Ungewöhnliche, gekonnt aufgebaute Geschichte
Der König und der Uhrmacher„Der König und der Uhrmacher“ machte mich gleich durch das ungewöhnliche Sujet neugierig: die Reparatur einer alten Uhr, der Hof des dänischen Königs Christian VII, ein isländischer Autor und die Ankündigung ...
„Der König und der Uhrmacher“ machte mich gleich durch das ungewöhnliche Sujet neugierig: die Reparatur einer alten Uhr, der Hof des dänischen Königs Christian VII, ein isländischer Autor und die Ankündigung dramatischer Ereignisse um aufgedeckte Intrigen. Eine Kombination, die neugierig macht.
Der Schreibstil hat mich anfangs gefangengenommen. Die Szenen, in denen der König, ruhelos im Palast umherschlendernd, auf den Uhrmacher Jón bei der Arbeit trifft und ihm zunächst mit der ganzen Wucht der königlichen Arroganz begegnet, sich dann aber zwischen den beiden ganz vorsichtig und von äußeren Einflüssen frei eine Vertrautheit aufbaut, sind ausgezeichnet geschildert. Man sieht die Szenen richtiggehend vor sich und der Autor versteht es, mit wenigen Worten farbige Beschreibungen zu schaffen.
Der zweite, in Island spielende Handlungsstrang entfaltete die Wirkung leider lange nicht. Hier wird berichtsartig geschildert, mit viel indirekter Rede, oft etwas trocken. Obwohl die Lebensumstände im Island des 18. Jahrhunderts interessant sind, ließen mich die Charaktere lange unberührt und die Erzählweise enttäuschte mich. Dies ändert sich im letzten Drittel des Buches, wenn die Szenen durch Dialoge und Unmittelbarkeit schlagartig an erzählerischer Wucht gewinnen.
So war ich vom Schreibstil also hin- und hergerissen. Auch einige holprige Sätze (z.B. „Aber dann wurde er wieder freigelassen, aber er hatte natürlich …“) und oft zu moderne Wortwahl störten mich beim Lesen. Ich kann nicht beurteilen, wie es im Originaltext ist, aber in der deutschen Übersetzung hatte ich zwischendurch eher ein Gefühl vom 20. Jahrhundert als vom 18. Jahrhundert, wenn Begriffe wie „soll sich verziehen“, „Nutten“, „geht in Ordnung“ oder „schick“ verwendet wurden.
Auch die Angewohnheit des Autors, bereits Berichtetes noch einmal durch einen Charakter erzählen zu lassen, beeinträchtigte mein Lesevergnügen. Es kam recht häufig vor, daß man als Leser bei einer Szene ausführlich dabei ist und ein Charakter eben diese Szene noch einmal einem weiteren Charakter schildert. Dies ging in einem Fall über eine ganze Seite. Derlei Wiederholungen tragen wenig bei und irritieren.
Andererseits gibt es Formulierungen, welche die reinste Freude sind und gelungen, manchmal lakonisch oder gar mit trockenem Humor ungemein treffende Bilder zeichnen, z.B. diese Beschreibung: „Der Prinz strahlte eine Gleichgültigkeit aus, vielleicht die Tristesse eines Menschen, der immer alles bekommen hatte, was er wollte, und nicht mehr fähig war, sich an den Dingen zu erfreuen.“
Ausgezeichnet gelungen ist auch das Verweben historischer Fakten mit der Geschichte. Dies geschieht elegant-natürlich, nie hatte ich ein Gefühl von Infodumping. Vielen historischen Romanen merkt man leider an, wenn Fakten um ihrer selbst willen hineingestopft wurden. Hier war das nie der Fall, die Leser erfahren beim Lesen eine ganze Menge interessanter und gut recherchierter historischer Fakten im ganz natürlichen Lesefluss, gelungen verwebt und dargestellt. Das hat mir ausgezeichnet gefallen.
Auch die Geschichte selbst überzeugt. Das Ende fand ich ein wenig antiklimaktisch und die Klappentextankündigung dramatischer Ereignisse eher vollmundig, andererseits hat das Ende eine interessante Facette, in welcher die Uhr eine unerwartete Rolle spielt.
Die besondere Gesetzeslage im Island jener Zeit wurde ausgezeichnet als Ausgangspunkt genutzt, um eine ungewöhnliche Geschichte zu kreieren und einen überraschenden Bogen zur persönlichen Geschichte des Königs zu schlagen.
Die Reparatur der Uhr ist letztlich eine Art Rahmenhandlung, entwickelt aber ihren eigenen Zauber und fasziniert. Auch wird sie gekonnt genutzt, um Verbindungen zu weiteren Handlungselementen zu schaffen. So entdeckt der Uhrmacher bei der Suche nach verkauften Teilen der Uhr neue Orte und lernt Menschen kennen, die in der weiteren Entwicklung eine Rolle spielen. Die Handlungsstränge selbst sind von erfreulicher Originalität und nutzen die historischen Gegebenheiten, um sich von den ewiggleichen Themen so vieler historischer Romane wegzubewegen.
Selbst wenn ich stilistisch nicht gänzlich überzeugt war, hat „Der König und der Uhrmacher“ sehr vieles, was hervorragend umgesetzt ist und das Buch zu einer lohnenden und erfreulichen Lektüre macht.