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Veröffentlicht am 27.10.2019

Intrigenreiches Wien, opulent erzählt

Im Schatten des Turms
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"Im Schatten des Turms" führt uns in die opulent erzählte Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Schon der Prolog nimmt uns gleich mitten ins Geschehen, lebhaft und auf positive Weise detailreich finden ...

"Im Schatten des Turms" führt uns in die opulent erzählte Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Schon der Prolog nimmt uns gleich mitten ins Geschehen, lebhaft und auf positive Weise detailreich finden wir uns im Wiener Narrenturm, erleben Angst, Ungewissheit und Bedrohung ganz unmittelbar. Der Narrenturm existiert wirklich, wurde einst als psychiatrisches Krankenhaus erbaut und ist heute ein Museum. Ihn als Fokus eines Romans zu sehen, hat mich sofort fasziniert. Der Klappentext, mit der Überschrift "Hinter den Mauern des Narrenturms, der ersten psychiatrischen Heilanstalt der Welt" und einem ausführlichen Absatz über den Narrenturm und die damaligen Entwicklungen der Psychiatrie erweckten bei mir den Eindruck, daß dies der Hauptfokus des Romans sein würde. Im ersten Drittel ist dies auch der Fall. Wir lernen Alfred kennen, einen jungen Medizinstudenten. Ganz ausgezeichnet wird hier geschildert, wie das Medizinerstudium damals verlief, man sieht es geradezu bildlich vor sich, gerade, wenn man die Schauplätze aus eigener Anschauung kennt. Die Charaktere sind lebendig, das Geschehen ausgesprochen interessant. Wir begleiten Alfred und seine Mitstudenten in den Narrenturm, erleben, wie die "Irrsinnigen" zu Anschauungsobjekten herabgewürdigt, ihnen das Menschsein abgesprochen wird. Die im Klappentext erwähnte Begegnung mit der "jungen Frau mit seltsamen Malen auf den Armen", die sinistre Vorgänge im Narrenturm vermuten läßt, wird eindringlich geschildert. Auch die anderen Fälle, mit denen Alfred medizinisch zu tun bekommt, sind geradezu spannend, denn der Autor vermittelt uns hier kenntnisreich und anschaulich den damaligen Stand der Medizin. Das ist ein Thema, das in historischen Romanen in dieser Ausführlichkeit selten vorkommt und das machte das erste Drittel des Buches für mich ausgesprochen erfreulich. Davon hätte ich gerne noch viel, viel mehr gelesen.

Die zweite Hauptperson ist Helene, eine Grafentochter, die in einer gänzlich anderen Welt lebt als Alfred. Hier zeigt sich ebenfalls der hervorragende Schreibstil, ich sah ihr idyllisches Schloß mit den gepflegten Gärten, dem gütigen Vater und dem treu ergebenen Personal ebenfalls vor mir. René Amour versteht es, das historische Umfeld zum Leben zu erwecken und auch seine Charaktere auszuarbeiten. Wenn da eine Dame auf ihrer Chaiselongue nicht sitzt, sondern "residiert", sagt uns dieses eine Wort schon sehr viel - die gelungene Wortwahl beeindruckt immer wieder. Das ganze Buch hindurch sind bis zum kleinsten Nebencharakter alle facettenreich und echt. Es treten einige historische Persönlichkeiten auf, sogar Kaiser Joseph II begegnet uns und wird vom historischen Namen zum Menschen. Ein Namensverzeichnis zu Beginn des Buches listet die vielen Charaktere auf und vermerkt auch, welche historisch verbürgt sind. Ein informatives und persönliches Nachwort gibt zusätzliche Informationen zur Behandlung von historischen Persönlichkeiten und Orten, gibt auch nützliche Hintergrundinformationen. Die historische Genauigkeit ist, soweit ich das beurteilen kann, exzellent. Hier spürt man penible Recherche, die gut in die Geschichte eingearbeitet wird.

Der Narrenturm und die medizinische Komponente treten leider nach dem ersten Drittel völlig zurück und tauchen kaum noch auf, das Geheimnis um die junge Frau mit den Malen wird fast beiläufig aufgelöst. Ich fand es sehr schade, daß diese im Klappentext ausführlich angekündigte Thematik letztlich eine wesentlich kleinere Rolle spielte, als zu vermuten war. Der Hauptfokus der Geschichte liegt auf sehr ausgefeilten Intrigen mit allem Drum und Dran: chiffrierte Briefe, maskierte Schläger, Decknamen, Symbole, doppeldeutige Bemerkungen. Das ist sorgfältig konzipiert, ist nur leider ein Thema, das mich überhaupt nicht anspricht. Die mysteriösen Begegnungen und Bemerkungen waren mir irgendwann zu viel, und als unsere Protagonistin Helene irgendwann ihren Konversationspartner fragt, ob es nicht möglich wäre, sich ausnahmsweise einfach mal völlig normal zu unterhalten, ohne alberne Spielchen, war ich ganz auf ihrer Seite. Auch hat sich mir nie erschlossen, welchen Zweck diese Intrigen für die meisten Beteiligten hatten, ich konnte mit einigen der Manöver wenig anfangen. Zudem konnte ich an manchen Stellen nicht nachvollziehen, wie schnell sich eine unerfahrene Person das geschickte Intrigenspiel angeeignet hat und wie ungeschickt manch erfahrene Intrigantin manchmal agierte. Das ist natürlich ein rein subjektiver Eindruck, hat mir persönlich aber das Lesevergnügen eben doch stellenweise merklich gedämpft, weil es so einen großen Raum einnahm. Wem dieses Thema liegt, der wird es in diesem Buch ganz ausgezeichnet dargestellt und geschildert finden.

Ein weiteres Hauptthema des Buches war der Krieg, die Leiden der zwangsweise Rekrutierten, das unmenschliche Verheizen von Menschenleben. Auch hier wieder bemerkenswertes historisches Wissen, lebhaft geschilderte Szenen, die Kämpfe für meinen Geschmack manchmal etwas zu ausführlich. Störend fand ich, daß hier und auch am Ende des Buches etwas zu oft lebensrettende Zufälle eine Rolle spielen. Das kann man einmal, auch zweimal noch nachempfinden, aber vier-/fünfmal sind mir persönlich zu viel. Interessant waren hier dafür Gespräche, die verschiedene Ansichten zum Weltgeschehen und den gedanklichen Strömungen jener Zeit darstellten; dies so gut, daß man durchaus beiden gegensätzlichen Ansichten etwas abgewinnen konnte.

So ist "Im Schatten des Turms" ein Roman, der mir persönlich thematisch nicht ganz zusagte, dessen Abkehr vom medizinischen/psychiatrischen Thema ich bedauerlich finde, der dafür durch hervorragend recherchierte und erzählte historische Genauigkeit besticht, durch einen bemerkenswerten Schreibstil und Charaktere, die einen berühren und von den Buchseiten lebensecht aufsteigen.

Veröffentlicht am 14.10.2019

Überwiegend nicht plausibel, Erzählweise behäbig und distanziert

Die Hoffnung zwischen den Zeilen
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Der Klappentext hat bei mir hohe Erwartungen an das Buch geweckt. Eine in der Nachkriegszeit spielende Geschichte, die bis in die Kriegszeit zurückgeht und sowohl Deutschland als auch Schweden behandelt ...

Der Klappentext hat bei mir hohe Erwartungen an das Buch geweckt. Eine in der Nachkriegszeit spielende Geschichte, die bis in die Kriegszeit zurückgeht und sowohl Deutschland als auch Schweden behandelt – das klingt vielversprechend. Ich weiß noch recht wenig über Schweden während des Zweiten Weltkrieges und war sehr gespannt, hier mehr zu lernen.

Leider aber wurden meine Erwartungen nicht getroffen. Das Buch wird als Historischer Roman kategorisiert, aber dafür ist recht wenig Historisches drin. Ja, es spielt zur Nachkriegszeit, es gibt einige Rückblicke, einige vereinzelte Informationen mit historischem Inhalt, aber letztlich hätte die Geschichte mit ein paar leicht veränderten Parametern zu jeder Zeit stattfinden können. Nachkriegsatmosphäre kam kaum auf – generell mangelte es an Atmosphäre. Über Schweden im Krieg habe ich so gut wie nichts erfahren (über Deutschland im Krieg ebenfalls nicht).

Es beginnt noch recht plastisch mit Uli, die in das schwedische Dorf Krokom reist. Es gibt einige Hinweise über die Meinung der Schweden über die Deutschen nach dem Krieg, ein paar Rückblicke Ulis in die Kriegszeit in Hamburg. Das bleibt aber leider kurz, oberflächlich und hinterläßt mehrere offene Fragen. Die beiden Hauptpersonen Uli und Elsa blieben mir das ganze Buch hindurch fremd, Uli wird zudem immer unsympathischer. Die Erzählweise der Autorin ist ausgesprochen distanziert. Das ist auch deshalb unerfreulich, weil es hier um durchaus gravierende Entscheidungen geht, die die Protagonistinnen treffen oder trafen, die uns aber überhaupt nicht plausibel gemacht werden. Das trifft insbesondere auf Elsa zu. Elsa hilft jemandem in einem Maße, das über einen kleinen Gefallen weit hinausgeht und auch für sie durchaus Folgen haben könnte. Dieses im Klappentext erwähnte „Geheimnis“ war mir übrigens schon ziemlich schnell klar, auch weitere Entwicklungen waren vorhersehbar.

Uli taucht also in Krokom auf, weil sie Briefe gefunden hat, die Elsa dem Deutschen Hans (lt Klappentext – im Buch heißt er Johann, bzw Hansi) schrieb, welcher mit Uli „verlobt“ war. Ich setze dies in Anführungsstriche, weil man die Liebe zwischen Uli und Hans zu keinem Zeitpunkt nachvollziehen kann. Für Uli war es eine von mehreren Bettgeschichten und schon deshalb ist es nicht plausibel, daß sie Jahre später wegen dieses Mannes zu Elsa reist. Elsa hat ebenfalls Briefe mit Hans ausgetauscht. Warum? Das erschließt sich dem Leser leider nicht, insbesondere, da sie nur über Landwirtschaft geschrieben zu haben scheint. Somit sind für die Geschichte wesentliche Konstellationen und Motive nicht nachvollziehbar.

Im Klappentext wird erwähnt, daß Uli und Elsa „vorsichtig Freundschaft“ knüpfen. Auch das sah ich nicht. Uli trampelt in Elsas Leben, diese enthüllt der Unbekannten umgehend ihr Geheimnis, was dazu führt, daß Uli Elsa gegenüber mit größter Selbstverständlichkeit die dreistesten Forderungen stellt, Elsa diese – ohne daß der Leser versteht, warum – erfüllt und von Uli genervt ist.

Auch sonst gibt es mehrere Stellen, die nicht plausibel sind, zwei Aspekte würde ich sogar als falsch geschildert einstufen. Der letzte Teil des Buches enthält so viele schlecht durchdachte Aspekte, unglaubhafte Wendungen, praktische Zufälle und ein unrealistisches Ende, daß ich mich ein wenig verulkt fühlte.

Das Buch liest sich leicht, es gibt auch einige gut geschilderte Szenen (hauptsächlich am Anfang). Die Erinnerungen Ulis an frühere Jahre haben durchaus Interessantes, sind auch gut in den Text eingeflochten. Allerdings ist das Erzähltempo insgesamt äußerst behäbig, mit vielen unnötigen Details (besonders bedauerlich, da wichtige Details nicht vorhanden waren und zu viel offen blieb).

So muß ich also leider sagen, daß ich weder inhaltlich noch stilistisch von diesem Buch überzeugt wurde und es mir kein Lesevergnügen bereitete.

Veröffentlicht am 13.10.2019

Düster-atmosphärische Vielfalt

Die alte Freundin Dunkelheit
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"Die alte Freundin Dunkelheit" hat mich gleich durch das ausgesprochen gelungene Titelbild (welches leider in meinem eBook nicht angezeigt wird) angesprochen. Sehr stimmungsvoll, mit herrlich düsterer ...

"Die alte Freundin Dunkelheit" hat mich gleich durch das ausgesprochen gelungene Titelbild (welches leider in meinem eBook nicht angezeigt wird) angesprochen. Sehr stimmungsvoll, mit herrlich düsterer Atmosphäre. Die durch das Titelbild geweckte Erwartung wird vom Buch dann auch erfüllt.

In 20 Geschichten (eine davon ein Gedicht) führt uns Katja Angenent in verschiedene Welten der Düsternis, dies in bemerkenswerter Vielfalt. Den Beginn machen Geschichten mit historischem Hintergrund. Gleich zu Beginn begegnen wir dem Salierkaiser (zum Zeipunkt der Geschichte noch König) Heinrich IV. Die Autorin nimmt diese historische Persönlichkeit und webt ihn in eine fiktive Geschichte ein, die seinem berühmten Gang nach Canossa eine ganz neue Perspektive verleiht. Diese Kombination ist ein gelungener Einstieg. In den folgenden "historischen" Geschichten sind die Persönlichkeiten fiktiv, die historischen Umstände gut geschildert und für die Geschichten genutzt. Der Schreibstil ist - bis auf eine zu moderne Formulierung - dem Hintergrund angemessen und paßt sich dann bei den folgenden "modernen" Geschichten mühelos der Gegenwart an, in der diese spielen. Das alleine ist schon einmal bemerkenswert und erfreulich.

Überhaupt gefiel mir der Stil ausgezeichnet. Die Autorin kann hervorragend Atmosphäre und Stimmung schaffen, es finden sich wunderschöne Sätze wie "Im Hof hatte der Nebel die dürren Bäume gänzlich verschlungen; er erahnte ihre Schatten mehr, als er sie tatsächlich sah." Wir tauchen in so viele verschiedene Welten ein, die ich oft bildlich vor mir sah. Ob es nun mächtige Burgen sind, ein trostloses Hotel, ein sogenannter Lost Place, oder ein fast ausgestorbenes irisches Dorf - Katja Angenent versteht es, uns in wenigen wohlgesetzten Worten ihre Welten zu schildern. So machte mir das Lesen Spaß, nur die konsequente Großschreibung des Wortes "Du" an Stellen, an denen es nie groß geschrieben wird (zB in wörtlicher Rede), irritierte mich doch ziemlich.

Die Geschichten haben unterschiedliche Länge, manche sind gerade zwei Seiten lang, andere etwas länger. Mir persönlich sagten die etwas längeren Geschichten meistens mehr zu, da man sich hier mehr in die Atmosphäre vertiefen konnte und auch thematisch weniger offen blieb. Allerdings bieten nur die wenigsten Geschichten eine Erklärung oder wenigstens einen Hinweis, was auch durchaus so beabsichtigt ist. Ich ziehe es vor, nicht ganz so sehr im Dunkeln gelassen zu werden und so gab es einige Geschichten, die mich am Ende etwas unzufrieden zurückließen, weil mir wichtige Punkte völlig im Dunkeln blieben. Das ist aber reine Geschmackssache. Wenn man sich darauf einlassen kann, daß vieles offen bleibt, wird man mit exzellent gestalteter Atmosphäre belohnt und letztlich gefielen mir auch diese Geschichten meistens gut. Es gab nur vereinzelte Geschichten, mit denen ich gar nichts anfangen konnte, der Großteil hat mich angesprochen und dies auf erfreulich vielfältige Weise.

Der Untertitel des Buches ist "Schauergeschichten" - es ist überwiegend ein mildes Erschauern, eine Art wohliges Unwohlsein. Das fand ich angenehm - stärkerer Grusel wäre auch willkommen gewesen, aber er hat mir nicht gefehlt. In manchen Geschichten ist es nicht das Erschauern, das im Vordergrund steht, sondern eine überraschende Wendung oder auch leise Wehmut. Es sind für mich düster-atmosphärische Geschichten. Durch die vielfältigen Themen, Zeiten und Schauplätze begann ich jede Geschichte mit leiser Neugier, wohin mich die Autorin nun führen würde. Das Lesen hat sich gelohnt und ich werde dieses Buch ganz sicher erneut mit Freude lesen.

Veröffentlicht am 03.10.2019

Für mich nicht gänzlich überzeugend

Der Sprung
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Auf "Der Sprung" war ich sehr gespannt, weil ich den Gedanken, die Geschichten mehrerer Menschen zu erzählen, sie zusammenfließen, sich kurz zu berühren und sich beeinflussen zu lassen, ganz hervorragend ...

Auf "Der Sprung" war ich sehr gespannt, weil ich den Gedanken, die Geschichten mehrerer Menschen zu erzählen, sie zusammenfließen, sich kurz zu berühren und sich beeinflussen zu lassen, ganz hervorragend finde. Auf wie viele Leben kann ein Geschehnis Einfluß nehmen? Eine spannende Frage.

Das Buch berichtet in kurzen Kapiteln über etwa zwei Tage im Leben diverser Menschen, die in dem Ort Thalbach wohnen, oder ihm anders verbunden sind und deren Schicksale durch eine auf einem Dach stehende, vermeintlich zur Selbsttötung entschlossene Frau Wendungen erfahren. Dies beginnt anschaulich, ich las die ersten Kapitel (jedes ist einem anderen der Charaktere gewidmet) mit Freude. Der Stil ist anschaulich, durchschnittlich, recht gut lesbar. Störend sind die für meinen Geschmack zu häufig verwendeten atemlosen Bandwurmsätze, die ich als ausgesprochen leserunfreundlich empfinde und die stilistisch für mich keinen Mehrwert haben.

Wir lernen die ersten - alle vom Leben irgendwie enttäuschten - Charaktere kennen, Dreh- und Angelpunkt gerade am Anfang ist das Restaurant von Roswitha, die ich herrlich geschildert fand. Einige Geschichten machen gleich neugierig, wie die von Felix mit seiner anstrengenden, wie eine Therapiesitzung sprechenden Freundin. Maren, deren Partner dem Self-Care-Wahn verfallen und zum lieblosen Egozentriker geworden ist. Marens Unsicherheiten und Selbstzweifel, ihre Verletzung waren zu Anfang sehr eindringlich. Winnie, für ihre Schulkameraden nicht dünn und hip genug. Den feinsinnigen Hutkreateur Egon, der ausgerechnet in einem Schlachthof arbeiten muß. Es gibt ein Kaleidoskop von Menschen. Manche sind interessant, man will mehr über sie erfahren. Andere fand ich leider von Anfang an uninteressant und ausgerechnet die Person, die nachher auf dem Dach endet, ging mir von Anfang an gehörig auf die Nerven. So waren diese Kapitel also recht schnell ein gemischtes Vergnügen, was einerseits stark von den jeweiligen Personen abhing, andererseits aber auch von der Tendenz der Autorin, sich hingebungsvoll irrelevanten, teils banalen Details zu widmen. So lesen sich manche Passagen unglaublich zäh und ich fragte mich, warum diese dicke Schicht der unnötigen Detailverliebtheit auf manche Geschichten gekleistert werden mußte. Diese Hingabe ans Unwesentliche machte das Buch dann auch mehr und mehr zur Leseaufgabe anstatt zu Lesevernügen. Wirklich gebannt hat es mich zu keinem Zeitpunkt.

Nach und nach entwickeln sich die Geschichten und auch die Persönlichkeiten dieser Menschen. Dabei erfahren wir im Mittelteil ein gerüttelt Maß an Traumata, traurigen Erinnerungen und ähnlichem. Das war schlichtweg eine zu hohe Schicksalsdichte. Überhaupt ist mir bei diesem Buch gleich einiges zu viel: zu viel (unnötiges) Detail, zu viel "Schicksal", zu viel Kitsch, zu viel aufgesetzte Tiefsinnigkeit. Ja, auch wenn man es am Anfang, als noch erfreuliche Alltäglichkeit bei den gewählten Thematiken herrscht, kaum glauben mag, einige Geschichten gleiten sehr ins Kitschige ab. Allen voran der ohnehin nicht in die Geschichte passende italienische Stardesigner, der für ein arg zuckerwattiges Ende einer der Geschichten sorgt. Auch Maren, so schön kantig am Anfang, liefert uns am Ende eine dieser Szenen, die sich wie ein schlechtes "Nimm Dein Leben in die Hand, Du kannst es!"-Selbsthilfebuch lesen und läßt mich angesichts der "Ich miete mir ein Auto, weil ich nicht mehr Beifahrer sein möchte"-platten Symbolik die Augen verdrehen. Die Absurdität des ganzen Dachgeschehens war mir auch zu übertrieben, wenn die Idee an sich originell war.

Manche Geschichten entwickeln sich interessant weiter, vereinzelte sind anrührend - so zum Beispiel ein altes Pärchen in einem kleinen, von der Zeit überholten Gemischtwarenladen oder jene Dame, die beim Anblick der Frau auf dem Dach die Polizei rief. Es sind auch mehrere Berührungspunkte zwischen den Geschichten gut gelungen, oft ganz beiläufig, manchmal lebensentscheidend. Im Gesamten aber ließ mich das Buch nicht zufrieden zurück, fand ich die Umsetzung der so schönen Idee nicht durchweg gelungen.

Veröffentlicht am 29.09.2019

Dunkle Schatten über dem idyllischen Dorf

Dachbodenfund
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In "Dachbodenfund" blickt Ellen Puffpaff hinter die Kulissen eines idyllischen Dorfes - und es sieht dahinter ganz schön duster aus. Die merkt auch der Leser recht bald. Während man noch die ansprechend ...

In "Dachbodenfund" blickt Ellen Puffpaff hinter die Kulissen eines idyllischen Dorfes - und es sieht dahinter ganz schön duster aus. Die merkt auch der Leser recht bald. Während man noch die ansprechend bildhafte Beschreibung des herrlichen Hauses genießt, daß die Eheleute Sandra und Marvin sich im Dörfchen Seesby gekauft haben, stehen schon die ersten Nachbarn vor der Türe, zeigen sich die ersten Anzeichen, dass es so idyllisch in der Idylle vielleicht gar nicht ist. Das ist unterhaltsam dargebracht, man findet sich im ersten Teil des Buches in einem interessanten Schwebeverhältnis zwischen pittoresken, Gemütlichkeit vermittelnden Dorfbeschreibungen und einigen seltsamen Einwohnern und Gerüchten.

Das Erzähltempo bleibt gut, es kommt nicht zu Längen und die Geschichte entwickelt sich ziemlich rasch. Dabei bleibt sie aber noch gelungen vage. Daß etwas so gar nicht stimmt, ist dem Leser bewußt, aber was es genau ist, das bleibt länger unklar. Sandra, die Protagonistin, wirkt von Anfang an übertrieben in ihren Reaktionen und Handlungen, übernimmt recht bereitwillig Vorteile, neigt zu vorschnellen Rückschlüssen. Der Klappentext verrät, daß es tatsächlich ein Geheimnis im Dorf gibt und der Leser bekommt auch Einsicht in einige dunkle Ereignisse, die Sandra noch verborgen sind. Trotzdem war für mich länger nicht sicher, inwieweit Sandra übertreibt. Es ergeben sich bis zum Ende der Geschichte immer wieder Überraschungen und es gelingt der Autorin gut, die Leser im Ungewissen zu halten, bis die Antworten aufgedeckt werden.

Dabei ist allerdings auch nicht alles schlüssig. Sandras "Ansporn, dem Ganzen auf den Grund zu gehen" (Klappentext) war für mich lange nicht nachvollziehbar, ihre Motivation kam für mich nicht durch. Ihr teilweise übertriebenes Verhalten trug dazu bei, daß sie auf mich lange ziemlich anstrengend und nicht immer überzeugend wirkte, was nicht dabei half, ihre Motivation zu verstehen. Ihre anstrengende Wirkung blieb für mich das Buch hindurch etwas zu viel.
Auch einige andere Dinge wirkten für mich ein wenig konstruiert oder nicht nachvollziehbar, so unter anderem der rasche Wandel im Verhältnis zwischen Sandra und ihrem Ehemann und mehrere Punkte im späteren Verlauf des Geschehens. Deshalb gab es insgesamt doch etwas zu viele "Wie jetzt?"-Momente, um mich ganz ins Geschehen zu vertiefen.

Die Thematik des Buches ist gut gewählt. Die doch recht eigene Welt kleiner Dörfer bietet Potential und das nutzt die Autorin. Sie nimmt ein schmerzliches, emotionales Thema auf und bringt dieses respektvoll und gelungen dar, verzichtet auf billige Emotions- und Effekthascherei, sondern läßt das Thema für sich sprechen. Das ist gelungen umgesetzt.