nebengestalt ihrer eigenen Geschichte. Sie interessierte mich schlichtweg nicht und das beeinträchtigt bei einer Ich-Erzählerin auch das Interesse am Buch. Sie grübelt ausführlich über vieles nach, wie den Umgang mit ihrer Mutter, ihr eigenes Balancieren zwischen der traditionellen, extrem christlich geprägten Welt, aus der sie kommt, und dem naturwissenschaftlichen Ivy-League-Umfeld, in dem sie sich bewegt. Sie betrachtet die Depression ihrer Mutter fast klinisch, sucht aber auch Zuflucht im Altvertrauten, wie z.B. den ghanaischen Gerichten. Dieses Balancieren zwischen den Welten wäre ausgesprochen interessant, wenn es nicht so dahinschleppend erzählt würde. Yaa Gyasi berichtet mäandernd, detailreich und leider oft belanglos. Das Buch ist ein Sammelsurium aus Anekdoten, die Autorin springt zwischen den Zeiten umher, so daß sich ein Abend mit einem Kollegen nahtlos an eine Geschichte aus ihrer frühen Kindheit reiht. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber originell und könnte das Geschehen durchaus gelungen auflockern. Es ändert aber nichts daran, daß diese Anekdoten größtenteils uninteressant sind. Kleine Alltagsgeschehnisse werden durch viele Worte aufgebauscht; man liest und wartet auf den Moment, der verdeutlicht, warum uns dies erzählt wird, welches Licht es auf das Ganze wirft, und muß zu oft erkennen: es ist nicht viel dahinter. Die ganzen interessanten Themen werden nur oberflächlich angekratzt. Man merkt beim Lesen: hier wäre so viel Aufregendes zu entdecken, aber man erhascht nur einen raschen Blick durch einen Türspalt, bevor einem die Tür vor der Nase geschlossen wird.

Auch viele Wiederholungen und einander ähnliche Anekdoten tragen zur Trägheit des Buches bei. Alles stellt sich in austauschbaren Episoden ohne viel Tiefe dar. Es gibt so viele Abschnitte, bei denen meine Gedanken abschweiften, weil ich mich beim Lesen einfach nur langweilte. Es werden sehr viele Worte gemacht, aber es wird wenig gesagt. Andere Abschnitte machten mich ziemlich wütend: zu Giftys Beruf gehören Tierversuche mit Mäusen. Sie unterzieht diese Tiere unnötigen Operationen, pflanzt ihnen Apparate ins Gehirn, unterzieht sie Versuchsreihen, in denen sie sich verletzen, macht sie süchtig und setzt sie auf Entzug. Diese abscheulichen Dinge berichtet sie, als ob sie normal und akzeptabel wären. Normal sind sie in einer Welt, die sich anderer Lebewesen mit dem brutalen Recht des Stärkeren bedient, ja leider. Diese völlig unkritische Art, über diese abstoßenden Praktiken zu berichten, hat einen großen Teil dazu beigetragen, mir dieses Buch zu verleiden. Gifty, die sonst alles endlos zerdenkt, erlaubt sich zwischendurch einen kurzen Gedanken daran, daß sie hier Lebewesen mit Gefühlen und Schmerzempfinden quält, schiebt diesen Gedanken aber schnell zur Seite – das fällt ihr im Gegensatz zu allen anderen Gedanken dann auch sehr leicht. Sie beschreibt dann sogar noch, wie „sorgfältig“ sie auf die Tiere achtet, die sie quält, und wie „leid“ ihr eine Maus tut, die durch ihre Versuche bereits dauerhaft verletzt ist. Diese Heuchelei war abstoßend.

Über die Themen, die mich interessierten, habe ich erstaunlich wenig erfahren. Die Autorin hätte uns so viele wertvolle, aufschlußreiche Einblicke geben können, aber sie springt von einem Thema zum nächsten, ergeht sich in banalen Nebensächlichkeiten und Details. Wenn ich auf die zähe Lektüre zurückblicke und mich fragte: Was habe ich aus diesem Buch mitgenommen?, so ist die Antwort recht überschaubar.

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Veröffentlicht am 12.08.2021

Interessante Geschichte, die stilistisch aber nicht überzeugt

Flucht durch Schwaben
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Die Thematik des Buches hat mich sofort angesprochen, weil diese interessante Zeit bisher nur äußerst selten literarisch behandelt wurde und ich mich freute, mehr darüber zu lernen. Auch der auf reduzierte ...

Die Thematik des Buches hat mich sofort angesprochen, weil diese interessante Zeit bisher nur äußerst selten literarisch behandelt wurde und ich mich freute, mehr darüber zu lernen. Auch der auf reduzierte Weise gelungene Einband hat mich sofort angesprochen. Dieser ist ausnehmend schön gestaltet. Sehr schön fand ich auch, daß wir vorne im Buch zwei Übersichtskarten der Gegend finden, in der die Handlung stattfindet. Direkt dahinter ist ein ausführliches Glossar, das bereits viele nützliche und interessante Hintergrundinformationen bietet. Es hat mir gefallen, daß es vorne im Buch war. Was den erhofften Lerneffekt angeht, wurden meine Erwartungen absolut erfüllt. Der Autor ist Historiker und man merkt, wie viel Wissen und Recherche in die Geschichte eingeflossen sind. Gelungen ist es auch, daß er die damals gebräuchlichen Ortsnahmen verwendet. So wird der Bodensee Bodamansee genannt, das Allgäu Albgau, etc. Dank des Glossars und der Karte ist man auch bei einem nicht geläufigen damaligen Namen gleich gut informiert, um welchen Ort es sich handelt.

Stilistisch aber hat mich das Buch nicht überzeugt. Hier war mein Hauptkritikpunkt die viel zu modernen Dialoge. Niemand erwartet authentische Sprache des 9. Jahrhunderts oder verkrampft auf "alt" getrimmte gestelzte Dialoge. Aber hier benutzen die Charaktere häufig Ausdrücke, die erst etwa seit den 1970ern/80ern Eingang in den Sprachgebrauch fanden. "Euch ist schon klar", "möchte gerade einen Spruch loswerden", "Da hatten wir echt noch mal Glück" oder "Komm zum Punkt" - das sind Dialoge, die schon in einem 1926 spielenden Buch viel zu modern wären. In einem 926 spielenden Buch sind sie absolut fehl am Platz. So kann man nicht in die Atmosphäre jener Zeit eintauchen und es war beim Lesen höchst irritierend.

Auch sonst ist der Schreibstil eher einfach gehalten, es kommt selten Atmosphäre auf, die Sprache vermittelt die Informationen, erfreut aber - abgesehen von einigen Passagen - nicht. Hinzu kommen mehrere grammatikalisch unbeholfene oder falsche Sätze, wie z.B. "Anna dreht sich voller Freude um, wird dabei jedoch derart mahnend angeschaut, sodass sie ihre Stimme dämpft." Ein Fünfzehnjähriger fängt einige Seiten lang an, plötzlich überallhin zu "schreiten". Das würde passen, wenn der Fünfzehnjährige ein Prinz o.ä. wäre, hätte aber selbst dann durch die häufigen Wiederholungen dieses Verbs in einem kurzen Abschnitt unpassend gewirkt. Zwischendurch schreitet er sogar gutgelaunt. Gutgelauntes Schreiten kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. An einer Stelle wird von der "vertrauten Stimme" eines Charakters berichtet, der bisher nur einen Satz gesagt hat und dem Erzähler vorher nicht bekannt sind. Eine Passage wird einige Seiten später fast wortgleich wiederholt. Diese Dinge kommen häufig genug vor, um das Lesevergnügen zu stören und hätten durch ein gutes Lektorat vermieden werden können. Auch Tippfehler kamen häufiger vor und mittendrin wird der Bodamannsee plötzlich mehrfach "Bodensee" genannt.

Wir erfahren die Geschichte durch Marcus, der als Ich-Erzähler fungiert und in der Gegenwartsform erzählt. Das fand ich angenehm ungewöhnlich. Durch die subjektive Perspektive und die Gegenwartsform bekommt das Geschehen eine gelungene Unmittelbarkeit. Interessant ist auch, daß Marcus über seine eigene Herkunft wenig weiß und sich im Laufe des Buches hier und da ein paar neue Informationen ergeben, die zu seinem Bild beitragen. Da ist man beim Lesen schon gespannt, was man noch über ihn erfahren wird. Leider bleibt die Charakterzeichnung aber überwiegend oberflächlich. Während sich Marcus etwas entwickelt und wir auch ein wenig über seine Gedanken erfahren, fehlt es den Charakteren allgemein an Tiefe. Marcus begegnet der jungen Anna, ist nach einem einzigen kurzen Blickaustausch schon überzeugt, ohne sie nicht leben zu können, ohne daß es dem Leser nachvollziehbar geschildert wird. Anna hat Potential, ist eine interessante Protagonistin, wird aber auch nicht wirklich entwickelt. Dann tauchen zahlreiche Nebencharaktere auf, die sich fast nur durch ihre Namen unterscheiden. Man kann sie kaum zuordnen, sie hinterlassen keine Eindruck und das führte zumindest bei mir dazu, daß sie mich auch nicht anrührten. Die zu moderne Sprache, der eher einfache Stil und die fehlende Tiefe wären für ein Jugendbuch vielleicht gut geeignet, bei einem historischen Roman können sie zumindest mich nicht überzeugen.

Im ersten Drittel sind auch die Geschehnisse ohne große Tiefe geschildert. Wir sind direkt mitten im Geschehen, was gut und interessant ist, aber dann folgen rasch zahlreiche kurze Szenen, denen wichtige Details fehlen, welche den Leser in das Geschehen eintauchen lassen, die sich oft auch ähneln. Man rast durch dieses erste Drittel, bekommt lauter kurze Einblicke. Fehlende Leerzeilen zwischen zeitlich auseinanderliegende Szenen führen auch manchmal zu Verwirrung. Dies bessert sich allerdings ab dem zweiten Drittel, dort kommen wir ein wenig zur Ruhe - es passiert zwar weiterhin viel, aber der Autor nimmt sich mehr Zeit, Szenen zu schildern und Atmosphäre zu schaffen. Wir bekommen recht vielfältige Einblicke in das Leben jener Zeit, hier hat das Lesen Spaß gemacht, davon hätte ich auch gerne noch mehr gelesen. Historische Informationen sind überwiegend gut eingebunden und auch was die Handlung betrifft, hat sich der Autor viel einfallen lassen. Langweilig wird es nicht und gut gefallen hat mir auch der Realismus - es läuft nicht immer alles glatt, es kommen keinen glücklichen Zufälle zur Hilfe.

Mit mehr Tiefe, besser ausgearbeiteten Charakteren und mehr stilistischer Sorgfalt gerade bei den Dialogen hätte es ein Buch sein können, das mich begeistert. So hat es mich leider nicht berührt.

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Veröffentlicht am 05.08.2021

Sprachgewaltig, hervorragend recherchiert, tief berührend

Geliebter Dietrich
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In „Geliebter Dietrich“ berichtet Amanda Barratt in wundervoller Sprache und auf Basis sorgfältiger Recherchen über die letzten Jahre im Leben Dietrich Bonhoeffers. Der Fokus liegt hier sowohl auf seiner ...

In „Geliebter Dietrich“ berichtet Amanda Barratt in wundervoller Sprache und auf Basis sorgfältiger Recherchen über die letzten Jahre im Leben Dietrich Bonhoeffers. Der Fokus liegt hier sowohl auf seiner Liebe zu Maria von Wedemeyer wie auch auf seiner Arbeit im Widerstand.

Der Schreibstil hat mich von Anfang an begeistert. Hier herrscht ein gekonnter, bildhafter und doch behutsamer Umgang mit Sprache vor, der den Leser gleich in den Bann zieht. Auch die Übersetzung ist ausgezeichnet gelungen und wird dem Stil gerecht - störend sind allerdings einige zu moderne Ausdrücke, insbesondere des häufig verwendeten „echt“ anstatt „wirklich“. „Das ist echt nett“ oder „Sie ist ein echt nette Frau“ passen weder zum sonstigen Schreibstil noch zur damaligen Zeit. Auch Begriffe wie „Outfit“ oder „Ja, klar“ ließen mich zusammenzucken.

Bemerkenswert ist es, wie Amanda Barratt die dunkle, beklemmende Atmosphäre des Lebens in dieser menschenverachtenden Diktatur darstellt. Man spürt ständig die Ausweglosigkeit, die Düsternis, die Bedrohung, sie liegt wie ein dichter Schatten über dem Geschehen. Dies gelingt ihr auf gelungen unterschwellige Weise. Nur manchmal kippt es ein wenig ins Effekthascherische. So wird uns die Gefahr für Bonhoeffer und die anderen Widerstandskämpfer manchmal in ständiger Wiederholung erklärt, obwohl sie aus dem Geschehen ohnehin hervorgeht. Auch an vereinzelten anderen Stellen finden sich Wiederholungen und effektheischende Bemerkungen. Allerdings sind dies Ausnahmen.

Obwohl die Liebesgeschichte das eigentliche Hauptthema des Buches ist, fand ich diese stellenweise nicht ganz überzeugend - das liegt aber wohl weniger an der Erzählweise als am tatsächlichen Geschehen und natürlich den ungewöhnlichen Umständen dieser Beziehung - und auch viele von Marias Abschnitten wirken manchmal ein wenig eingeschoben, ohne wirkliche Handlung. Dem stehen aber zahlreiche Abschnitte gegenüber, in denen auch Marias Schicksal sehr berührt und der Schmerz, den diese junge Frau aufgrund ihrer vielen Verluste empfunden hat, deutlich spürbar wird.

Die Arbeit des Widerstands wird kenntnisreich und sorgfältig recherchiert geschildert. Anmerkungen hinten im Buch verweisen zudem auf Quellen, so sind Ausschnitte mehrerer Briefe Bonhoeffers im Buch enthalten. Es gelingt Amanda Barrett ausgezeichnet, die Fakten in eine berührende Geschichte einzubetten, die Menschen mit Leben zu erfüllen. Das Sujet bringt es mit sich, daß dies ein düsteres, tragisches Buch ist, aber es schwingt auch Lebensbejahendes mit. Das Ende verzichtet glücklicherweise auf drastische Details und wirkt gerade dadurch intensiv und berührend. Ein kurzes Nachwort berichtet über die weiteren Schicksale der im Buch Erwähnten.

„Geliebter Dietrich“ hat mir nicht nur viele neue Informationen vermittelt und mich mit dem gelungenen Stil erfreut, sondern mich beim Lesen so stark berührt, wie es nicht viele Bücher schaffen.

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Veröffentlicht am 27.07.2021

Einfallsreich, aber mir zu konstruiert

Das letzte Bild
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Anja Jonuleit legt ihrem Buch den bis heute ungeklärten Fall der sog. Isdal-Frau zugrunde, einer 1970 gefundenen Frauenleiche, deren Identität bis heute nicht geklärt werden konnte. Das ist als Idee gelungen ...

Anja Jonuleit legt ihrem Buch den bis heute ungeklärten Fall der sog. Isdal-Frau zugrunde, einer 1970 gefundenen Frauenleiche, deren Identität bis heute nicht geklärt werden konnte. Das ist als Idee gelungen und die Autorin strickt um diesen Fall eine einfallsreiche Geschichte, bindet die tatsächlichen Ermittlungsergebnisse in eine fiktive Handlung ein. Vor den Kapiteln finden sich Zitate aus tatsächlichen Zeitungsartikeln über die Isdal-Frau, was den Einbezug realer Fakten noch verstärkt und Hintergrundinformationen liefert. Auch dies hat mir gefallen.

Wir begleiten Eva, die ein Foto der Isdal-Frau in der Zeitung sieht und eine fast unheimliche Familienähnlichkeit entdeckt, woraufhin sie sich aufmacht, das Rätsel zu lösen. Ihre 2019 stattfindenden Ermittlungen wechseln sich mit Abschnitten aus dem Leben Marguerites ab, die zwischen 1954 und 1970 spielen. Diese Erzählweise auf zwei Zeitebenen ist Standard in Geschichten, in denen Familiengeheimnisse erforscht werden und somit nicht unbedingt originell, erfüllt aber ihren Zweck.

Der Schreibstil ist erfreulich und liest sich angenehm. Ich habe zu Beginn gleich nach weiteren Büchern der Autorin gesucht, weil er mir so gut gefiel. Der Spannungsbogen ist zu Beginn gelungen, ich habe gebannt gelesen, um zu erfahren, wie alles zusammenhängt, welche Spuren weiterführen und was sich hinter dem Fall verbarg. Auch die historische Komponente, die durch Einbindung des Lebensborns und Norwegen während des zweiten Weltkriegs erfolgt, gefiel mir gut. Marguerites Abschnitte waren allerdings von Anfang an für mich ein Schwachpunkt. Dies beginnt schon damit, daß Marguerite bei Nachforschungen zu ihrer Familiengeschichte ständig unerwartete Hilfe bekommt - alle Männer, denen sie zufällig begegnet, scheinen umgehend nur ein Ziel zu haben: ihr bei ihren Nachforschungen zu helfen und sie legen sich allesamt mächtig ins Zeug. Die Beweggründe diese Männer sind nicht nachvollziehbar - Marguerite ist schön und freizügig, gut, aber das reicht als Erklärung für das erhebliche Engagement all dieser Männer nicht aus. Auch sonst muß sie nur irgendwo stehen und schon eilt ihr stets ein Mann zur Hilfe. Das wurde zunehmend unglaubwürdiger und auch abgenutzter. Dann kommen ihr zudem zahlreiche Zufälle zur Hilfe, die teilweise schon sehr weit hergeholt sind. So lernt sie - auf recht konstruierte Weise - zufällig genau den einen Mann in Europa kennen, der ihr dann eine Postkarte von einer kleinen, unbekannten Kirche schickt, die genau einem jener wenigen Familienbilder entspricht, die sie hat, und ihr damit unbeabsichtigt einen wichtigen Hinweis gibt. Auch Eva kommt bei ihren Nachforschungen ständig der Zufall zur Hilfe, so telefoniert sie zufällig genau im richtigen Moment mit jemandem, der zufällig erst kurz zuvor genau das benötigte Nischenwissen erlangt hat. Ich fühlte mich beim Lesen häufig etwas auf den Arm genommen und das hat mir das Lesevergnügen zunehmend verdorben.

Auch der Spannungsbogen ließ nach. Die Autorin verliert sich häufig in irrelevanten Details, gerade Marguerites Leben ist zu Beginn nicht nur konstruiert, sondern auch eher langweilig zu lesen. Die jeweiligen Nachforschungen der beiden Frauen werden ausgesprochen detailreich und mit mehreren Wiederholungen beschrieben und es gab letztlich für meinen Geschmack auch zu viele Ansätze, die das Buch überfrachteten. Das mag realistisch sein, liest sich aber etwas zäh. Unglaubwürdig fand ich zudem, daß so gut wie alle aufgesuchten Personen umgehend bereitwillig alles Relevante erzählen und, egal wie alt sie sind, alle ein bemerkenswertes Gedächtnis haben. Wie Marguerite trifft auch Eva auf mehrere Leute, die keine Zeit und Mühen scheuen, für sie zu ermitteln. Ich fand die Vorgänge zunehmend weniger nachvollziehbar und habe in immer kürzeren Abschnitten gelesen.

Die Geschichte, die sich letztlich offenbart, ist ausgefeilt, gut ausgedacht und berücksichtigt die tatsächlichen Ermittlungsergebnisse auf bemerkenswerte Weise. Die Reise dorthin liest sich häufig spannend und gut, die erwähnten Schwachpunkte waren aber zumindest für mich doch störend.

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Veröffentlicht am 24.07.2021

Absurdität und Tragik

Der schwarze Obelisk
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In „Der schwarze Obelisk“ führt Remarque uns in eine Epoche, die so gut wie nie literarisch behandelt wird - das Hyperinflationsjahr 1923. Vom Frühling 1923 an begleiten wir den Ich-Erzähler Ludwig (sehr ...

In „Der schwarze Obelisk“ führt Remarque uns in eine Epoche, die so gut wie nie literarisch behandelt wird - das Hyperinflationsjahr 1923. Vom Frühling 1923 an begleiten wir den Ich-Erzähler Ludwig (sehr stark an Remarque selbst angelehnt) durch das restliche Jahr, in dem die Inflation aus Tausenden zuerst Millionen, dann Milliarden und Billionen macht. Eine Zeit, in der Tragik und Absurdität nah beieinanderliegen, was sich im Buch hervorragend widerspiegelt.

Remarque schrieb seinem Verleger, er könne den Inhalt nicht beschreiben, und das ist nachvollziehbar, denn es ist weniger eine klassische Romanhandlung als eher eine Ansammlung von Facetten, die uns verschiedene Schicksale im Laufe dieses Jahres kaleidoskopartig berichten. Wir folgen Ludwig und seiner Umgebung in ihrem Alltag in der Stadt Werdenbrück (Osnabrück nachempfunden). Über allem liegt der Wahnsinn der Hyperinflation, der Dollarkurs ist Leitmotiv und wir lesen von allerhand aberwitzigen Manövern, die wohl nur in einer solchen Zeit möglich sind. Da wird ein Grabstein auch mal mit zwei Wochen Brötchenlieferungen abgegolten, es wird um den Zahlungszeitpunkt gefeilscht, denn ein paar Stunden reichen, um eine hohe Summe wertlos zu machen. Wir begegnen den Hoffnungslosen, den sich Durchwurschtelnden, den Spekulanten. Es wird gelebt, als ob es kein Morgen gäbe, was in gewisser, tragischer Hinsicht auch fast stimmt. In dieser absurden Zeit kann Remarque auch seinem sonst spärlich eingesetzten Humor freien Lauf lassen, was zu herrlich komischen Sätzen und Szenen führt, leider aber auch zu vielen albernen Episoden, die das Buch schwächen.

Auch auf die sehr dick aufgetragene Schicht Philosophie und Lebensbetrachtungen hätte ich gut verzichten können. Ludwigs Beziehung mit der jungen psychisch kranken Isabelle besteht aus zahlreichen recht sinnbefreiten Dialogen, in denen man sicher viel Philosophisches herauslesen kann, die ich aber zu haltlos und sehr wiederholend fand. Auch sonst wird viel wiederholt, gerade in der Mitte des Buches fühlt man sich wie in einem etwas zähen Kreislauf aus Bekanntem.

Hervorragend ist das vielfältige, gut gezeichnete Bild jener Zeit, in der die Resignierten, denen durch den Krieg Jugend und Hoffnung gestohlen wurde, jenen Unverbesserlichen gegenüberstehen, die bald der nächsten Generation Jugend und Hoffnung nehmen werden. Die Bedrohung von rechts wird im Laufe des Buches immer deutlicher, immer düsterer und kulminiert im letzten Kapitel, in dem Remarque kurz die Schicksale der Charaktere nach 1923 schildert. Auch Remarques Sprache ist wieder ein einzige Freude - virtuos spielt er mit den Worten, Bildern, Stimmungen. Und so ist „Der schwarze Obelisk“ trotz einiger Schwächen ein phantastisches Buch, das jene Zeit auf ganz eigene gekonnte Weise einfängt.

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