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Veröffentlicht am 06.07.2019

Die Umsetzung dieses interessanten Themas war leider nicht mein Geschmack

Die Luftvergolderin
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In "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. ...

In "Die Luftvergolderin" widmet sich Jeannine Meighörner einer wenig bekannten historischen Persönlichkeit, nämlich Anna von Ungarn, die im 16. Jahrhundert ein ungewöhnliches und interessantes Leben führte. Es ist eine gute Idee, die Biographie dieser Frau zu erzählen, denn erzählenswert ist sie, und ich kann vorab sagen, daß ich durch das Buch viel über Anna von Ungarn gelernt habe.

Die Autorin wählt den Weg, das auf auf dem Titel gezeigte Brautportrait Annas in die Geschichte einzubinden, gewissermaßen als roten Faden für das Buch zu nehmen. Das ist ein origineller Ansatz und von der Idee her gut, geht aber leider doch sehr auf Kosten des eigentlichen Themas. Es wurde mir leider fast durchweg zu viel auf Nebenschauplätzen verweilt. Die ersten hundert Seiten führten uns in die Hintergründe von Annas Situation als junge Frau ein - sie wurde fast noch als Kind mit Kaiser Maximilian von Österreich vermählt, der hier als Stellvertreter für seine Enkel agierte, die zu dem Zeitpunkt noch zu jung waren, um Anna selbst zu heiraten (ja, zwei Enkel, wer nun Anna letztlich tatsächlich heiratet, ist zu dem Zeitpunkt noch nicht raus). Nach Maximilians Tod sitzt Anna erst mal herum und wartet darauf, daß einer dieser Enkel sie heiratet. Dies ist der Zeitpunkt der Entstehung des erwähnten Bildes und ihre Sitzungen mit dem Maler Hans Maler bilden in jenen ersten 100 Seiten eine Art Rahmenhandlung. Es werden immer einzelne Sätze aus verschiedenen Dialogen und Sitzungen der beiden herausgenommen, was auf mich ziemlich ungeordnet wirkt und auch zu mehreren Wiederholungen führt. So findet keine Unterhaltung statt, sondern man liest eben immer nur herausgerissene Sätze, die dann von ausführlichen erklärenden Absätzen unterbrochen werden. In diesen Absätzen erinnern sich sowohl Hans Maler wie auch Anna selbst an das bereits Geschehene. So erfahren wir über Annas Kindheit und Herkunft, über die kurzen Jahre der Ehe mit Maximilian und können uns Stück für Stück - passend zum roten Faden - ein geistiges Bild malen. Das ist an sich keine schlechte Methode und gerade Annas Erinnerungen und die persönlichen Einblicke in Maximilians Persönlichkeit, sind interessant. Leider aber gibt es auch sehr detailverliebte historische Informationen, die für die Geschichte oft gar keine Relevanz haben. Nun liebe ich Geschichte, lese sehr gerne darüber, aber es muß schon im Zusammenhang stehen und wenn die historischen Ausführungen die Handlungen ständig und lange unterbrechen, dann macht sogar mir das Lesen über Geschichte keinen Spaß mehr. Die Sprunghaftigkeit, die langen Einschübe ohne Relevanz für die Geschichte, die Wiederholungen...all das machte es schwierig und unerfreulich, sich durch diesen ersten Teil zu arbeiten. Fünfzig Seiten dieses ersten Teils sind dann einer ausführlichen Beschreibung der Kindheit und Jugend Hans Malers gewidmet, inklusive fast handbuchartiger Erklärungen zur Farbherstellung. An der Stelle habe ich den Klappentext noch mal konsultiert, weil es hier einfach so weit vom Thema entfernt war, daß ich dachte, ich hätte im Klappentext etwas übersehen. Nach diesen ersten 100 Seiten haben wir über Anna ziemlich wenig und über Hans Maler viel zu viel erfahren. Ich war an dieser Stelle kurz davor, das Buch abzubrechen und ohne Leserunde hätte ich das auch getan.

Der Mittelteil ist dann wesentlich erfreulicher und da hat sich das Weiterlesen doch gelohnt. Es geht hier endlich wirklich um Anna und ihre Ehe zu dem Maximiliansenkel Ferdinand. Hier wird der sich vorher fast wie ein Sachbuch lesende Roman auch etwas mehr zu Roman, mit Szenen, die sich vom rein Beschreibenden wegbewegen und Emotionen zeigen. Leider sind diese Szenen auch immer wieder mit langen Einschüben voller Hintergrundinformationen unterbrochen. Insgesamt las sich das gesamte Buch über weite Strecken eher wie ein Sachbuch, nicht wie ein Roman. Der Schreibstil an sich ist sehr gut, man merkt, die Autorin kann mit Sprache umgehen, schreibt auf gehobenem Niveau und es war erfreulich zu lesen. Nur hätte sie sich vielleicht entscheiden sollen, ob sie nun einen Roman oder ein Sachbuch schreiben möchte, denn so ist es doch eine etwas unbefriedigende Mischung aus beidem geworden. Einige der Romanszenen sind richtig herrlich, gerade Annas Sterbeszene bewegt zutiefst und ist literarisch ein Vergnügen. Von solchen Szenen hätte ich mir viel mehr gewünscht und bei einem solchen Umgang mit Sprache hätte das hier ein absolutes 5-Sterne-Buch sein können. Anna und auch ihr Mann Ferdinand nehmen Kontur an, die Beziehung zwischen ihnen ist facettenreich und lebendig geschildert, die Szenen mit ihnen beiden zusammen sind die besten des Buches. Sehr berührend, farbig, die historischen Namen werden zu Menschen.

Weniger gut gelungen ist weiterhin die Vermittlung der Hintergrundinformationen. Die langen sachbuchartigen Einschübe habe ich bereits erwähnt, wobei mir diese noch lieber waren, als das häufig verwendete Dialog-Infodumping. Die Autorin greift hier vorwiegend auf Dialoge zwischen Anna und ihrer Kinderfrau Jeanne zurück - diese Dialoge (eigentlich eher Monologe Annas, unterbrochen von einzelnen Ausrufen Jeannes) dienen ausschließlich dazu, uns geschichtliche Details zu berichten und wirken unecht, weil niemand solche Dialoge führen würde. Besonders deutlich wird es, wenn auch noch erwähnt wird, daß Jeanne das, was Anna ihr erzählt, schon weiß oder unzählige Male gehört hat. Ich fühle mich als Leser dann immer nicht ernst genommen, wenn dieses Dialog-Infodumping angewendet wird. Hinzu kommt, daß einige dieser in den Dialogen beschriebenen Dinge wundervoll farbige Romanszenen abgegeben hätten anstatt so lieblos heruntererzählt zu werden.

Im letzten Teil des Buches springt die Autorin dann überraschend in die späten 1930er und berichtet uns in ziemlicher Detailfreude von einem Jungen aus einer Familie, der das Brautportrait nun gehört. Damit greift sie zwar ein wichtiges Thema auf, nämlich das der Beutekunst, aber abgesehen davon, daß einem die starke Verbindung des Jungen zu dem Gemälde nicht nachvollziehbar erscheint, daß vierzig Seiten lang viel Belangloses berichtet wird, das nichts mit dem Gemälde und Anna von Ungarn zu tun hat, paßt dieser Teil meines Erachtens nicht ins Buch. Da wäre vielleicht ein sachliches Nachwort sinnvoller gewesen, denn so wundert man sich, warum man minutiös über die Tagesabläufe eines Jungen, das Berufsfeld und den Werdegang einer Kaltmamsell und anderes liest. Insgesamt sind von den knapp über 300 Seiten ungefähr 100 Seiten Nebenhandlungen gewidmet, die mit Anna von Ungarn letztlich nichts zu tun haben. Wen das nicht stört, der kann mit diesem Buch durchaus glücklich werden, denn der Schreibstil an sich, die vielen historischen Informationen und die gute Recherche sind erfreulich. Ich war aber leider doch etwas enttäuscht.

Veröffentlicht am 06.07.2019

Heiterer anspielungsreicher Blick auf unsere Klassikergrößen im Jahre 2019

Unsterblichkeit ist auch keine Lösung
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Der Gedanke, zu sehen wie mein verehrter Goethe in der heutigen Zeit zurechtkommt, ist sehr reizvoll und daß es eine hervorragende Buchidee ist, habe ich in "Anna und der Goethe" bereits erfreut bemerkt. ...

Der Gedanke, zu sehen wie mein verehrter Goethe in der heutigen Zeit zurechtkommt, ist sehr reizvoll und daß es eine hervorragende Buchidee ist, habe ich in "Anna und der Goethe" bereits erfreut bemerkt. Christian Tielmann geht diesen Gedanken von einem originellen Blickwinkel an - Goethe und Schiller machen keine Zeitreise, sondern sind einfach nicht gestorben und leben deshalb 2019 als rüstige Herren von 270 bzw 260 Jahren. Warum das so ist und warum manche Gefährten (die Ehefrauen, Cotta, Eckermann ua) ebenfalls noch leben, andere dafür nicht, wird leider nicht erklärt. Letztlich ist es aber auch nicht wirklich wichtig, man muß sich eben auf diese Idee einfach mal einlassen.

Und so begegnet uns Goethe zu Buchanfang auf dem Bahnsteig von Weimar, wo er auf den Regionalexpress und Schiller wartet. Ein gelungener Einstieg, der uns gleich in die Geschichte hineinführt und die notwendigen Hintergrundinformationen gut vermittelt. Wie dann Schiller in letzter Minute erscheint und wie unterschiedlich die beiden Geistesgrößen ihre Bahnreise angehen, das ist unterhaltsam und gut geschildert. Genau so könnte ich es mir vorstellen. Überhaupt hat Christian Tielmann meines Erachtens sowohl Schiller wie auch Goethe gut in die neue Zeit transportiert, die meisten Verhaltensweisen erscheinen mir absolut nachvollziehbar, oft habe ich innerlich mit dem Kopf genickt und gedacht: "Ja, genau so würde Goethe das heute angehen." Einige nette Text- und Zitatanspielungen finden sich auch immer wieder, und gerade Goethefans werden einige schöne Stellen finden. Schiller kam im Buch leider weniger vor, als ich es von einem "Goethe-Schiller-Desaster" (so der Untertitel des Buches) erwartet hätte. Wir erleben alles aus Goethes Sicht, das paßt auch gut, aber Schiller kommt irgendwie nur am Rande vor. Ich hätte mir viel mehr Interaktionen zwischen den beiden gewünscht.

Der Schreibstil ist eingängig und läßt sich sehr leicht lesen. Ich hatte das Buch als Geschenk einer lieben Freundin im Urlaub als Abendlektüre dabei und es war dafür auch genau richtig - von Stil und Inhalt her heiter-leicht, zum Lesen sehr entspannend. An wenigen vereinzelten Stellen fand ich einige Formulierungen ziemlich holprig, wie zB auf Seite 174: "Schiller stand auf: 'Wir sehen dich dann nachher bei der Lesung,' schlug Schiller vor." Dies sind aber wirklich nur Ausnahmen. Nicht so gut gefiel mir, daß es manchmal etwas platt wurde, so finde ich den Gag, daß Goethe von Kohlensäure rülpsen muß, einfach zu flach, versehentliche Rülpser waren vielleicht in den 1970ern noch etwas, was das Publikum zu Lachen brachte, und die dreimalige Verwendung von "Schiller, die Sau" war mir ebenfalls zu flach und wäre außerdem nichts, was Goethe (noch dazu wiederholt) sagen würde. Da hätten die Eigenheiten unserer Klassikerfreunde doch wesentlich geistvolleren Humor ermöglicht.

Interessant ist die Begegnung von Goethe und Schiller mit ihrem größtenteils jugendlichen Publikum in einer Welt, in der diese beiden Autoren (leider!) nicht mehr die Bedeutung haben, die ihnen früher zuteil wurde. Beide gehen im Buch ganz anders damit um, und auch hier habe ich innerlich oft genickt und mir gedacht, daß es sehr gut ausgearbeitet ist und ihren Persönlichkeiten entspricht. Man sieht an vielen Stellen, daß Christian Tielmann tiefgehendes Wissen über Goethe und Schiller hat und sich sorgfältige Überlegungen zu ihren Reaktionen und Gedanken gemacht hat. Es sind viele originelle Szenen enthalten. Die Lesungsszenen (unsere beiden Weimarer Größen sind auf einer Lesungstour) wiederholen sich leider manchmal doch ein wenig und an manchen Stellen hatte ich mir etwas mehr erwartet, aber ich habe an keiner Stelle das Interesse verloren und war immer gespannt, was ihnen als nächstes widerfährt und wie sie damit zurechtkommen. Auch die teils trostlose Welt der Kleinstädte, der veralteten Pensionen und oft desinteressierten Lesungsgastgeber war richtig gut einfangen.

Das Ende hat mir leider überhaupt nicht gefallen. Nachdem das Buch sich durch Humor und Leichtigkeit auszeichnete, war mir dieses Ende für den allgemeinen Tenor einfach zu viel, zu heftig. Es ging so weit weg von der Ausrichtung des Buches, daß es leider eben auch die Wertung stark beeinflußt hat. Die letzten Zeilen des Buches sind dagegen wieder sehr passend. Insgesamt kann ich das Buch durchaus empfehlen, weil man sich auf eingängige Art mit Goethe und Schiller beschäftigen kann, die Anspielungen und kleinen Zitate Spaß machen und unsere zwei Klassiker gut in die heutige Zeit transportiert wurde.

Veröffentlicht am 29.06.2019

Geschichte zum Leben erweckt

Schwert und Krone - Meister der Täuschung
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Im ersten Band des "Barbarossa Epos" Schwert und Krone widmet sich Sabine Ebert der Zeit zwischen 1137 und 1147, als Staufer und Welfen um die Königsmacht kämpften. Von Beginn an sind wir mitten im Geschehen, ...

Im ersten Band des "Barbarossa Epos" Schwert und Krone widmet sich Sabine Ebert der Zeit zwischen 1137 und 1147, als Staufer und Welfen um die Königsmacht kämpften. Von Beginn an sind wir mitten im Geschehen, die Erzählweise bleibt das ganze Buch über farbig. Ambitioniert werden die aufregenden Geschehnisse aus Sicht der Herrschenden geschildert und dies gelingt gut. Uns begegnen eine Vielfalt historischer Personen - nicht nur die Staufer und Welfen, sondern auch die lokalen Herrscher wie Albrecht der Bär, Konrad von Meißen, diverse Bischöfe, Grafen und ihre Familien. Eine Übersicht vorne im Buch listet die wesentlichen Charaktere nach Familien geordnet auf. Ich habe diese Übersicht nicht gebraucht, weil es die Autorin die Figuren so gut darstellt, daß man sie auseinanderhalten und ihren verschiedenen Handlungssträngen folgen kann.

Auch sonst bietet das Buch gute Hintergrundmaterialien. Eine farbige Landkarte auf der inneren Umschlagseite zeigt die verschiedenen Herrschaftsgebiete und wichtigsten Städte. Diverse Stammbäume der beteiligten Familien sowie ein Glossar schließen sich im hinteren Teil des Buches der Geschichte an. Der Auflistung der Personen folgt ein ausführlicher Stammbaum der Staufer und Welfen - der ist leider zumindest im Taschenbuch gar nicht hilfreich, da die Schrift so winzig ist, daß man sie nicht lesen kann. Hinzu kommt, daß die Felder der Staufer dunkel unterlegt sind. Dunkle Schrift auf dunklem Hintergrund...komplett unlesbar. Das kann man nicht der Autorin und dem Buch zur Last legen, aber es war ausgesprochen ärgerlich und ich frage mich, warum ein Verlag so etwas nicht überprüft. Im Nachwort gibt die Autorin noch einige Informationen und erklärt auch, an welchen Stellen sie sich ein wenig dichterische Freiheit erlaubte und welche Punkte sich historisch nicht definitiv belegen lassen. Das fand ich informativ und gut.

Es ist auf jeder Seite offensichtlich, daß hier viel historisches Wissen vorhanden ist und auch gründlich recherchiert wurde. Durch zahlreiche Details lebt die Welt des 12. Jahrhunderts auf und ich konnte mir vieles bildlich vorstellen. Wie bereits erwähnt, erhalten auch die Charaktere Konturen und werden von bloßen historischen Namen zu Menschen, die man sich ebenfalls gut vorstellen kann. Es hat mir sehr gut gefallen, wie diese Welt zum Leben erweckt wurde. Manchmal ist es allerdings auch etwas zu viel der Detailfreude, viele Szenen ziehen sich durch diese Ausführlichkeit. Auch die Vielzahl der beteiligten Personen geht manchmal etwas zu Lasten von Übersichtlichkeit und Erzählfluß. Den historischen Personen werden einige wenige fiktive Charaktere zur Seite gestellt, deren Geschichte ich in großen Teilen nicht so interessant fand, was auch daran gelegen haben wird, daß es einfach insgesamt zu viele Erzählstränge waren. Auch wiederholen sich manche Szenen in der Struktur - der geheimen Gespräche in Militärlagern gab es reichlich und der geheimen Gespräche in Burgkammern ebenfalls. Überwiegend aber liest sich das Buch unterhaltsam, oft spannend und das Ende ist geschickt gewählt, denn es werden genügend Andeutungen gemacht und neue Erzählstränge begonnen, um die Neugier der Leser zu erwecken.

Ein ausgesprochen ärgerliches Manko ist allerdings die unerfreuliche Methode, Infodumping per Dialog zu betreiben. Bei einer erfahrenen Autorin hätte ich nicht damit gerechnet, daß die Informationsvermittlung an vielen Stellen so plump erfolgt. Viele Dialoge dienen ausschließlich dazu, dem Leser Hintergrundinformationen zu vermitteln. Wenn dies gut gemacht ist, ist es als Methode durchaus sinnvoll, aber es ist leider überhaupt nicht gut gemacht. Da erzählen sich ständig Leute Dinge, die sie bereits wissen und das in aller Ausführlichkeit. Da betet eine Mutter ihrem Sohn ihren Stammbaum herunter, als ob er ein völlig Fremder wäre, oder jemand berichtet einem anderen von Geschehnissen, die sie gemeinsam erlebten. Viele Unterhaltungen sind in diesem Sinne (kein Zitat, nur ein Beispiel): "Du bist bei deinem Onkel Arnulf aufgewachsen. Er und seine Frau Hildtrud hatten vier Kinder namens a, b, c und d. A und c starben im Alter von vier, bzw. sieben Jahren. Da b und d Mädchen sind, hat dein Onkel keinen Erben." Kein Mensch würde so reden und im Buch kommen solche Dialoge so oft vor, daß ich mich richtiggehend geärgert habe, denn hier wählt die Autorin eine unelegante, für sie einfache Methode und nimmt den Leser nicht ernst. Das hat mein Lesevergnügen erheblich beeinträchtigt. Ein kleineres Ärgernis waren die doch häufigen Wiederholungen von Fakten und Informationen, sowie die Holzhammermethode, mit der auf die Situation der Frauen in dieser Zeit immer und immer wieder hingewiesen wurde.

Insofern ist es ein durchaus lesenswertes Buch, in dem Geschichte gelungen erweckt, Zusammehänge gut erklärt werden, und auch das zweite Buch werde ich lesen, aber es gab leider mehrere Punkte, die ich störend fand.

Veröffentlicht am 22.06.2019

Eine untergegangene Zeit

Wandlungen einer Ehe
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Wie der Titel schon sagt, geht es im Buch im die Wandlungen einer Ehe, aber letztlich geht es um so viel mehr, wie der Klappentext schon verrät: "Zugleich ist es ein Abgesang auf die großbürgerliche mitteleuropäische ...

Wie der Titel schon sagt, geht es im Buch im die Wandlungen einer Ehe, aber letztlich geht es um so viel mehr, wie der Klappentext schon verrät: "Zugleich ist es ein Abgesang auf die großbürgerliche mitteleuropäische Welt". Hier übrigens auch mal ein Lob an Piper, denn nach langer Zeit kann ich mich hier über einen Klappentext freuen, der nicht irreführend ist und dem Buch gerecht wird. Wie schon in „Die Glut" erweckt Sándor Márai auch hier wieder eine versunkene Welt zum Leben – das Großbürgertum, die Villen und Kaffeehäuser von Budapest, die Frage, was eigentlich Bürgerlichkeit, Stil, Kultur ausmacht.

In drei langen Monologen – eine Spezialität von Márais Stil – kommen hier die Hauptbeteiligten der Ehe zu Wort. Zuerst erfahren wir die Perspektive der Ehefrau, bzw. der Exfrau, die mit einer Freundin im Kaffeehaus sitzt, ihren Exmann dort sieht und daraufhin der Freundin die Geschichte ihrer Ehe erzählt. Wir erfahren alles aus ihrer Sicht, einige Dinge bleiben noch ein wenig unklar. Der zweite Teil des Buches gehört dem Ehemann, der Jahre später einen Abend mit einem guten Freund verbringt und die gleiche Geschichte erzählt und sie weiterführt. Hier eröffnen sich uns dann die Hintergründe seiner Persönlichkeit, erhellen sich einige der vorher unklaren Stellen. Zudem geht der Ehemann zurück in seine Vorgeschichte. Der von der Exfrau berichtete Zeitrahmen wird hier nur gestreift, um zu vervollständigen, zu erklären. So gelingt es Márai meisterhaft, die Geschichte so facettenreich darzustellen, daß ich ganz gebannt weiterlas.

Ganz wundervoll fand ich gerade des Ehemannes Darstellungen des großbürgerlichen Lebens und des Verständnisses, Bewahrer einer aussterbenden Lebensart zu sein. Die Werte, Ansichten und Lebensweisen dieses Lebens sind mit farbiger Detailfreude dargestellt, könnten fast schon als Recherchematerial dienen. Es geht über die reine Darstellung hinaus, man spürt die Atmosphäre dieses Lebens regelrecht, findet sich hinein, spürt, was da verlorenging.
Diese beiden Teile erschienen 1941 als Buch und man kann den Erzählungen entnehmen, daß sie – abgesehen von den Rückerinnerungen des Ehemanns, die uns in die k.u.k-Zeit führen - den Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen behandeln. Auch diese seltsame Atmosphäre einer fragilen Friedenszeit ohne richtigen Frieden, die dunklen Vorahnungen sind mit prägnanten Formulierungen ganz wundervoll eingefangen.

Der letzte Teil des Buches wurde sieben Jahre nach Veröffentlichung der ersten beiden Teile geschrieben, 1948, und berichtet eindringlich davon, was zur Zeit der ersten beiden Teile noch gar nicht zu ahnen war – die Belagerung und Zerstörung von Budapest, die gewaltsame Vernichtung der Bürgerlichkeit. Hier spricht die dritte Person in diesem Beziehungsgeflecht, nimmt den Faden des Ehemannes auf und führt ihn weiter bis in die Gegenwart des Buches. Sie ist – wie Márai damals selbst – im italienischen Exil. Auch hier entfaltet sich die großbürgerliche Welt noch einmal vor uns, diesmal durch die Augen eines Dienstmädchens, wodurch Charaktere und Lebensart eine weitere literarische Facette erfahren.

Und so lesen wir hier nicht nur aus drei Perspektiven hervorragend geschilderte Wandlungen einer Ehe und deren Folgen, sondern erfahren auch ein literarisches Denkmal an die Bürgerlichkeit, die zu Beginn des Buches leicht bröckelt und dann am Ende in einem riesigen Trümmerhaufen versinkt.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Detailverliebte fundierte Darstellung

Deutsche Geschichte 1800-1866
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Das hier von Thomas Nipperdey verfaßte Werk kann man schon fast monumental nennen. Auf über 800 Seiten beleuchtet der Autor 66 Jahre deutsche Geschichte. Dies geschieht in einem erfreulichen Miteinander ...

Das hier von Thomas Nipperdey verfaßte Werk kann man schon fast monumental nennen. Auf über 800 Seiten beleuchtet der Autor 66 Jahre deutsche Geschichte. Dies geschieht in einem erfreulichen Miteinander der "großen" Geschichte der Politik und Kriege und der "kleinen" Alltagsgeschichte. Die ausführliche Berücksichtigung der Alltagswelt bietet durchaus nicht jedes geschichtliche Werk.

Ausführlichkeit ist ohnehin ein Charakteristikum des Buches, sowohl im positiven wie auch in negativen Sinn. Eine derart detaillierte geschichtliche Betrachtung habe ich selten gelesen. Sehr genau, manchmal minutiös zeichnet Nipperdey Geschehnisse auf, beschreibt die verschiedenen Positionen und Motive der involvierten Parteien. An Hintergrundinformationen mangelt es keineswegs, es gibt auch spezielle Kapitel, die über Parteienentwicklungen, wichtige Bewegungen genau informieren. Allerdings geht diese Detailfreudigkeit häufiger zu Lasten einer effizienten Informationsvermittlung. Man verliert sich beim Lesen manchmal zu sehr in Details an für mich wäre oft weniger mehr gewesen. Auch gibt Nipperdey gerne dem in Deutschland so beliebten Drang der Wissenschaftler nach, vieles nach Möglichkeit gleich mehrfach hintereinander zu schreiben. Ich fand es enervierend, immer wieder eine Seite lang die gleiche Äußerung in diversen Formulierungen zu lesen.

Ein Grundverständnis für Geschichte sollte bereits bestehen, ebenso sollte bereits Wissen über die damaligen Verhältnisse und wichtigsten Personen vorhanden sein. Als Einführung ist dieses Buch nicht geeignet und sicher auch nicht gedacht. Es vermittelt ein tieferes Verständnis von Hintergründen und Zusammenhängen. Gerade die Zusammenhänge kann Nipperdey gut aufzeigen. Beim Lesen dieses Buches kann man gut verstehen, welch weitreichende Konsequenzen manche Entscheidungen haben, wie lange sie sich auswirken können. Die wacklige Balance der europäischen Mächte, die internationalen Implikationen und notwendigen Rücksichtnahmen sind hier ebenfalls hervorragend dargestellt. So fundiert habe ich diese Themen bislang selten beschrieben erlebt.

Wenig erfreulich fand ich die Tendenz, zu sehr in Philosophisches abzugleiten. Die ausgesprochen detaillierten Abhandlungen zu philosophischen Hintergründen und Meinungen, die Darstellungen verschiedener philosophischer Strömungen waren mir viel zu viel und haben mich oft geärgert, weil sie mich vom eigentlichen Thema wegführten. Dies wird gerade in dem Kapitel über "Die ästhetische Kultur: Musik, Kunst, Literatur" übertrieben. Auch brachen hier die stilistischen Schwächen sehr durch. Bandwurmaufzählungen des Gleichen, wie "Tendenz zum Idyll, zu optimistischen Gefühlen, zur glättenden Harmonisierung, zu etwas penetrantem Frohsinn, zur Verharmlosung" oder "Tendenz zum Humoristischen, zum Skurrilen, Kauzigen, Ironischen und Karikierenden". Adjektive und Subjekte erscheinen fast nur noch in Paaren oder Gruppen: "Versuch zu Gelassenheit und Beruhigung, zur Stille und Einfalt", "gegen das Große und Laute, gegen Prinzipien und Theorien, hin zum Kleinen, Bescheidenen" oder "zur Bändigung und Dämpfung der Leidenschaften, des Elementaren und des Unheimlichen". Das ist ungemein anstrengend zu lesen und enthält gemessen an den verwendeten Worten recht wenig Inhalt. – Auch Zahlenvergleiche und Statistiken werden oft im Text herunterrezitiert, obwohl sie in einer tabellarischen Übersicht wesentlich besser aufgehoben werden. Einige solche Übersichten werden auch verwendet und sind durchaus informativ.

Nun steht der Stil bei einem solchen Buch nicht im Vordergrund, einen derart geschriebenen Roman hätte ich wesentlich schlechter bewertet. Die Kapitel über die "große" Geschichte sind auch weitestgehend zugänglicher verfaßt. Trotzdem ist es schade, daß sich ein Buch voller guter Informationen teilweise so sperrig liest. Im Ganzen ist es als geschichtliches Werk aber voller interessanter Informationen, gut dargestellter Zusammenhänge und erfreulicher Themenvielfalt. Lernen kann man hier eine ganze Menge.