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Veröffentlicht am 11.04.2020

Gut geschrieben, mit vielfältigen Themen, ansprechend gestaltet

Kämpfen. Leiden. Lieben. Leben im Schwarzwald von den Kelten bis ins 20. Jahrhundert. Heimatgeschichte packend erzählt: die Lebenswirklichkeit der einfachen Schwarzwälderinnen und Schwarzwälder.
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In „Kämpfen. Leiden. Lieben“ gibt Thomas Binder uns einen historischen Überblick über das Leben der ganz normalen Schwarzwälder. Keine gekrönten Häupter, keine Berühmtheiten, sondern alltägliche Menschen ...

In „Kämpfen. Leiden. Lieben“ gibt Thomas Binder uns einen historischen Überblick über das Leben der ganz normalen Schwarzwälder. Keine gekrönten Häupter, keine Berühmtheiten, sondern alltägliche Menschen in ihrem alltäglichen Leben. Das an sich fand ich schon sehr erfreulich und zudem wurde diese gute Idee auch noch ausgezeichnet umgesetzt.

Schon die Gestaltung des Buches ist hochwertig. Es ist gebunden und weist zahlreiche Abbildungen auf, davon viele in Farbe. Diese sind von hervorragender Qualität, abgesehen von einem Nachtfoto des Freiburger Münsters, auf dem man so gut wie gar nichts erkennen kann. Die Abbildungen sind gut gewählt und vielfältig. Auch sonst steht die innere Gestaltung dem ansprechenden Einband nicht nach – hier gibt es Liebe zum Detail und ich habe mich beim Lesen oft daran gefreut. Nur eine Karte habe ich schmerzlich vermißt.

In 16 Kapiteln lernen wir das Leben im Schwarzwald unter jeweils einem Aspekt kennen, so z.B. unter der Überschrift „leiden“ die Krankheiten, unter „zaubern“ der Glaube an die Magie oder unter „hoffen“ etwas über Armut und Not. Die Themen sind breit gefächert und ich war beeindruckt, wie viele Informationen wir hier auf unter 200 Seiten erhalten.

Zu Beginn jedes Kapitels stellt Thomas Binder uns eine konkrete Person und ihr zum jeweiligen Thema passendes Anliegen vor. Dieser Ansatz gefällt mir, stellt er doch gleich einen persönlichen Bezug her. Menschen aus lange vergangenen Jahrhunderten werden uns mit ihren Sorgen, Freuden und Nöten ganz nah gebracht. Dazu trägt auch der angenehme Schreibstil bei, der es schafft, aus den schriftlichen Quellen, aus bloßen Namen die Persönlichkeiten farbig von den Seiten treten zu lassen. Bei manchen Schicksalen habe ich mitgefiebert wie bei einem Roman. Von diesem persönlichen Schicksal aus geht es dann zu den allgemeineren Informationen über. Wie bereits erwähnt, gibt es hier sehr viele Informationen, der Schreibstil schafft es, sich auf’s Wesentliche zu beschränken und doch viele Details zu präsentieren. Das hat mir ausgezeichnet gefallen. Nur beim Thema Krieg wurde nach einem Schicksal aus dem 30jährigen Krieg der Rest etwas summarisch abgehandelt – über den Schwarzwald im Zweiten Weltkrieg hätte ich doch gerne mehr gelesen. Aber das war eine Ausnahme, insgesamt war ich sehr angetan von den präsentierten Informationen. Ich habe mich nie gelangweilt, stets interessiert gelesen und richtig viel gelernt, das auf unterhaltsame Weise.

Der Autor nennt uns stets die verwandten Quellen – spezifisch per Fußnote und dann noch durch ein erfreulich umfangreiches Quellenverzeichnis. Man sieht hier, wie viel Sorgfalt und Arbeit in die Recherche gesteckt wurden und ich werde nach manchem angegebenen Buch des Quellenverzeichnisses Ausschau halten. Hervorragend auch, daß jedem Kapitel einige Tips für Sehenswürdigkeiten oder gelegentlich einem Roman nachgestellt sind, die zum jeweiligen Thema passen.

So haben wir mit „Kämpfen. Leiden. Lieben.“ ein erfreulich informationsreiches Buch über das Leben im Schwarzwald durch viele Jahrhunderte, mit gut ausgewählten Themen, sorgfältiger Recherche und einem Text, dessen Lektüre Spaß macht. Gelungener geht es eigentlich nicht!

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Veröffentlicht am 30.03.2020

Gelungene, etwas geruhsame Ruhrpottgeschichte

Ein Traum vom Glück
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Das Ruhrgebiet als Handlungsort für einen Roman – das hat mich gleich angesprochen und deshalb wollte ich diesen ersten Band der „Ruhrpott-Saga“ auch unbedingt lesen. Das Buch spielt im Jahre 1951 und ...

Das Ruhrgebiet als Handlungsort für einen Roman – das hat mich gleich angesprochen und deshalb wollte ich diesen ersten Band der „Ruhrpott-Saga“ auch unbedingt lesen. Das Buch spielt im Jahre 1951 und die Nachkriegszeit finde ich als Thema ebenfalls interessant, also war „Ein Traum vom Glück“ eine gute Kombination.

Das Ruhrpottflair wird ganz hervorragend eingefangen. Man merkt, Eva Völler kennt den Pott, die Lebensart, die Denkweisen, die Leute. Einige Charaktere läßt sie im Ruhrpottdialekt sprechen und das ist nicht nur ausgezeichnet geschrieben (ich konnte es direkt hören), sondern trägt wesentlich zum lokalen Flair bei. Ein Glossar erklärt Dialekt und Bergbaubegriffe.

Die Geschichte beginnt ansprechend, wir sind nämlich gleich mitten drin in der Atmosphäre und dem Geschehen. In wenigen Sätzen merken wir – ja, das sind die 1950er, ja, das ist der Pott. Auch das Erzähltempo ist hier gut, denn wir erfahren nicht nur die Situation der Hauptperson Katharina, sondern lernen auch gleich den zweiten Hauptcharakter Johannes kennen, der aus der russischen Gefangenschaft heimkehrt und vielversprechende Themen mit sich bringt. Wir haben gleich zu Beginn zwei typische Themen der Nachkriegszeit: Katharina schlägt sich mit dem Schneidern durch, hat genug Ausbildung und Talent, um weitergehende Pläne zu verfolgen – ein Modeatelier. Das paßt zum Aufbruchsgeist dieser Zeit. Johannes ist aus gutem Hause, von der Schulbank weg noch am Ende in den Krieg gezerrt worden und hat in russischer Gefangenschaft Furchtbares hinter sich. Die Thematik der Heimkehrer ist noch nicht so oft literarisch behandelt worden und so war ich auf beide Themen gespannt.

Dann wird es allerdings wesentlich geruhsamer. Die Autorin zeichnet sehr liebevoll und sehr detailreich die Atmosphäre, versteht sich darauf auch gut. Man erhält ein wirklich umfassendes Bild jener Region in jener Zeit. Nur geht diese Detailfreude häufiger zu Lasten des Erzähltempos, gerade weil auch einige Dinge öfter wiederholt werden. Die Kochvorgänge von Katharinas Schwiegermutter Mine werden uns mehrfach über Seiten hinweg geschildert und die Kinderspiele und –streiche von Katharinas kleiner Tochter Bärbel nehmen ebenfalls zu viel Raum ein – diese habe ich irgendwann nur noch überflogen, weil sie nur selten für die Geschichte relevant waren. Alltägliche Unternehmungen sind ebenfalls sehr detailreich. Dagegen kommt das (unerwartete) Ende dann sehr rasch, knapp und abrupt. Da hätte ich mir mehr Raum gewünscht, so wirkte es – gerade im Vergleich zum restlichen Buch – überhastet.

Auch thematisch war die Gewichtung nicht vollständig mein Geschmack. Die oben erwähnten beiden Themen finden viel weniger Raum als erwartet, gerade Katharinas berufliche Pläne treten erzählerisch rasch zurück, was ich sehr schade fand. Johannes‘ Thematik bekommt ein wenig mehr Raum, ist kenntnisreich und anschaulich geschildert, geht aber für meinen Geschmack nicht genug ins Detail. Ich hatte immer gehofft, daß dazu noch was kommt, irgendetwas aufbricht, weil es alles so glatt lief. Ein damit zusammenhängender Handlungsstrang beginnt vielversprechend, findet dann aber ein etwas seltsames und zu praktisches Ende. Die Möglichkeit, dieses wichtige Thema zu behandeln, wurde für meinen Geschmack doch eher verschenkt. Hauptfokus ist eine Liebesgeschichte, bzw. eine große und mehrere kleinere Liebesgeschichten. Die sind gut erzählt, erfreulich (fast) frei von Kitsch und werfen mehrere interessante und zu der damaligen Situation passende Aspekte auf. Eva Völler gelingt es ohnehin gut, mit den Haupthandlungssträngen viele kleinere Handlungsstränge und Themen zu verknüpfen und eine Vielzahl von Themen zu behandeln. Lediglich die Gewichtung entsprach nicht meinem persönlichen Geschmack.

Vom Schreibstil her liest sich das Buch durchweg ansprechend, schön ist auch der ab und zu durchblitzende Humor. Ein wenig gestört hat mich, daß uns zu viel erklärt wird – der Leser bekommt die Schlußfolgerungen häufig auf dem Silbertablett serviert, anstatt sie selbst ziehen zu können. Ich ziehe „Zeigen, nicht erzählen“ vor. Hier hatten wir häufig Zeigen + Erzählen, und dies auch bei manchen Dingen wiederholt. Gerade die Tatsache, daß Katharina eine ausgesprochen schöne Frau ist, wird unnötig häufig erwähnt. Schön fand ich dagegen, wie uns die Charaktere nahegebracht werden. So erleben wir Katharinas „Schneiderwissen“ auch richtig, da sie gewohnheitsmäßig mit raschen Blicken Schnitt und Material der Kleidung anderer abschätzt und Fachkenntnis beweist. Ihre ältere Tochter Inge dürstet nach Bildung und es zieht sich angenehm durch das Buch, daß sie eine Schwäche für Fremdwörter oder „kluge“ Wörter hat. Überhaupt sind die Charaktere gut gezeichnet. Johannes, mein absoluter Lieblingscharakter, ist herrlich facettenreich und eine Person, mit der ich als Leser absolut mitfieberte, der mir am Herzen lag. Katharina war mir zu berechnend, zu kühl. Katharinas Schwiegermutter Mine, ein Pott-Urgestein, kommt zwar eher am Rande vor, wird aber herrlich echt und lebendig geschildert. Genau so sollte eine Nebenfigur sein – sie übernimmt nicht, aber man freut sich immer, wenn sie erscheint und die wenigen Sätze, die sie sagt, haben Hand und Fuß und zeigen ihr Wesen herrlich. Auch sonst gibt es vielfältige Charaktere, die anschaulich und echt wirken.

So ist „Ein Traum vom Glück“ ein gut lesbarer Roman mit herausragendem Lokalkolorit und gelungen gezeichneten Charakteren, der viele Themen anspricht. Wer mehr das Geschichtliche in historischen Romanen sucht, wird mit der Gewichtung nicht ganz so glücklich sein. Wer Liebesgeschichten mag und gegen ein geruhsames Erzähltempo mit vielen Alltagsdetails nichts einzuwenden hat, sollte definitiv zugreifen.

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Veröffentlicht am 28.03.2020

Treffend, pointiert und herrlich amüsant - Pott at its best

Radio Heimat
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"Radio Heimat" hat mich schon auf der ersten Seite zum Lachen gebracht, was durchaus eine beeindruckende Leistung ist. Auch sonst habe ich im ersten Teil ziemlich oft laut gelacht und mich über viele Geschichten ...

"Radio Heimat" hat mich schon auf der ersten Seite zum Lachen gebracht, was durchaus eine beeindruckende Leistung ist. Auch sonst habe ich im ersten Teil ziemlich oft laut gelacht und mich über viele Geschichten in diesem Buch sehr gut amüsiert.

Frank Goosen fängt den Pott einfach hervorragend ein. Er erzählt zu Beginn Geschichten aus seiner Kindheit und Jugend, von Omma und Oppa, Onkel Josef und Tante Henni und anderen Verwandten. Manche begegnen uns immer wieder, gerade Omma und Oppa begleiten uns durch eine Großteil des Buches und das ist gut so, denn über die beiden hätte ich noch viel mehr lesen können. Es passiert nichts Außergewöhnliches, es ist das ganz normale Ruhrpottleben der 60er - (etwa) 80er. Osterbesuche, Frühschoppen, Spaziergänge usw. Aber eben im Pott und das bekommt schon durch die herrlichen Dialoge im Dialekt so herrlich durch. Ich konnte es geradezu in meinem geistigen Ohr hören. Diese Dialoge alleine sind großes Kino. Aber auch sonst fließt gelungenes Lokalkolorit ein. Man spürt den Pott, seine Menschen und seine Eigenheiten. Wenn Frank Goosen der erste in der Familie ist, der studiert, der von den bodenständigen Wurzeln und "vonne Alleestraße" weg geht, sind die Reaktionen seiner Familie und seines Umfeldes herrlich geschildert. Pointiert, aber nie verletzend, wird uns hier viel nahegebracht und man sieht alles direkt vor sich.

Zwischendurch schwächeln die Geschichten für meinen Geschmack. Da haben wir dann Teenagerallerlei - trinken, Band gründen, Parties feiern. Da kommt das Spezielle des Ruhrpotts gar nicht mehr durch, das sind beliebige Teenagergeschichten, die es überall und jederzeit gibt. Auch einige satirisch überzeichnete Geschichten passen nicht so richtig in das Buch, denn auch hier geht es nicht wirklich um den Pott und seine Lebensart und es ist eben zu übertrieben. Das würde in einen Band mit allgemeinen Satiren passen, nicht aber in diese "Geschichten von zuhause". Auch gibt es einige leider ziemlich nichtssagende Geschichten. Das Buch fing fulminant an, fiel dann doch ziemlich ab und erholte sich ein wenig, bot einen leicht ruckeligen (passend zum eigensinnigen Ford Taunus des Autors) Schlußteil. Am besten ist Frank Goosen meiner Ansicht nach, wenn er im familiären Umwelt bleibt und mit deftigem Pottbezug vom alltäglichen Wahnsinn berichtet. Der Schreibstil ist durchweg erfreulich, unterhaltsam, treffend.

Unterhaltsam und empfehlenswert ist das Buch allemal und echtes Pottgefühl bekommt man hier absolut. Leseempfehlung für alle, die sich immer noch wundern, daß es im Pott "so viel Grün" gibt und für die, die den Pott kennen und ihn hier herrlich wiederfinden.

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Unterhaltsame nostalgische Reise

Legendäre Reisen in Deutschland
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"Legendäre Riesen in Deutschland" ist eine launige Melange aus alten Fotos, Zitaten, Abbildungen von Postkarten, Reisebroschüren, Hotelrechnungen und anderen mit dem Reisen zusammenhängenden Dingen. Die ...

"Legendäre Riesen in Deutschland" ist eine launige Melange aus alten Fotos, Zitaten, Abbildungen von Postkarten, Reisebroschüren, Hotelrechnungen und anderen mit dem Reisen zusammenhängenden Dingen. Die Vielfalt macht Spaß und man kann so gleich mehrere Aspekte des Titelthemas entdecken.

Die Gestaltung ist ansprechend, ein hochwertig gestalteter fester Einband ist bereits vielversprechend und der Standard hält sich im Buch, das insgesamt gelungen nostalgisch und doch übersichtlich daherkommt.

Das Buch besteht aus fünf Teilen, jeder widmet sich einer Route durch eine andere Gegend des heutigen Deutschlands. Einem Einführungstext zur jeweiligen Region folgen dann die einzelnen Orte und Gegenden. Hier gibt es für jeden Ort/jede Gegend zuerst ein Zitat, die schön ausgewählt sind - manchmal eher stimmungsvoll, manchmal informativ. Es kommen eine Vielzahl an Leuten zu Wort - u.a. Goethe, Heine, Rilke, Fontane, auch Auszüge aus dem Baedeker finden sich. Die Zitate sind eine Freude, da so vielfältig und so passend ausgesucht. Hinten im Buch findet man einen Zitatnachweis und einige der dort genannten Bücher werde ich mir sicher genauer anschauen.

Die Fotos stammen größtenteils aus der Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert, zeigen meistens die erwähnten Orte, manchmal aber auch Urlauber, wartende Hotelpagen oder Restaurants. Auch hier: eine schöne Mischung. Die Hotelrechnungen fand ich ebenfalls interessant, so findet sich auf einer der Posten "Dienerschafts-Zehrung" - es ist unterhaltsam und informativ, zu sehen, welche Posten damals enthalten waren. Kurze Texte zu jedem Ort sind ebenfalls erstaunlich informativ, hier wurden viele Informationen gelungen in wenig Text gepackt - denn vorherrschend sind die Abbildungen. Die meisten Orte erhalten eine bis zwei Doppelseiten, nur größere Städte wie München, Frankfurt, Hamburg oder Berlin werden ausführlicher behandelt. Ein Manko: Leipzig erhält gerade mal eine Doppelseite und ein Doppelseitenfoto, Dresden dagegen mehrere Seiten. Da hätte Leipzig ruhig ebenfalls ein wenig mehr Raum verdient.

So kann man hier ganz gemütlich durch ganz Deutschland reisen, sich Eindrücke aus mehreren Jahrhunderten zu Gemüte führen, manche Dinge wiedererkennen, auch leider mittlerweile zerstörte Stadtbilder entdecken und ganz nebenbei durchaus einiges über Land und Alltagsleben lernen. Eine gelungene unterhaltsame Mischung!

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Veröffentlicht am 18.03.2020

Für meinen Geschmack viel zu überzogen und teils unlogisch

Unter der Erde
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Ich habe eine große Schwäche für Bücher, in denen ein ganzes Dorf (oder mehrere Leute dort) dunkle Geheimnisse verbergen. Insofern hat mich „Unter der Erde“ sofort interessiert. Der Anfang war auch gleich ...

Ich habe eine große Schwäche für Bücher, in denen ein ganzes Dorf (oder mehrere Leute dort) dunkle Geheimnisse verbergen. Insofern hat mich „Unter der Erde“ sofort interessiert. Der Anfang war auch gleich vielversprechend. Der Schreibstil liest sich angenehm, das bleibt auch im ganzen Buch so. Wenn wir den Hauptcharakter Elias zu Beginn im Auto auf die Fahrt in das kleine Dorf in der Lausitz begleiten, dann ist das herrlich farbig beschrieben. Kleine Eindrücke fließen ein und tragen zur bildhaften Erzählweise bei. Man sieht es alles vor sich und spürt die flirrende Sommerhitze. Elias selbst ist ein ziemlicher Antiheld – man stellt sich einen übergewichtigen unfitten Althippie vor, was ich mal ganz angenehm fand. Auch das Dorf, das letztlich nur aus einer Straße besteht, ist in seiner ganzen Trostlosigkeit wunderbar eingefangen. Man spürt die Beklemmung geradezu und das Dorfleben, der Geburtstagskaffee von Elias Großvater Wilhelm sind sehr realistisch beschrieben.

Schon ziemlich zu Beginn wird klar, daß im Dorf etwas nicht stimmt und diese Verdachtsmomente schrauben sich gelungen nach und nach hoch. Elias fallen Unstimmigkeiten auf und ich habe sehr gebannt gelesen, um zu erfahren, wie das alles zusammenhängt. Der Autor flicht einige Gespräche von zwei unbekannten Leuten ein, die diese per Funkgerät führen, wodurch wir noch einige Informationen erhalten, die Elias nicht bekommt. Außerdem reisen wir immer wieder mal in die Vergangenheit, einerseits durch Elias‘ Kindheitserinnerungen, andererseits durch Textpassagen, die 1946 spielen. Das ist alles abwechslungsreich gemacht und gibt uns verschiedene Möglichkeiten, unser Bild zu vervollständigen. Auch als Elias anfängt, ein wenig nachzuforschen, war das genau mein Geschmack. Ich erwartete mir eine interessant geschilderte schrittweise Aufdeckung, neue Puzzleteile, neue Erkenntnisse.

Nach dem vielversprechenden Anfang wurde diese Erwartung aber leider dann größtenteils nicht erfüllt. Ein wenig störend fand ich die anfänglich Überbenutzung von „Schockmomenten“ – ständig taucht überraschend jemand auf, ruft überraschend jemand an, bricht überraschend was zusammen. Elias kann kein Papier lesen, keinen Anruf machen, ohne nicht von so etwas unterbrochen zu werden. Diese inflationäre Mini-Cliffhanger-Praxis hat mir schon Fitzeks Bücher verleidet und nutzt sich schnell ab. Das hat hier aber das Lesevergnügen nicht wesentlich beeinträchtigt. Für mich schlug das Buch exakt ab Kapitel 13 eine Richtung ein, die mir dann immer weniger gefiel. Die Handlung wird dann aber leider auch immer abgedrehter und teilweise unlogisch.

Mit den interessanten Nachforschungen und Puzzlestücken ist es dann auch fast vorbei. Fast die gesamte zweite Hälfte des Buches besteht in einem langgezogenen Showdown und das ist nicht mein Geschmack. Erfreulicher waren in diesem Buchabschnitt die Rückblicke in das Jahr 1946, die historisch interessant und zudem anschaulich geschildert waren. Leider werden diese zum Ende hin immer holzhammermäßiger. Sie sollen uns aufzeigen, wie hart und mitleidlos jemand wird und das wird uns nicht nur in immer neuen Beispielen geschildert, sondern auch noch mehrfach mitgeteilt, obwohl der Leser es schon begriffen hat. Das war unnötig und beim Lesen eher ärgerlich. Auch der Showdown hat zwar einige spannende Momente – gerade bei einem Charakter gelingt es dem Autor hervorragend, uns bis fast zum Ende rätseln lassen, auch welcher Seite dieser steht – und es kommt auch durch Elias‘ Erinnerungen eine Entwicklung ans Licht, mit der ich nie gerechnet hatte und die ausgezeichnet geschildert wird. Aber sonst folgt der Showdown in großen Teilen dem üblichen Showdownverlauf und birgt wenig Überraschungen. Dafür werden einige ausgesprochen skurrile Szenen eingebaut, die teilweise auf mich letztlich albern wirkten. Insofern war diese zweite Hälfte fast nur in den Rückblicken erfreulich zu lesen.

Das dunkle Geheimnis des Dorfes war mir dann auch einfach zu übertrieben, zu unglaubwürdig. Es bleiben auch einige Fragen unbeantwortet und es gab mehrere Logiklöcher. Insofern entsprach das Buch leider aus mehreren Gründen nicht meinen Erwartungen. Wer nichts gegen eine überzogene Handlung hat und gerne längere Showdowns liest, wird hier auf seine Kosten kommen und man muß auch loben, daß der Autor sich absolut einiges hat einfallen lassen und sich nicht scheut, ungewöhnliche Wege zu gehen. Mein Geschmack war es aber leider größtenteils nicht.

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