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Veröffentlicht am 11.08.2021

Hommage an die Wildnis

Löwenherzen
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Dieses Buch ist für alle, die wissen wollen, wie es der deutschen Rangerin Gesa Neitzel nach ihrer Ausbildung im südlichen Afrika ergangen ist. Es wird jedem Spaß machen, der sich für die Tierwelt dieses ...

Dieses Buch ist für alle, die wissen wollen, wie es der deutschen Rangerin Gesa Neitzel nach ihrer Ausbildung im südlichen Afrika ergangen ist. Es wird jedem Spaß machen, der sich für die Tierwelt dieses Teils der Erde interessiert. Und es weckt ohne Zweifel Fernweh, mit der Autorin, ihrem Lebensgefährten Frank und Land Rover Ellie die staubigen Straßen von Botswana, Namibia und Sambia zu bereisen.

Ungefähr drei Viertel von „Löwenherzen“ habe ich sehr gerne gelesen und auch das letzte war nicht schlecht. Während Gesa Neitzel ihre Erlebnisse in Botswana und Namibia jedoch einigermaßen chronologisch zu erzählen scheint, besteht der Sambia-Teil aus eher unzusammenhängenden Fragmenten; außerdem gibt es einen beachtlichen Zeitsprung. Neitzels Safari-Schilderungen lesen sich so anschaulich wie zuvor, dennoch fand ich es schade, wie schnell und bruchstückhaft diese letzten Kapitel abgehandelt wurden.

Die Teile über Botswana und Namibia erinnern eher an Neitzels Erstling „Frühstück mit Elefanten“. Die Autorin hat ihren authentischen Stil beibehalten und vermittelt viel Wissen über Land und Tiere. Hier und da gibt sie Privates preis, wobei sie alles andere als eine Selbstdarstellerin ist. Ihre Liebe zur Wildnis und zur Beobachtung von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum wird auf jeder Seite ebenso deutlich wie ihr Respekt für die Natur. Immer wieder schildert Neitzel ihre Faszination, plädiert leidenschaftlich für Umweltschutz und nimmt ihre Leserinnen und Leser mit ins Abenteuer. Entstanden ist ein würdiger Nachfolger von „Frühstück mit Elefanten“, auch wenn sich ihr erstes Buch aufgrund der Fülle an neuen Erfahrungen und Erkenntnissen und der dichteren Erzählweise noch mitreißender las.

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Veröffentlicht am 04.08.2021

Porträt eines Traumas

Sag mir, wer ich bin
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Ein Tag im Jahr 1962 verändert das Leben der Kanadierin Sally Hamilton für immer: Die 16-jährige wird während ihrer Ferien in Paris von einem Unbekannten verschleppt, misshandelt und fast ermordet. Nach ...

Ein Tag im Jahr 1962 verändert das Leben der Kanadierin Sally Hamilton für immer: Die 16-jährige wird während ihrer Ferien in Paris von einem Unbekannten verschleppt, misshandelt und fast ermordet. Nach mehreren Tagen zwischen Leben und Tod erwacht sie in einem Krankenhaus; hier beginnt der Roman. Anfangs weiß die junge Frau nicht einmal mehr, wer sie ist und so dauert es, bis ihre Eltern ausfindig gemacht werden können und anreisen. Nach und nach kehren Sallys Erinnerungen zurück; nur jene an Tat und Täter bleiben verschwommen und bruchstückhaft. Sally stört das kaum, sie will sowieso nur vergessen. Doch ihre Ängste lassen sie nicht los und bestimmen ihr weiteres Leben, was beklemmend geschildert wird.

Die erste Hälfte des Romans fand ich sehr gelungen – die Beschreibung einer traumatisierten Frau, die versucht, ihren Albträumen mit einer Mischung aus Vermeidungs- und Konfrontationsstrategien zu trotzen. Sally möchte nicht über Paris reden und nach und nach gerät in ihrem Umfeld in Vergessenheit, dass sie fern ihrer Heimat Montreal einmal einen ominösen Zusammenbruch erlitten hat. Doch für Sally bleibt die Vergangenheit höchst lebendig – und scheint sie schließlich einzuholen.

Und ab da wurde „Sag mir, wer ich bin“ für meinen Geschmack leider schwächer. Die Schilderungen von Sallys Seelenleben sind einfühlsam und wirken meist authentisch. Wie sich eine nichtverarbeitete Gewalterfahrung noch Jahrzehnte später auswirken kann, führt der Roman erschütternd vor Augen. Doch das Verhalten eines weiteren Protagonisten gab mir Rätsel auf und so irritierte mich der finale Showdown mehr, als dass er mich mitriss.
Insgesamt liest sich der Roman wie ein langes Plädoyer für eine Therapie – es vergeht eigentlich kein Kapitel, in dem man sich nicht professionelle Hilfe für die Hauptfigur wünschen würde. Nebenbei ist einiges über das Montreal von vor 50 Jahren zu erfahren. „Sag mir, wer ich bin“, startet ziemlich packend, lässt im letzten Drittel jedoch nach und büßt an Nachvollziehbarkeit ein.

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Veröffentlicht am 11.07.2021

Sommer unterm Brennglas

Der Brand
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Auf dem Cover dieses Romans scheint die titelgebende Feuersbrunst abgebildet zu sein. Doch von dem Brand, der am Anfang dieser Geschichte steht, wird nur telefonisch berichtet. Die 49-jährige Hauptfigur ...

Auf dem Cover dieses Romans scheint die titelgebende Feuersbrunst abgebildet zu sein. Doch von dem Brand, der am Anfang dieser Geschichte steht, wird nur telefonisch berichtet. Die 49-jährige Hauptfigur Rahel erfährt kurz vor der Abreise, dass das seit Langem für den Sommerurlaub gebuchte Quartier abgebrannt ist. Und so fahren sie und ihr Mann Peter nicht in die Alpen, sondern in die Uckermark und hüten dort den Hof von Freunden, was mehr eine Pflichtübung als die ersehnte Auszeit ist. Dabei wollten sie doch Kraft tanken und einander wieder näherkommen – letzteres hatte sich zumindest Rahel erhofft. Als dann noch ihre Tochter mit den beiden Enkelkindern bei dem Paar einfällt, scheint jegliche Entspannung in weite Ferne gerückt.

„Der Brand“ handelt also von Familie, ist aber weit davon entfernt, eine amüsante Generationengeschichte zu sein. Und das liegt vor allem am sezierenden Stil von Autorin Daniela Krien, die unaufgeregt und schonungslos Gefühle und Situationen schildert. Dabei schafft sie es, ihre Figuren komplex zu charakterisieren, ohne sie zu bewerten oder die Sympathien klar zu verteilen. Krien ist eine dichte Erzählung gelungen, die sich aber auch durch eine überraschende Leichtigkeit auszeichnet, weil einige Themen nur angedeutet und längst nicht alle Krisen detailliert beschrieben oder gar gelöst werden. Dadurch wirkt der Roman sehr lebensnah. Sein großes Thema ist weniger die Geschichte einer Familie oder einer Ehe, sondern die Veränderung von Menschen und ihren Beziehungen im Laufe des Lebens. Die Autorin fängt beides auf eine leise, fast nebensächliche Art und Weise ein, aber ihre präzisen Beobachtungen haben mich das ein oder andere Mal kalt erwischt und einige Sätze hallen nach. Daniela Kriens Roman hinterlässt Spuren.

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Veröffentlicht am 27.06.2021

Kurioser Mix, wunderbar erzählt

Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?
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Dieser Titel hat mich gleich angesprochen – im wahrsten Sinne des Wortes. Und das auch noch sehr höflich: „Wie hat Ihnen das Anthropozän bisher gefallen?“ Tja, gute Frage. Laut Wikipedia (das wiederum ...

Dieser Titel hat mich gleich angesprochen – im wahrsten Sinne des Wortes. Und das auch noch sehr höflich: „Wie hat Ihnen das Anthropozän bisher gefallen?“ Tja, gute Frage. Laut Wikipedia (das wiederum einen Artikel aus der NZZ zitiert) ist das Anthropozän „[das Zeitalter,] in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist“. Es gibt verschiedene Ansätze, die den Beginn des Anthropozäns unterschiedlich datieren. Fest steht, dass es das einzige Zeitalter ist, das wir kennen. Aber was macht es eigentlich aus?

John Green nähert sich dieser Frage in kurzen Kapiteln, in denen er über Dinge, Momente und Erfahrungen schreibt, die für ihn mit dem Anthropozän verbunden sind – z.B. Klimaanlagen, Diet Dr Pepper und Jerzy Dudeks sportliche Leistung am 25. Mai 2005. Ich habe Dr Pepper noch nie getrunken und Jerzy Dudek sagte mir nichts. Aber das ist völlig egal, gerade letztere Geschichte habe ich gleich zweimal gelesen, weil sie mir so gut gefallen hat (und vermutlich auch, weil gerade EM ist und es thematisch so schön passt). Viele der Kapitel beziehen sich auf die USA, da Green ein amerikanischer Autor ist – mehrere Überschriften sagten mir gar nichts. Doch das stört beim Lesen in keiner Weise, denn von diesem Autor lässt man sich einfach gerne lesend an die Hand nehmen und zu den verschiedensten Themen dieses bunten Mixes führen.

Allerdings erzählt John Green nicht nur – er bewertet auch, nach der bewährten 5-Sterne-Skala, die wir alle aus dem Internet kennen. Sogar sein eigenes Buch ist nicht vor ihm sicher; er lässt sich kritisch über Copyrightseite, Titelseite und die Buchwerbung am Schluss aus. Ansonsten bewertet er von Kanadagänsen (zwei Sterne) über unsere Fähigkeit zu staunen (dreieinhalb Sterne) bis hin zum Halleyschen Kometen (viereinhalb Sterne) jedes Thema, das er unter die Lupe nimmt – aber erst, nachdem er es sorgsam von mehreren Seiten beleuchtet hat. Green schreibt über seine persönliche Beziehung dazu, seine Gedanken, seine Erlebnisse und reichert das Ganze mit Fakten und (zum Teil wunderbar unnützem) Wissen an. Das liest sich mal faszinierend, mal skurril, mal anrührend, macht großen Spaß und bringt gleichzeitig zum Nachdenken. Die Art, in der John Green über Emotionen schreibt, hat mich dabei an Matt Haig erinnert und mir sehr gefallen.

Apropos: Wie hat mir das Anthropozän denn nun bis jetzt gefallen? Die Antwort auf diese Frage in eine 5-Sterne-Skala zu pressen, erscheint mir unmöglich. Aber John Greens Buch, dem gebe ich viereinhalb Sterne.

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Veröffentlicht am 18.06.2021

Mit Puffel und Putin

Miss Merkel: Mord in der Uckermark
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Angela Merkel geht in den Ruhestand – und was kommt dann? Die Frage nach der nächsten Kanzlerin oder dem nächsten Kanzler beschäftigt viele. David Safier fragt sich stattdessen, was die zukünftige Altkanzlerin ...

Angela Merkel geht in den Ruhestand – und was kommt dann? Die Frage nach der nächsten Kanzlerin oder dem nächsten Kanzler beschäftigt viele. David Safier fragt sich stattdessen, was die zukünftige Altkanzlerin mit der neugewonnenen Freiheit und Freizeit wohl anstellen wird. Seine Antwort: Sie geht unter die Hobby-Detektive! Und das, obwohl in ihrer fiktiven neuen Heimat, dem beschaulichen Klein-Freudenstadt, eigentlich absolut nichts los ist.

Safiers „Miss Merkel“ findet es gar nicht so einfach, plötzlich ein Rentnerleben zu führen. Ihre Anfangsschwierigkeiten kompensiert sie mit Kuchenbacken, was ungute Effekte auf den Waschbrettbauch ihres Personenschützers Mike hat. Ehemann Achim, liebevoll „Puffel“ genannt, freut sich auf die ruhige Zweisamkeit – oder Dreisamkeit: Das Ehepaar Merkel/Sauer hat sich nämlich einen Mops namens Putin zugelegt. Nun fehlen nur noch ein paar neue Freunde, um in Klein-Freudenstadt Fuß zu fassen. Ein Fest auf der nahegelegenen Burg scheint eine gute Gelegenheit, um Leute kennenzulernen – doch dann verstirbt der Gastgeber in seinem von innen verschlossenen Weinkeller. Für den örtlichen Kommissar ein klarer Fall von Selbstmord, aber Angela Merkel hat Zweifel. Obwohl weder Ehemann noch Bodyguard begeistert sind, beginnt sie, Nachforschungen anzustellen und stößt dabei auf mehrere Ungereimtheiten …

Der Krimi steht und fällt mit seiner Hauptfigur – das dürfte kaum überraschen. Die in die Gedanken dieser fiktiven Angela Merkel eingestreuten Anekdötchen zum Berliner Betrieb sind durchaus amüsant zu lesen; auch das Zusammenleben mit Puffel und Putin sowie die Begegnungen mit dem gemeinen Volk sind unterhaltsam. Das Cosy Crime dient eher als Kulisse; Spannung kommt nicht wirklich auf und mit Miss Marple hat Miss Merkel in etwa so viel gemein wie Klein-Freudenstadt mit dem Prenzlauer Berg. Wegen des Genres sollte man also nicht zu diesem Buch greifen, die originelle Grundidee macht allerdings Spaß. David Safier beweist wieder einmal, dass er ein Meister der witzig-abstrusen Gedankenexperimente ist. Das Ergebnis ist ein netter Schmöker und trotz aller Absurditäten irgendwie auch eine Hommage auf Angela Merkel.

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