Gelungene, etwas geruhsame Ruhrpottgeschichte
Ein Traum vom GlückDas Ruhrgebiet als Handlungsort für einen Roman – das hat mich gleich angesprochen und deshalb wollte ich diesen ersten Band der „Ruhrpott-Saga“ auch unbedingt lesen. Das Buch spielt im Jahre 1951 und ...
Das Ruhrgebiet als Handlungsort für einen Roman – das hat mich gleich angesprochen und deshalb wollte ich diesen ersten Band der „Ruhrpott-Saga“ auch unbedingt lesen. Das Buch spielt im Jahre 1951 und die Nachkriegszeit finde ich als Thema ebenfalls interessant, also war „Ein Traum vom Glück“ eine gute Kombination.
Das Ruhrpottflair wird ganz hervorragend eingefangen. Man merkt, Eva Völler kennt den Pott, die Lebensart, die Denkweisen, die Leute. Einige Charaktere läßt sie im Ruhrpottdialekt sprechen und das ist nicht nur ausgezeichnet geschrieben (ich konnte es direkt hören), sondern trägt wesentlich zum lokalen Flair bei. Ein Glossar erklärt Dialekt und Bergbaubegriffe.
Die Geschichte beginnt ansprechend, wir sind nämlich gleich mitten drin in der Atmosphäre und dem Geschehen. In wenigen Sätzen merken wir – ja, das sind die 1950er, ja, das ist der Pott. Auch das Erzähltempo ist hier gut, denn wir erfahren nicht nur die Situation der Hauptperson Katharina, sondern lernen auch gleich den zweiten Hauptcharakter Johannes kennen, der aus der russischen Gefangenschaft heimkehrt und vielversprechende Themen mit sich bringt. Wir haben gleich zu Beginn zwei typische Themen der Nachkriegszeit: Katharina schlägt sich mit dem Schneidern durch, hat genug Ausbildung und Talent, um weitergehende Pläne zu verfolgen – ein Modeatelier. Das paßt zum Aufbruchsgeist dieser Zeit. Johannes ist aus gutem Hause, von der Schulbank weg noch am Ende in den Krieg gezerrt worden und hat in russischer Gefangenschaft Furchtbares hinter sich. Die Thematik der Heimkehrer ist noch nicht so oft literarisch behandelt worden und so war ich auf beide Themen gespannt.
Dann wird es allerdings wesentlich geruhsamer. Die Autorin zeichnet sehr liebevoll und sehr detailreich die Atmosphäre, versteht sich darauf auch gut. Man erhält ein wirklich umfassendes Bild jener Region in jener Zeit. Nur geht diese Detailfreude häufiger zu Lasten des Erzähltempos, gerade weil auch einige Dinge öfter wiederholt werden. Die Kochvorgänge von Katharinas Schwiegermutter Mine werden uns mehrfach über Seiten hinweg geschildert und die Kinderspiele und –streiche von Katharinas kleiner Tochter Bärbel nehmen ebenfalls zu viel Raum ein – diese habe ich irgendwann nur noch überflogen, weil sie nur selten für die Geschichte relevant waren. Alltägliche Unternehmungen sind ebenfalls sehr detailreich. Dagegen kommt das (unerwartete) Ende dann sehr rasch, knapp und abrupt. Da hätte ich mir mehr Raum gewünscht, so wirkte es – gerade im Vergleich zum restlichen Buch – überhastet.
Auch thematisch war die Gewichtung nicht vollständig mein Geschmack. Die oben erwähnten beiden Themen finden viel weniger Raum als erwartet, gerade Katharinas berufliche Pläne treten erzählerisch rasch zurück, was ich sehr schade fand. Johannes‘ Thematik bekommt ein wenig mehr Raum, ist kenntnisreich und anschaulich geschildert, geht aber für meinen Geschmack nicht genug ins Detail. Ich hatte immer gehofft, daß dazu noch was kommt, irgendetwas aufbricht, weil es alles so glatt lief. Ein damit zusammenhängender Handlungsstrang beginnt vielversprechend, findet dann aber ein etwas seltsames und zu praktisches Ende. Die Möglichkeit, dieses wichtige Thema zu behandeln, wurde für meinen Geschmack doch eher verschenkt. Hauptfokus ist eine Liebesgeschichte, bzw. eine große und mehrere kleinere Liebesgeschichten. Die sind gut erzählt, erfreulich (fast) frei von Kitsch und werfen mehrere interessante und zu der damaligen Situation passende Aspekte auf. Eva Völler gelingt es ohnehin gut, mit den Haupthandlungssträngen viele kleinere Handlungsstränge und Themen zu verknüpfen und eine Vielzahl von Themen zu behandeln. Lediglich die Gewichtung entsprach nicht meinem persönlichen Geschmack.
Vom Schreibstil her liest sich das Buch durchweg ansprechend, schön ist auch der ab und zu durchblitzende Humor. Ein wenig gestört hat mich, daß uns zu viel erklärt wird – der Leser bekommt die Schlußfolgerungen häufig auf dem Silbertablett serviert, anstatt sie selbst ziehen zu können. Ich ziehe „Zeigen, nicht erzählen“ vor. Hier hatten wir häufig Zeigen + Erzählen, und dies auch bei manchen Dingen wiederholt. Gerade die Tatsache, daß Katharina eine ausgesprochen schöne Frau ist, wird unnötig häufig erwähnt. Schön fand ich dagegen, wie uns die Charaktere nahegebracht werden. So erleben wir Katharinas „Schneiderwissen“ auch richtig, da sie gewohnheitsmäßig mit raschen Blicken Schnitt und Material der Kleidung anderer abschätzt und Fachkenntnis beweist. Ihre ältere Tochter Inge dürstet nach Bildung und es zieht sich angenehm durch das Buch, daß sie eine Schwäche für Fremdwörter oder „kluge“ Wörter hat. Überhaupt sind die Charaktere gut gezeichnet. Johannes, mein absoluter Lieblingscharakter, ist herrlich facettenreich und eine Person, mit der ich als Leser absolut mitfieberte, der mir am Herzen lag. Katharina war mir zu berechnend, zu kühl. Katharinas Schwiegermutter Mine, ein Pott-Urgestein, kommt zwar eher am Rande vor, wird aber herrlich echt und lebendig geschildert. Genau so sollte eine Nebenfigur sein – sie übernimmt nicht, aber man freut sich immer, wenn sie erscheint und die wenigen Sätze, die sie sagt, haben Hand und Fuß und zeigen ihr Wesen herrlich. Auch sonst gibt es vielfältige Charaktere, die anschaulich und echt wirken.
So ist „Ein Traum vom Glück“ ein gut lesbarer Roman mit herausragendem Lokalkolorit und gelungen gezeichneten Charakteren, der viele Themen anspricht. Wer mehr das Geschichtliche in historischen Romanen sucht, wird mit der Gewichtung nicht ganz so glücklich sein. Wer Liebesgeschichten mag und gegen ein geruhsames Erzähltempo mit vielen Alltagsdetails nichts einzuwenden hat, sollte definitiv zugreifen.