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Veröffentlicht am 17.09.2019

Gemischtes Vergnügen

Die Battenbergs
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Das Buch ist ausnehmend schön und hochwertig gestaltet, vom Hardcovereinband bis hin zum edel-cremefarbenen Papier mit angenehmer Haptik und der dezenten Farbwahl für Überschriften und Bildbeschriftungen. ...

Das Buch ist ausnehmend schön und hochwertig gestaltet, vom Hardcovereinband bis hin zum edel-cremefarbenen Papier mit angenehmer Haptik und der dezenten Farbwahl für Überschriften und Bildbeschriftungen. Vorne befindet sich ein ebenfalls sehr schön gestalteter Stammbaum der Battenbergs. Dieser ist manchmal ein wenig verwirrend, da die Kinder nicht immer in Geburtsreihenfolge aufgeführt werden, was wohl gestalterische Gründe hat. Über ein beiliegendes Lesezeichen freute ich mich zuerst, bis ich feststellte, daß es ein Hinweis auf immerhin 8 falsche Bildunterschriften im Buch ist, die hier korrigiert werden. Das ist eine charmante Art der Fehlerkorrektur, aber ich frage mich schon, wie acht falsche Bildunterschriften durchrutschen konnten - gerade angesichts der hochwertigen Gestaltung fällt so etwas ein wenig unangenehm auf.

Dreizehn Beiträge namhafter Autoren, vorwiegend natürlich Historiker, berichten über die Familie, jeder mit einem anderen Schwerpunkt. Einige Beiträge sind auf Deutsch, andere auf Englisch verfaßt. Sie werden anschließend in der jeweils anderen Sprache zusammengefaßt. Das ist eine gute Idee, aber die Zusammenfassungen sind arg kurz (zB 13 Seiten Artikel auf einer Seite zusammengefaßt) und ich glaube, wenn jemand nicht beider Sprache hinreichend mächtig ist, wird er von dem Buch jeweils nur halb etwas haben. Wie bei Anthologien üblich ist die Qualität der Beiträge wechselnd. Bei einigen merkt man, daß hier ein Wissenschaftler zwar viel weiß, aber es nicht unbedingt interessant darbringen kann. Einige Artikel verlieren sich in ausgesprochen verwickelten politischen Beschreibungen, andere werfen uns mit Namen zu, bis man vor lauter Nachschauen im Stammbaum gar nicht mehr dazu kommt, den Text richtig zu lesen. Die beiden letzten Texte über Prince Philip und seinen Onkel Louis sind stark subjektiv schöngefärbt. Einige Beiträge, gerade zu Beginn, greifen den gleichen Themenkomplex auf und so lesen wir in zwei aufeinanderfolgenden Artikeln letztlich das Gleiche zweimal, sogar mit den gleichen Zeitzeugenzitaten. Hier hätte man die Beiträge vielleicht sorgfältiger auswählen oder editieren können, denn ein nicht unbedingt günstiges Buch, welches einem mehrfach die gleichen Informationen liefert, ist doch ein wenig enttäuschend.

Nun erfährt man aber durchaus auch einiges über die Familie und die Fokussierung auf ein Thema oder einen Themenkomplex pro Artikel hat seine Vorteile. Es gibt zahlreiche interessante Informationen, Facetten einer vielseitigen Familie. Manche Familienmitglieder werden sehr persönlich geschildert und man nimmt Anteil an ihrem Schicksal, weil sie aus dem Stammbaumgewirr als Menschen hinter den Namen heraustreten, wie zB Heinrich "Liko". Zahlreiche Zitate reichern die Texte an, viele Zusammenhänge werden erklärt, die Quellenangaben sind ausgezeichnet und es finden sich ebenfalls viele Abbildungen.

So hing das Lesevergnügen stark von den einzelnen Beiträgen ab und läßt mich mit einem gemischten Eindruck zurück. An der Familie Interessierte werden hier aber in jedem Fall reichlich Informationen finden (wer an den späteren Generationen interessiert ist, sollte des Englischen gut mächtig sein).

Veröffentlicht am 16.09.2019

Geruhsam erzählte Reise zu sich selbst

Gestern ist ein ferner Ort
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"Gestern ist ein ferner Ort" hat mich durch Klappentext und Leseprobe gleich interessiert. Wir lernen Celia kennen, die nach einem Schlaganfall im Koma lag und nun unter partieller Amnesie leidet. Celia, ...

"Gestern ist ein ferner Ort" hat mich durch Klappentext und Leseprobe gleich interessiert. Wir lernen Celia kennen, die nach einem Schlaganfall im Koma lag und nun unter partieller Amnesie leidet. Celia, das erkennen wir sofort, ist eine energische und intelligente Dame, die bislang offenbar selbstbestimmt und erfolgreich gelebt hat. Nun von ihrer Umwelt, insbesondere ihrer Tochter Paula, wie eine Invalidin behandelt zu werden, geht ihr verständlicherweise gegen den Strich. Sehr schön wird uns im ersten Teil des Buches geschildert, wie Celia und Paula umeinander herumschleichen, beide nicht so recht wissen, wie sie mit der neuen Situation und ihrer neuen Beziehung miteinander umgehen sollen. Paula verpaßt Celia eine ganze Reihe an Vorschriften und wie der Klappentext schon verrät: sie verschweigt ihrer Mutter etwas und hat auch Celias Umfeld sogfältig instruiert. So rennt Celia ständig gegen Wände, als sie nach ihren Erinnerungen sucht.

Es werden zahlreiche Andeutungen gemacht, daß es ein dunkles Geheimnis gibt und daß Celia in den Jahren vor ihrem Schlaganfall eine ganz andere Person war, als wir sie nun erleben. Eine mysteriöse Jugendfreundin wird erwähnt, ein seltsam abwesender Sohn, Familienzwiste und noch vieles mehr. Gebannt begab ich mich mit Celia auf diese Reise und wurde mit jeder Andeutung gespannter, was sich da alles aufdecken würde.

Vorweg muß ich schon sagen, daß ich am Ende dieser Reise doch ein wenig enttäuscht war. Die meisten der Andeutungen verpuffen im Laufe der Geschichte und viele Punkte, zu denen ich gerne wesentlich mehr erfahren hätte, werden nicht weiter erwähnt oder nur im Vorbeigehen behandelt.

Letztlich geht es nämlich gar nicht so sehr um diese Geheimnisse, um Celias vorheriges Selbst, sondern das Buch ist eine Art innerer Reise Celias zu sich selbst, zu ihrer Vergangenheit, zu ihr wichtigen Menschen. Hier hat mich der Klappentext leider etwas in die Irre geführt und meine Erwartungen nicht völlig getroffen.

Die Sprache des Autors ist ausgezeichnet. Klar, wohlformuliert, oft poetisch. Auch die Übersetzung ist gut. Celia als Charakter ist gelungen, glaubhaft und vielschichtig, auch wenn mir leider am Ende noch zu große Lücken bzgl. ihrer vorherigen Persönlichkeit bleiben. Die anderen Charaktere sind wesentlich blasser als sie, kamen mir nur teilweise nahe.

Umgebungen und Atmosphäre sind hervorragend beschrieben. Man sieht die Terrasse, die Meeratmosphäre, die staubigen Landstraßen richtiggehend vor sich und spürt oft die herrschende Stimmung. Das zeugt von einem guten Blick für Details. Diese Detailliebe führt aber zugleich auch zu stilistischen Komponenten, die mir nicht zugesagt haben. Für mich nebensächliche Dinge werden ausführlich und wiederholt beschrieben. Die Bestandteile jeder Mahlzeit, teils banale Alltagsunterhaltungen und andere Dinge nehmen sehr viel Raum ein und konnten mein Leseinteresse nicht bannen. Celia entdeckt über ihre Enkelin ein Social Media Farmspiel, was als Idee an sich gut ist, um die Verbindung zwischen Celia und ihrer Enkelin, sowie Celias Möglichkeit, sich so in eine routinierte Beschäftigung zu finden, darzustellen. Allerdings wird das Spiel und dessen einzelne Schritte dann ständig viel zu ausführlich beschrieben - das wäre zum Vermitteln der Botschaft nicht notwendig gewesen.

Auf ihrer Reise zu sich selbst besucht Celia mehrere Menschen aus ihrer Vergangenheit. Das ist teilweise recht interessant, gerade wenn wichtige Punkte aus der Vergangenheit zur Sprache kommen, oder sie nach Jahrzehnten einen ihr wichtigen Menschen neu entdeckt. Oft bestehen diese Besuche aber aus Alltäglichem, aus vielen Details, die für mich für die Geschichte nicht notwendig waren. Diese Menschen erscheinen und verschwinden dann größtenteils wieder.

Während diese Dinge viel Raum bekommen, bleiben viele Punkte unerklärt oder kaum erklärt. Nachdem Celia relevante Themen aufdeckt, habe ich gespannt darauf gewartet, was nun geschieht, wie sie reagiert, wie sie sich fühlt. Es ging weiter mit Mahlzeiten, Farmspielen, Alltagsroutinen. Mir fehlte hier einfach sehr viel. Dafür werden einige neue "Baustellen" aufgemacht, deren Sinn sich mir nicht erschloß. Am Ende war ich enttäuscht, wie viele Andeutungen mich neugierig gemacht hatten und dann einfach in der Geschichte verschwunden sind. Die Gewichtung war nicht mein Fall.

Es kommt hier wirklich sehr darauf an, was man erwartet. Wer Wert auf stimmungsvolle Szenen, behutsames Erzähltempo, eine innere Reise teilweise ohne Antworten legt, wird dieses Buch genießen, denn es ist in dieser Hinsicht ausgezeichnet konzipiert und geschrieben. Mein Geschmack war es aufgrund der erwähnten Punkte leider nicht ganz, wobei ich doch froh bin, es kennengelernt zu haben.

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  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Emotionen
  • Thema
Veröffentlicht am 15.09.2019

Schön erzählt, aber leider zu distanziert

Die Dame hinter dem Vorhang
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Der Einband ist ein Traum, hochwertig gestaltet, wie überhaupt das Buch eine visuelle und haptische Freude ist. Solche liebevoll gestalteten Bücher sind wirklich etwas Besonderes und hier ist alles, bis ...

Der Einband ist ein Traum, hochwertig gestaltet, wie überhaupt das Buch eine visuelle und haptische Freude ist. Solche liebevoll gestalteten Bücher sind wirklich etwas Besonderes und hier ist alles, bis hin zu Muster auf dem Vorsatzblatt, wirklich gelungen.

Das interessante Konzept dieses Buches ist es, daß uns das Leben der Lyrikerin Edith Sitwell durch ihr - fiktives - Dienstmädchen Jane und deren Mutter Emma erzählt wird. Eine 1964 in den letzten Tagen Edith Sitwells spielende Rahmenhandlung führt durch das Buch, in diversen Rückblicken reisen wir dann durch Teile von Edith Sitwells Leben, ebenso wie durch das Leben von Jane und Emma. Die Rahmenhandlung empfand ich leider als sehr zäh - wenn Rahmenhandlungen eine eigene Handlung fehlt, kommt das schnell vor, denn hier beschränkt sich die Autorin nicht auf das Wesentliche, sondern ergeht sich in zahlreichen Details und belanglosen Dialogen. Diese Szenen waren für mich die große Schwäche des Buches.

Wudervoll dagegen ist der erste Teil der Buches, der Emmas Geschichte berichtet. Der Schreibstil liest sich leicht, beschreibt gut, gerade in diesem Abschnitt kann Veronika Peters eine herrliche "Upstairs Downstairs"-Atmosphäre hervorrufen und das englische Landsitzleben farbig beschreiben. Die Sitwells kommen hier nur am Rande vor, der Fokus liegt hier auf dem Leben der Dienstboten, was der Geschichte keineswegs schadet, fast im Gegenteil. Das ist richtig interessant und mir hat das Lesen hier viel Spaß gemacht. Wir erleben diese Welt durch Emmas zu Beginn noch kleinkindliche Augen und somit aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Wenn Ediths Eltern die Szenerie betreten, kommt einerseits ein neuer Reiz in die Geschichte, da wir reichlich Andeutungen erhalten, daß diese beiden - höflich ausgedrückt - ihre charakterlichen Besonderheiten haben. Andererseits merkt man aber auch schon den Nachteil der gewählten Erzählperspektive: wir erfahren nur das, was Emma oder Jane wissen und das ist, was alle Sitwells betrifft, nicht besonders viel. Emma und Jane betrachten von draußen, ausschnittsweise. So bleiben viele Fragen offen, viele interessante Aspekte unerzählt. Ein gutes Beispiel sind die sehr schön formulierten Sätze über Edith: "Sie kämpfte wie eine Löwin. Meistens gegen sich selbst. Aber auch darin war sie auf erschreckende Weise großartig." Das liest man, nimmt es zu Kenntnis und wünscht sich, es doch auch durch die Handlung unmittelbar zu erfahren. Ja, es gibt hier und da einige Hinweise, aber sie sind zu spärlich.

Das zieht sich leider durch das ganze Buch. Die 20er Jahre werden fast völlig übersprungen, obwohl es dort so viel zu berichten gegeben hätte. Wir erfahren über die Zeit zwischen Ediths Kindheit und ihrem 40. Lebensjahr nur kurz etwas in Anmerkungen, was ausgesprochen schade ist. Ab 1927 plätschert dann Janes Leben als Edith Sitwells Dienstmädchen recht unaufgeregt dahin. Die Gewichtung sagte mir oft nicht zu - viel Nebensächliches wird detailliert berichtet, viel Interessantes nur gestreift, gerade, was das Leben Edith Sitwells betrifft. Über 15 Seiten werden zB den ersten beiden Tagen Janes in Ediths Diensten gewidmet, davor wurde schon ihre Anreise nach London in genauen Details und auf mehreren Seiten geschildert. Wir sind bei einem Rundgang dabei, auf dem Jane allerlei alltägliche Informationen über Geschäfte, Einkäufe und Händler erhält. Diese Anreise und die o.e. 15 Seiten Haushaltsinformationen nehmen insgesamt genau so viel Platz ein wie die Jahre des Zweiten Weltkrieges, über die ich gerne viel mehr gelesen hätte. So ging es mir beim Lesen ständig - für mich wenig Relevantes wurde ausführlich beschrieben, die Kleidung und der Schmuck Ediths immer wieder detailliert aufgelistet, aber Dinge, über die ich gerne mehr gelesen hätte, werden für meinen Geschmack zu kurz gefaßt. Die Atmosphäre wird einigermaßen, aber nicht wirklich überzeugend eingefangen. Es ist alle recht anekdotisch und bleibt leider für mich zu sehr an der Oberfläche. Hinzu kommt, daß wir manche Ereignisse nicht direkt erfahren, sondern Jane uns berichtet, was ihr jemand berichtete. Das ist angesichts der gewählten Erzählperspektive wohl nicht anders machbar, aber dadurch bleibt die Distanz. Janes hingebungsvolle Verehrung Edith Sitwells konnte ich nicht nachvollziehen, da wir hier hauptsächlich eine dramatisch gekleidete Dame kennenlernen, die Unverschämtheit mit Orginalität verwechselt und sich für einzigartig hält. Inwieweit das begründet ist, erfahren wir kaum, denn Edith Sitwells Werk, ihre Kämpfe, ihre Gedanken erlesen wir erneut nur am Rande und per zweiter oder dritter Hand.

Angenehm ist der Schreibstil, der sich durchweg gut lesen läßt. Auch über Edith Sitwell und ihre Familie habe ich einiges erfahren, wenn auch weniger, als ich erwartet hatte. Die Vermischung des Schicksals von Emma & Jane sowie von Edith führte dazu, daß letztlich keiner der beiden "Seiten" genug Beachtung widerfuhr. Symptomatisch war hier für mich auch das Ende, an dem noch rasch und nebenbei eine Art Familiengeheimnis aufgedeckt wird, das für mich zur Geschichte überhaupt nichts beitrug. Insofern bot mir das Buch ein leider nur gemischtes Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 10.09.2019

Die sind nun also die letzten Zeilen

Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles
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Dieses Buch enthält 123 der insgesamt 750 erhaltenen Briefe, die Theodor und Emilie Fontane sich zwischen 1844 und 1898 geschrieben haben. Sie sind chronologisch in zehn Abschnitte aufgeteilt, die sich ...

Dieses Buch enthält 123 der insgesamt 750 erhaltenen Briefe, die Theodor und Emilie Fontane sich zwischen 1844 und 1898 geschrieben haben. Sie sind chronologisch in zehn Abschnitte aufgeteilt, die sich jeweils einem bestimmten Lebensabschnitt der Fontanes widmen. Jedem Abschnitt ist ein erklärender Text vorangestellt. Diese Texte sind ganz ausgezeichnet. In gutem Stil geben sie einen Überblick über die jeweiligen Lebensabschnitte, erläutern einige Aspekte der Briefe, geben wichtige Hintergrundinformationen. Die Texte dienen bereits als eine recht gute Kurzbiographie Theodor Fontanes ab der Zeit seiner Eheschließung. Sie sind ausgezeichnet lesbar und erleuchten auch das Verhältnis zwischen Theodor und Emilie Fontane gelungen.

Die Briefe selbst lesen sich ebenfalls sehr erfreulich. Beide Eheleute schreiben intelligent und unterhaltsam, bei Theodor Fontane blitzt der trockene Humor immer wieder herrlich durch. Gerade seine Beobachtungen anderer Menschen und der verschiedenen Orte seiner Reisen sind scharfsinnig und oft amüsant. An anderen Stellen zuckt man angesichts seiner ruppigen Art zusammen - seine Frau Emilie hat sich einiges von ihm anhören und vorwerfen lassen müssen. Und doch ist eine Zuneigung zu ihr evident und er schreibt auch herrliche Überlegung über die Natur der Zuneigung.

Emilie Fontane, von der leider weniger Briefe vorliegen, schreibt freundlich-resolut, hat keine Scheu, ihre Meinung kundzutun. Wenn sie ihrem Mann Rückmeldung zu seinem literarischen Werken gibt (sie schrieb alles sauber ab, arbeitete sich durch seine teils verirrenden Annotationen, gab auch wertvolle inhaltliche Meinungen), tut sie dies behutsam, aber ehrlich. Sie weiß, daß ihr Mann hier durchaus eitel ist und kann damit gut umgehen.

Insgesamt begleiten uns diese Briefe durch fast fünf Jahrzehnte einer partnerschaftlichen, liebevollen Ehe, die durchaus ihre schweren Phasen hat. Die Auswahl der Briefe bietet eine schöne Bandbreite all dieser Themen und Emotionen und bringt uns die Fontanes sehr nahe. Auch über das Alltagsleben der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erfahren wir hier aus erster Hand viel. Ein Personenverzeichnis am Ende (das ich leider zu spät entdeckte, es hätte mir doch einige Verwirrung erspart) gibt kurze biographische Informationen zu in den Briefen oft erwähnten Personen. Ab und an wäre eine Fußnote zu in den Briefen erwähnten Themen hilfreich gewesen, aber im Großen und Ganzen liefern die Einführungstexte und das Personenverzeichnis die notwendigen Hintergrundformationen.

So erhält man hier einen sehr direkten Blick auf die Menschen Theodor und Emilie Fontane mit ihren Stärken, Schwächen, Problemen und Freuden, zugleich einen Eindruck von einer trotz aller Schwierigkeiten von tiefer Zuneigung geprägten Ehe.

Veröffentlicht am 08.09.2019

Es gibt nicht nur eine Erinnerung

Wie Frau Krause die DDR erfand
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In diesem recht kurzen Büchlein begegnen wir Isabella Krause, die für eine Fernsehproduktion Zeitzeugen finden soll, die über das Leben in der DDR berichten. Das Titelbild läßt das Thema sofort erkennen, ...

In diesem recht kurzen Büchlein begegnen wir Isabella Krause, die für eine Fernsehproduktion Zeitzeugen finden soll, die über das Leben in der DDR berichten. Das Titelbild läßt das Thema sofort erkennen, vor dem im "mangelwirtschaftsmattblau" gehaltenen Hintergrund, das eine typische Trabant-Farbe war, blicken uns von zwei Fernsehbildschirmen diverse DDR-Symbole entgegen, wie das Sandmännchen, der Wartburg, der Fernsehturm und die Weltzeituhr.

Wir lernen Isabella als eher erfolglose Schauspielerin kennen und erfahren im Laufe des Buches durch ihre Erinnerungen Stück für Stück mehr über sie. Gerade die Erinnerungen an ihre Kindheit und an ihre teils ungewöhnliche Familie sind unterhaltsam zu lesen, in einer schönen Mischung aus amüsant und liebevoll. Überhaupt ist der Schreibstil eine Freude. Die Autorin hat ihren ganz eigenen Stil, trocken, prägnant, bildhaft. Ich habe schon nach einigen Seiten des Buches nachgesehen, welche Bücher sie noch geschrieben hat, denn sie fällt sprachlich angenehm auf.

Isabellas Auftrag für die Fernsehproduktion stößt uns gleich auf die gängigen Ost-West-Vorurteile, denn die Produktionsfirma ist aus dem Westen. Und wir sehen, daß auch fast genau 30 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht wirklich zusammengewachsen ist, was zusammengehört und gerade bei den Altersgruppen, die die Teilung noch bewußt miterlebt haben, die Vorurteile recht lebendig sein können.

Isabella schaut sich in ihrem eigenen Umfeld nach Zeitzeugen um und präsentiert so ein etwas betuliches Bild vom gemütlichen Dorf-/Kleinstadtleben, das den Westproduzenten nicht ins Konzept paßt. Diese in der Gegenwart spielenden Szenen wechseln immer wieder mit Isabellas Erinnerungen und auch ihren Gedanken darüber, wie diese DDR nun eigentlich war. "Das Gedächtnis war ein Kaufmannsladen, in dem Erinnerungen feilgeboten wurden. Einige gab es umsonst, andere waren bereits nach kurzem Nachdenken zu haben. Aber es gab auch Dosen und Schachteln, die sich nur mit Mühe öffnen ließen, und Schubladen, die hartnäckig klemmten" heißt es im Buch. So bekommt man im Mittelteil des Buches zunächst einen fast ostalgischen Eindruck, der die "bei uns konnte man sehr gut leben"-Leser sicher erfreuen wird. Kleine Bemerkungen weisen aber schon darauf hin, dass die DDR mehr war als Sandmännchen und Pittiplatsch. So denkt Isabella an ihren ersten Berlinbesuch und stellt fest: "Was war das für eine Grenze gewesen, an der die Soldaten das Gesicht dem eigenen Volk zuwandten und dem Feind den Rücken?"

Die Szenen, in denen die westdeutschen Fernsehleute mit den von Isabella ausgewählten Zeitzeugen aufeinandertreffen sind teils erhellend, teils für meinen Geschmack ein wenig zu skurril und erscheinen manchmal etwas plakativ. Manche Szenen (wie die in einem Altersheim für Künstler) strahlen in dem großartig beschreibenden Stil der Autorin, aber insgesamt war dieser Mittelteil des Buches eher durch die Erinnerungen Isabellas für mich lesenswert. Von den Gegenwartsszenen hatte ich mir mehr erwartet, weil gerade zwei davon einfach zu skurril sind und für mich die Chance verschenkt wurde, etwas mehr über das ganz normale DDR-Leben zu erfahren. Die Interviews mit einer Kindergärtnerin und einem Werksarbeiter hätten hier viel berichten können, waren aber zu kurz und dienten hauptsächlich dazu, die enttäuschten Erwartungen der Fernsehleute recht wiederholend darzustellen. Zum Ende hin gewinnt das Buch wieder, zeigt uns zudem auch einige der Facetten des Unrechtsstaates DDR, der in putzigen DDR-Museen und heiteren Ostprodukteläden gerne übersehen wird und verbindet diese gut mit Isabellas unbeschwerter Kindheit.

Denn genau das zeigt dieses Buch ausgezeichnet auf: es gibt nicht die "eine" wahre Erinnerung an die DDR (wie es ohnehin so gut wie nie die eine, wahre Erinnerung an etwas gibt). Die heiteren, gemütlichen Erinnerungen der einen haben ebenso ihren Platz wie die tragischen, dunklen Erinnerungen der anderen, solange man nicht vergißt, dass es viele kleine Puzzleteile gab, dass man Menschen nicht Jahrzehnte ihres durchaus zufriedenen Lebens in ihrem Heimatland absprechen darf, andererseits aber auch beschönigende Ostalgie fehl am Platze ist. Kathrin Aehnlich bringt uns diese viele Facetten hier nahe, ebenso wie die gegenseitigen Ost-West-Vorteile und das Gefühl vieler Ostdeutscher, vom Westen nicht ganz für voll genommen zu werden. Auch hier wird es an einzelnen Stellen ein wenig zu plakativ, zu offensichtlich für mich, aber insgesamt bringt uns "Wie Frau Krause die DDR erfand" das Ost-West-Thema durchaus gelungen dar und liefert zahlreiche Impulse, das eigene Bild, die eigenen Vorstellungen und (Vor)urteile zu hinterfragen.