Profilbild von Wacaha

Wacaha

Lesejury Star
offline

Wacaha ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wacaha über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.08.2020

Psychodrama um das Haus auf den Klippen

Ich will dein Leben
1

1986: Die 16jährige Tamsyn lebt in der hintersten Ecke Cornwalls. Arbeitslosigkeit, Trostlosigkeit und Mutlosigkeit prägt ihr Umfeld und seit ihr geliebter Vater bei einer Seenotrettung ums Leben gekommen ...

1986: Die 16jährige Tamsyn lebt in der hintersten Ecke Cornwalls. Arbeitslosigkeit, Trostlosigkeit und Mutlosigkeit prägt ihr Umfeld und seit ihr geliebter Vater bei einer Seenotrettung ums Leben gekommen ist gibt es für Tamsyn nur eine Sache, an der sie noch Freude findet: Hoch auf einer Klippe über dem Meer steht ein wunderschönes weißes Herrenhaus, in dessen Pool sie verbotenerweise mit ihrem Vater schwimmen war und an das sie die besten Erinnerungen ihres Lebens hat. Das junge Mädchen ist fasziniert von dem Haus und beobachtet alles akribisch, was dort abläuft. Sie entwickelt eine regelrechte Obsession hinsichtlich der Bewohner des Hauses, der Familie Davenport aus London. Als diese eines Sommers ihre Tochter Edie mitbringen freundet sich diese mit Tamsyn an, nichtsahnend, dass diese eigentlich nur eines möchte: Ein Leben, wie Edie es lebt.

Das Cover des Buches ist absolut passend und fasst gut seine Quintessenz zusammen: Ein rothaariges Mädchen, das auf die weiße Villa auf den Klippen schaut. Insofern passt der Originaltitel des Buches „The Cliff House“ auch ideal und hätte meiner Meinung nach auch für die deutsche Ausgabe verwendet werden können, da „Ich will dein Leben“ etwas falsche Erwartungen bei mir als Leser geweckt hat – denn es ist tatsächlich das Haus, das Dreh- und Angelpunkt und Ziel von Tamsyns Streben ist und nicht Edies Leben als Ganzes. Sie ist von der Haus und der Vorstellung dort zu leben besessen, nicht von Edie als Person.

Die beiden Mädchen im Mittelpunkt des Geschehens sind auf den ersten Blick extrem unterschiedlich: Tamsyn hat früh ihren Vater verloren und kommt aus ärmlichen, aber liebevollen Verhältnissen. Sie ist sehr introvertiert und wirkt teilweise noch sehr kindlich-naiv. Edie hingegen ist die rebellische Tochter reicher Eltern, die krampfhaft um deren Aufmerksamkeit buhlt und insgesamt sehr selbstbewusst auftritt. Doch beide Elternteile sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie der Tochter die Liebe und Aufmerksamkeit geben könnten, die sie braucht und geben ihr lediglich finanzielle Sicherheit. Tamsyn jedoch glaubt in den Davenports die personalisierte Perfektion vorzufinden, sie ist absolut verblendet und besessen von dem Wunsch, Edies Leben zu führen. Sie ist besessen davon, in dem geliebten Haus auf den Klippen zu blieben und tut alles, um Zugang zur Familie zu haben. Dabei gerät sie immer mehr in eine Opferrolle und lässt sich von der abgebrühten Edie sowie ihrer Mutter respektlos und demütigend behandeln. Die beiden Frauen der Familie Davenport haben mich in ihrer mangelnden Empathie und ihrem Egoismus teilweise richtig angeekelt. Beide Mädchen verbindet die Einsamkeit, die jede auf ihre eigene Art und Weise verspürt; die unterschiedlichen, aber dennoch schwierigen Familienverhältnisse und die erschreckenden psychischen Abgründe, die sich bei beiden auftun. Letztlich teilen beide ein ähnliches Schicksal in verschiedenen sozialen Schichten.
Sämtliche Personen sowie deren Konstellation hätten großes Potenzial für ein spannendes Buch, das sogar als psychologische Charakterstudie hätte durchgehen können, geboten. Leider blieb jedoch die Charakterentwicklung der einzelnen Figuren etwas auf der Strecke, die Personen haben nach meinem Geschmack etwas zu wenig Tiefe und sind blass geblieben. Auch waren sie in ihren Handlungen teilweise inkonsistent und unberechenbar und somit wenig authentisch. Auch das Spiel mit typischen Klischees wurde etwas übertrieben.

Gut gefallen hat mir hingegen der langsame Spannungsaufbau, welcher der Autorin ganz wunderbar geglückt ist. Über dem gesamten Buch schwebt eine düstere, bedrohliche Atmosphäre, als Leser spürt man das Unheil regelrecht langsam unterschwellig näherkommen. Der Schreibstil ist flüssig und unaufgeregt, eine permanente undefinierbare Bedrohung schwingt jedoch bereits sehr früh mit den Zeilen mit. Amanda Jennings ist es ganz großartig gelungen, die Emotionen ihrer Protagonisten zu beschreiben, so dass diese direkt auf mich als Leser übergesprungen sind. Auch gut gefallen haben mir die zahlreichen Perspektivwechsel – so gut wie jede Figur kommt hier einmal in den Fokus. Warum lediglich Jagos Sicht aus der „Ich“-Perspektive in Gegenwart geschildert wurde hat sich mir aber leider nicht erschlossen. Die geheimnisvollen mit „Heute“ überschriebenen Kapitel haben Spielraum für Fantasie und Spekulation gelassen, sie waren bis zum Schluss sehr vage und haben keinerlei Hinweis auf das Ende des Buches gegeben. Dieser Mix aus Vergangenheit und Gegenwart hat noch zusätzlich die Spannung erhöht und auf das Ende hinfiebern lassen.
Dieses spielt sich eigentlich komplett im letzten Drittel des Buches ab, was vorher langsam vor sich hingebrodelt hat entlädt sich alles auf einmal. Sehr viele Entscheidendes und Dramatisches passiert in wenigen Kapiteln, so dass das eigentliche Ende sogar etwas unspektakulär wirkt. Für mich war die Auflösung der „Heute“-Kapitel allerdings überraschend und nicht vorhersehbar, leider aber auch ein wenig unglaubwürdig. Die Geschichte als Ganzes war aber schlüssig, da ein Happy End wäre hier sehr konstruiert gewesen wäre.

Ganz nebenher wird Cornwall mit all seiner Schönheit, aber auch Problemen sehr gut beschrieben. Sehr anschaulich zeigt die Autorin, wie der wirtschaftliche Niedergang eine ehemals florierende Provinzstadt getroffen hat und welche sozialen und gesellschaftlichen Probleme (Drogen, Arbeitslosigkeit, Mutlosigkeit) dadurch entstehen.

Alles in Allem hatte ich eine gute Lesezeit und der langsame Verlauf der Geschichte mit der düsteren, unterschwelligen Bedrohung hat mir gut gefallen. Psychologisch hätte ich mir allerdings mehr erhofft und auch die Handlung hätte besser verteilt werden können. Alles in allem ein nettes Buch, das mich aber nicht hundert prozentig überzeugt hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Handlung
  • Spannung
  • Erzählstil
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.08.2020

Feministischer Rache-Roman

Wings of Silver. Die Rache einer Frau ist schön und brutal (Golden Cage 2)
0

Die erfolgreiche Geschäftsfrau Faye ist am Ziel: Ihren skrupellosen und brutalen Ex-Mann Jack hat sie hinter Gitter gebracht, ihre kleine Tochter ist in Sicherheit und ihr Unternehmen „Revenge“ expandiert. ...

Die erfolgreiche Geschäftsfrau Faye ist am Ziel: Ihren skrupellosen und brutalen Ex-Mann Jack hat sie hinter Gitter gebracht, ihre kleine Tochter ist in Sicherheit und ihr Unternehmen „Revenge“ expandiert. Sie hat die Vergangenheit hinter sich gelassen und sich ein neues Privatleben fernab der schwedischen Heimat in Italien aufgebaut. Doch plötzlich häufen sich seltsame Aktienverkäufe ihrer Aktionärinnen und Faye muss um das Bangen, was sie gemeinsam mit ihrer verstorbenen Freundin Chris aufgebaut hat. Zu allem Unglück gelingt es Jack auch noch, aus dem Gefängnis auszubrechen – und urplötzlich ist nicht nur Fayes Geschäft, sondern darüber hinaus ihr Leben in Gefahr.

„Wings of Silver“ ist der zweite Band der „Golden-Cage“-Reihe der schwedischen Autorin und Unternehmerin Camilla Läckberg. Der Titel für ihr Buch ist sehr passend gewählt und der Untertitel „Die Rache einer Frau ist schön und brutal“ hat mich direkt angesprochen und neugierig gemacht. Auch das Cover ist hochwertig und sehr schön gestaltet: Das Motiv des abgebrochenen „Revenge-Lippenstiftes“, mit dem Fayes Name geschrieben ist, symbolisiert sowohl die Gefahr, in der sie persönlich sich befindet und repräsentiert ihr strauchelndes Unternehmen. Die silberne Schriftfarbe ist ein absoluter Hingucker und passt perfekt zum Titel. Ein absolut gelungenes Cover!

Camilla Läckbergs Schreibstil ist fesselnd und spannend, sie beschreibt anschaulich und sorgt für Tempo. Lediglich die erotischen Szenen waren mit teilweise etwas zu vulgär beschrieben, aber das ist bekanntlich Ansichtssache. Das Buch ist in vier Teile gesplittet, die jedesmal enden, wenn ein neuer, lebensverändernder Vorfall in Fayes Leben geschieht. Zwischen den erzählenden Parts zu Fayes Gegenwart werden regelmäßig Szenen von „damals“ in Fjällbacka aus der „Ich-Perspektive“ eingeschoben, die teilweise so brutal und ekelerregend waren, dass mir vor Mitleid und Grauen Tränen in die Augen getreten sind. Ziemlich schnell ergeben diese Szenen für den Leser aber ein stimmiges Bild zur eigentlichen Geschichte, falls die Autorin hier für ein Rätsel sorgen wollte, war dieses leider sehr schnell gelöst. Insgesamt erschien mir der Roman an vielen Stellen leider sehr vorhersehbar und wenig überraschend.

Insgesamt war die Story an sich gut und die Idee dahinter toll. Leider hat sie sich aber nicht in sich abgeschlossen angefühlt, mir fehlten teilweise Informationen aus dem ersten Band, so dass nicht alle Handlungsstränge voll nachvollziehbar oder verständlich waren. Auch endet die Geschichte offen, so dass noch genug Stoff für einen dritten Band bleibt. Gut beschrieben wurde die Businesswelt, in der sich Faye bewegt, wobei allerdings leider das Produkt der Firma und Details zum entscheidenden Twist leider zu allgemein und oberflächlich blieben.

Faye als Protagonistin wurde für mich leider nicht greifbar, vielmehr hat sie mich in weiten Teilen des Buches eher genervt. Ich habe sie als sehr widersprüchlich wahrgenommen: Einerseits ist sie eine knallharte, intelligente Geschäftsfrau, dann auch wieder liebende Mutter und zuverlässige Freundin, auch starke Feministin, die den Männern nicht wiederstehen kann. Ebenfalls ist sie eine skrupellose, fast psychopathisch-berechnende Mörderin, dann aber auch wieder ein naives und gutgläubiges kleines Mädchen, das geliebt und bewundert werden möchte. Mir waren das leider zu viele Charakterzüge innerhalb einer Person, so dass ich mit Faye nicht warm geworden bin und sie als unauthentisch empfunden habe. Andere Personen spielen eher eine untergeordnete Rolle, obwohl beispielsweise auch ihre Freundinnen Alice und Ylva interessant gewesen wären. Ex-Mann Jack wird ebenfalls kaum erwähnt, obwohl man nach dem Klappentext erwartet, ihn im Fokus zu finden. Jedoch taucht er erst nach der Hälfte des Buches überhaupt auf und nimmt eher kleine Rolle ein, man lernt ihn als Leser überhaupt nicht kennen. Vor der Überrepräsentation Fayes ist auch deren Leben in Italien, das sie ja verteidigen möchte, völlig außen vor geblieben.

Hin- und hergerissen bin ich zum Thema Feminismus, das ständig und an vielen Stellen thematisiert wurde. Schön war es, die zahlreichen starken Frauen kennenzulernen und mitzuverfolgen, wie sie sich verbündet und Freundschaften entstanden sind. Hier wird Frauenpower wirklich spürbar!
Andererseits war mir das Thema zu omnipräsent und zu fanatisch, es herrschte ein striktes Schwarz-weiß-Denken vor: Männer sind entweder brutale Vergewaltiger oder versuchen hinterlistig Frauen übers Ohr zu hauen und auszunutzen, während Frauen alle gut und vertrauenswürdig sind und Schwesternschaft das höchste Gut ist. Dies ist nicht nur falsch, sondern auch absolut unfair der Männerwelt gegenüber, es gab im Buch keinen einzigen ehrlichen Mann.

Schade, dass in Fayes Welt Männer insgesamt nicht gut wegkommen, denn Story und Schreibstil hatten durchaus Potenzial. Die Umsetzung hat mich leider aber nicht überzeugt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.07.2020

Dave Robicheaux´ zehnter Fall – und mein erster

Sumpffieber
0

Vor etlichen Jahren wurde in New Iberia ein radikaler Gewerkschaftsführer auf brutale Art und Weise ermordet. Der Fall konnte nie aufgeklärt werden, die Täter sind nach wie vor auf freiem Fuß. Jahrzehnte ...

Vor etlichen Jahren wurde in New Iberia ein radikaler Gewerkschaftsführer auf brutale Art und Weise ermordet. Der Fall konnte nie aufgeklärt werden, die Täter sind nach wie vor auf freiem Fuß. Jahrzehnte später sind die Kinder dieses Mannes, Megan und Cisco Flynn, zurück in der Gegend – scheinbar um zu arbeiten. Als wenige Tage nach ihrer Ankunft zwei weiße Brüder nach der Vergewaltigung eines schwarzen Mädchens kaltblütig erschossen werden fällt der Verdacht auf einen Mann, der auch schon damals beteiligt gewesen sein soll: Alex Guidry. David Robicheaux ermittelt in diesem Fall, kann aber auch den Cold Case nicht fallen lassen – insbesondere deshalb nicht, weil Megan immer wieder seine Nähe und Unterstützung sucht. Als der Verdächtige kurz bevor er Robicheaux die Wahrheit erzählen kann ebenfalls ermordet wird weiß dieser, dass er auf der richtigen Spur ist. Und sich mit gefährlichen Leuten angelegt hat.

„Sumpffieber“ ist der inzwischen zehnte Fall (von 23!) der „Dave-Robicheaux-Reihe“ des amerikanischen Bestsellerautors James Lee Burke – und mein erster! Ich bin hin und weg von seinem großartigen, wortgewaltigen Schreibstil! Absolut außergewöhnlich und ganz anders als das, was einem normalerweise in Büchern begegnet. Auch die – sicherlich nicht einfache – Übersetzung dieser poetischen und intelligenten Sprache ist gut geglückt und hochwertig. Etwas schwach fand ich lediglich die oftmals sehr kurzen und wenig aussagekräftigen Dialoge zwischen den Figuren.

Als Leser spürt man deutlich die Verbundenheit des Autors mit der Gegend in Louisiana, in der er nicht nur seine Bücher ansiedelt, sondern auch selbst lebt. Burke beschreibt insbesondere Landschaften und alltägliche Situationen sehr metaphernreich und atmosphärisch. Man kann die Bayous, Bäume und Sumpflandschaften der Südstaaten regelrecht riechen und fühlen, so anschaulich werden sie dargestellt. In diese idyllischen Landschaftsbeschreibungen siedelt er als krassen Kontrast das Böse, von Menschen Gemachte an: Rassismus, Gewalt, Alkoholismus, Kriminalität und Armut. Diese Themen werden in all ihren dunklen Facetten ungeschönt beschrieben, was mir teilweise etwas zu brutal war. Burke zeichnet ein grausames Bild von Amerikas Südstaaten. Insbesondere das Rassismus-Thema war sehr präsent. Das stimmte mich sehr traurig, da das Buch schon über 20 Jahre alt ist, Burkes gesellschaftskritische Themen allerdings gerade in der momentanen Zeit aktueller sind denn je.

Zunächst fiel es mir zugegebenermaßen etwas schwer, aufgrund der sehr schnellen Gedankensprünge in die Geschichte hineinzukommen. „Sumpffieber“ ist aus Sicht von Robicheaux geschrieben, ohne dass es großer Erklärungen bedarf. Spannend fand ich auch die ab und an auftretenden Perspektivwechsel. Der Anfang erfolgte sehr schnell, man wurde regelrecht in die Story hineinkatapultiert. Robicheaux war mir zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannt und auch die verschiedenen Handlungsstränge und zahlreichen Personen zu erfassen empfand ich als kompliziert.

Robicheaux agierte wie ein moderner Robin Hood, so ganz konnte ich seine Rolle zwischen Polizist, und Privatperson bis zum Ende hin nicht einordnen. Auch gab es unzählige undurchsichtige Figuren, so dass bis zum Schluss unklar blieb, wer eigentlich Opfer oder Täter oder beides war. Diese Figurenzeichnung empfand ich als recht spannend, da die meisten weder gut noch schlecht, sondern als Produkt ihrer Sozialisation präsentiert werden. Zum Ende hin war ich deshalb leider aber sehr verwirrt. So ganz habe ich nicht mehr zusammenbekommen, wer wie mit drin steckt und bin leider zugegebenermaßen etwas ausgestiegen, was mir sonst eigentlich nie passiert. Schade auch, dass es keine gerechte Strafe für die wirklich Schuldigen gab.

Insgesamt muss man durchgängig aufmerksam bleiben und sehr genau lesen, um den roten Faden nicht zu verlieren – das Buch ist definitiv nichts fürs schnelle, unkomplizierte Entspannungslesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.07.2020

Die verlorenen Kinder der DDR

Zwei fremde Leben
0

Ricarda Weber erlebt 1973 das Schlimmste, was einer werdenden Mutter passieren kann: Ihr Kind stirbt während der Geburt in der Dresdner Frauenklinik. Doch Ricarda weigert sich zu trauern, da sich die Anzeichen ...

Ricarda Weber erlebt 1973 das Schlimmste, was einer werdenden Mutter passieren kann: Ihr Kind stirbt während der Geburt in der Dresdner Frauenklinik. Doch Ricarda weigert sich zu trauern, da sich die Anzeichen mehren, dass ihr Kind nicht tot geboren wurde, sondern ihr weggenommen und stattdessen loyalen Parteigenossen übergeben wurde. Sie glaubt an einen von der DDR-Regierung angeordneten Falls von Kindesentführung, dem sie auch in den kommenden Jahrzehnten nachgeht. Unabhängig von ihr gerät der Fall auch in das Visier des jungen motivierten DDR-Polizisten Thomas Rust, der damals vor Ort war und die Geschichte durch Ricardas Lebensgefährten miterlebt hat. Wird die Wahrheit jemals ans Licht kommen?

„Zwei fremde Leben“ ist ein Roman, der sich schnell, flüssig und unkompliziert lesen lässt, da er in einem einfachen und schnörkellosen Schreibstil verfasst wurde. Die Geschichte spielt sich in drei Zeitebenen ab, was hier als Stilmittel absolut passend ist und zusätzlich eindrucksvoll wirkt: 1973, als die Ereignisse in der DDR geschehen sind; 1993 als sie erstmalig aufgearbeitet werden sollen und 2018, als es dann zur Aufklärung in der BRD kommt – soweit das nach so langer Zeit noch möglich war.

Der Leser begleitet die Protagonisten und auch zahlreiche Nebenfiguren während dieser Zeit und lernt sie somit in verschiedenen Lebensphasen immer besser kennen. Ricarda und Rust als Protagonisten verkörpern starke Kämpfernaturen, die moralisch an das Gute glauben und bereit sind gegen jeden Widerstand dafür zu kämpfen. Ricarda war mir anfangs noch sympathisch, allerdings fängt sie irgendwann an mich mit ihrem Kampf um die Wahrheit zu nerven. Leider wird sie auch vom Autor am Ende als das dargestellt, was alle anderen vorher schon gesagt haben: Dass sie hysterisch ist, übertreibt und einfach die Wahrheit nicht akzeptieren kann. Schade, ich hätte mir ein besseres Ende für sie gewünscht, der ganze Kern des Buches wird dadurch etwas abgeflacht.
Thomas Rust ist eine Person, die ich überhaupt nicht verstehen und nachvollziehen kann. Warum beschäftigt er sich so dermaßen mit der Geschichte des toten Babys? So sehr, dass er Grenzen überschreitet, Regeln bricht und sich selbst trotz mehrerer brenzliger Situationen und Rügen seitens seines Vorgesetzten in große Gefahr begibt, obwohl er doch besser für seine hochschwangere Frau da sein sollte? Und dabei nicht mal auf die Idee gekommen ist, die Mutter des Kindes zu befragen – was gerade als Polizist naheliegend gewesen wäre. Auch seine plötzliche Wendung weg vom geliebten Staat kam so schnell, dass es unglaubwürdig und wenig nachvollziehbar war, v.a. weil er vorher so ein strenger Verfechter des Sozialismus und seines Staates war, dass er sogar zum Ministerium für Staatssicherheit wechseln wollte. Ein strenggläubiger Genosse und treuer Diener des Staates sieht anders aus und lässt sich nicht so leicht vom Glauben abbringen, der den Menschen damals indoktriniert wurde.

Was mir sehr gut gefallen hat waren die zahlreichen interessanten und schockierenden Einblicke in die Strukturen und Lebensweisen der DDR. Das Alltagsleben der damaligen Menschen und auch die Zeit nach aus Sicht der Bürger erschien mir sehr authentisch. Insbesondere die DDR-Nostalgie der älteren Generation nach Zusammenbruch des Staates war sehr gut dargestellt. Es ist wirklich traurig, was damals geschehen ist und auch für die Menschen heute, wie lange der Weg dauert die Wahrheit herauszufinden, z.B. Einblick in eigenen Stasiakten zu erhalten oder die Enttäuschung darüber zu verarbeiten, welche Personen als indirekte Stasi-Mitarbeiter welche Infos über einen gesammelt und weitergegeben haben. Für mich ist es sehr schockierend mir vorzustellen, dass das wirklich Realität war.

Und deshalb hat mich das Ende des Buches leider etwas enttäuscht und unbefriedigend zurückgelassen. Die plötzliche Wendung und Verwirrung am Schluss sowie die leicht reißerische „Familienzusammenführung“ hätten wirklich nicht sein müssen und waren übertrieben. Auch wurde der Fall meiner Meinung nach etwas zu sehr einfach nach Schwarz-Weiß-Denken gelöst: Der böse Schurkenstaat und die Stasi sind an allem schuld. Des Weiteren hätte ich mir am Ende einen Bezug zu den Hintergründen gewünscht und in diesem Fall schon fast erwartet: Warum hat uns der Autor nicht an seinen Rechercheergebnissen teilhaben lassen? Irgendwie muss er ja inspiriert worden sein. Gab es tatsächlich solche (Verdachts-)Fälle in der DDR und was weißt darauf hin? Was an der Geschichte ist fiktiv, was erfunden? Wo gibt es Informationen zu den wahren Hintergründen oder sogar Hilfsangebote für Betroffene? Ein Buch, dass mich mit mehr Fragen als Antworten zurückgelassen hat. Schade!

Mein Fazit: „Zwei fremde Leben“ ist ein angenehm zu lesendes Buch mit einer wichtigen Story mit großem Potenzial, das leider bei weitem nicht ausgeschöpft wurde.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.07.2020

Gut geschriebener Collegesport-Roman mit überschaubarer Handlung

Game on - Mein Herz will dich
0

Anna Jones möchte eigentlich von Männern nichts wissen. Ihr Fokus liegt auf ihrem Collegeabschluss und darauf, ihren persönlichen Weg zu finden. Da passt es überhaupt nicht, dass sich während einer Vorlesung ...

Anna Jones möchte eigentlich von Männern nichts wissen. Ihr Fokus liegt auf ihrem Collegeabschluss und darauf, ihren persönlichen Weg zu finden. Da passt es überhaupt nicht, dass sich während einer Vorlesung plötzlich der Star-Quarterback des Colleges neben sie setzt und nicht mehr aufhört sie anzustarren. Zuerst reagiert Anna abweisend und wütend, doch kann auch sie nicht abstreiten, sich von Drew Baylor angezogen zu fühlen. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre und stellen Regeln im gegenseitigen Umgang miteinander auf. Anna möchte nicht den Fokus verlieren indem sie ihr Herz an jemanden verschenkt, der es sowieso nur brechen wird – doch Drew weiß als erfahrener Footballspieler, dass man am Ende nur den Sieg davonträgt, wenn man hartnäckig bleibt. Wie lange wird Anna seinen Annäherungsversuchen wiederstehen können?

„Game On – Mein Herz will dich“ ist der erste Band der „Game On“-Reihe der amerikanischen Autorin Kristen Callihan. Alle vier Romane der Reihe drehen sich um Football, sind aber in sich abgeschlossen, was mir am ersten Band gut gefallen hat. Das Cover ist ein echter Hingucker und wirkt durch seine Farbgebung und die Musterung sehr ansprechend – hier hätte ich in der Buchhandlung auch zugegriffen.

Das Buch lässt sich leicht und flüssig lesen, was insbesondere dem lockeren Schreibstil der Autorin zu verdanken ist. Die Kapitel sind entweder aus Annas oder Drews Perspektive geschrieben, was den Leser Einblick in die Gedankenwelt beider Protagonisten ermöglicht. Das hat mir sehr gut gefallen und ich konnte mich gut in die Figuren einfühlen. Kristen Callihan bringt jede Menge Humor in die Geschichte und über manch sarkastischen Gedanken und ironisch-bissigen Dialog musste ich schmunzeln. Erotische Szenen wurden ästhetisch beschrieben und wirkten an keiner Stelle billig oder abgedroschen, lediglich Annas Brüste wurden gerade obsessiv beschrieben, was auf Dauer etwas genervt hat. Allerdings konnte man als Leser das Prickeln und die Spannung zwischen den Protagonisten regelrecht spüren. Insgesamt wurde jederzeit eine authentische und auf die eigenen Emotionen übergreifende Atmosphäre geschaffen, der Autorin ist es wunderbar gelungen, mich als Leser in die verschiedenen Stimmungen ihrer Szenen zu versetzen. Am besten haben mir die guten Vergleiche und Metaphern sowie manche Lebensweisheit gefallen, welche die Autorin geschickt eingebaut hat.

Wo mich die Autorin mit ihrem ansprechenden Schreibstil begeistern konnte hat die Handlung aber wieder etwas zunichte gemacht. Zusammengefasst: Für ein über 500seitiges Buch wurde leider sehr wenig wirklicher Inhalt verarbeitet. An sich bietet der Plot großes Potenzial und hat mir zunächst gut gefallen. Nach und nach zieht es sich aber immer mehr dahin, bis sich Anna ihre Gefühle eingesteht und die Beziehung als solche entsteht. Vorher gibt es jede Menge (für meinen Geschmack zu viele) Sex-Szenen, jede Menge unverständlicher Abweisungen seitens Anna und lediglich das ein oder andere tiefergehende Gespräch über die Hintergründe der beiden. Sowieso wird sehr wenig kommuniziert und mir ist nicht so ganz klar geworden, wie und warum sich die beiden– über die körperliche Anziehung hinaus – ineinander verliebt haben. Die Handlung plätschert lange dahin, bis es zum vorhersehbaren Streit und dem anschließenden Wendepunkt kommt Drews Unfall. An dieser Stelle war ich endgültig von der Handlung enttäuscht, hat sie doch somit jedes typische Klischee eines Sportromans bedient und sich jeglicher Überraschungsmomente beraubt. Auch das Ende war dann mehr als enttäuschend, nachdem die beiden sich endlich aufgerafft und auch Drew sein Verhalten geändert hat gibt es einen großen Bruch zwischen Ende des Buches und Epilog. Der eigentlich interessante Teil (Genesung, Profikarriere, Annas Jobwahl, Entwicklung einer ernsthaften Beziehung) wurde komplett weggelassen, dafür wiederum mit Klischees gearbeitet. Hier hätte ich mir unbedingt noch mehr Geschichte gewünscht – wo am Anfang zu viel „Geplänkel“ war wurde an der Stelle, die mich interessiert hat, gespart. Schade!

Die weibliche Protagonistin Anna ist eine selbstbewusste, intelligente, temperamentvolle und bodenständige junge Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Sie hat ihre Prinzipien und Prioritäten und steht für diese ein, selbst wenn der größte Star des Colleges versucht diese zu brechen. Jedoch hat sie auch einen Schutzpanzer um sich gebaut und eine verletzliche Seite. Manche ihrer Gedankenzüge konnte ich jedoch trotzdem nicht so ganz nachvollziehen und vor allem konnte ich nicht verstehen, warum sie sich so lange ziert, obwohl die beidseitigen Gefühle eigentlich klar waren. Dieses ständige, teilweise nicht nachvollziehbare Hin- und Her hat sie an manchen Punkten als „Zicke“ dargestellt, von der ich teilweise etwas genervt war. Sie hat die Dinge einfach unnötig verkompliziert. Schade, da sie mir eigentlich zu Beginn und auch später nach dem Unfall wieder sehr sympathisch wieder war.
Der männliche Protagonist Drew ist wie der Traumprinz aus einem Märchen: Attraktiv, sportlich, ehrgeizig, begehrt, intelligent, einfühlsam und wahnsinnig in Anna verliebt. Er ist trotz seines Ruhms auf dem Boden geblieben und kümmert sich nicht um die Meinungen anderer. Seine Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit gegenüber Anna sind bewundernswert, auch wie er sein Leben trotz seines schweren Schicksals meistert. Ein wahrer Traumtyp. Warum er aber so auf Anna fixiert ist wurde mir auch nicht so ganz deutlich. Nach dem Unfall hat er sich aber charakterlich so sehr verändert, dass er nicht mehr wieder zu erkennen war. Das habe ich als etwas unrealistisch empfunden, dass jemand so eine 180-Grad-Wende hinlegt, das aber (wiederum ohne ersichtlichen Grund) auch wieder komplett rückgängig machen kann.
Es kommen nur wenige Nebenfiguren vor, welche aber in der Mitte des Buches eine größere Rolle einnehmen. Iris, George und die Freunde von Drew kommen mir aber leider eher oberflächlich ausgearbeitet vor, mit Ausnahme von Gray, dem aber ein eigener Band der Reihe gewidmet ist. Gegen Ende wurden diese gar nicht mehr erwähnt und ein offener Handlungsstrang bezüglich Annas Freundin Iris wurde sogar komplett offen gelassen, obwohl es hier noch viel Raum für eine gute Nebenhandlung gegeben hätte.

Insgesamt hätte ich mir von dem Buch mehr erwartet. Es ist zwar eine nette Geschichte für zwischendurch, die durch ihren humorvollen Schreibstil besticht, aber durch die in die Länge gezogene Handlung mit viel zu wenig Inhalt, die teilweise fehlende emotionale Logik sowie Tiefe und die Bedienung von typischen Sportler-Klischees leider alles in allem nicht überzeugend. Dennoch freue ich mich auf Band 2, in dem es dann um Gray geht, der mich in „Game on – Mein Herz will dich“ bereits begeistert hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Gefühl