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Veröffentlicht am 08.03.2018

Ein echtes Highlight, ein must read!

Wut
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„Wut“ von Julia Ebner hat mir ausgezeichnet gefallen, daher empfehle ich das Buch gern auch weiter.

Wie der Klappentext zutreffend sagt: „Mit gezielten Undercover-Recherchen und Gesprächen mit Radikalen ...

„Wut“ von Julia Ebner hat mir ausgezeichnet gefallen, daher empfehle ich das Buch gern auch weiter.

Wie der Klappentext zutreffend sagt: „Mit gezielten Undercover-Recherchen und Gesprächen mit Radikalen beider Seiten zeigt sie, wie sich die Strategien von Islamismus und Rechtsradikalismus wechselseitig ergänzen und verstärken… Die Autorin geht den Ursachen der wechselseitigen Radikalisierung auf den Grund und zeigt, wie Extremisten Angst, Verunsicherung und Wut instrumentalisieren.“

Faszinierend ist nicht nur der Mut, den Julia Ebner bei ihren Recherchen an den Tag gelegt hat, spannend und aufschlussreich sind auch die Ergebnisse, die sie in diesem Buch präsentiert.

Die Erfolgsrezepte, die Extremisten nutzen, „um uns so zu manipulieren, dass wir ihre Geschichten glauben und daher gemäß den Regeln ihrer fiktiven Weltordnung handeln“ hat sie unter die Lupe genommen und die 5 Grundzutaten herausgefiltert, die auch für beide Seiten gelten: Es geht um Einfachheit, Stimmigkeit, Empfänglichkeit, Identifizierung und Inspiration, S. 47-59. Sie erklärt auch anschaulich, wie es gemeint ist, u.a.:

„Sowohl die Viktimisierung des ‚wir‘ als auch die Dämonisierung des ‚Anderen‘ werden durch den Gebrauch von Archentypen erleichtert.“

„Ein zusätzlicher Reiz radikaler Gruppen liegt in dem starken Zugehörigkeitsgefühl, das sie unter ihren Mitgliedern erzeugen. Durch Verwendung gemeinsamer Sprache, Symbole und Gebräuche fördern sie die Homogenität in Wir-Gruppen.“

„Empathie für die Protagonisten ihrer Geschichte auszulösen und Hass auf die Antagonisten zu erzeugen, ist die Grundlage der Strategien beider Extreme.“ S. 52.

Noch viele andere aufschlussreiche Dinge sagt sie vielerorts, führt prima treffende Vergleiche an, den Stoff insg. so gehaltvoll, kurz und prägnant dargelegt, dass er nicht nur jedem verständlich sein wird, sondern auch gleich im Gedächtnis bleibt.

Was noch wichtiger ist: Ebner gibt ihren Lesern die Grundlagen in die Hand, welche Gemeinsamkeiten, davon gibt es recht viele, wie man zusammen mit ihr feststellt, und die Wechselwirkungen, die Rechtsextreme und radikale Islamisten in ihrer Weltsicht und in ihren Aktionen aufweisen, zu erkennen helfen. Die Extremisten beider Lager schauen wie zwei Seiten eines und desselben Phänomens aus, die ohne einander ihre Wirkung nicht vollends entwickeln können, da sie u.U. einander helfen, mehr an Aufmerksamkeit und an Gewicht im politischen Geschehen zu gewinnen und so das Leben der Mitte der Gesellschaft immer mehr und nachhaltiger zu beeinflussen.

Nach dieser Lektüre wird es dem Leser leichter fallen, die Aktivitäten der Extremisten zu identifizieren, ihre Ursachen zu verstehen und die angepeilten Auswirkungen abzuschätzen.

Ebner bringt auch die Lösungsvorschläge: „Freiheit wäre, nicht zwischen schwarz und weiß zu wählen, sondern aus solcher vorgeschriebenen Wahl herauszutreten… Um diese Freiheit zu erreichen, wird es entscheidend darauf ankommen, junge Menschen mit Kreativität, Mut und der Fähigkeit zu kritischem Denken auszurüsten: der Fähigkeit zum kritischen Denken, um manipulative Sprache und verzerrte Fakten zu erkennen; dem Mut, alles und jeden infrage zu stellen; und der Kreativität, über die eigenen Echokammern und Grenzen der Vorstellungskraft hinauszugehen.“ S. 280.

Die Rolle der Eliten, wie Julia Ebner auch selbst zum Schluss zugibt, wurde in ihren Untersuchungen nicht berücksichtigt. Die Eliten und ihre Handlanger wurden zwar am Anfang als Akteure im Hintergrund angedeutet, dieser Aspekt aber weitestgehend insg. elegant umschifft. Aber auch so wie es dasteht, stellt ihr Werk ein sehr lesenswertes Buch dar, das zu begreifen hilft, wie die Geschichten der Rechtextremen und Islamisten funktionieren, unter welchen Bedingungen ist ihnen Erfolg sicher, wie sie es bisher recht erfolgreich angestellt haben und wie man sinnvollerweise auf ihre Aktivitäten reagieren kann.

Das Buch ist gut gemacht: Festeinband in Frühlingsgrün, Umschlagblatt in Dunkelblau. Schön als Geschenk.

Fazit: Ein echtes Highlight in Sachen Politik im Frühling 2018, ein must read, das der Aufklärung und Orientierung der Leser in diesen nicht einfachen Zeiten bestens dient. Sollte jede(r) gelesen haben. 5 leuchtende Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 07.03.2018

Medialisierung und Resilienz. Etwas flach und utopisch.

Breaking News: Die Welt im Ausnahmezustand
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Auf dieses Buch habe ich mich sehr gefreut, leider wurden meine Erwartungen nur zum Teil erfüllt.
Rund 177 Seiten sind in 6 etwa gleich große, ca. 35 Seiten, bis auf das letzte, Kapitel geordnet. Diese ...

Auf dieses Buch habe ich mich sehr gefreut, leider wurden meine Erwartungen nur zum Teil erfüllt.
Rund 177 Seiten sind in 6 etwa gleich große, ca. 35 Seiten, bis auf das letzte, Kapitel geordnet. Diese sind in kleinere Unterkapitel aufgeteilt worden, sodass man das Ganze in kleineren Häppchen lesen kann.
Im Auftakt wurden die Begriffe, die im späteren Verlauf auftauchen, z.B. Resilienz, Medialisierung, etc. erklärt. Auch wie die Medienrealität wirkt, ist hier plausibel beschrieben worden. Weiter gibt es den Überblick, was besprochen wird und zum Schluss: „Dieses Buch hält es eher mit Hanns Joachim Friedrichs und Ulrich Wickert. Aufklären, die Dinge beim Namen nennen und so Orientierung bieten.“ S. 39. Für welche Werte des Qualitätsjournalismus die beiden Herren plädieren, ist auch aufgeführt worden, sodass kaum Missverständnisse entstehen können, wohl auch als Kontrast zu dem, was man heute in den Medien beobachten kann.
Weiter geht es mit Medienlogik. Hier gab es paar spannende Punkte, die man als bloßer Medienkonsument ohne weiteres nicht kennt, die aber heute bei der Mediengestaltung eine große Rolle spielen, z.B. bei der Wahl der Themen, die insb. in online Ausgaben auftauchen, welche Kriterien da zugrundeliegen; bei der Art, wie diese Inhalte an das Publikum herangetragen werden „Polarisieren schon in der Überschrift“ S. 74, usw. Unterkapitel „Wandel der Medienrealität, quantitativ“, in dem die Inhalte der Leitmedien aus dem Jahr 1984 und 2014 verglichen wurden, z.B. „Harte und weiche Themen“, „Selektion und Interpretation bei harten Themen“, „Konflikttypen in der Politik- und Wirtschaftsberichterstattung“, „Präsentationsstil“, etc. S. 75-78, ist sehr aufschlussreich und zum Nachdenken anregend. Richtig gute, aussagestarke Inhalte hier.
Ab Kap. 3 fängt das an, was mir den guten Eindruck, den die beiden ersten Kapitel entstehen lassen haben, doch recht dezimiert hat: Fußball, ferner andere Sportarten, und die damit verbundenen Themen zu „Wie der Spitzensport zur Show wurde“ . Wer gern über Sport liest, wird sich hier evtl. wohl fühlen. Mir war es schade, dass die Darstellung des Themas „Wie uns die Medien regieren“, das in ersten Kapiteln so gut aufgeschlossen wurde, plötzlich die Verflachung erlebte und die Ausführungen auf den eher engeren Rahmen des Sports reduziert wurden. Die Verflachung verstärkte sich im weiteren Verlauf leider auch weiter, denn in Kap. 4 „In der Schule, im Büro, in der Partei: gut aussehen und gut rüberkommen“ geht es eben um diese Medienbesessenheit und den Imperativ der Aufmerksamkeit, in dem man mit etlichen Beispielen, die man allerdings auch aus Zeitungen kennt, überschüttet wird. Kap. 5 stellt den Fokus auf das Familienleben, die Beispiele bleiben auf 08/15 Zeitungswissensebene. Die These hier: „Dieser Siegeszug der kommerziellen Medienlogik… schwächt … die Leistungsfähigkeit der Familie.“ S. 151. Bleibt eher als Behauptung da. Ohne Statistiken oder ähnl., die dies belegen würden.
Und so ist man schon beim letzten Kapitel. Zunächst geht es mit weiteren Ausführungen, z.B. den Ansichten von Georg Franck, der Massenmedien als Märke sieht, die auf Aufmerksamkeit und deren Erzeugung spezialisiert sind. Die vier Bedrohungen für die sozialen Systeme der Gesellschaft sowie für die Familie wurden nochmals kurz zusammengefasst, Ulrich Wickerts Appell an die heutigen Journalisten bemüht: „Gebt den Menschen Orientierung. Helft ihnen beim Denken, bitte.“ Sein Buch von 2016 über die Medien schaut übrigens nach einem must read aus.
Und nun kommt Meyen zum Entschluss, dass die Frage nach der Resilienz bei Medien „…zugleich eine Frage nach der Resilienz der Gesellschaft“, S.172, ist. Gut möglich. Nun sollten die konkreten Vorschläge kommen, denkt man, aber nein, weitere Ausführungen, weitere Autoren und ihre Konzepte: Nick Coudry, Uwe Krüger, Alain de Botton, wenn auch kurz. Dann endlich kommt etwas, was nach möglichen Lösungsvorschlägen ausschaut, S. 177-178, schön versteckt zwischen den Zitaten. Nicht schlecht, auch wenn nichts Neues, leider realitätsfremd. Zur Umsetzung fehlen leider die Anreize, auch im Mediensystem selbst, das gemachte Nest des Imperativs der Aufmerksamkeit, das über die letzten Jahrzehnte gehegt und gepflegt, in hunderttausende von Köpfen eingepflanzt wurde, zu verlassen und sich auf den steinigen Weg der lückenfreien Aufklärung und einwandfreien Orientierung zu begeben. Es ist, als ob aus den aufmerksamkeitssüchtigen Königen ohne Kleider aus dem bekannten Grimmschen Märchen plötzlich Don Quichotes werden sollen, die mit den Windmühlen des Systems furchtlos kämpfen sollen, um den Journalismus und die Gesellschaft insg. zu retten.
Die Vorschläge ganz zum Schluss S. 184-185 sind wieder zwar nicht von der Hand zu weisen. Darüber kann man gern nachdenken und in Bekanntenkreisen ausdiskutieren. Aber ob das den gegenwärtigen Trend umkehren kann, der gern mithilfe von großzügigen Etats gepusht wird, was auch im Text erwähnt wurde, bleibt eine große Frage.

Fazit: Ein gutes Buch über die Medien von heute, das man durchaus gern lesen kann, wenn man sich als Einsteiger dem Thema nähern möchte, manches gar kennen sollte. Das Buch ließ sich insg. gut lesen. Die Ausführungen sind verständlich und bildhaft dargelegt worden, wobei sie doch viel Aufmerksamkeit forderten. Der selbst gestellten Aufgabe, s.o., wird es gerecht. Die Verweise auf Werke anderer Autoren zu diesem Thema, die man auch den Quellen entnehmen kann, stellen eine Bereicherung dar.
Insg. fällt das Buch von Meyen aber etwas flach aus. Fußball sowie Banalitäten des Alltäglichen nehmen hier einen zu großen Teil der Ausführungen ein. Die Vorschläge haben zwar ihre gute Seite, sind aber unter den gegenwärtigen Bedingungen eher utopisch.

Wer tiefer in die Materie einsteigen und ein richtig gutes, aufschlussreiches Buch zu dem Thema lesen möchte, der greift zu „Lügen die Medien?“ von Jens Wernicke.
Dieses Werk ist allenfalls eine nette Ergänzung dazu, das durch den Titel mehr verspricht als es im Endeffekt liefert.

Veröffentlicht am 02.03.2018

Starke Frau, spannende Lebensgeschichte, toll geschrieben!

Margaret Stonborough-Wittgenstein
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Dieses neue, schöne Werk aus der Feder von Margret Greiner habe ich sehr gern gelesen und empfehle es auch gern weiter.
Schon allein der Name der Autorin war mir Grund genug, zu diesem Buch zu greifen, ...

Dieses neue, schöne Werk aus der Feder von Margret Greiner habe ich sehr gern gelesen und empfehle es auch gern weiter.
Schon allein der Name der Autorin war mir Grund genug, zu diesem Buch zu greifen, denn „Auf Freiheit zugeschnitten“, die Lebensgeschichte von Emilie Flöge, der Lebensgefährtin von Gustav Klimt, die ich vor paar Jahren gelesen und genossen habe, ist und bleibt unvergessen. Auch für die Lebensgeschichte von Margaret Stonborough- Wittgenstein das konnte ich mich absolut begeistern. Sie hat mir einige schöne, erfüllte, gespannte Lesestunden geschenkt. Ich fühlte mich sehr wohl dabei und bin insg. mit der Lektüre vollauf zufrieden.
Es lohnt sich, Margaret kennenzulernen: ihre Herzenswärme, ihre Stärke, ihren Wunsch, gute Dinge zu tun, Schönes, Nützliches in die Welt zu setzen, anderen zu helfen, dem unbedingt auch die Taten folgten. Mit ihrem Charme, Menschenkenntnis und der Gabe, mit Menschen umzugehen konnte sie vieles erreichen.
Sie kam aus einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater war ein erfolgreicher Unternehmer, auch ihr Mann war vermögend. Geld war kaum ein Problem. So konnte u.a. ein Portrait von der jungen Margaret bei Gustav Klimt in Auftrag gegeben werden, das man auf dem Cover sieht. Es war eine spannende, für beide Seiten bereichernde Begegnung, sehr schön und bildhaft beschrieben.
Margaret hatte ein untrügliches Gefühl für Stil und Harmonie. Sie konnte jede Wohnung gemütlich und geschmackvoll einrichten. Später ließ sie ein Haus im kubistischen Stil nach eigenen und ihres Bruders Ludwig Vorstellungen bauen, das Palais Stonborough, heute Haus Wittgenstein.
Ein glückliches Familienleben war ihr wohl nicht in die Wiege gelegt, weder von ihrem Elternhaus her noch in ihrer eigenen Familie. Zu den zwei Söhnen aus der Ehe mit dem Amerikaner Jerome Stonborough kamen zwei Ziehsöhne dazu. Durch die Ehe wurde sie selbst zu einer Amerikanerin, aber Wien und Gmunden blieben für sie immer ihre Heimat, ein Teil von ihr, die sie im Exil schmerzlich vermisste.
Mit Margarets Leben wurde auch ein Teil der Weltgeschichte erzählt. Nach dem Anschluss Österreichs in 1938 wurde es ungemütlich für die Wittgensteins in ihrer Heimat. Der Krieg hat auch ihre Ziehsöhne gegen einander kämpfen lassen, uvm.
Dieses Werk ist einfach toll geschrieben. Man taucht gleich in das Geschehen ein, es hält einen gefangen bis die letzte Seite umgeblättert ist, was ziemlich schnell geschieht, da man das Buch kaum aus der Hand legen mag, und noch länger darüber hinaus. Oft musste ich denken: so wunderbar schreibt nur Margret Greiner, was an ihrem eigenen Stil, ihre eigenen Art, die Menschen zu beschreiben liegt. Diese Bemerkungen hie und da, die Interpretationen der Ereignisse, die von geschulter Beobachtungsgabe, Lebensweisheit und schriftstellerischem Können zeugen! Ich habe sie in der gesamten Länge genossen.

Das Buch ist schön, passend zum Inhalt gemacht. Festeinband in Violett, Umschlagblatt, auf dem der Namenszug in goldenen Lettern auch haptisch hervorgehoben ist, mehrere s/w Fotos, in den Text integriert, helfen die Ausführungen zu verbildlichen. Zeittafel, Literaturliste runden das Ganze ab.

Fazit: Ein tolles Buch, dem ich viele Leser wünsche. Eine starke Frau, eine spannende Lebensgeschichte, die alles hat, um auch ein anspruchsvolles Leserherz glücklich zu machen. 5 Sterne gibt es von mir und eine klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 01.03.2018

Eine sehr gut gelungene, toll geschriebene Biographie.

Rudi Dutschke. Die Biographie
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Rudi Dutschke Biographie aus der Feder von Ulrich Chaussy habe ich sehr gern gelesen und empfehle sie gern auch weiter.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „‘Achtundsechzig‘ ist in der Bundesrepublik ...

Rudi Dutschke Biographie aus der Feder von Ulrich Chaussy habe ich sehr gern gelesen und empfehle sie gern auch weiter.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „‘Achtundsechzig‘ ist in der Bundesrepublik mit dem Namen Rudi Dutschke verbunden. Er war Gesicht und Stimme der deutschen Studentenbewegung, repräsentierte Aufbruch und Generationenkonflikt wie kein zweiter. Ulrich Chaussy kennt Dutschke wie kaum ein anderer. Seine Biographie zeichnet das spannende Bild eines mitreißenden Menschen, dem nur wenige Jahre öffentlichen Wirkens gegönnt waren, bis ein Rechtsradikaler ihn bei einem Attentat schwerst verletzte.
Niemand anders hat der 68er-Bewegung so sehr seinen Stempel aufgedrückt wie Rudi Dutschke (1940-1979). Mit ihm ist die Revolte der Studenten mehr als nur verbunden – seine individuelle Biografie ist mit dem Verlauf einer kollektiven Bewegung eins geworden insbesondere durch das Attentat vom Gründonnerstag 1968, das er nur um Haaresbreite überlebte und an dessen Spätfolgen er schließlich starb.
Ulrich Chaussy kennt Rudi Dutschke wie kein zweiter Biograph. Er hat mit allen wichtigen Zeitzeugen gesprochen, hat alle relevanten Archive ausgewertet, als Ergebnis seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Dutschke und 68 legt er diese komplett neu bearbeitete und erweiterte Biographie vor.“

Zum Autor: „Ulrich Chaussy, Jahrgang 1952, studierte Germanistik und Soziologie und war als Autor und Moderator vor allem für den Bayerischen Rundfunk tätig. Seine Bücher über die Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“ und über das Oktoberfestattentat erschienen in mehreren Auflagen. Letzteres wurde unter dem Titel „Der blinde Fleck“ 2013 für das Kino verfilmt und trug zur Wiederaufnahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt bei. Sein Werk als investigativer Journalist und Buchautor wurde mit deutschen und internationalen Preisen ausgezeichnet.“

Wohl strukturiert, chronologisch geordnet, erzählt diese Biographie die Lebensgeschichte von Rudi Dutschke, „… von der aufbegehrenden Jugend und den revoltierenden Studenten als Vorbild bewundert, von weiten Teilen des westdeutschen Establishments als Störenfried und moskauhöriger Revoluzzer verteufelt.“
Mit seinem klaren, aussagestarken Schreibstil erwies sich Ulrich Chaussy ein vorzüglicher Erzähler, der es versteht, die Leser für seine Inhalte zu gewinnen und sie dabei prima zu unterhalten. Auch deshalb war mir diese Bio ein Lesegenuss. Es war unmöglich, nicht mitzugehen und nicht mitzufühlen.
Rudi Dutschke war ein kluger, belesener Mann, der auch dem heutigen Leser viel Respekt abverlangt. V.a. weil er klar und unabhängig denken konnte und für ein besseres Leben kämpfte. „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.“ S. 457.

Seinen Pazifismus hat er bereits in der Schule in Lukenwalde mit Verve verteidigt. Er hat bereits als Schuler die richtigen Fragen gestellt, s. seinen Aufsatz im Anhang. Deutlich liest sich auch heraus, dass er gute Gründe dafür hatte, denn nach paar Jahren der Popularität der Haltung „nie wieder Krieg“, es wieder mit den militärischen Allüren in der dt Politik bergauf ging.
So wie er von Chaussy dargestellt wurde, war er Held seiner Zeit, wobei er vom bekannten Boulevardblatt stets als Terrorist verleumdet wurde. Die verklärende Rolle der Massenmedien in Sachen Volksverdummung liest sich sehr deutlich heraus. Das besagte Haus hat sich auch damals kaum mit Ruhm bekleckert, wenn es um tatsachengerechte Schilderungen ging, ein Meister in Verbreitung der alternativen Fakten und der Hetze. Laut Aussagen von Josef Bachmann wäre er ohne den Gedankengut, den das besagte Blatt an jeder Straßenecke verbreitet hatte, kaum auf die Idee gekommen, auf Dutschke zu schießen.

Wie aber Dutschke mit Bachmann danach umging ist sehr beeindruckend. Jedenfalls zeugen die Briefe Dutschkes von seiner menschlichen Größe und persönlichen Reife.
Rudi Dutschke kam auch sonst sympathisch rüber. Er war für die bessere Welt und hat dies zu seiner Lebensaufgabe gemacht. So einfach war dieser Weg aber nicht. Nach seiner Hirnverletzung musste er neu lesen, schreiben und denken lernen. Die Jahre im Exil als politischer Flüchtling, erst in London, dann in Dänemark, haben auch ihre Spuren hinterlassen. Letztendlich konnte er wieder zurück nach Deutschland, das sich politisch in der Zwischenzeit verändert hatte, die Große Koalition stand nicht mehr zur Debatte. Heute wird sie wieder als alternativlos verkauft. Und hier kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt dieses Werkes: Die Aktualität der Aussagen dieser Dutschke Bio ist schon verblüffend. Da sind so viele Botschaften, Ideen zum besseren, selbstbestimmen Leben, etc., die heute immer noch genauso akut und aktuell sind wie zu Dutschkes Lebzeiten.
Zum Schluss stellt Ulrich Chaussy klar: „Die detaillierte Rekonstruktion von Dutschkes im kurzen Jahr der Revolte von 1967/68 proklamierte Aussagen und der von ihm getragenen Aktionen erbringt: Rudi Dutschke hat nie einem Kurs das Wort geredet oder gar danach gehandelt, der als Blaupause für das Konzept der späteren RAF angesehen werden könnte. Er lehnte die Verletzung und Tötung von Menschen ab. Christliche Ethik wie marxistische Analyse haben in ihm diese Position doppelt gefestigt, und diese Ablehnung erstreckte sich auch auf die gleichgültige Hinnahme von Kollateralschaden von Menschen.“ S. 475.

Die s/w Fotos von Rudi Dutschke und seiner Familie, von seinen Schulkameraden und später von Mitstreitern in SDS sind in den Text eingearbeitet worden. Ein Plus, denn man kann sich das alles gleich besser vorstellen und muss nicht stets hin- und rückblättern. Auch die Atmosphäre kommt mit den Fotos im Text besser rüber.

Das Buch ist sehr schön gestaltet: Festeinband in Rot, Umschlagblatt, dessen Rücken auch rot ist, der Name in weißen Buchstaben ist auch haptisch hervorgehoben. Das Lesebändchen in hellgrau, passend zum Umschlagblatt. Perfekt als Geschenk.

Fazit: Eine sehr gut gelungene, toll geschriebene Biographie, die ich sehr gern gelesen habe. Ich habe mich dabei sehr wohl und niveauvoll unterhalten gefühlt. Darin habe ich viel Spannendes und Bereicherndes entdeckt. Freue mich, meine Zeit damit verbracht zu haben. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 01.03.2018

Ein Buch, dessen Inhalte man kennen sollte.

Leistet Widerstand!
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„Leistet Widerstand!“ von Jean Feyder habe ich sehr gern gelesen und empfehle das Buch auch weiter. Diese Inhalte sollte jeder kennen.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr gut: „Jean Feyder war Diplomat ...

„Leistet Widerstand!“ von Jean Feyder habe ich sehr gern gelesen und empfehle das Buch auch weiter. Diese Inhalte sollte jeder kennen.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr gut: „Jean Feyder war Diplomat und ehemaliger Vertreter Luxemburgs bei der WTO und beobachtet die internationale Politik seit Jahren aus nächster Nähe. Seine Bilanz ist erschütternd: Handelskriege, Umweltzerstörung und die systematische Bevormundung von Entwicklungsländern durch den reichen Norden - die Welt ist aus den Fugen geraten. Feyder unterstützt seit vielen Jahren alternative Ideen, Organisationen und Bürgerinitiativen für eine gerechtere und solidarischere Welt. In seinem neuen Buch weist er nach, wie Konzerne und strukturelle Missstände in Europa, den USA und im Nahen und Mittleren Osten eine wirkliche Veränderung blockieren. Er fordert die Regierungen dazu auf, endlich die Kehrtwende einzuleiten. Denn: Eine andere Welt ist möglich!“

Rund 240 Seiten sind in 4 Kapitel geordnet: „Neoliberalismus und Ausbeutung der Dritten Welt“ (47 S.), „Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ (47 S.); Krieg, Unterdrückung und Terror“ (43 S.); Eine andere Welt ist möglich (78 S.); Quellen (4 S.); Vorwort 3 S. von Jean Ziegler.

Viele kleinere Unterkapitel, die man u.U. auch zwischen zwei U-Bahn Stationen lesen kann, sichern die Lesefreundlichkeit. Knapper und griffiger Schreibstil, spannende und aufschlussreiche Inhalte sorgten dafür, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Kurz und bündig, aufs Wesentliche konzentriert, erzählt Jean Feyder mitunter schockierende Tatsachen in den o.g. Themenbereichen. Manches ist vllt etwas kurz angesprochen worden, aber der Kern der Sache ist stets dabei. Am Ende steht immer ein Vorschlag, was richtigerweise zu tun wäre, um die Lage zu bessern. Der Ton ist durchwegs sachlich und ruhig.

In jedem Kapitel gibt es Neues und Spannendes zu entdecken, auch wenn man bei diesen Themen kein Neuling ist. Was positiv auffällt: Feyder spricht klare Worte und nennt die Dinge beim Namen. Im ersten Kapitel erzählt er über die Ausbeutung Afrikas, die seit längerer Zeit betrieben wird, u.a. durch europäische Konzerne auf dortigen Märkten, die mit ihren Dumpingpreisen den lokalen Bauern die Lebensgrundlage rauben und somit die wirtschaftliche Lage des Landes ruinieren. Die jungen Menschen ohne jede Perspektive wenden sich infolgedessen an radikal islamistische Milizen oder fliehen nach Europa, was sich ebenfalls als ehe eine suboptimal Lösung herausstellt. Auch von der Umverteilung von Grund und Boden zugunsten der Konzerne, vom Zugang zu Naturressourcen, wie die Einheimischen gezwungen werden, die für sie ungünstigen Verträge zu unterschreiben uvm., ist die Rede.
Im Kap. 2 geht es u.a. um Griechenland und wie die von Troika aufgezwungenen Maßnahmen das Land in eine noch tiefere Krise gestürzt haben. Auch um CETA und ähnliche Vereinbarungen liest man hier und warum diese gut für die Konzerne, Initiatoren dieser Maßnahmen, und viel weniger gut für alle anderen sind. Die Erläuterungen der Luxleaks- Skandale sind auch sehr aufschlussreich, und erzählen u.a. dass die Whistleblower hart bestraft werden, obwohl ihnen per Gesetz Schutz zusteht. Auch wie viele Milliarden Euro an Steuergeldern die Konzerne wie amazon, Apple, Ikea, etc. nicht zahlen und was es für die öffentliche Infrastruktur heißt. Die Glyphosat-Affäre wurde hier auch beleuchtet. Monsanto-Tribunal ist ein aufschlussreiches Unterkapitel, das erzählt, wie man mal versucht hat, den Konzern zur Verantwortung zu ziehen.
Im Kap.3 gibt es u.a. aufschlussreiche Ausführungen zu Palästina, sowie solche zur regen Zusammenarbeit zw. Europa und Israel im Militärbereich.
Im Kap.4 liest man über die möglichen Wege, Massenproduktion von Lebensmitteln zu umgehen und langfristig Eigenständigkeit in der Hinsicht zu erlangen, Stichwort Agroökologie, sowie über die Erfahrungen mancher Länder, die dem Neoliberalismus erfolgreich widerstanden haben.
In einigen seiner Ausführungen geht Feyder mit Daniel Ganser („Illegale Kriege“, 2016) oder auch mit Noam Chomsky (z.B. in „Global Discontents“, 2017) konform. Selbst wenn man die Bücher kennt, was auch eine sehr gute Idee wäre, wenn man verstehen will, was in der Welt passiert und v.a. warum, stellt das Werk von Feyder eine willkommene Ergänzung, eine Art Update dar, denn er erzählt wenig bekannte Dinge, die man den sog. Leitmedien kaum entnehmen kann, z.B. über Kuba und Fidel Castro, über Venezuela und Hugo Chávez, etc. und ihrer Rolle im Widerstand gegen den Neoliberalismus, der uns seit einiges Zeit als alternativlos verkauft wird. Über Stéphane Hessel und sein Werk ist auch sehr schön erzählt worden. Auch über Papst Franziskus, der ein „System der Handelbeziehungen und der Besitzverhältnisse, das strukturell pervers ist“ kritisiert hat, und auch der Meinung ist, dass eine andere Welt möglich ist.
Über die Rolle der Leitmedien verliert Feyder hier und dort auch paar klare Worte, wie unzureichend bis komplett verdreht die Dinge dargestellt wurden.

Zum Autor: „Jean Feyder war Direktor für Entwicklungszusammenarbeit beim Außenministerium in Luxemburg und ständiger Vertreter Luxemburgs bei den vereinten Nationen im Genf. Seit dem Ende seiner diplomatischen Karriere 2012 ist er in viele zivilgesellschaftlichen Organisationen aktiv und schreibt zu den Themen Ernährungsproblematik, Welthandel und Entwicklungspolitik…“

Fazit: Ein Buch, dessen Inhalte man kennen sollte. Es ist ein Werk, das klar und aussagestark die Sachverhalte schildert, dabei aufschlussreich und unterhaltsam ist. Der Autor argumentiert aus seinen beruflichen Erfahrungen heraus. Er genießt mein Vertrauen, auch weil ich dieses Gedankengut aus anderen Quellen, Büchern der von mir tief respektierten Autoren kenne.