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Veröffentlicht am 18.07.2022

Ausgezeichnet recherchierte Familiengeschichte mit einigen Wermutstropfen

Irmas Enkel
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„Irmas Enkel“ sprach mich durch das Titelbild gleich an, das gelungen darstellt, dass es sich um einen historischen Familienroman handelt. Sehr schön fand ich, daß dieses Bild, dieses Familienfoto, im ...

„Irmas Enkel“ sprach mich durch das Titelbild gleich an, das gelungen darstellt, dass es sich um einen historischen Familienroman handelt. Sehr schön fand ich, daß dieses Bild, dieses Familienfoto, im Buch selbst dann auch erwähnt wird. Der Titel ist etwas irreführend, die namensgebende Irma kommt nur kurz vor und letztlich ist es die Lebensgeschichte einer Enkelin Irmas, Anni, die wir von ihrer Geburt im Ersten Weltkrieg bis zu ihrem Tod begleiten. Schon zu Beginn zog mich die Geschichte mit farbigen Schilderungen und eindrücklichen Formulierungen in ihren Bann. hier wird zart und liebevoll erzählt, mit anschaulichen Details. Leider folgt dann ein ziemlich großer Zeitsprung zum Anfang der Nazizeit mit zahlreichen neu auftauchenden Charakteren. Diese werden nur wenig eingeführt, plötzlich sind Anni und ihre Brüder alle verheiratet, ohne dass wir die Beteiligten wirklich kennenlernten. Die Charakterkonzeption fand ich in mehreren Fällen nicht ausreichend. Mehrere Charaktere bleiben recht blass, bei einigen sind Wechsel ihrer Anschauung oder ihre Handlungen nicht ganz nachvollziehbar. Ein recht wichtiger Charakter ist so eindimensional, dass sich die meisten Szenen mit ihm gleichen. Erst am Ende des Buches erfahren wir eine wichtige Information über ihn (für die es vorher einige gut geschilderte Andeutungen gibt, die aber leider in den ständig gleichen Schilderungen seines Benehmens etwas untergehen), die allerdings trotzdem vieles an ihm nicht erklärt. Andere Charaktere sind dagegen überzeugend und man sieht sie direkt vor sich.

Die Atmosphäre ist ebenfalls gut geschildert. Viele Details informieren über Alltag und Arbeit (gelegentlich etwas zu ausführlich) in einer kleinen Landwirtschaft, über die Dorfatmosphäre, auch das bedrohliche Gefühl während der Kriegsjahre und der ersten Besatzungszeit vermittelt sich gelungen. Das Dorf stieg beim Lesen vor meinem geistigen Auge auf und viele Orte dort wurden vertraut. Auch die historische Recherche ist hervorragend (und in dieser Hinsicht bin ich besonders kritisch und selten beeindruckt). Es wurde offensichtlich ganz akribisch recherchiert, sowohl zur Nazizeit wie auch zur Besatzungszeit und der DDR. Hier habe ich eine ganze Menge Neues erfahren und bei mir Bekanntem gemerkt, wie sorgfältig die Recherche war. Diese Informationen werden größtenteils gelungen in die Geschichte eingeflochten, nur im mittleren Drittel wird die Handlung immer wieder durch sehr lange sachbuchartige Texte unterbrochen und es werden dort auch allerlei Informationen hineingepackt, die für die Handlung nicht notwendig sind.

Schön wäre es gewesen, wenn in das Korrektorat auch nur annähernd so viel Mühe geflossen wäre wie in die Recherche. Das Buch wimmelt leider vor Fehlern, diese liegen im höheren zweistelligen wenn nicht sogar dreistelligen Bereich und das ist schlichtweg viel zu viel. Es sind keine Tippfehler, sondern Fehler, die anscheinend aus einem mangelnden Wissen von Zeichensetzungs- und Grammatikregeln resultieren, so fehlen zahlreiche nicht fakultative Kommata, einige Verben sind falsch konjugiert (so wird z.B. etwas über den Boden ‚geschliffen‘) und hier und da finden sich Worte, die von ihrer Bedeutung her nicht passen. Auch die Groß-/Kleinschreibung von „sie“ wird manchmal etwas willkürlich vorgenommen, es werden Zeitangaben verwendet, die bei der Vergangenheitsform nicht richtig sind, Zeitformen vermischt etc. Diese hohe Fehlerquote ist umso erstaunlicher und bedauerlicher als laut Impressum ein berufsmäßiges (das Wort „professionell“ möchte ich angesichts dessen, was abgeliefert wurde, nicht verwenden) Korrektorat beauftragt wurde. In der Hinsicht hat die Autorin alles richtig gemacht. Nachdem ich das Buch gelesen hatte und mir einige der Rezensionen ansah, entdeckte ich, daß die vielen Fehler schon vor zwei Jahren in mehreren Rezensionen bemängelt wurden. Daß in dieser Zeit anscheinend nicht das Geringste unternommen wurde, um dem abzuhelfen, ist wenig erfreulich und für mich ein erheblicher Minuspunkt.

Der Schreibstil ist größtenteils erfreulich. Einige Formulierungen sind so wunderschön und sagen mit wenigen wohlgesetzten Worten so viel aus, daß ich ganz hingerissen war und diese mehrmals gelesen habe. Die Autorin hat offensichtlich ein Talent für Sprache. Zusammen mit den farbigen Beschreibungen und überwiegend gut eingeflochtenen Hintergrundinformationen liest sich der Stil angenehm. Die Autorin spielt mit Zeitebenen, so sind während der Schilderungen von Annis Leben bis Kriegsende immer wieder kleine Szenen aus dem Jahr 1946 eingeschoben, die in ihrer berührenden Melancholie schon einiges gelungen andeuten. Auch werden wir manchmal vor vollendete Tatsachen gestellt und erfahren die Hintergründe erst später, auch das funktioniert und ist interessant. Leider gibt es aber auch sehr viele langatmige Passagen, gerade im zweiten Teil des Buches verliert sich das Buch ein wenig in sich selbst. Auch hat man bei manchen Charakteren und Handlungssträngen den Eindruck, dass sie aufgenommen wurden, um einen bestimmten Aspekt oder ein Thema zur Sprache zu bringen, ohne daß sie aber integraler Teil der Geschichte sind, so daß diese Handlungsstränge etwas halbherzig auftauchen und dann wieder verschwinden. So verlor ich gerade in der zweiten Hälfte zunehmend den Bezug zu einigen Charakteren und war enttäuscht, wenn einige Themen an der Oberfläche blieben oder notwendige Hintergründe nicht erklärt wurden. Auch sind manche Zeitsprünge abrupt und manchmal verwirrend – dazu trägt auch bei, dass die Jahreszahlen ausgeschrieben und nicht als Zahlen geschrieben sind, das Buch außerdem nur sehr wenige Kapitel hat und es abgesehen von neuen Absätzen keinerlei Unterteilungen gibt, so dass ein neuer Absatz eventuell ein paar Stunden später spielt oder auch mal ein paar Jahre später. Einige Kapitel mehr oder zumindest sichtbarere Unterteilungen bei Zeitsprüngen hätten hier für die Übersichtlichkeit viel bewirkt.

So ist „Irmas Enkel“ ein Buch, das viel Großartiges mit sich bringt und mich gerade in der ersten Hälfte berührte, dem aber sowohl ein gutes Korrektorat wie auch ein Lektorat fehlt, das die eigentlich gute Geschichte ein wenig in Form bringt, denn die aufgeführten Punkte haben mein Lesevergnügen doch ziemlich beeinträchtigt. Mit Überarbeitung steckt hier aber durchaus ein 5-Sterne-Buch drin, denn diese Lebensgeschichte, die vom Kaiserreich bis in die moderne Zeit geht, ist facettenreich und vielseitig, der Schreibstil macht Lust auf mehr.

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Veröffentlicht am 03.07.2022

Ein Leben wie ein Roman - hervorragend erzählt

Hans Fallada
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Zuerst war ich aufgrund des Buchumfangs (um die 400 Seiten) ein wenig skeptisch, daß es eventuell Längen geben würde, aber die gab es zu keinem Moment. Falladas Leben war der reinste Roman und Uzulis erzählt ...

Zuerst war ich aufgrund des Buchumfangs (um die 400 Seiten) ein wenig skeptisch, daß es eventuell Längen geben würde, aber die gab es zu keinem Moment. Falladas Leben war der reinste Roman und Uzulis erzählt es – im positiven Sinne – wie einen Roman. Er beginnt mit einer besonders dramatischen Episode und zieht den Leser durch farbige, lebhafte Schilderung – der aber keineswegs das Fundierte fehlt – gleich in das Geschehen hinein. So bleibt es das ganze Buch hindurch, ich habe selten eine Biographie so gebannt gelesen.
Das Buch ist ausgezeichnet recherchiert, das merkt man nicht nur am umfangreichen Quellenverzeichnis und den zahlreichen Zitaten im Text. Uzulis zieht verschiedene Perspektiven heran, wir erfahren Fallada aus Sicht seiner Mutter, seiner ersten Ehefrau und verschiedener Weggefährten, aber auch aus seiner eigenen Sicht. So wird das Bild dieses komplexen und schwierigen Charakters facettenreich. Vereinzelt hätte der Autor sich mit der eigenen Meinung ein wenig zurückhalten können, aber überwiegend wird hier ein ausgewogenes Bild geschildert, versucht Uzulis, Falladas Motive zu ergründen, äußert oder zitiert gelegentlich Vermutungen dazu und sagt auch offen, wenn es eben nicht mehr als solche Vermutungen gibt. Auch schildert er die historischen und gesellschaftlichen Hintergründe anschaulich und bettet Falladas Leben und Werk hervorragend in diese ein.
Überhaupt verbindet er Person und Werk ausgezeichnet. In manchen Schriftstellerbiographien nehmen lange Nacherzählungen der Werke zu viel Raum ein, Uzulis dagegen beschränkt sich hier gelungen auf das Wesentliche. – Im Buch finden sich zahlreiche Fotografien, erfreulich über die Seiten verteilt, so daß die Abbildungen zum gerade Erzählten zeitlich und thematisch passen. Eine sehr angenehme Art der Illustration.
Diese Biographie macht einfach alles richtig, sie hat mir Fallada sowohl als Mensch wie auch als Autor in lebendiger Erzählweise nahegebracht, wichtige Hintergründe in genau richtiger Detailtiefe geschildert und neugierig auf jene seiner Werke gemacht, die ich noch nicht gelesen habe, zudem diese Werke gelungen im Spiegel von Falladas Leben und Umständen betrachtet. Lediglich ein paar kleine Schlussbemerkungen über die weiteren Lebenswege seines Umfelds hätte ich mir noch gewünscht, aber das ist reine Geschmackssache. Ein ausgezeichnetes Buch, sowohl vom Unterhaltungs- wie auch vom Informationsgehalt!

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Veröffentlicht am 29.05.2022

Atmosphärisch, düster, ungewöhnlich

Talberg 2022
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Talberg 2022 ist der dritte Band einer Reihe über Kriminalfälle in dem Dorf Talberg – ein interessantes Konzept. Ich habe die ersten beiden Bände nicht gelesen, das hat aber nicht geschadet, im Nachwort ...

Talberg 2022 ist der dritte Band einer Reihe über Kriminalfälle in dem Dorf Talberg – ein interessantes Konzept. Ich habe die ersten beiden Bände nicht gelesen, das hat aber nicht geschadet, im Nachwort erklärt der Autor selbst, die Bücher könnten eigenständig und/oder in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Einige Dinge wirken sicher ganz anders, wenn man die Folgebände kennt, aber man kann ohne Vorkenntnisse gut in die Reihe einsteigen.
Der Klappbroschureinband ist ganz wundervoll gelungen, von Wertigkeit und Gestaltung her absolut überzeugend. Das düstere Titelbild passt ausgezeichnet zur beklemmenden Atmosphäre, die von Anfang an herrscht.
Man kommt gut in die Geschichte rein, der Schreibstil ist in Ordnung und liest sich flüssig. Einige Passagen fand ich langatmig, auch ist das Erzähltempo größtenteils eher gemächlich, mir manchmal zu gemächlich. Der Fall macht von Anfang an neugierig, mehrere Rückblenden liefern nach und nach Informationen. Über allem, ob Gegenwart oder Rückblenden hängt Trostlosigkeit und Düsternis, die Atmosphäre ist ausgezeichnet gelungen.
Der Autor verwendet einige etwas abgegriffene Klischees, manche Dinge sind nicht gänzlich plausibel, aber die Entwicklung und Hintergründe des Falles sind absolut ungewöhnlich und unerwartet. Und grausig. Vorhersehbar ist hier nichts. Talberg 2022 ist in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher Krimi, hier ist nicht unbedingt die Ermittlung der Hauptfaktor, sondern Atmosphäre und persönliche Tragödien. Das ist gut umgesetzt und ich kann mir vorstellen, dass die drei Talbergbände zusammen ein in vielerlei Hinsicht beklemmendes Leseerlebnis bieten.

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Veröffentlicht am 26.05.2022

Ungewöhnlicher Stil, der mich leider nicht berühren konnte

Über Carl reden wir morgen
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Judith W. Taschlers Generationenroman führt uns durch etwa hundert Jahre Familiengeschichte und österreichischer Geschichte. Ich war auf diesen Blick auf Österreich sehr gespannt, ebenso darauf, wie man ...

Judith W. Taschlers Generationenroman führt uns durch etwa hundert Jahre Familiengeschichte und österreichischer Geschichte. Ich war auf diesen Blick auf Österreich sehr gespannt, ebenso darauf, wie man drei Generation und ein Jahrhundert auf 450 Seiten unterbringt. Schon das Titelbild hebt sich vom Einerlei historischer Romane erfreulich ab und lässt auf den ersten Blick nicht darauf schließen, dass es sich um einen Familiensaga handelt. Insofern ist es treffend gewählt, denn die Autorin geht in Konzept und Stil ungewöhnliche Wege und schuf einen ebenso ungewöhnlichen Roman, welcher die traditionellen Pfade des Genres hinter sich lässt. Das ist interessant, hat in vielerlei Hinsicht einen eigenen Charme, funktioniert aber für mich in vielerlei Hinsicht auch nicht unbedingt.

So ist die Erzählung über lange Strecken ausgesprochen distanziert. Dialoge gibt es im ersten Drittel fast keine. Später kommen sie etwas vermehrt vor, aber die rein erzählerischen Passagen überwiegen bei weitem. Diese lesen sich flüssig, aber der Leser ist beim Geschehen nicht dabei, bekommt es erzählt und beschrieben. Man liest es, aber man erlebt es nicht mit. Über weite Strecken fühlte es sich an, als ob ich nicht das Buch selbst, sondern eine Nacherzählung des Buches lesen würde. Die Emotionen, Motivationen und Eigenschaften der Charaktere werden auf dem Tablett mundgerecht präsentiert, anstatt dass man sie selbst entdecken kann, und so konnte ich selten Anteil an ihnen nehmen. Ein aufklappbares, schön gestaltetes Lesezeichen (sehr gute Idee!) beinhaltet einen Familienstammbaum, der für mich auch nötig war, da ich mit vielen Namen (die Vorliebe für mit A beginnende Namen führte anfangs zu zusätzlichen Verwechslungen) kaum etwas verbinden konnte – leider offenbarte mir der Blick auf den Stammbaum dann auch einen kleinen Spoiler. Auch die Geschehnisse selbst entfalteten aufgrund der distanzierten, oft zusammenfassenden Erzählweise auf mich kaum berührende Wirkung. Das ist insbesondere deshalb schade, weil sehr interessante Themen vorkommen, die für meinen Geschmack oft zu kurz und unbeteiligt abgehandelt werden. Viele spannende Thematiken wurden für mich verschenkt, vielversprechende Andeutungen nicht aufgegriffen, manche Probleme zu leicht gelöst, was mich enttäuschte. Im letzten Viertel überschlagen sich die Themen und zahlreiche kaum eingeführte Charaktere tauchen auf, so dass es ein Gewirr aus Geschehnissen und Namen war, die an mir vorbeisausten, ohne mich zu packen.
Wenn die Erzählung gelegentlich involvierter wurde, die Szenen sich vor dem Leser direkt entfalteten, sah ich, welch immensen Unterschied das macht und wie die Charaktere anrühren können, wenn sie dazu den nötigen Raum erhalten. So aber kann ich mich an keinen Roman erinnern, dessen Charaktere und Geschehnisse mich so wenig berührten.

Ein stilistisches Element, das mir gut gefallen hat, war der Umgang mit Zeit. Judith W. Taschler erzählt nicht linear, sondern springt auf gelungene Weise abenteuerlich durch die Zeiten. Dies tut sie keineswegs mit dem mittlerweile überbenutzten Werkzeug abwechselnder Zeitebenen, sondern auf eine Art, die mir in Romanen bislang noch nicht begegnete. Oft beginnt sie mit dem Ende einer Geschichte, stellt den Leser vor manches Rätsel und deckt dann rückwärts erzählend die Zusammenhänge auf. Manche Handlungsstränge brechen scheinbar ab und werden viele Seiten später wieder aufgenommen oder aufgeklärt, manchmal springt die Handlung ein Stück vor, dann wieder zurück – dies alles ohne Kennzeichnung oder Ankündigung. Auch die Perspektiven wechseln unablässig und unangekündigt. Das wirkt zu Beginn ein wenig verwirrend, funktioniert aber und entfaltet aber eine ganz eigene Attraktivität. Schade fand ich, dass es im Zuge dieser Erzählweise häufiger zu Wiederholungen kam, so erfahren wir eine Geschichte gleich doppelt, jeweils auf mehreren sehr ähnlich formulierten Seiten, andere Dinge werden drei- oder viermal erzählt. Das wäre vermeidbar gewesen, trotzdem ist diese Erzählweise insgesamt erfreulich fordernd und innovativ.

Historische Informationen werden oft geschickt eingebunden, manchmal aber auch durch sachbuchähnliche Einschübe vermittelt, die Sprache war mir stellenweise zu modern. Erfreulich fand ich, dass viel Relevantes und Interessantes aufgegriffen wurde, ich habe hier zu einigen historischen Themen Neues erfahren und man merkt, dass sorgfältig recherchiert wurde.

So war das Buch für mich ein gemischtes Vergnügen. Bei einem weniger beschreibenden Schreibstil hätten mich die Charaktere und ihre Erlebnisse sicher ergriffen, bei einer Konzentration auf weniger, aber dafür tiefgehender behandelter Themen wäre ich in die Geschichte eingetaucht und hätte an dem herrlichen Umgang mit Zeit und Perspektiven viel Freude gefunden. So aber war es zumindest für mich nicht das richtige Buch.

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Veröffentlicht am 20.05.2022

Liebevoll illustriert, mit detaillierten Fakten

Alt-Buckower Geschichte(n)
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Das Buch widmet sich dem Berliner Stadtteil Alt-Buckow, einstmals ein eigenes Dorf mit lang zurückgehender Geschichte. Schon auf den ersten Blick fällt die ausgezeichnete Ausstattung auf, die Seiten bestehen ...

Das Buch widmet sich dem Berliner Stadtteil Alt-Buckow, einstmals ein eigenes Dorf mit lang zurückgehender Geschichte. Schon auf den ersten Blick fällt die ausgezeichnete Ausstattung auf, die Seiten bestehen aus hochwertigem Fotopapier, der Klappbroschurumschlag zeigt vorne einen Dorfplan aus dem Jahr 1819, hinten einen aktuellen Straßenplan, beide farbig, so dass man gleich einen guten Vergleich der Entwicklung hat. Auch sonst erfreut das Buch mit zahlreichen Abbildungen, darunter mehrere in Farbe. Hauptsächlich zeigen diese Fotos ehemalige und momentane Gebäude, aber es gibt auch Familien- oder Gruppenfotos, Abbildungen alter Einladungen, Sitzungsprotokolle und anderer Dokumente. Das ist eine gelungene Mischung, die viele Facetten des Alt-Buckower Lebens aus langen Jahren zeigt, hier sieht man die liebevolle Zusammenstellung schon auf den ersten Blick.

Besonders berührte mich eine Verlobungsanzeige aus dem Jahr 1932 - nicht nur wegen der anrührenden Gestaltung, sondern auch wegen der Information im Text, dass der Ehemann weniger als zehn Jahre nach dieser Verlobung von den Nazis ermordet wurde. Dies wird recht knapp berichtet und ich hätte gerne mehr darüber erfahren. Dies führt mich zu dem Aspekt, der mich an dem Buch ein wenig enttäuschte - es gibt "Alt-Buckower Geschichte", aber die im Titel ebenfalls angekündigten Geschichten kamen etwas kurz. Ich hatte mir von dem Buch eine Reise in die Lebensgeschichten der Buckower erwartet, wollte erfahren, wie diese Menschen Geschchte erlebt, erfahren, bewältigt hatten. Das Buch fokussiert sich allerdings darauf, die Geschichte jedes Grundstücks zu umreißen und dies führt zu vielen Kapiteln, in denen man lediglich erfährt, wer das Grundstück bewohnt hat, ob bauliche Veränderungen vorgenommen wurden, welche Läden sich dort befanden, wie die Hofwirtschaft sich entwickelte. Das sind überwiegend trockene Fakten, die nur selten ins Persönliche hineingehen. Gelegentlich finden die Schicksale der Menschen Erwähnung, das waren für mich die interessantesten Passagen des Buches, aber sie kamen mir viel zu kurz, sowohl von der Häufigkeit wie von der Ausführlichkeit her. Manchmal wird etwas gestreift, so erfahren wir, dass die Tochter einer Familie mit Ende 20 starb, oder dass "ein schwere Schicksalsschlag" jemanden "im Alter von nur 43 Jahren aus dem Leben" riss, aber wir erfahren nicht, was geschah. Auch das Schicksal dreier Schwestern, die durch den Krieg so ziemlich alles verloren, sich mühsam durchschlugen und ein Leben lang unverheiratet blieben, ist nur knapp umrissen, lässt Fragen offen und weckt den Wunsch, doch etwas mehr über solche Lebenswege zu erfahren. So wird oft etwas angedeutet, aber nicht ausgeführt und mir blieben die Familien Buckows größtenteils fremd, sich abwechselnde Namen mit Lebensdaten, aber ohne echtes Leben. Nun ist dies meinen Erwartungen geschuldet, der Fokus des Buches ist es, die Chronologie der Grundstücke aufzuzeigen und gelegentlich ein wenig durch einige Anekdoten aufzulockern. Mir fehlte hier aber das Leben hinter den Daten. Wer jedoch mit anderen Erwartungen an das Buch herangeht, wird eine liebevoll chronologisierte Geschichte Alt-Buckows finden, sorgfältig recherchiert, mit Quellenangaben und Bildnachweisen und einigen wenigen persönlichen Einblicken.

Es wird viel Anschauliches geboten, um zu zeigen, wie und warum sich Alt-Buckow veränderte, faszinierend u.a. eine herrlich und übersichtlich gestaltete Stammtafel einer Familie, die 12 Generationen umfasst. Auch der literarische Spaziergang am Damm entlang ist eine gute Idee, dem Leser den Ort zu zeigen. Der Ort mit seinen Gebäuden und Veränderungen wurde mir detailliert nahegebracht und für jemanden, der dort wohnt oder sich für den Ort interessiert, ist dies eine wahre Fundgrube mit vielen informativen und nützlichen Fakten. Hier wurde auf liebevolle Art dem Ort Alt-Buckow ein Denkmal geschaffen und Lesern die Möglichkeit gegeben, die Entwicklung über Jahrhunderte hinweg mitzuerleben. Auch die gelungene optische Gestaltung mit ihrer Vielfalt an Abbildungen kann ich nur noch einmal erfreut hervorheben.

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