Von "Tagebuch eines Buchhändlers" habe ich mir schon aufgrund meiner eigenen Erfahrung als Buchhändler einiges versprochen, insbesondere hinsichtlich skurriler Kunden. Von der sehr minutiösen und oft repetitiven Darstellung war ich letztlich ein wenig enttäuscht.
Der Einband ist ansprechend, die erleuchteten Fenster des dort gezeigten Buchladens wirken einladend und man findet auch im Buch erwähnte Details, wie die Buchsäulen vor dem Eingang dort wieder. So pittoresk wie auf dem Einband sieht der Laden allerdings - wenn man nach Fotos auf der Facebookseite und Beschreibungen im Buch geht - nicht aus. An manchen Stellen, die den Laden beschreiben, war ich schon etwas befremdet. Ich mag uralte verwinkelte Antiquariate, aber ob sich eine in einen Skianzug gewandete Verkäuferin an der Verkaufstheke dann unbedingt die Zähne putzen oder ein gegrilles Käsesandwich verzehren muß... Im Buch und wohl auch sonst wird die Karte "Wir sind ungewöhnlich, skurril und zudem unfreundlich" ziemlich oft ausgespielt. Unfreundlichkeit als USP - ja, das machen auch urige Kölsch- oder Ebbelwoikneipen ganz gerne. Getreu dieses Mottos blickt uns der Autor hinten im Umschlag dann auch recht resigniert-misanthropisch an.
Diese sorgfältig gepflegte Unfreundlichkeit ging mir im Buch ziemlich auf die Nerven. Der Autor ist vom Großteil seiner Kunden genervt, ebenso wie von seinen Angestellten und noch von diversen anderen Menschen. In manchen Fällen ist das durchaus verständlich. Einige der im Buch beschriebenen Kunden sind tatsächlich von unglaublicher Impertinenz, und das ist, wie ich aus Erfahrung sagen kann, gar nicht mal weit hergeholt. Aber der Autor ist auch von ganz normalen Menschen genervt. Er mokiert sich an einer Stelle, daß man ihm immer wieder die gleichen Fragen stellt, zB wie viele Buchläden es in der Buchstadt Wigtown gibt. Seine Empörung darüber, daß verschiedene Leute es wagen, über Jahre hinweg die gleiche Frage an ihn zu stellen, wirkt reichlich arrogant. Auch über Unwissen zu Autoren mokiert er sich gerne, erwähnt aber kurz danach, daß er über die meisten in seinen Regalen vertretenen Autoren kaum etwas weiß. Irgendwann stellt der Autor fest, daß er seine Mitmenschen eventuell nicht so schnell vorverurteilen soll. An dieser Stelle habe ich kräftig genickt, denn die ständige "alle blöd, außer ich"-Einstellung des Autors ist beim Lesen wirklich unangenehm.
Das Buch selbst liest sich recht leicht weg. Zwischen dem 5. Februar 2014 und dem 4. Februar 2015 hat fast jeder Tag einen Eintrag. Der Eintrag beginnt stets mit einer Angabe der Onlinebestellungen und davon gefundenen Bücher, endet mit einer Angabe des an dem Tag eingenommenen Geldes und der Anzahl der Kunden, die etwas gekauft haben. Das ermöglicht schon einen kleinen Blick hinter die Kulissen und es war interessant, daß jemand seine Zahlen so offen legt. Die Berichte zu den Tagen bieten ein recht weitgefächertes Spektrum aus Kundenbegegnungen, Erlebnissen mit Angestellten, Bekannten oder weiteren diversen Menschen, die in dem Laden ein und aus gehen. (Ich war teilweise überrascht, wer da so alles ein- und ausgeht und übernachtet). Dazu kommt ab und an eine launige Bemerkungen über einen ungewöhnlichen Buchtitel, das Wetter, die Ladenkatze und vieles mehr. An mehreren Stellen erfahren wir auch lokale Hintergrundinformationen und ein wenig zu dem Konzept des Buchdorfes und des Buchfestivals. Das liest sich am Anfang kurzweilig, gerade wegen der Vielfalt der Themen. Nach etwa der Hälfte des Buches stellt sich aber eine gewisse Langeweile ein. Dadurch, daß wirklich zu jedem Tag etwas berichtet wird, auch zu denen, zu denen es nichts zu berichten gibt, finden sich im Buch viele Wiederholungen, zähe Stellen und zum Thema völlig Irrelevantes. Wenn der Autor mit seiner Freundin ins Kino geht oder irgendwo mit Freunden ausgeht und uns extra berichtet, daß x und y - die weder vorher noch nachher je wieder erwähnt werden - auch anwesend sind, wenn wir stets erfahren, wann er seine Freundin zum Zug gebracht oder dort abgeholt hat, dann ist das für den Leser nicht interessant und hat mit dem Buchhandel nichts zu tun. Es hat schon seinen Grund, daß Tagebücher bei Veröffentlichung oft gekürzt werden.
Auch den Buchladenalltag hatte ich mir abwechslungsreicher vorgestellt. Es ist natürlich einerseits schön, daß wir einen umfassenden Einblick bekommen, der eben auch Routine umfaßt. Aber von den interessanten Kundenbegegnungen, auf die ich gehofft hatte (und denen es im Buchladenalltag reichlich gibt, darunter übrigens auch viele positive), wird wenig geschrieben, viele wiederholten sich. Der Fokus lag hier sehr auf "Kunde will weniger bezahlen, Kunde vergleicht Preise mit Amazon, Kunde räumt Bücher nicht wieder ein". Das ist ein sehr kleiner Teil des weiten Kundenspektrums, außerdem wurde überwiegend von unerfreulichen Kunden berichtet. Auch muß die Routine nicht unbedingt derart detailfreudig und repetitiv dargestellt werden. Die Bücherankäufe sind etwas interessanter und endlich auch einmal positiver. Hier gab es durchaus berührende Geschichten und ich habe mich auch immer gefreut, wenn von in Büchern gefundenen Notizen, Briefen uä berichtet wurde. Leider gab es auch sehr viel "Ich habe die Bücher durchgesehen, viel war nicht dabei, ich nahm x Kisten mit und bezahlte y Pfund dafür." Das liest sich nicht unbedingt interessant.
Darüber, wie so ein Buchladen nun zurechtkommt, erfahren wir leider auch wenig. Ein paar interessante Ideen sind dabei, aber angesichts der hohen Preise, die der Autor für Bücher, die ihn nicht begeistern, ständig bezahlt und angesichts des obskuren Sortierungssystems, aufgrund dessen sehr viele online bestellte Bücher nicht gefunden werden (= keine Einnahmen, dafür schlechte Bewertungen) bin ich schon überrascht, daß der Laden noch besteht. Der Autor ärgert sich zwar über das ganze Buch hinweg über seine Angestellten (die er fast durchweg inkompetent und respektlos findet, aber brav weiter beschäftigt), nimmt aber die Fehler, die ihn Einnahmen kosten, phlegmatisch hin. Das mag alles zum Unfreundlichkeits-Marketing gehören, aber auch hier hat der Leser beim Lesen irgendwann genug. Überhaupt merkt man Shaun Bythell wenig Freude am Beruf und auch nur vereinzelt Liebe für Bücher an. Er berichtet ab und an, was er gerade liest, kommentiert aber nur in zwei Fällen, wie ihm das Gelesene zusagt. Alles wirkt ein wenig lustlos, ein wenig trist.
Nachdem der mittlere Teil zäh und enttäuschend war, hat es der letzte Teil, mit einigen unterhaltsameren Informationen und Einblicken, manche sogar mal positiv, für mich wieder rausgerissen. Insgesamt las sich das Buch als netter Einblick mit breiter Themenvielfalt gut weg, wird keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine Kürzung der repetitiven und zähen Stellen, dazu mehr über Bücher und weniger über Paketepacken und herumliegende Schuhe, hätten das Lesevergnügen erheblich erhöht. So sind es ganz knappe 3,5 Sterne geworden.