Vor etwa einem Jahr las ich die Briefe, die Schiller und sein Verlobte, später Ehefrau, ausgetauscht haben. Ich war begeistert, bin tief eingetaucht in diese Welt des privaten Menschen Schiller, fand diesen persönlichen Blick wundervoll. Schiller war ein hinreissender Briefeschreiber und auch die Briefe von Charlotte von Lengefeld, spätere Schiller, sind lesenswert. Die Nähe der beiden zueinander strahlt aus jeder Zeile. In diesem Buch mit den Briefen von Goethe und Christiane Vulpius findet sich leider so gut wie nichts davon. Es hat mich aufgrund seiner gänzlichen Banalität regelrecht geärgert.
Sigrid Damm, bekannt durch mehrere Bücher über Goethe, Vulpius oder Schiller, hat für dieses Bändchen aus 601 Briefen eine Auswahl getroffen. Ein Vorwort, das über einige Hintergründe und die teilweise ganz eigene Wortwahl des Paares informiert, gibt es nicht. Erklärende Sätze zu den einzelnen Briefen gibt es ebenfalls nicht. So sind viele Dinge, die in den Briefen angesprochen werden, ohne ausführliches Hintergrundwissen unverständlich. Das macht die Lektüre oft ein wenig zum Rätselraten. Am Ende des Buches findet sich ein etwa 20seitiges Nachwort von Sigrid Damm, das aber so sonderlich informativ auch nicht ist. Es gibt rudimentäre biographische Informationen, ein paar allgemeine Fakten und sehr viel zu Christiane Vulpius. Hier, wie auch bei der Auswahl der Briefe, hatte ich öfter den Eindruck, daß Frau Damms Fokus sehr auf Christiane Vulpius lag. Von den 601 vorhandenen Briefen sind 354 Briefe von Goethe, 247 von Christiane Vulpius. Im Buch aber finden sich 46 Briefe der Vulpius und nur 34 Briefe Goethes. Die ausgewählten Briefe Goethes sind zudem fast überwiegend viel kürzer, so daß man den Großteil des Buches über Briefe von Christiane Vulpius liest. Eine seltsame Gewichtung, denn von wem möchte man wohl mehr Briefe lesen? Vom weltbekannten Dichter oder von der Frau, die man ausschließlich dadurch kennt, daß sie die Lebensgefährtin des weltbekannten Dichters war, selbst aber keinerlei literarische Ambitionen oder Talente hatte? Auch wenn Frau Damm uns in ihrem Nachwort versichert, wie "erstaunlich" diese Briefe wären, wie "heiter, witzig und pointiert" der Schreibstil sei - Christiane Vulpius' Briefe sind vor allem eins: langweilig.
Das kann man ihr nicht vorwerfen und, um es vorwegzunehmen: auch Goethes Briefe sind nicht sonderlich interessant. Beide schrieben nicht für die Öffentlichkeit, sondern privat aneinander und über Dinge, die sie beschäftigten; das waren wie bei den meisten Paaren irgendwann die Alltagsangelegenheiten. Reichts das für ein Buch? Es liest sich eben nicht interessant, wenn Christiane Vulpius in jedem Brief auflistet, was sie wo gekauft hat, wofür sie Geld braucht, mit wem sie geredet hat und was sich im Garten so tut. Was auch selten fehlt: Klagen darüber, daß Goethe nicht bei ihr ist, was sich anstrengend liest, aber immerhin ist das wenigstens mal einer der wenigen persönlichen Einblicke. Es scheint in den Briefen schon auf beiden Seiten eine starke Zuneigung durch, die aber häufig auch mit den immergleichen Formulierungen (Formeln) ausgedrückt wird. (Hier darf ich gar nicht an die so herrlich emotionsreichen Briefe von Schiller und seiner Lotte denken!). Was wir hier häufig lesen ist in der Art von: "Hier schicke ich Dir was Spargel. Und nun muß ich Wäsche aufhängen." Letztlich erfährt man so gut wie nichts über die Menschen hinter den Briefen, kaum etwas über die Lebensumstände, aber viel über Alltagsauflistungen.
Hinzu kommt, daß die Auswahl der Briefe etwas seltsam ist. Es gibt kaum Kontinuität, Der erste Brief ist vom 10. September 1792, der zweite vom 13. Mai 1793. Nach zwei weiteren Briefen sind wir plötzlich im Jahr 1795. So beziehen sich die meisten Briefe nicht aufeinander. Warum nun gerade die abgedruckten Briefe ausgewählt wurden, wird meistens nicht klar. Sie ähneln sich zu sehr, um an einem Brief etwas Besonderes zu finden. Im Nachwort finden sich keine Hinweise auf die Auswahlkriterien.
Und so liest man sich durch unzusammenhängende Briefe, ohne relevante Hintergrundinformationen, liest zu 80% über Waren, die hin und her geschickt werden, die Theaterbesuche und sonstigen Amüsements von Frau Vulpius, einige Allgemeinplätze von Goethe, dem gelegentlichen persönlichen Wort, und fragt sich am Ende: "Und wozu jetzt dieses Buch?" Goethe ist einem nicht nähergekommen, von Christiane Vulpius erfuhr man das, was man ohnehin schon wusste. Über die Beziehung der beiden zueinander erfährt man letztlich zu wenig.
Positiv vermerken kann man die der Insel-Bücherei eigenen wunderschöne Ausstattung.