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Veröffentlicht am 05.12.2017

Niemand kann seiner Vergangenheit entfliehen …

TICK TACK - Wie lange kannst Du lügen?
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„TICK TACK“ ist ein sich langsam entwickelnder Thriller. Er ist unblutig und kommt ohne Gänsehaut-Momente aus, in denen man ernsthaft um das Leben der Hauptfiguren fürchtet. Und trotzdem konnte ich ihn ...

„TICK TACK“ ist ein sich langsam entwickelnder Thriller. Er ist unblutig und kommt ohne Gänsehaut-Momente aus, in denen man ernsthaft um das Leben der Hauptfiguren fürchtet. Und trotzdem konnte ich ihn nicht mehr beiseitelegen und habe mich immer tiefer in die Geschehnisse um Hauptfigur Nic hineinziehen lassen.
Nic ist Ende 20, mit einem erfolgreichen Anwalt verlobt und lebt in Philadelphia – weit weg von ihrer Heimatstadt Cooley Ridge in North Carolina, aus der sie zehn Jahre zuvor regelrecht geflüchtet ist. Damals verschwand ihre beste Freundin Corinne spurlos und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Zwar ist das Leben in Cooley Ridge weitergegangen, doch nun kommt alles wieder hoch – denn plötzlich wird eine weitere junge Frau vermisst. Und Nic ist erneut in der Stadt: Ihr Bruder und sie wollen ihr Elternhaus auflösen, nachdem der Vater inzwischen dement in einem Pflegeheim lebt. Die Vergangenheit holt Nic, ihre Familie und ihre früheren Freunde ein – und droht, Geheimnisse ans Licht zu bringen, die zehn Jahre lang verborgen geblieben waren …

Megan Miranda verwendet eine interessante Erzähltechnik: Sie berichtet von Nics Ankunft in Cooley Ridge, dann von den Geschehnissen zwei Wochen später. Von da erzählt sie dann Tag für Tag rückwärts, bis diese zweiwöchige Lücke für den Leser gefüllt ist. Das ist erstmal gewöhnungsbedürftig – die Handlung entwickelt sich quasi nicht weiter, sondern setzt sich eher puzzleartig zusammen. Nach jedem Tag kommt der Morgen des Vortags, der meist an einer ganz anderen Stelle ansetzt. Und so vergrößert sich zwar der Gesamtüberblick des Lesers nach und nach, er kann sich jedoch nie sicher über die Vorgeschichte sein – und muss sein Bild wieder und wieder revidieren … zum Teil ist das mühsam. Aber es lohnt sich auch. In jedem Fall fesselt „TICK TACK“ und hat mich laufend überrascht. Der Kreis der Hauptfiguren ist klein, trotzdem tappte ich bis zum Schluss im Dunkeln, wie was zusammenhing. Und fand die Auflösung dann durchaus befriedigend, obwohl ich mir zwischenzeitlich einfach nicht vorstellen konnte, wie alles zusammenpassen sollte. Genau das macht einen guten Thriller für mich aus – dass er am Ende glaubwürdig ist, auch wenn man sich während des Lesens einfach kein glaubwürdiges Ende vorstellen konnte.

So gesehen passt „TICK TACK“ zu „Girl on the Train” oder “Gone Girl” – die Geschichte entrollt sich nach und nach, leise, unvorhersehbar und überraschend. Die Ereignisse überschlagen sich nur selten, sondern entwickeln sich langsam. Autorin Miranda nimmt sich Zeit, dem Leser Cooley Ridge näherzubringen – die Kleinstadtatmosphäre, die umliegenden Wälder. Man taucht mit Nic in ihr altes Leben ein und muss die Bereitschaft mitbringen, sich darauf einzulassen – ich finde, es lohnt sich. Leseempfehlung für alle, die romanartige, aber nicht minder intensive Psychothriller mögen!

Veröffentlicht am 29.11.2017

Spannend, verstörend, aufrüttelnd - und dabei einen Tick zu mahnend

Leere Herzen
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„Leere Herzen“ wird im Klappentext als „verstörender Psychothriller über eine Generation, die im Herzen leer und ohne Glauben und Überzeugungen ist“ beschrieben. In der Widmung schleudert Autorin Juli ...

„Leere Herzen“ wird im Klappentext als „verstörender Psychothriller über eine Generation, die im Herzen leer und ohne Glauben und Überzeugungen ist“ beschrieben. In der Widmung schleudert Autorin Juli Zeh ihren Lesern dann auch noch ein unmissverständliches „Da. So seid ihr.“ entgegen – womit klar ist, welche Generation gemeint ist: die eigene. Ein harter Einstieg in eine dystopische Geschichte, die bereits in naher Zukunft spielt. Irgendwann in den späteren 2020er Jahren angesiedelt, berichtet sie von der Post-Merkel-Ära, in der die BBB (Besorgte-Bürger-Bewegung) regiert, nachdem die anderen Parteien es nicht mehr schaffen, ihre Wähler zu mobilisieren. Und während die BBB die demokratischen Grundrechte immer weiter abschafft, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, haben sich Gutausgebildete und -verdienende wie Protagonistin Britta längst ins Private zurückgezogen, pflegen ihr kleinstädtisches Leben, konzentrieren sich auf die eigene Karriere und schalten die Nachrichten höchstens mal aus Versehen ein. Verantwortungsgefühl, Moral und Ethik sind ihrem „leeren Herzen“ schon sehr lange abhandengekommen. Kopf und Herz sind zufrieden mit dem Ist-Zustand, nur der Bauch rebelliert ab und zu in Form von Schmerzen und Übelkeit, wird aber ebenso wie die Krankhaftigkeit ihres Sauberkeitsfimmels erfolgreich ignoriert.

Juli Zehs Buch wirkt stellenweise wie eine Abrechnung der Autorin. Eine Abrechnung mit Nichtwählern und mit denjenigen, die die Demokratie für selbstverständlich halten und glauben, das Weltgeschehen gehe sie nichts an. Auch mit Hasskommentatoren im Internet wird abgerechnet und der entsprechende Abschnitt liest sich, als hätte sich Zeh ihre Verachtung schon lange von der Seele schreiben wollen. Ganz eventuell ist „Leere Herzen“ auch noch eine kleine Abrechnung mit Sarah Wagenknecht. Die Gründe dafür sind mir verborgen geblieben, aber Wagenknecht wird, neben Merkel, als einzige real existierende Politikern namentlich erwähnt. Überraschenderweise ist sie Innenministerin der BBB. Positiv ist das keinesfalls, denn die in „Leere Herzen“ beschriebene politische Situation ist desaströs – nicht nur in Deutschland, sondern überall. Frexit, Schwexit und andere Bewegungen werden am Rande erwähnt – in Juli Zehs Welt der 2020er Jahre ist sich jeder selbst der Nächste. Besonders bemerkenswert war für mich, dass die Autorin sich nicht an den Wählern ihrer BBB abarbeitet, sondern an den Gleichgültigen, die es besser wissen, aber tatenlos bleiben. „Leute wie ich tragen Schuld an den Zuständen, nicht die Spinner von der BBB“ erkennt auch Hauptfigur Britta irgendwann. Und genau Leute wie die von ihr erschaffene Britta will Juli Zeh erreichen; das wird deutlich.

Und wie liest sich das Ganze? Zeh entwickelt ihre Romangegenwart so, dass sie – im worst case -tatsächlich an die Gegenwart anknüpfen könnte – ein erschreckender Gedanke, der der Faszination, die die Geschichte ausübt, natürlich zuträglich ist. Gleichzeitig fühlte ich mich manchmal doch zu offensichtlich belehrt; „Leere Herzen“ erscheint insgesamt wie eine Warnung der Autorin an die Leser. Die Geschichte um Hauptfigur Britta und das morbide Geschäft, das sie mit ihrem besten Freund Babak betreibt, ist jedoch so fesselnd, dass mich die fehlende Subtilität der Gesellschaftskritik nur selten störte. Und der im Roman gleich mehrmals vorkommende Appell der Autorin, das Hier und Jetzt zu schätzen und aktiv für seine Bewahrung bzw. Verbesserung einzutreten, hat ja durchaus Berechtigung. Juli Zehs Mahnungen haben mich auf jeden Fall beschäftigt und tun es immer noch – der Roman wirkt nach.
Für bequeme Bücher ist die Autorin nicht bekannt, auch „Leere Herzen“ ist keines. Die Geschichte liest sich gut und schnell, erschüttert und verstört immer mal wieder und regt zum Nachdenken an – und zum Wählen gehen, zum Partei ergreifen. So gesehen hätte das Buch ruhig schon ein paar Monate früher erscheinen können.

Veröffentlicht am 04.11.2017

Cosy Crime der alten Schule

Geheimnis in Rot
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Ein Krimi mit besonderer Haptik (der Einband ist mit Stoff überzogen), einem weihnachtlichen Eyecatcher-Cover und leider etwas nichtssagendem Titel („The Santa Klaus Murder“, wie das Buch auf Englisch ...

Ein Krimi mit besonderer Haptik (der Einband ist mit Stoff überzogen), einem weihnachtlichen Eyecatcher-Cover und leider etwas nichtssagendem Titel („The Santa Klaus Murder“, wie das Buch auf Englisch heißt, finde ich sowohl passender als auch interessanter als „Geheimnis in Rot“). Obwohl ich während der Lektüre noch weit davon entfernt war, mich irgendwie in Weihnachtsstimmung zu fühlen, hat mich dieses Buch schnell in seinen Bann gezogen. Und wirklich weihnachtlich ums Herz ist den Protagonisten von „Geheimnis in Rot“ auch nicht zumute: Am ersten Weihnachtsfeiertag wird Sir Osmond Melbury, der seine Kinder, Schwiegerkinder und Enkel Jahr für Jahr während der Feiertage nach Hause auf Gut Flaxmere nötigt, erschossen in seinem Arbeitszimmer aufgefunden. Der Kreis der Verdächtigen ist groß, denn eigentlich jeder der Anwesenden hat einen Teil des Erbes zu erwarten und für die Mehrzahl von ihnen kommt dieses auch recht willkommen. Aber war das für eines der Familienmitglieder tatsächlich Grund genug, einen Mord zu verüben? Ein Freund des Hauses, Colonel Halstock, beginnt zu ermitteln. Systematisch trägt er Informationen zusammen, sammelt Indizien und führt Gespräche. Und als Leser sitzt man grübelnd vor dem Grundriss von Gut Flaxmere, der dem Buch vorangestellt ist, und fragt sich mit dem Colonel, wie denn nun alles zusammenpasst. „Geheimnis in Rot“ ist ein Krimivergnügen in guter alter Whodunit-Manier. Mavis Doriel Hay beschreibt die einzelnen Familienmitglieder sehr anschaulich und lässt den Großteil auch selbst zu Wort kommen, doch obwohl sich das Gesamtbild so immer mehr zusammenfügt, tappt man als Leser lange im Dunkeln. Wer gerne mit Miss Marple oder Hercule Poirot rätselt, ist hier gut aufgehoben. „Geheimnis in Rot“ ist ein Cosy Crime, dem man sein Alter (Erstveröffentlichung 1936!) nicht anmerkt. Ein Krimigenuss alter Schule, der sich nicht nur unterm Weihnachtsbaum gut macht, aber als gemütliche Feiertagslektüre auf jeden Fall bestens geeignet ist!

Veröffentlicht am 22.10.2017

Abgesang auf vergangene Zeiten

Das Vermächtnis der Spione
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„Das Vermächtnis der Spione“ ist das allererste Buch von John Le Carré, das ich überhaupt gelesen habe. Ich fand die Leseprobe fesselnd und habe es auch relativ schnell durchgelesen. Allerdings stellt ...

„Das Vermächtnis der Spione“ ist das allererste Buch von John Le Carré, das ich überhaupt gelesen habe. Ich fand die Leseprobe fesselnd und habe es auch relativ schnell durchgelesen. Allerdings stellt sich mir im Nachhinein die Frage, ob es so klug war, ohne Vorkenntnisse zu diesem Roman zu greifen, der inhaltlich offensichtlich auf Ereignisse aus „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und „Dame, König, As, Spion“ aufbaut und außerdem bereits das neunte Buch um den Geheimagenten George Smiley ist – auch wenn dieser hier vor allem durch Abwesenheit glänzt.
Der Handlung konnte ich dennoch ganz gut folgen: Peter Guilliam, früherer Agent des britischen Geheimdienstes und schon seit Jahren im Ruhestand, wird nach London beordert. Er soll helfen, Geschehnisse aus dem Jahr 1961 zu rekonstruieren, an denen er mindestens mittelbar beteiligt war. Damals wurden zwei Agenten des Secret Service an der Berliner Mauer erschossen, deren Kinder jetzt im Jahr 2017 Geld und eine Offenlegung der Sachverhalte fordern. Doch der britische Geheimdienst hat selbst Mühe, die Ereignisse, die zum Tod der beiden Agenten führten, zu rekonstruieren. Die Akten sind lückenhaft oder ganz verschollen, Beteiligte tot oder nicht auffindbar. Und Peter Guilliam ist auch nicht der Auskunftswilligste – was hat er zu verbergen?

Als Leser folgt man den Gedanken des Agenten und reist mit ihm in Rückblenden fast 60 Jahre zurück. Nach und nach scheint sich die Vergangenheit zu entwirren. Das war schon fesselnd, da sehr intelligent gemacht und gleichzeitig ist vorstellbar, dass Geheimdienste damals tatsächlich so agiert haben. Trotzdem kommt kaum Spannung auf, da der Leser aufgrund der Romangegenwart ja im Großen und Ganzen weiß, wie die Geschichte ausgeht. Auch hat mich das Schicksal der einzelnen Figuren meist kaltgelassen, vielleicht mit Ausnahme der Spionin „Tulip“. Ich nehme jedoch an, dass das ebenfalls daran lag, dass ich die übrigen Romane nicht kannte – wären mir die Protagonisten schon vertraut gewesen, hätte ich ihre Handlungen vermutlich noch besser nachvollziehen können und mehr mit ihnen sympathisiert. So kämpfte ich stattdessen immer wieder mit den verschiedenen Decknamen und hatte manchmal doch Mühe, alle Personen richtig zuzuordnen.
Ich geben diesem Roman vier Sterne, empfehle aber, die „George Smiley“-Buchreihe nicht mit ihm zu beginnen, sondern zumindest „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und „Dame, König, As, Spion“ zuerst zu lesen.

Veröffentlicht am 13.10.2017

Anschaulich, persönlich und inspirierend

Voll Jesus. Null Druck.
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Josh Kelley ist mit „Voll Jesus. Null Druck“ ein sehr interessantes Buch gelungen. Sein Thema ist die Suche nach dem goldenen Mittelweg: Wie lässt sich ein gottgefälliges Leben führen, ohne arrogant und ...

Josh Kelley ist mit „Voll Jesus. Null Druck“ ein sehr interessantes Buch gelungen. Sein Thema ist die Suche nach dem goldenen Mittelweg: Wie lässt sich ein gottgefälliges Leben führen, ohne arrogant und fundamentalistisch zu werden, aber auch ohne ein ständiges schlechtes Gewissen? Wie kann das Leben in vollen Zügen genossen werden, ohne sich dabei von Gott zu entfernen? Er wählt das Bild eines schmalen Grats, auf dem man als Christ balanciert – links und rechts zwei Abgründe, der eine symbolisiert Ungehorsam gegenüber Gott, der andere einen zwanghaften Glauben, der zu radikal ist. Der Autor Josh Kelley empfiehlt Christen zwar Radikalität, er meint damit jedoch „radikal NORMAL“ zu leben. Was ein radikal normales Leben für ihn bedeutet, leitet er Kapitel für Kapitel, Thema für Thema sehr anschaulich her.

Josh Kelley ist Vater, Pfarrer und hat außerdem einige Zeit bei Starbucks gearbeitet. Das Buch ist auch eine Sammlung seiner persönlichen Erfahrungen, die er offen und ehrlich mit seinen Lesern teilt. Seine lockeren Schilderungen machen seinen Ratgeber sehr lebendig und gut lesbar. Wegen der Vielfalt der Themen sind kleinere und größere Lesepausen von Vorteil, um die Ideen des Autors auf sich wirken zu lassen. Egal ob es um Begabungen, Geld, Freude, Sünde oder Leben nach dem Tod geht: Josh Kelley arbeitet sich durchweg nachvollziehbar an den einzelnen Themenkomplexen ab. Er schafft das ohne erhobenen Zeigefinger und ohne den Eindruck zu vermitteln, die einzig gültige Wahrheit gepachtet zu haben. Was mir mit am besten gefallen hat: Er ist kein Freund von starren Vorgaben, sondern geht vom mündigen Christen aus. Er will kein Regelwerk zusammenstellen, sondern den Einzelnen dafür sensibilisieren, Entscheidungen selbst verantwortungsvoll zu treffen. Das Leben seiner Leser macht er damit nicht unbedingt bequemer, bietet ihnen aber Hilfestellung und eine Vielfalt gedanklicher Anregungen.

Manches in „Voll Jesus. Null Druck“ war mir jedoch auch fremd. Einiges schien mir einfach sehr amerikanisch: Homeschooling, die Begeisterung für Starbucks und Disneyland, die Beschreibung des Autors, wie er als Teenager ein „Superchrist“ sein wollte … Josh Kelley widerlegte manchen radikalen Gedanken, den er in seiner Jugend entweder selbst hatte oder mitbekam. Ich dagegen hatte von einigen dieser radikalen Ideen noch nie gehört und konnte mit manchen doch sehr wenig anfangen. Dennoch fand ich die Auseinandersetzungen damit immer interessant. Das Buch enthält sehr viel Input, weswegen ich das letzte Kapitel besonders zu schätzen weiß: Hier komprimiert Kelly seine Kernaussagen nochmal und fasst seine Grundthesen zusammen. Er selbst will sein Buch übrigens als „Sprungbrett“ verstanden wissen – ob und wie seine Leser springen, ist ihre Entscheidung. Ich bin sicher, dass mich das Buch gedanklich noch eine ganze Weile beschäftigen wird – und dass ich immer mal wieder reinlesen werde. Die Lektüre hat mich auf jeden Fall inspiriert.