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Veröffentlicht am 23.02.2021

Ein schöner Ansatz, aus dem wenig gemacht wurde

Die Bücherfrauen
1

Die Geschichte des Buches hat mich gleich angesprochen: Kleinstadtamerika, die Liebe zu Büchern, ein Rückblick in die Geschichte der ersten Bibliotheken in Kansas. Es klang nach einer gelungenen Mischung ...

Die Geschichte des Buches hat mich gleich angesprochen: Kleinstadtamerika, die Liebe zu Büchern, ein Rückblick in die Geschichte der ersten Bibliotheken in Kansas. Es klang nach einer gelungenen Mischung für einen leichten, entspannten Wohlfühlroman. Der Einband ist auch wundervoll gestaltet, sowohl visuell wie auch haptisch. Er deutet ein wesentlich besseres Buch an, als das, was man dann bekommt.

Die Autorin hat lange Jahre in der Kulturförderung des Staates Kansas gearbeitet, weiß also, wovon sie spricht, wenn sie uns anschauliche Einblicke in die dortigen Bibliotheken und Kulturzentren bietet, die in einem Land, in dem das Recht auf Waffen relevanter ist als die Förderung von Bildung und Kultur, ständige Budgetprobleme haben und um ihr Bestehen kämpfen müssen. Die Schilderungen der Spendensammlungsaktivitäten sind interessant, auch die lokalen Informationen lesen sich unterhaltsam. Eine weitere erfreuliche Komponente sind die historischen Informationen über Andrew Carnegie, mir bislang nur als rücksichtsloser Geschäftsmann bekannt, der Anfang des 20. Jahrhunderts unzählige Bibliotheken finanziert hat. Insofern las ich den Anfang des Buches mit Vergnügen. Wir begleiten Angelina, die ihre Doktorarbeit über die Carnegie-Bibliotheken schreiben möchte und auch familiäre Bezüge zu der Kleinstadt hat, in die sie nun fährt. Hier hoffte ich auf eine lesenswerte Reise in die Kleinstadtgemeinschaft, die Geschichte der Bibliotheken und war auch gespannt auf die Geschichten der anderen beiden Protagonistinnen.

Diese Hoffnung wurde leider enttäuscht. Alle drei Hauptcharaktere, Angelina, Traci und Gayle, berichten als Ich-Erzählerinnen. Es gibt keine Unterschiede in ihrer Sprache, sie klingen alle drei gleich. Dies ist schon das erste Anzeichen dafür, dass die Autorin nicht über literarisches Können verfügt. Gayle bleibt zudem das ganze Buch hindurch blass, ihre Abschnitte sind wesentlich kürzer als die der anderen beiden und sie trägt so wenig zur Geschichte bei, dass sie auch einer der zahlreichen austauschbaren Nebencharaktere sein könnte. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil ihre Geschichte – ihre Stadt wird durch einen Tornado zerstört – eigentlich neben Angelinas Dissertation der Aufhänger des Buches und des Klappentextes ist. Das Thema kommt aber dann so gut wie gar nicht vor und wurde völlig verschenkt. Es scheint oft, als ob die Autorin sich nicht für ein Thema entscheiden konnte, sie packt alles mögliche ungeordnet in das Buch hinein, erzählt ohne roten Faden. Hätte sie sich auf ihre Kernthemen konzentriert und diese mit ein wenig Tiefe behandelt, wäre es ein tolles Buch geworden. Hätte sie ihre mehreren kleinen Geschichten so gut verknüpft, dass diese ein harmonisches Ganzes ergeben hätten, wäre es ebenfalls ein tolles Buch geworden. Hier schlägt aber das mangelnde literarische Können wieder zu. Das Buch verzettelt sich in seinen Geschichtchen und Charakteren. Eine Nebenperson wird ausgiebig eingeführt und taucht dann nur noch als Name wieder auf. Irrelevante Kleinigkeiten werden detailliert geschildert, wichtige Themen mit der Seichtigkeit einer Vorabendserie abgefrühstückt. Das paßt alles nicht zusammen.

Eine Grundregel guten Schreibens ist „Zeigen, nicht erzählen.“ Diese Grundregel wird hier unablässig gebrochen. Angelina und Traci begegnen sich kaum, wechseln ein paar Sätze miteinander und plötzlich erklärt uns die Autorin durch Traci, dass zwischen den beiden die tiefste innigste Freundschaft bestehe. Man liest es und wundert sich. Auch Liebesbeziehungen entstehen aus dem Nichts. Da wird dem Leser eben mitgeteilt, dass sich diese Leute umgehend verliebt haben. Nachvollziehbar ist das alles nicht. Nachvollziehbar sind auch die Zeitangaben nicht. Das Buch beginnt mit einem Zeitungsausschnitt, der zeigt, dass es 2008 spielt. Plötzlich aber wird – im gleichen Sommer – der 40. Geburtstag einer 1971 geborenen Person gefeiert. Im Jahre 2008? Viele Altersangaben wirken generell wenig plausibel.

Auch die Übersetzung ist kein Glanzstück und enthält grobe Schnitzer. Da wird „it touched me“ mit „es fasste mich an“ anstelle von „es rührte mich“ übersetzt. Ein markanter Ausguck wird zu einem prominenten Ausguck, weil das englische Wort „prominent“ falsch übersetzt wurde. „Imagine“ wird zu „imaginieren“, was wenigstens nicht falsch, aber dafür schlecht übersetzt ist. Ich habe hier sehr oft den Kopf geschüttelt.

Das Ende des Buches wird mit einer dicken Schicht aus quietschrosa Zuckerguss überdeckt – ein überzogenes Happy End folgt dem nächsten. Hier wird dermaßen übertrieben, dass es schon albern ist. Der Aufhänger des Buches wird dann noch rasch und knapp abgehandelt und hätte ein schönes Ende ergeben, wenn es nicht so nebenbei – und unrealistisch – geschehen wäre. So war das Buch leider eine Enttäuschung, insbesondere weil aus dieser Geschichte so viel hätte gemacht werden können. Es ist nämlich nicht per se ein schlechtes Buch. Immer, wenn es sich den Kernthemen zuwendet, ist es erfreulich, die lokalen und geschichtlichen Informationen (die viel zu kurz kommen) sind absolut lesenswert, auch die Kulturarbeit und die Symbolik des Quiltens passen gut ins Buch. Nur werden diese positiven Punkte durch zu viele Kritikpunkte überdeckt. Schade.

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Veröffentlicht am 22.02.2021

Hier wurde zu viel gewollt und dadurch zu wenig erreicht

Die vier Gezeiten
5

Das Buch hat mich durch das hinreißende Titelbild und einen originellen Anfang sofort angezogen. Es beginnt mit einem Tagebucheintrag, in der eine geplante Selbsttötung durch Ertrinken mit fast wissenschaftlicher ...

Das Buch hat mich durch das hinreißende Titelbild und einen originellen Anfang sofort angezogen. Es beginnt mit einem Tagebucheintrag, in der eine geplante Selbsttötung durch Ertrinken mit fast wissenschaftlicher Distanz betrachtet wird. Im nächsten Kapitel finden wir uns mitten in einer offensichtlich nicht harmonischen Familie, in die eine junge Frau namens Helen platzt, die offensichtlich mit ihnen verwandt ist – nur wie? Dies ist der Auslöser für die Geschichte der Juister Familie Kießling, die bis ins Jahr 1934 zurückgeht. Diese Geschichte wird, wie in momentan fast jedem Roman dieser Art, durch zahlreiche Rückblenden erzählt. Ich fand das erste Drittel des Buches teilweise etwas verwirrend, denn es taucht eine Vielzahl an Charakteren auf, die oft nicht wirklich vorgestellt werden. Die Rückblenden werden aus der Sicht Johannes und ihrer Tochter Adda erzählt, so dass es teilweise mit Epochen, Perspektiven und Charakteren etwas zu viel wurde. Nach und nach wurde ich aber mit den Charakteren vertraut – allerdings sind es einfach zu viele von ihnen und manche kommen so am Rande vor, dass ich auch am Ende des Buches bei manchen Namen erst mal überlegen mußte, wer denn das nun wieder ist.

Die Geschichte weiß, Spannung zu erzeugen. Aufhänger ist die Frage, wie Helen mit der Familie verwandt ist. Allerdings tritt dies ziemlich in den Hintergrund, Helen kommt über weite Strecken des Buches kaum vor, führt dann ähnliche Unterhaltungen mit diversen Familienmitgliedern. Am Ende wird das Geheimnis um ihre Herkunft ziemlich abrupt und unbefriedigend aufgelöst. Die Umstände ihres Erscheinens und ihrer Suche sind leider sehr konstruiert. Dies ist auch bei anderen Handlungssträngen öfter der Fall, Logik und Plausibilität mußten zu oft in den Hintergrund treten. Viele Entscheidungen und Entwicklungen der Charaktere sind ebenfalls nicht nachvollziehbar – gerade bei Johanne wurde der Zeitabschnitt, in dem sich wohl wichtige charakterliche Entwicklungen abspielten, gar nicht behandelt. Auch fand ich nicht plausibel, dass Helens Erscheinen plötzlich das jahrzehntelange Schweigen in der Familie beendet. Ein Großteil des Buches hat mit Helens Herkunft letztlich auch gar nichts zu tun, wir gehen hier zurück in Johannes Jugend in den 1930ern, später Addas Jugend in den 1950ern. Dieser Teil hat mir am besten gefallen. Zwar sind die Geschehnisse ziemlich konventionell – dies alles hat man schon in zahlreichen Büchern über diese Epochen so gelesen – und dadurch vorhersehbar, aber sie sind gut erzählt und dazu noch wundervoll in die Juister Atmosphäre eingebettet. Dieser Juister Hintergrund war für mich der stärkste Teil des Buches. Die Autorin schafft es, die Insel vor meinen Augen erscheinen zu lassen. Hier wird mit soviel Liebe, Können und Wissen geschildert, dass das Lesen ein Genuß ist. Auf gelungene Weise wird die Geschichte Juists in die Geschichte verwebt, ich habe viel gelernt, auch finden sich hier Charaktere, die liebevoll und sorgfältig konzipiert wurden (anders als z.B. die Töchter Addas, die größtenteils völlig blass bleiben). Auch die Atmosphäre der 1930er und 1950er ist ausgezeichnet geschildert und eingefangen. Wenn sich das Buch auf diese Dinge konzentriert hätte, wäre es für mich ein 5-Sterne-Buch geworden.

Leider aber will die Autorin für meinen Geschmack zu viel. Neben der Vielzahl an Charakteren kommen dann auch zahlreiche Familiengeheimnisse ans Licht. Gerade im letzten Drittel folgt ein neues Thema dem anderen und es wurde zunehmend unglaubwürdig, was alles vorgefallen und verschwiegen wurde und nun auf einmal aufgedeckt wird. Dann werden auch manche Klischees überbenutzt, gerade beim Thema unerwünschter Schwangerschaften kam ich mir als Leser am Ende geradezu verulkt vor. Auch die Zeitgeschichte bis in die 1980er findet Eingang in die Geschichte, dies aber im Schnelldurchlauf, ohne die erzählerische Dichte der vorherigen im Buch behandelten Epochen. Weniger ist mehr, das habe ich beim Lesen oft gedacht.

So war „Die vier Gezeiten“ für mich ein Buch, das einerseits durch wundervolle Atmosphäre, eine gelungene Verwebung von Zeit- und Familiengeschichte und herrlich erzählte Szenen eine wahre Freude war, aber durch zu viele Charaktere, zu viele Handlungsstränge, zu viele Klischees und zu viele dadurch rasch abgehandelte Aspekte enttäuschte.

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Veröffentlicht am 20.02.2021

So wird Geschichte lebendig

Verbotene Liebe, verborgene Kinder
0

"Verbotene Liebe, verborgene Kinder" berichtet über die zahlenden Patientinnen des Göttinger Geburtshospitals zwischen 1794 und 1857, welche, anders als jene Frauen, die dort kostenlos ihre Kinder zur ...

"Verbotene Liebe, verborgene Kinder" berichtet über die zahlenden Patientinnen des Göttinger Geburtshospitals zwischen 1794 und 1857, welche, anders als jene Frauen, die dort kostenlos ihre Kinder zur Welt bringen konnten, eine Garantie auf Anonymität hatten und deren Fallgeschichten deshalb auch separat - in einem "geheimen Buch" - festgehalten wurden. Jürgen Schlumbohm untersucht diese Fallgeschichten auf denkbar informative Weise und wir erfahren beim Lesen weitaus mehr als nur den Besuch im Geburtshospital. Dies wird dann zudem auch noch so unterhaltsam geschildert, daß die Personen wieder zum Leben erwachen, die Schicksale einem nah gehen.

Schlumbohm berichtet über alle in dem geheimen Buch festgehaltenen Fälle, je nach Faktenlage mal ausführlicher, mal recht knapp. Es ist bemerkenswert, welche Detektivarbeit er vornahm, um hinter die Identitäten der dort aufgeführten Personen zu kommen, die manchmal einen falschen Namen angaben oder deren persönliche Informationen im Nachhinein aus Anonymitätsgründen durchgestrichen wurden. Hier bekam ich auch einen guten Einblick in die Vorgehensweisen von Historikern, was sich ebenso spannend las wie die berichteten Schicksale selbst.

Wo immer möglich schildert der Autor das Leben der Personen auch vor und nach dem Besuch im Geburtshospital, verfolgt auch den Weg der Kinder, die dort geboren und in Pflege gegeben wurden. Das gelingt manchmal auf erstaunlich detaillierte Weise; das Leben des unehelichen Kindes einer im 19. Jahrhundert recht bekannten Sängerin können wir so in groben Zügen von 1845 - 1941 (!) verfolgen. - Ich war beeindruckt, welche Vielfalt an Lebensgeschichten Schlumbohm recherchiert hat. Ob es die adlige Ehefrau mit junger Affaire ist; der Student, der reihenweise junge Frauen schwängert und versucht, sich vor der finanziellen Verantwortung zu drücken; der Pastor, der seine Familie nur mit Müh und Not durchbringt - das Buch ist wie ein Kaleidoskop des Lebens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Neben der lebendigen, hochpersönlichen Betrachtung dieser Menschen erfährt man als Leser zudem zahlreiche interessante historische Informationen über die Zeit, welche ebenfalls unterhaltsam dargebracht werden.

Auf den weniger als 200 Seiten steckt hier also eine ganze Menge - hier werden die Menschen hinter der Weltgeschichte lebendig.

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Veröffentlicht am 07.02.2021

Origineller Fall vor herrlicher Kulisse mit schwieriger Protagonistin

Grenzfall - Der Tod in ihren Augen
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Bei diesem Buch wurde ich hauptsächlich davon gelockt, dass es hier um einen Fall geht, der, wie der Titel schon zeigt, seine Spuren in zwei Ländern hinterläßt und somit ein deutsch-österreichisches Ermittlerteam ...

Bei diesem Buch wurde ich hauptsächlich davon gelockt, dass es hier um einen Fall geht, der, wie der Titel schon zeigt, seine Spuren in zwei Ländern hinterläßt und somit ein deutsch-österreichisches Ermittlerteam zusammenführt. Das hätte Raum für interessante Vergleiche von Ermittlungsarbeit und Mentalität geboten, für unterhaltsame interkulturelle Betrachtungen und Begegnungen. Diese Erwartung wurde leider nicht erfüllt, dazu später mehr.

Wir begleiten hier die junge Oberkommissarin Alexa, die gerade aus Nordbayern in die Bergwelt Oberbayerns versetzt wird, welche nicht unbedingt ihr Fall ist. Es liest sich unterhaltsam, wie sie sich hier an neue Gegebenheiten gewöhnen muß, zugleich ist es eine gute Methode, dem Leser relevante Informationen zu vermitteln, wir lernen die Gegend und ihre Besonderheiten gewissermaßen mit Alexa zusammen kennen. Zusätzlich muß Alexa sich in ein neues Team einfinden und das gleich in leitender Funktion. Das wäre an sich interessant gewesen, aber ich fand es nicht gut umgesetzt. Anscheinend sollte dem Leser vermittelt werden, dass Alexa als Frau in einem fast durchgängig von Männern besetzten Team ihre Probleme hat, allerdings ist es vor allem Alexas Verhalten, das problematisch ist. Sie fällt schnell und unbegründet negative, oft abwertende Urteile über andere, wirft dem männlichen Kollegen genau den Ehrgeiz vor, den sie selbst hat und sieht überall Affronts, während sie sich manchmal mehr mit der Reviermarkierung als den Ermittlungsarbeiten beschäftigt. Das ließ mich lange nicht mit Alexa – immerhin der Protagonistin – mitempfinden, passte nicht zu dem, was uns vermittelt werden sollte, und überlagerte stellenweise das Fallgeschehen zu stark. Dies gibt sich allmählich, wird von der Erzählweise etwas differenzierter, was dieser Komponente der Geschichte von Anfang an gut getan hätte.

An sich ist der Schreibstil aber sehr angenehm. Man kommt sofort rein, es liest sich erfreulich und das Erzähltempo hat mir fast durchweg sehr gefallen. Ich habe mich sehr über die realistisch und fundiert geschilderte Ermittlungsarbeit gefreut, die ohne künstlich rasante Szenen und unwahrscheinliche Zufälle auskommt. Hier gibt es auch mal Sackgassen, es wird mal etwas übersehen, es werden Spuren verfolgt, Leute verhört – ich fand es sehr angenehm, dies ohne unnötige Effekte zu lesen und fand es nie langweilig. Ebenfalls erfreulich: es gibt zwar Privatkram der Ermittler, wie es bei Serien wohl unvermeidbar ist, aber er überlagert die Geschichte nicht und ist nur selten zu ausführlich geschildert. Im Mittelpunkt stehen Fall und Ermittlungen. Schade ist es, wie bereits erwähnt, dass die Deutschland-Österreich-Komponente kaum eine Rolle spielte. Ein gemeinsames Ermitteln in dem Sinne findet nicht statt, ein Austausch kaum, die Möglichkeiten, die sich aus dieser Konstellation boten, wurden nicht genutzt. Das fand ich enttäuschend, gerade weil diese Komponente in Titel, Klappentext etc. so hervorgehoben wird.

Sehr schön sind dagegen die Beschreibungen der Gegend, welche uns übrigens vorne im Umschlag auf einer schön gestalteten Karte gezeigt wird. Tolle Idee! Ich habe die Berge, die malerischen Städtchen, die beschaulichen Seen regelrecht vor mir gesehen und konnte absolut in die Atmosphäre hineinsinken. Hier wurde mit vielen liebevollen Details gearbeitet, die aber nie zum Selbstzweck werden, sondern die Atmosphäre gelungen unterstreichen. Das klappt auch größtenteils bei den Charakteren, nur vereinzelt gleitet es ein wenig in Klischees ab. – Auch die Fallschilderungen sind gelungen. Der Fall an sich ist bereits ungewöhnlich, geschickt werden hier und da Informationen eingebaut, die etwas beklemmend Grausiges haben. Details und Beschreibungen sind auch hier hervorragend gelungen. Ein besonderes Kompliment dafür, dass es keinen überlangen Showdown gibt und auch nicht die unrealistische, überbenutzte „Täter erklärt Ermittler während des Showdowns ausgiebig und bereitwillig Motivation und Vorgehen“-Szene gibt. Das hat mich wirklich aufjubeln lassen und die Autorin zeigt sehr gut, dass es keine solchen 08/15-Szenen und ellenlange Showdowns braucht, um Spannung aufzubauen. Ihr gelingt dies durch überraschende Wendungen, ein paar Andeutungen, ein paar falsche Spuren und einem letzten Teil, der an Tempo aufnimmt, aber dabei nicht übertreibt. Sehr schön!

Die Fallauflösung selbst hat mich dann leider ein wenig enttäuscht, zum einen, weil einige meiner Erwartungen ziemlich verpufften, zum anderen, weil sie für mich teilweise unstimmig ist. Ganz am Ende geht es dann auch leider nicht ohne wirklich immens großen Zufall und einer Entwicklung, die mir für das Genre und allgemein nicht unbedingt zusagt.

So erfreut „Grenzfall“ mit einem ungewöhnlichen Fall vor herrlicher, durch den Schreibstil absolut zum Leben erweckter Kulisse und angenehmen Realismus sowie dem Verzicht auf billige Showeffekte, auch wenn mich einzelne Aspekte nicht überzeugt haben.

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Veröffentlicht am 31.01.2021

Fundierter Blick auf Beatrice von Burgund

Beatrice von Burgund
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Ich habe mich sehr gefreut, ein Buch zu entdecken, das sich der Ehefrau von Friedrich "Barbarossa" widmet, die nach allen vorhandenen Informationen eine interessante und willensstarke Persönlichkeit gewesen ...

Ich habe mich sehr gefreut, ein Buch zu entdecken, das sich der Ehefrau von Friedrich "Barbarossa" widmet, die nach allen vorhandenen Informationen eine interessante und willensstarke Persönlichkeit gewesen sein muß, von der man aber insgesamt eher wenig weiß. Schon von außen erfreut das Buch, es ist sehr hochwertig und ansprechend gestaltet. Fundierte Recherche verspricht der Klappentext und dieses Versprechen wurde absolut erfüllt. Die absolut akribische Recherche scheint auf jeder Seite durch, die Autorin arbeitet zudem mit einigen Originaltexten, die hier z.B. als Briefe oder Proklamationen ins Geschehen eingebunden werden. Die Informationen sind historisch korrekt und überwiegend gut in die Geschichte eingearbeitet. Ein wenig ungeschickt wirkt lediglich eine Szene bei der Hochzeit von Beatrice und Friedrich, als gleich zwei von Beatrices Dienerinnen zu ihr kommen, um detaillierte Zahlen und Fakten zur Feier herunterzurattern, die sie in dieser Detailreichheit wohl kaum kennen oder sich so merken konnten; auch ist die Motivation für eine fast geschichtsbuchartige Rezitation nicht überzeugend. Die ist aber, wie gesagt, eher ein Einzelfall.

Der Schreibstil ist auf positive Weise ungewöhnlich. Die Autorin spielt oft mit der Sprache, findet farbige, originelle Metaphern, hat offensichtlich viel Seele und Sorgfalt gerade in die Beschreibungen gelegt. An mehreren Stellen ließ mich der ungewöhnliche Satzbau stutzen, der dort jeweils eher dem englischen Satzbau entsprach, nicht dem deutschen. Das war nicht unbedingt ganz mein Fall, aber als Teil des ganz eigenen Stils der Autorin durchaus interessant. Nur die Liebesszenen gleiten meist zu sehr ins Schwülstige ab. Insgesamt aber habe ich mich an vielen Stellen über den gekonnten Umgang mit Sprache und dem Mut zum Ungewöhnlichen gefreut. Schön wäre es gewesen, wenn das Korrektorat sorgfältiger gearbeitet hätte. Es gibt hier ziemlich viele Fehler und gerade bei den Namen wird es fast ärgerlich. Da heißt Friedrichs Schwester abwechselnd "Bertha" und "Berta". In einer Szene wird ein Gerard zwischendurch gleich mehrfach zu Guillaume. Beatrice spricht mittendrin ihrer Freundin gegenüber von Friedrich plötzlich zweimal als "Barbarossa", ohne daß der Leser erfährt, wie es zu diesem Namen kommt (ich finde es überhaupt sehr schade, daß dies im Buch gar nicht thematisiert wird); ganz davon abgesehen, daß Beatrice diesen Namen zu dem Zeitpunkt nicht als Anrede oder Bezeichnung für Friedrich verwenden würde. An einer Stelle wird historisch inkorrekt gesiezt. Hier wäre also wesentlich mehr Sorgfalt erforderlich gewesen und das Lesevergnügen ist bei so vielen auch inhaltlich relevanten Fehlern doch ein wenig gegtrübt.

Das Erzähltempo ist sehr geruhsam - auf den etwa 550 Seiten werden gerade mal acht Jahre im Leben Beatrices behandelt, wobei die beiden Schwerpunkte auf ihrer Jugend und Friedrichs zweitem Feldzug gegen Italien liegen. Mir war dies oft zu langatmig, gerade wenn immer wieder seitenlange Naturbeschreibungen eingestreut werden. Diese lesen sich zwar vom Stil her schön, sind aber einfach zu lang und zu häufig. Auch Szenen, in denen Beatrice grübelnd irgendwo sitzt, wurden mir zu häufig und ausführlich genutzt. Die Erzählweise ist sehr deskriptiv, es gibt wenig Dialoge und dies nimmt zusammen mit den detailfreudigen Naturbeschreibungen, introspektiven Betrachtungen und vielen Erlebnissen aus zweiter Hand der Erzählung die Lebhaftigkeit. Dies fällt inbesondere im Vergleich zu jenen Szenen auf, in denen Beatrice erster Hand etwas erlebt, in denen Dialoge geführt werden - das Buch gewinnt in diesen Szenen sofort an Farbe. Dies ist natürlich Geschmackssache, manche Leser werden die ruhige Erzählweise als angenehm empfinden. Ich hätte es vorgezogen, weniger der langatmigeren Passagen und dafür mehr Jahre im Leben Beatrices im Buch zu haben.

Ein informatives Nachwort erläutert, wo die Autorin bei mangelnder Quellenlage einer Theorie folgte oder Lücken mit Fiktion ausfüllte. Dies ist wirklich gut gelungen, auch die nicht belegten Handlungen sind absolut stimmig, passen zu dem, was wir von den historischen Persönlichkeiten wissen. Sie sind gut in die historischen Fakten eingewoben, ergeben ein passendes Gesamtbild. Beatrices häufiges Erzengelversionen sollten meiner ganz persönlichen Meinung nach dagegen kein Teil einer realistischen historischen Romanbiographie sein.

Wie bereits erwähnt, hätte ich mich gefreut, wenn mehr als nur acht Jahre im Leben Beatrices behandelt worden wären, gerade weil es noch viele Stationen ihres Lebens gab, die sich hervorragend für eine Romanschilderung geeignet hätten. Doch hat die Autorin durchaus eine gute Zeitspanne gewählt, das letzte Kapitel zeigt, daß hier auch ein Lebensabschnitt, eine Stufe der inneren und äußeren Entwicklung vollendet wurde und insofern ist auch dies stimmig.

So kann man in diesem Buch sehr viel über Beatrice und auch Friedrich lernen oder sich als mit den historischen Ereignissen vertrauter Leser an der akribischen, gelungenen Recherche erfreuen. Auch wenn das Erzähltempo fast überwiegend nicht meinem Geschmack entsprach, habe ich den Umgang mit der Sprache genossen und mich gefreut, daß es hier ein Buch gibt, daß die Zeit Friedrichs und Beatrices fundierter betrachtet als die Mainstreamromane zu dieser Epoche.

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