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Veröffentlicht am 03.06.2024

Ungewöhnliche, gekonnt aufgebaute Geschichte

Der König und der Uhrmacher
3

„Der König und der Uhrmacher“ machte mich gleich durch das ungewöhnliche Sujet neugierig: die Reparatur einer alten Uhr, der Hof des dänischen Königs Christian VII, ein isländischer Autor und die Ankündigung ...

„Der König und der Uhrmacher“ machte mich gleich durch das ungewöhnliche Sujet neugierig: die Reparatur einer alten Uhr, der Hof des dänischen Königs Christian VII, ein isländischer Autor und die Ankündigung dramatischer Ereignisse um aufgedeckte Intrigen. Eine Kombination, die neugierig macht.

Der Schreibstil hat mich anfangs gefangengenommen. Die Szenen, in denen der König, ruhelos im Palast umherschlendernd, auf den Uhrmacher Jón bei der Arbeit trifft und ihm zunächst mit der ganzen Wucht der königlichen Arroganz begegnet, sich dann aber zwischen den beiden ganz vorsichtig und von äußeren Einflüssen frei eine Vertrautheit aufbaut, sind ausgezeichnet geschildert. Man sieht die Szenen richtiggehend vor sich und der Autor versteht es, mit wenigen Worten farbige Beschreibungen zu schaffen.
Der zweite, in Island spielende Handlungsstrang entfaltete die Wirkung leider lange nicht. Hier wird berichtsartig geschildert, mit viel indirekter Rede, oft etwas trocken. Obwohl die Lebensumstände im Island des 18. Jahrhunderts interessant sind, ließen mich die Charaktere lange unberührt und die Erzählweise enttäuschte mich. Dies ändert sich im letzten Drittel des Buches, wenn die Szenen durch Dialoge und Unmittelbarkeit schlagartig an erzählerischer Wucht gewinnen.

So war ich vom Schreibstil also hin- und hergerissen. Auch einige holprige Sätze (z.B. „Aber dann wurde er wieder freigelassen, aber er hatte natürlich …“) und oft zu moderne Wortwahl störten mich beim Lesen. Ich kann nicht beurteilen, wie es im Originaltext ist, aber in der deutschen Übersetzung hatte ich zwischendurch eher ein Gefühl vom 20. Jahrhundert als vom 18. Jahrhundert, wenn Begriffe wie „soll sich verziehen“, „Nutten“, „geht in Ordnung“ oder „schick“ verwendet wurden.
Auch die Angewohnheit des Autors, bereits Berichtetes noch einmal durch einen Charakter erzählen zu lassen, beeinträchtigte mein Lesevergnügen. Es kam recht häufig vor, daß man als Leser bei einer Szene ausführlich dabei ist und ein Charakter eben diese Szene noch einmal einem weiteren Charakter schildert. Dies ging in einem Fall über eine ganze Seite. Derlei Wiederholungen tragen wenig bei und irritieren.
Andererseits gibt es Formulierungen, welche die reinste Freude sind und gelungen, manchmal lakonisch oder gar mit trockenem Humor ungemein treffende Bilder zeichnen, z.B. diese Beschreibung: „Der Prinz strahlte eine Gleichgültigkeit aus, vielleicht die Tristesse eines Menschen, der immer alles bekommen hatte, was er wollte, und nicht mehr fähig war, sich an den Dingen zu erfreuen.“

Ausgezeichnet gelungen ist auch das Verweben historischer Fakten mit der Geschichte. Dies geschieht elegant-natürlich, nie hatte ich ein Gefühl von Infodumping. Vielen historischen Romanen merkt man leider an, wenn Fakten um ihrer selbst willen hineingestopft wurden. Hier war das nie der Fall, die Leser erfahren beim Lesen eine ganze Menge interessanter und gut recherchierter historischer Fakten im ganz natürlichen Lesefluss, gelungen verwebt und dargestellt. Das hat mir ausgezeichnet gefallen.

Auch die Geschichte selbst überzeugt. Das Ende fand ich ein wenig antiklimaktisch und die Klappentextankündigung dramatischer Ereignisse eher vollmundig, andererseits hat das Ende eine interessante Facette, in welcher die Uhr eine unerwartete Rolle spielt.
Die besondere Gesetzeslage im Island jener Zeit wurde ausgezeichnet als Ausgangspunkt genutzt, um eine ungewöhnliche Geschichte zu kreieren und einen überraschenden Bogen zur persönlichen Geschichte des Königs zu schlagen.
Die Reparatur der Uhr ist letztlich eine Art Rahmenhandlung, entwickelt aber ihren eigenen Zauber und fasziniert. Auch wird sie gekonnt genutzt, um Verbindungen zu weiteren Handlungselementen zu schaffen. So entdeckt der Uhrmacher bei der Suche nach verkauften Teilen der Uhr neue Orte und lernt Menschen kennen, die in der weiteren Entwicklung eine Rolle spielen. Die Handlungsstränge selbst sind von erfreulicher Originalität und nutzen die historischen Gegebenheiten, um sich von den ewiggleichen Themen so vieler historischer Romane wegzubewegen.

Selbst wenn ich stilistisch nicht gänzlich überzeugt war, hat „Der König und der Uhrmacher“ sehr vieles, was hervorragend umgesetzt ist und das Buch zu einer lohnenden und erfreulichen Lektüre macht.

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  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 03.05.2024

Eine vielfältig informative Reise in die chinesische Kultur und ein wertvoller Ratgeber

Ein Chinese sagt nicht, was er denkt
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In „Ein Chinese sagt nicht, was er denkt“, nimmt Christian Emil Schütz uns auf eine ungewöhnliche und faszinierende Entdeckungsreise. Er schildert seine Zusammenarbeit mit Chinesen, die er 2009 ohne kulturelles ...

In „Ein Chinese sagt nicht, was er denkt“, nimmt Christian Emil Schütz uns auf eine ungewöhnliche und faszinierende Entdeckungsreise. Er schildert seine Zusammenarbeit mit Chinesen, die er 2009 ohne kulturelles Vorwissen einging und bis heute aufrechterhält. Die Leser sind bei seinen zahlreichen Lernprozessen direkt dabei und so bietet dieses Buch nicht nur ungemein wertvolle Informationen über die chinesische Kultur und die sich daraus ergebenden Herausforderungen, sondern vermittelt diese auf eine hautnahe und praktische Weise. Damit sticht das Buch aus dem Großteil interkultureller Ratgeber angenehm heraus.

Es ist hochwertig gestaltet, der feste Einband überzeugt haptisch und visuell, ebenso wie der ansprechend gestaltete Umschlag und das Lesebändchen. Jedem Kapitel ist ein passendes, gut gewähltes Zitat vorangestellt, hinten im Buch finden sich einige Literaturverweise und eine Übersicht der 36 Strategeme. Man merkt, in dem Buch steckt viel Sorgfalt und Hingabe.

Inhaltlich geht es vor allem um die Erfahrungen, die Schütz beim Aufbau und der Führung seines Unternehmens mit seinem chinesischen Geschäftspartner sowie chinesischen Mitarbeitern machte. Einige Reiseschilderungen und ein Exkurs zu russischen Erfahrungen des Autors bieten auch privatere Einblicke, sowohl in das Leben des Autors wie auch in die Länder China und Russland.

Das läßt sich alles leicht lesen, der Stil ist praxisnah und eingängig. Leider wird der Lesefluss durch Gendern beeinträchtigt, was hier vorwiegend (das Gendern ist nicht einheitlich gehandhabt) mit der besonders unerfreulichen Form des Gendersternchens geschieht und anhand der hier häufig vorkommenden Begriffe die Unzulänglichkeiten dieser Form aufzeigt, denn Worte wie „Chines“ und „Ärzt“ (wie es sich ohne Sternchenzusatz liest) gibt es schlichtweg nicht.

Die Formulierungen sind überwiegend gut, insgesamt hätte dieses informative Buch von einem sorgfältigen Lektorat profitiert. Die Zeitformen werden häufig durcheinander gewürfelt und die Vorvergangenheit nicht immer dann verwendet, wenn sie notwendig wäre. Das führte manchmal bei mir sogar zu Verständnisschwierigkeiten, weil nicht klar war, ob das Berichtete in der Vorvergangenheit stattgefunden hatte oder nicht. Auch relevante Informationen fehlen gelegentlich oder werden nur angerissen, während es andererseits öfter Wiederholungen gibt oder sich Absätze finden, die inhaltlich nicht ganz passen und hereingeschoben wirken. Das sind letztlich Kleinigkeiten, die nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Lesevergnügens führen, sich aber in der Häufigkeit doch bemerkbar machen und für mich einen Wermutstropfen darstellten.

Inhaltlich kombiniert der Autor Theorie und Praxis hervorragend. Durch Schilderung seiner eigenen Erlebnisse erfahren wir eine Vielzahl konkreter Situationen, die vom Familienalltag bis hin in die Unternehmensführung reichen. Diese werden dann mit dem entsprechenden Hintergrundwissen aufgelöst. In einer Situation, in der nicht endgültig geklärt werden konnte, was eigentlich hinter dem Verhalten steckte, schildert Schütz uns seine Eindrücke in Verbindung mit seinem Wissen über die chinesische Kultur und kommt so zu einer nachvollziehbaren, gut dargelegten Schlussfolgerung. Er erlangt sein Wissen im Laufe der Jahre durch verschiedene Quellen, und anhand des Buches erleben wir das mit. Trocken wird es nie, immer sind die Informationen fundiert und gleichzeitig unterhaltsam, decken auch Historisches und sogar Touristisches ab, schildern auch berührende Lebenswege. Die Vielfalt ist erstaunlich und interessant. Nur die manchmal mit erhobenem Zeigefinger dargebrachten Meinungen des Autors zu manchen politischen Themen und dazu, wie Menschen sich im Allgemeinen verhalten sollten, fand ich im Rahmen des Themas entbehrlich.

Gelernt habe ich eine ganze Menge – und das, obwohl ich als interkulturelle Trainerin über einiges Vorwissen verfügte. Die mir bekannten Punkte sind zutreffend und farbig geschildert, die mir unbekannten Punkte wurden nachvollziehbar und ebenfalls interessant erläutert. Ich habe insbesondere den praxisbezogenen, selbsterlebten Fokus genossen. Dieses Buch ist für jeden, der mit Chinesen beruflich oder privat zu tun hat, ein äußerst wertvoller und interessanter Ratgeber.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 11.04.2024

Recht unterhaltsam, aber auch sehr konstruiert und handwerklich mittelmäßig

The Hike
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„The Hike“ (warum werden Buchtitel eigentlich vermehrt nicht mehr ins Deutsche übersetzt?) reizte mich als begeisterte Wanderin; der Blick in die traumhaft-einsame Landschaft Norwegens machte mich ebenfalls ...

„The Hike“ (warum werden Buchtitel eigentlich vermehrt nicht mehr ins Deutsche übersetzt?) reizte mich als begeisterte Wanderin; der Blick in die traumhaft-einsame Landschaft Norwegens machte mich ebenfalls neugierig, gerade auch, weil diese Landschaft für eine solche Geschichte wunderbar geeignet ist. Der Klappentext versprach zudem psychologisch Interessantes – vier Freundinnen in der Natur, auf sich gestellt, mit aufbrechenden alten Konflikten. Klingt nach einer guten Mischung.
Ganz wurden meine Erwartungen letztlich nicht erfüllt. Das Buch braucht sehr lange, bis es in Fahrt kommt. Die eigentliche Wanderung fängt erst irgendwann um Seite 100 herum an. Bis dahin trottet die Geschichte recht zäh dahin. Das liegt vor allem daran, daß die Autorin sich mit allerlei irrelevanten Details aufhält und auch vieles wiederholt. Gerade, wenn es darum geht, die Charaktere der vier Frauen darzustellen, greift Clarke immer wieder auf dieselben Sätze zurück. Maggie ergeht sich regelmäßig darin, wie sehr sie ihre Tochter vermisst, von Liz wird etwa sechs- oder siebenmal betont, wie sehr sie Joni immer zur Seite stand, Helena befühlt regelmäßig ihren Bauch und gibt sich einer wiederholenden Gedankenschleife hin und Joni reflektiert vorhersehbar darüber, welche Schatten ein schillerndes Starleben hat (und wem da einiges bekannt vorkommt: ja, was die Frauencharaktere und ihre Gedanken betrifft, hat Lucy Clarke in mancherlei Hinsicht ihr letztes Buch recyclet – die stereotypen vier Freundinnen und ihre Gedanken entsprechen in etwa denselben Schubladen wie in „One of the Girls“). Der Pathos der ständigen Freundschaftsbeschwörung war etwas anstrengend, genau wie das arg zuckrige Ende.
Der Schreibstil ist durchschnittlich. Es gibt einige gelungene Formulierungen, die ich mehrmals gelesen habe, auch die Naturbeschreibungen sind ausgezeichnet und bildhaft. Diese habe ich genossen. Manche Formulierungen sind etwas unbeholfen, sonst liest sich alles gut weg, bleibt nicht weiter in Erinnerung. Für einen Krimi ist das ausreichend.
Die Geschichte wird überwiegend durch die wechselnden Perspektiven der vier Freundinnen erzählt. Das ist eine gute Idee, denn so lernen wir die vier Frauen sowohl durch ihre eigenen Gedanken wie auch durch die Augen der anderen kennen und auch verschiedene Schauplätze und Geschehnisse können durch die Wechsel geschmeidig dargestellt werden.
Sobald die Wanderung losgeht, steigt das Erzähltempo und ist gerade in der Mitte des Buches angenehm. Es passiert genug, daß man weiterlesen möchte und gespannt ist, aber es überschlägt sich nicht unangenehm. Das passiert dann aber leider im letzten Drittel. Hier nutzt die Autorin, die ohne große Innovationen die üblichen kommerziell erfolgreichen Bestandteile des Genres abarbeitet, dann das Stilmittel zahlreicher sehr kurzer Kapitel, die jedes mit einem kleinen Cliffhanger enden – ein Stilmittel, das mir schon bei Fitzek so auf die Nerven fiel, daß ich seine Bücher nicht mehr lese. Hier und da ein Spannungsmoment, das Ganze verbunden mit einem Perspektivwechsel, um die Spannung zu halten, ist an sich eine gute Idee, aber wenn es derart überbenutzt und zum Selbstzweck wird, dann nutzt es sich enorm ab und nach einer Weile wollte ich einfach nur, daß das Buch endlich zu Ende ist. Dies auch, weil zwischen den Cliffhangern dann häufig Passagen folgten, die reines Füllmaterial waren. Auch schon zu Anfang der Wanderung versucht die Autorin, ständig Spannung zu erzeugen, geht da aber ebenfalls keine kreativen Wege und so folgt ein falscher Alarm dem anderen – unheilvolle Schritte, das Gefühl des Beobachtetseins, ein ungewöhnliches Geräusch wechseln sich beständig ab und verlieren schnell an Bedeutung. Wie bei den Charakteren wird hier zu viel in Schubladen gegriffen, zu viel wiederholt – das ist handwerklich leider nur durchschnittlich.
Doch legt Clarke auch durchaus gelungene falsche Fährten und schafft es, die anderen Charaktere undurchschaubar zu gestalten. Auch baut sie einige überraschende Wendungen ein und konnte zumindest mich mehrere Male erfolgreich hinters Licht führen. Die Geschichte selbst ist an sich gut ausgedacht – nur leider auch sehr konstruiert. Das fängt schon damit an, dass es kaum glaubhaft ist, dass diese vier Frauen, von denen nur eine halbwegs wandererfahren ist, all die beschriebenen Strapazen überhaupt bewältigen. Sie tragen neue, nicht eingelaufene Schuhe, sind kaum sportlich, eine betreibt seit Jahren heftigen Alkohol- und Drogenmissbrauch, eine ist übergewichtig – im wirklichen Leben hätten sie nicht mal den ersten Tag durchgestanden. Als diese vier Frauen dann nach einer durchwachten Nacht und einem zermürbenden Tag völlig ausgehungert mal eben tausend Höhen(!)meter an einem gefährlichen Berg hinter sich bringen, konnte ich nur den Kopf schütteln. Das ist komplett unglaubwürdig. Als sie dann noch die Muße fanden, auf diesem Weg zwischendurch stehenzubleiben und sich erst einmal wegen einer Nebensächlichkeit - mal wieder - ausgiebig anzuzicken, obwohl sie auf der Flucht vor einem gefährlichen Menschen waren, mußte ich schon ein wenig schmunzeln. Auch sonst ist vieles unrealistisch und konstruiert.
Insofern bot „The Hike“ leidlich gute Unterhaltung und einige schöne Naturbeschreibungen, hat einige gelungen überraschende Momente, ist aber durch Wiederholungen, inhaltliche Längen und einer Überbenutzung abgenutzter Stilmittel zum Spannungsaufbau sowie der äußerst konstruierten Geschichte nicht wirklich überzeugend.

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Veröffentlicht am 10.04.2024

Als Einführung und bei leichten Schlafstörungen hilfreich

Schlaf - Das Elixier des Lebens
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Als jemand mit einer über zwanzigjährigen „Karriere“ im Bereich Schlafstörungen bin ich ständig auf der Suche nach hilfreichen Informationen. Die gängigen, für mich leider nicht hilfreichen, Ratschläge ...

Als jemand mit einer über zwanzigjährigen „Karriere“ im Bereich Schlafstörungen bin ich ständig auf der Suche nach hilfreichen Informationen. Die gängigen, für mich leider nicht hilfreichen, Ratschläge kann ich mittlerweile herunterbeten und habe sie auch alle ausprobiert. An diesem Buch zog mich nun das Versprechen einer „revolutionären Schlafformel“ an, sowie die Tatsache, daß es sich bei den Autoren um Schlafmediziner mit umfangreicher und langjähriger Erfahrung handelt.
Meine Hoffnung, hier neue und/oder etwas tiefergehende Erkenntnisse zu erlangen, wurde leider nicht erfüllt. Dieses Buch ist ein fundierter, angenehm geschriebener Schlafratgeber, aber eben leider einer wie unzählige andere auch. Der Schreibstil ist erfreulich, wenn man mal von den leseflussunfreundlichen Doppelnennungen wie „Patientinnen und Patienten“ oder etwas albern klingenden künstlichen Begriffen wie „Schnarchende“ anstelle von „Schnarcher“ absieht. Auch die optische Gestaltung ist ansprechend und legt Wert auf Übersichtlichkeit.
Den mit 61 Seiten mit Abstand längsten Abschnitt nehmen allgemeine Informationen über den Schlaf ein, die z.B. darlegen, warum wir schlafen, welche Hormone eine Rolle spielen, welche Schlafpositionen und welche Schlaftypen es gibt. Dies wird alles zugänglich und verständlich geschildert, aber von recht wenig praktischem Wert für Leute mit Schlafstörungen, die ohnehin aus ureigener, schmerzlicher Erfahrung wissen, wie wichtig Schlaf ist, und denen die Sicht auf Träume während der Renaissance oder das Persönlichkeitsprofil von Seitenschläfern bei ihrem Problem wenig hilft. Allerdings finden sich auch hier schon immer wieder kleine Hinweise und Tips eingestreut. An sich ist ein allgemeiner Teil eine gute Idee, nur ist er hier im Verhältnis zum restlichen Inhalt wesentlich zu ausführlich ausgefallen. Wer sich für derlei Grundlagen interessiert, wird sie hier anschaulich und fundiert dargelegt finden.
Der zweite Teil, mit knapp über 40 Seiten, geht dann auf die verschiedenen Schlafstörungen ein. Hier fanden sich einige Fallbeispiele, über die ich mich sehr gefreut habe, denn es war u.a. diese direkte Erfahrung der Autoren in ihrem Beruf, die mich neugierig gemacht hatte. Auch zum Thema Schlafmittel und Alkohol findet sich hier Informatives. Erneut erfreut der zugängliche Schreibstil, der nie von oben herab wirkt. Im Vergleich zu dem sehr umfangreichen ersten Teil wird hier aber vieles knapp gehalten. Mehr Fallbeispiele hätten weitergehende Einblicke aus Betroffenensicht und in Behandlungsmöglichkeiten geben können. Auch schwerere Fälle kommen hier so gut wie nicht vor – es wird zutreffend erwähnt, daß dann ein Schlafmediziner hinzugezogen werden soll, und natürlich erwartet niemand, daß ein Buch einen Schlafmediziner ersetzt, aber hier hätten die beiden Autoren schlichtweg mehr von ihren Erfahrungen mit schwereren Fällen berichten und die arg ausgetretenen Bahnen von „kein Handy und kein schweres Essen vor dem Schlafengehen, ein ruhiges Zimmer und Lavendelöl“ etwas erweitern können. So las ich letztlich das, was ich schon unzählige Male gelesen habe.
Der letzte Teil widmet sich auf etwa vierzig Seiten dann endlich der „revolutionären Schlafformel“. Diese ist durchaus fundiert und bei leichten Schlafstörungen sinnvoll, enthält aber nichts Revolutionäres. Für Schlafproblemerfahrene wird dieser Ratgeber m.E. kaum etwas Neues beinhalten. Das Enthaltene ist aber sehr erfreulich formuliert, fundiert und zudem mit Übersichten ansprechend präsentiert.
Weitergehende Probleme werden hier angesprochen, allerdings nur sehr kurz. Natürlich ist zu beachten, daß es sich bei dem Buch um einen Kompaktratgeber handelt, aber die Gewichtung stimmt hier für mich nicht. Der Großteil des Buches widmet sich Hintergrundinformationen, die für Betroffene keinerlei praktische Hilfe bieten, während der praktische Teil zu kurz kommt und zudem letztlich das darlegt, was man an vielen anderen Stellen erfahren kann. Hier wurde für mich die Chance verschenkt, durch zwei praxisorientierte Fachleute Erfahrungswerte, Fallbeispiele und Ratschläge zu bekommen, die ein wenig über das Übliche hinausgehen und Menschen mit schwereren Schlafstörungen mehr Handhabe und Orientierung liefern. Wenn der überlange erste Teil um zehn Seiten gekürzt und dieser Raum dafür genutzt worden, dann wäre das hier ein Buch geworden, das aus den üblichen Schlafratgebern heraussticht und das besondere Wissen der Autoren hervorragend genutzt hätte. Die Chance wurde nicht genutzt. So ist es ein verständlich geschriebener, gut gestalteter Ratgeber von vielen, mit einer Vielfalt von Informationen für Leute mit leichten Schlafstörungen oder Leute, die sich mit dem Thema noch nicht befasst haben.

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Veröffentlicht am 05.04.2024

Originell, schöne Sprache, aber sehr distanziert und zu knapp

Der Sommer, in dem alles begann
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Ein Buch, das mit zwei Beerdigungen beginnt, macht neugierig auf das, was in jenem titelgebenden Sommer geschehen ist. Der Klappentext klingt etwas platt, derlei „drei Frauen, deren Lebenswege sich kreuzen“, ...

Ein Buch, das mit zwei Beerdigungen beginnt, macht neugierig auf das, was in jenem titelgebenden Sommer geschehen ist. Der Klappentext klingt etwas platt, derlei „drei Frauen, deren Lebenswege sich kreuzen“, und Romane mit verschiedenen Zeitebenen gibt es leider zu Hunderten. Léosts Roman hebt sich davon aber glücklicherweise ab. Die Geschichte selbst hat schon durch die Bretagne als Handlungsort etwas Ungewöhnliches und auch die meisten Handlungsstränge selbst sind düsterer und substanzvoller als bei der üblichen Drei-Frauen-Zeitebenen-Romankost. Besonderes Herausstellungsmerkmal war für mich der Sprachstil, mit dem Léost sich ebenfalls von diesem oft süßlichen Genre abgrenzt.
Sie schreibt äußerst reduziert und beweist, wie ausgezeichnet sie mit Sprache umgehen kann. Die Übersetzung wird dem ebenfalls erfreulich gerecht. Einziger Wermutstropfen in der Übersetzung ist die Verwendung von künstlichen Worten wie „Studierende“ und leserunfreundlichen Doppelnennungen wie „Schülerinnen und Schüler“ – dies sogar in wörtlicher Rede der frühen 1990er, obwohl diese Formulierung zu der Zeit gar nicht verwendet worden wären. Abgesehen davon erfreut die gekonnte Sprache aber und ich habe viele Formulierungen mehrfach gelesen und mich an ihrer treffenden Prägnanz erfreut.
Etwas nachteilig fand ich dagegen den berichtartigen, knappen Erzählstil. Die Leser sind nur sehr selten wirklich bei Geschehnissen dabei, der Großteil des Buches wird uns nicht erlebbar gemacht, sondern erzählt. Wir sind bei Dialogen oft nicht dabei, sie werden uns zusammengefasst, auch sonst sind die Leser oft nicht in der Szene drin. Unemotional und knapp erfährt man von allerlei, was doch eigentlich voller Gefühle wäre. Es gibt einige anrührende Szenen, aber größtenteils liest es sich eher wie eine Zusammenfassung eines Romans als wie ein Roman. Das hat in mancherlei Hinsicht zwar durchaus ungewöhnlichen Charme, führte bei mir aber dazu, daß mich die Charaktere kaum erreichten und ich auch an vielen Ereignissen innerlich nicht teilnahm und mich auch nur selten in der Geschichte drin fühlte. Eintauchen kann man in dieses Buch leider nicht.
Das ist auch deshalb schade, weil es einige interessante und ungewöhnliche Charaktere gibt, die aber durch die Erzählweise nicht wirklich entwickelt werden. Obwohl die Geschichte ganz sicher nicht flach ist, bleiben die Charaktere an der Oberfläche. Bei einer der drei Frauen, Odette, deren Geschichte in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückführt, hat das leider zudem den Effekt, daß ihre nicht erklärte erhebliche Wesensveränderung für mich nicht nachvollziehbar war. Dem zweiten Teil ihres Handlungsstrangs mangelt es an Plausibilität, was dadurch leider auch die Wendung ganz am Ende erheblich schwächt.
Und so ist dieses Buch für mich eine gemischte Erfahrung. Die Ansätze sind hervorragend, aber ich fühlte mich dauernd, als ob man mich von einem köstlichen Gericht kosten ließ und mir dann den Teller wieder wegnahm. Die Geschichte mit ihren vielen Facetten war zu knapp und zu distanziert erzählt, die Charaktere toll angelegt, aber nicht hinreichend ausgeführt. Die Entwicklungen sind vielversprechend, aber ein Handlungsstrang mit viel Potential verpufft einfach, ein anderer nimmt eine zwar herrlich unerwartete, aber eben nicht nachvollziehbare Wendung. Dauernd blieb das Gefühl: hier hätte man so viel mehr draus machen können.
Dagegen genoss ich den ausgezeichneten Umgang mit Sprache, die Informationen über das bretonische Leben, einige tiefrührende Aspekte und eine Originalität in Schauplatz, Charakteren und Entwicklungen, die leider so vielen Romanen fehlt. Insofern ist das Buch eine zwar etwas unausgegoren wirkende, aber dennoch lohnende Erfahrung.

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