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Veröffentlicht am 08.12.2017

Eine gut gelungene, unterhaltsam gestaltete Biographie.

Die phantastische Welt des Märchenkönigs
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Die vorliegende Biographie (Bio) vom Märchenkönig von Bayern Ludwig II. (1845-1886) habe ich gern gelesen, einiges Neues darin entdeckt, habe mich dabei prima unterhalten gefühlt, daher empfehle ich das ...

Die vorliegende Biographie (Bio) vom Märchenkönig von Bayern Ludwig II. (1845-1886) habe ich gern gelesen, einiges Neues darin entdeckt, habe mich dabei prima unterhalten gefühlt, daher empfehle ich das Buch auch gern weiter.
Auszug aus dem Prolog: „Dieses Buch ist ein Kolportagebericht, ein Klatschreport, eine Art ‚Yellow Press‘ des neunzehnten Jahrhunderts. Augenzeugenberichte sind die Basis dieser Darstellung.“
Das halte ich für ein dezentes Unterstatement. Diese Bio ist wesentlich mehr als das geworden. Sie ist ein gelungenes Portrait eines Visionärs, eines Genies, der nur wenigen seiner Zeitgenossen begreiflich und seiner Zeit weit im Voraus war. Er wurde hier als ganze Person mit seine Stärken, Schwächen und Zweifeln gezeigt.
Man erfährt mehr über Ludwig II. als nur die Dinge, die Augenzeugen zu berichten wussten. Über seine Herkunft, seine Eltern liest man paar Kernpunkte, auch ihre Fotos sind dabei. Man sieht, dass er seiner Mutter in jungen Jahren sehr ähnlich aussah. Über seine frühere Begeisterung für Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837-1898) gibt es auch paar Zeilen samt Foto der beiden auf der Blumeninsel. Bereichernd fand ich die hier zitierten Gedichte der Kaiserin, die z.T. auf die Kritik an Ludwig II. eingingen und nicht nur den klaren Verstand und Talent der Verfasserin bezeugen, sondern u.a. auch dass Ludwig II. von manchen Freigeistern seiner Zeit auch richtig verstanden wurde.
Den Teil über seine Pläne auszuwandern, da sein Sekretär nach geeigneten Gegenden bereits Ausschau gehalten und ihm die Beschreibungen vorgelegt hat, ist neu, denn in keiner anderen Quelle habe ich diese Info bisher vernehmen können.
Diese Bio ist auch vom Aufbau her etwas Besonderes. Sie fängt mit den Tod Ludwigs II. an und arbeitet sich anschließend von seiner Jugend mit all seinen vielfältigen Interessen und sehr wohl geübtem Verstand eines Forschers und Visionärs über die reifen Jahre seiner erfolgten Bauprojekte, seiner gelebten Homosexualität und sonstigen Andersartigkeit, seinen Krankheiten zum Schluss bis zu seiner Unsterblichkeit.
Ludwig II. wurde kurz vor seinem Tod für Verrückt erklärt, dabei liest es sich eher heraus, dass er es keineswegs war, vielmehr war er ein Kaiser, der viel weiter blicken konnte als die meisten, die sich anmaßten, über ihn zu urteilen. Die Kleingeister von Ministern haben ihn für verrückt erklären lassen, u.a. weil er so viel Geld für seine in die Zukunft gerichteten Projekte ausgab und sich sonst wenig um die Regierungsroutine kümmerte. So gesehen war es ein Staatsstreich, bei dem der König, der sich anders als erwartet erwies, klammheimlich eliminiert wurde. An diesem Bps. kommen wir zur Art der Stoffdarbietung, die mir hier auch zugesagt hat. Die Autoren legen sich bei einigen Fragen, die niemand definitiv beantworten kann, nicht auf irgendeine Version fest, sondern liefern den Stoff, durchaus kontroversen Charakters, der die Leser dazu verleitet, selbst über das Gelesene nachzudenken und, falls erwünscht, zum eigenen Entschluss zu kommen.
Zum Schluss gibt es ein Interview mit einem 3-D Spezialisten Gerd Hirzinger, der vieles aus den Ludwigs II. Projekten in 3D nachgestellt hat. Es gibt Fotos vom Luftschiff, ähnelt einem Zeppelin, dessen Entstehung von Ludwig II. mitfinanziert wurde, auch zwei Fotos der 3-D Nachstellungen von seinen „Architekturvisionen“ der Schlösser, die nie erbaut wurden.

Es gibt recht viele Fotos. In der E-Book Version auf dem Tablett sehen sie gestochen scharf aus, die Farben sind satt und prächtig. Die Links hinten im Buch, nach Literaturverzeichnis, führen direkt zu buchrelevanten I-Seiten wie den Webseiten von den Schlössern, Familie Wittelsbacher, Museen, etc.

Es gibt noch vieles, was man über dieses Buch schreiben könnte, aber besser ist es, man liest es selbst.

Fazit: Eine gut gelungene Biographie von Ludwig II., die allerdings auch einiges ausgelassen hat. Wer wissen möchte, wie er als Person war, was ihn interessiert, was ihn bewegt hat, ist bei dieser Bio an einer sehr guten Adresse. Dieses Buch ist für breites Publikum geschrieben worden, daher erweist sie auch einen hohen Unterhaltungswert und wird jedem verständlich sein.

Veröffentlicht am 06.12.2017

Ein guter Auftakt der Reihe.

Eisenberg
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„Eisenberg“ habe ich gern gehört. Der Krimi erschien mir größtenteils recht stimmig, auch sonst ganz nett, atmosphärisch, nur die Auflösung fand ich etwas zu konstruiert.
Klappentext: „Er weiß, wovon er ...

„Eisenberg“ habe ich gern gehört. Der Krimi erschien mir größtenteils recht stimmig, auch sonst ganz nett, atmosphärisch, nur die Auflösung fand ich etwas zu konstruiert.
Klappentext: „Er weiß, wovon er schreibt: Andreas Föhr hat Jura studiert und in München promoviert. Jahrelang war er als Anwalt tätig, bevor er sich mit dem Schreiben von Drehbüchern einen Namen machte. Jetzt hat der Bestsellerautor eine Figur geschaffen, die nicht nur sein juristisches Fachwissen teilt, sondern auch seinen Glauben daran, dass jeder, ob schuldig oder nicht, einen Verteidiger verdient, der ganz auf seiner Seite steht: Dr. Rachel Eisenberg. Rachel ist Mitinhaberin einer angesehenen Münchner Kanzlei, frisch getrennt und Mutter einer 13-jährigen Tochter. Ihr neuer Fall soll eigentlich nur ein bisschen Medienpräsenz bringen – ein Obdachloser, der eines äußerst gewalttätigen Mordes verdächtigt wird –, doch als sie ihrem Mandanten zum ersten Mal gegenübersitzt, ist Rachel sprachlos: Sie kennt den Mann – oder glaubte das zumindest ...“
Gerade in diesem Krimi von Andreas Föhr merkt man, dass der Autor früher als Anwalt tätig war und genau weiß, wie es im Gerichtssaal bei Strafprozessen abläuft. Hier bringt er bildhaft einige Szenen solcher Verhandlung, samt Hintergründen und Erklärungen, welche Akteure wie und warum agieren, wie sich die Anwälte untereinander verständigen, wie es bei den Vorbereitungen bei solchen Sitzungen abläuft uvm. Gerade diese Interna fand ich recht interessant, manches war mir neu, also wieder was gelernt .
Der Fall ist recht knifflig, mit einer guten Prise Psychothriller, da die Ermittlerin persönlich betroffen ist und bis zum Schluss als Hauptfigur die Rolle spielt.
Rachel Eisenberg will erst gar nicht den Fall übernehmen, da er zu wenig finanziell attraktiv erscheint, aber sie wird da mehr oder minder hineingezogen. Und als sie den Obdachlosen sieht, der eines brutalen Mordes einer jungen Frau angeklagt wird, dann kann sie nicht anders, als herausfinden zu wollen, was die Sache eigentlich auf sich hat.
Interessant fand ich in diesem Krimi auch, dass es hier wieder eine Frauenfigur, eine Art Archetyp, gibt, die von einem Krimi aus der Feder von A. Föhr, in den nächsten zu wandern scheint, bloß mit einigen, recht kosmetischen, Änderungen. Es ist Typ junge, mehr oder minder attraktive Frau, nicht sonderlich klug, geschweige denn von gebildet, oft aus schwierigen sozialen Verhältnissen, die entweder, wie hier, auf der Straße lebt, oder auch als Kellnerin jobbt, was hier später auch zutrifft. Die Frau wird kraft ihrer kindlichen Weltanschauung und Gutgläubigkeit von (bösen) Männern in Beschlag genommen, wird als Marionette benutzt, spielt eine Opferrolle, vermutlich weil sie leicht manipulierbar ist, da labil und blickt sonst nicht durch, was eigentlich vor sich geht.
Rachel Eisenberg ist eine kluge Frau Anfang vierzig, die ihre Karriere gemacht hat und ganz oben auf dem Olymp der Staranwälte in Sachen Strafverteidigung steht. Sie wirkte auf mich recht überzeugend, sympathisch, angenehm. Ich war gern in ihrer Gesellschaft. Die weiteren Folgen mit ihr werde ich gern hören. Der nächste Fall mit Rachel, „Eifersucht“, ist für Juni 2018 geplant.
Michael Schwarzmeier hat wie gewohnt sehr gut gelesen. Jede Figur hat ihre eigene Stimme, ist prima wiedererkennbar. Auch Frauenstimmen gelingen Michael Schwarzmeier sehr gut, auch oder vor allem, wenn sie weinen. Da komme ich mir oft wie in einem Hörspiel vor, das von einem Schauspieler gemeistert wird.

Fazit: Den Krimi habe ich gern gehört. Ein guter Auftakt der Reihe. Zum Schluss war mir das Ganze etwas zu konstruiert, Glaubwürdigkeitsfragen tauchten auf. Zudem wurde wieder auch etwas zu viel erklärt. Aber gut, das Ganze soll ja für jeden verständlich sein.

Spieldauer: 12 Stunden und 45 Minuten.
Gelesen von Michael Schwarzmeier.

Veröffentlicht am 06.12.2017

Anschaulich, kurz und knackig das Wesentliche über das Krimischreiben.

Businessplan: Mord
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„Businessplan Mord“, den Schreibratgeber von Monika Mansour, finde ich ganz gut: Das Wesentliche, was man zum Krimischreiben braucht, ist kurz und knackig auf den Punkt, die Ratschläge wirken authentisch. ...

„Businessplan Mord“, den Schreibratgeber von Monika Mansour, finde ich ganz gut: Das Wesentliche, was man zum Krimischreiben braucht, ist kurz und knackig auf den Punkt, die Ratschläge wirken authentisch. Es gibt auch Beispiele, die erläutern, wie die Tipps in den Krimis eingesetzt wurden uvm.
Es gibt drei Teile.
Der erste Teil erzählt, wie Monika Mansour Krimi-Autorin wurde, was im Allgemeinen für einen Krimiautor wichtig wäre, wie man den Schreiballtag meistert, wie man die eigenen Bücher vermarkten kann, welche Rolle z.B. die Lesungen spielen, etc. Auch über die Kritiken gibt es extra ein Unterkapitel, das diese in drei Kategorien unterteilt und entsprechenden Umgang damit empfiehlt.
Im zweiten Teil geht es um das Schreiben an sich, u.a. wie man lebendige, dreidimensionale Figuren entwirft, Haupt- wie Nebenfiguren; wie das Plotten vonstattengeht; welche Fragen man vorher klären sollte. Auch die 3-Akt-Struktur ist kurz und knackig erklärt worden. Gute Tipps zum gelungenen Angang sowie „Wie baust du Höhepunkte auf und wo baust du sie ein?“ sind auch dabei. Zum gelungenen Stil gibt es ein Unterkapitel mit guten Tipps, die jeder Schreiber gern beachten kann, egal was er schreibt; sowie Unterkapitel, wie man am besten die Beschreibungen, die Dialoge meistert; zu Erzählperspektiven, Kameraführung, Eigenschaften einer Szene und wie man die Szenen nicht schreiben sollte; ob Gewalt, Sex und Liebe gezeigt werden, wie es um die kriminaltechnischen Details steht und einiges mehr.
Der dritte Teil, Anhang genannt, ist vergleichsweise kurz und gibt Checklisten z.B. zu Figuren oder zu allg. Fragen wie zum zentralen Konflikt, Motiv, guten/bösen Figuren, etc. Paar gut brauchbare I-Seiten für Autoren, die wiederum weitere Ratschläge parat haben; die gängige Software, die zum Plotten und im allg. zum Schreiben benutzt wird, sind auch dabei.
Der Erzählton ist in diesem Ratgeber angenehm locker, der Stil ist klar, griffig und für breites Publikum verständlich. Es ist wie ein Gespräch unter Freundinnen. Das Buch liest sich sehr angenehm.
Die Tipps von 10 Schweizer Krimiautoren fand ich auch sehr gut: sie lockern auf, bringen mehr Authentizität mit ein und bereichern ungemein. Jede(r) geht auf ein jeweils anderes Thema ein: z.B. bringt Nicole Bachmann („Endstation Bern“) ihren Tipp zum Dialogeschreiben, Tony Dreher („Gletschertod“) spricht vom Umgang mit Hauptfiguren, Mitra Devi (Schickfrost) verrät ihre Handhabe beim Plotten, usw.
Das Buch ist toll gestaltet: Festeinband in Dunkelrot, passend zur Farbgebung des Titels; Umschlagblatt in glatter, angenehmer Haptik; die Schrift ist sehr augenfreundlich; nicht zu viel aber auch nicht zu wenig Text pro Seite. Inhaltsverzeichnis vorn hilft prima beim Navigieren.

Fazit: Ein guter Schreibratgeber, der anschaulich, kurz und knackig das Wesentliche über das Krimischreiben seinen Lesern beibringt. Alles ist dabei, um mit dem Schreiben loslegen zu können. Schön auch als Geschenk.


Veröffentlicht am 16.11.2017

Ein netter cosy Krimi zum Nebenbeihören.

Eine alte Schuld
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Es ist eine längere Cherringham Geschichte: Hörbuch, ungekürzt, Spieldauer: 10 Stunden und 4 Minuten. Ich fand sie insg. ganz gut. Ein netter cosy Krimi, bei dem von den beiden sympathischen Protagonisten ...

Es ist eine längere Cherringham Geschichte: Hörbuch, ungekürzt, Spieldauer: 10 Stunden und 4 Minuten. Ich fand sie insg. ganz gut. Ein netter cosy Krimi, bei dem von den beiden sympathischen Protagonisten zwei Morde enträtselt werden, und auch andere Dinge im Dorfleben passieren.
Sara plagt sich mit den Gedanken, dass sie ihre Kinder bald ausziehen. Cloe ist 18 und geht auf Europareise mit Paar anderen Mädels, anschließend fängt Uni in der Großstadt an. Daniel ist bald auch so weit, aber nun will er beim anstehenden Dorffest mitmachen. Dieses Jahr soll es besonders spannend werden, denn amerikanisches Motto wurde ausgerufen, und Jack ist dabei, eine ungewöhnliche Regatta auszutüfteln. Kurz zuvor wurde bei den archäologischen Ausgrabungen auf der Suche nach den Überresten von römischen Bauten eine männliche Leiche aus der Erde gehoben. Nun sind die Ausgrabungen in Gefahr. Der Versicherungsagent, den Jack bei den Vorbereitungen auf die Regatta kennengelernt hat, verschwindet plötzlich. Sara und Jack erklären sich bereit, der Sache nachzugehen.
Es ist kein Problem, wenn man die anderen Folgen nicht gehört hat, alle Figuren werden kurz vorgestellt, sodass man problemlos dem Geschehen auch ohne Vorkenntnisse folgen kann.
An sich ist der Fall etwas zu einfach gestrickt. Zu viele Zufälle, die von Nutzen für die Ermittlung sind, z.B. Sara findet Passwörter zu den wichtigen I-Seiten des Verschwundenen in einem Heft ordentlich hingeschrieben, das in der Schreibtischschublade steckte. Jack hört zufällig, wie sich zwei Verdächtige streiten, was auch mit dem Fall zu tun hat. Und dass er für die Dorfmannschaft nun Kricket spielt, ist natürlich auch vom Nutzen für die Klärung des Ganzen.
Die Handlung kommt nur mit ganz kleinen Schritten voran. Man wird indirekt, aber etwas plump auf die Auflösung vorbereitet.
Das Tempo ist in diesem cosy Krimi sehr gemütlich, wie auch die Atmosphäre insg. Da muss man sich keine Gedanken machen, dass man etwas verpasst, denn es kommt nochmals bestimmt wieder, ggf. zusammen mit weiteren Informationen.
Gut war, dass diese Geschichte diesmal mehr Raum hatte, um sich zu entfalten und besser erzählt werden zu können.
Insg. ist es ein guter cosy Krimi geworden, ein nettes Wiedersehen mit Sara und Jack. Fürs nebenbei beim heimischen Werkeln Hören geht er in Ordnung.
Sehr gut gelesen von Sabine Godec.

Veröffentlicht am 07.11.2017

Spannende Einsichten in dt Ost-/West Politik der Nachkriegsjahre.

"Das musst du erzählen"
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Das Buch von Egon Bahr „Das Musst du erzählen. Erinnerungen an Willy Brandt“ habe ich gern gehört und empfehle es auch gern an politisch Interessierte weiter.
Egon Bahr, enger Vertrauter und Freund von ...

Das Buch von Egon Bahr „Das Musst du erzählen. Erinnerungen an Willy Brandt“ habe ich gern gehört und empfehle es auch gern an politisch Interessierte weiter.
Egon Bahr, enger Vertrauter und Freund von Willy Brandt, der anfangs oft seine Reden geschrieben hat und später selbst zu einer politischen Figur hohen Ragens wurde, schildert seine Sicht der Dinge, was die Person Brandts und die damalige Ostpolitik angeht. Sehr interessant und aufschlussreich.
Die Politik „Wandel durch Annäherung“, die Gabriele Krone Schmalz in ihrem neuesten Buch „Eiszeit“ (2017) erwähnt hat, kam hier gut zu Geltung. Egon Bahr verdeutlichte anhand von mehreren Beispielen, wie diese Annäherung in den 60-70-80ger Jahren betrieben wurde und erwähnte dabei paarmal, dass sie nie von den Verhandlungspartnern auf russischer Seite angelogen wurden. Bahr meinte, manches wussten sie selbst nicht, über manches durfte man nicht reden, aber vorsätzlich getäuscht wurden sie nie. Solche hohen Politiker der russischen Seite wie Breschnew, Kossygin, später Gorbatschow, einige Diplomaten, uvm kamen auch zur Sprache und es wurde klar, was sie für die Annäherung getan haben, z.T. auch wie sie persönlich waren, z.B. dass Breschnew und Brandt sich sehr gut verstanden und dem Weib, Wein und Gesang gern frönten. Auf die Warnung der Ärzte, man müsse einen gemäßigten Lebensstil an den Tag legen, würden die beiden höchstens erwägen, den Gesang etwas herunterzuschrauben, so Bahr.
Auch wie Willy Brandt als Person war, ein mutiger, sensibler Mann, der nie Befehle erteilen konnte, und u.a. deshalb als schwache Führungsperson von manchen verstanden wurde, kommt deutlich zur Geltung. Auch sein Verhältnis zu Helmut Schmidt und anderen, Brandts Bekenntnis, wenn er gewollt hätte, wäre Schmidt schnell weg vom Fenster, uvm ist diesem Buch zu entnehmen. Bahr spricht auch von einigen Äußerungen Brandts, die sich später als prophetisch erwiesen haben.
Bei allem Spannenden, was das Buch bietet, war mir manches zu glatt dargestellt worden, viele wichtigen Dinge, manche Ereignisse, die eigentlich auf die damalige Ost-West Politik großen Einfluss hatten, wurden nur am Rande sehr politisch korrekt erwähnt. Dadurch entstand ein seltsamer Eindruck, dass nur ein Teil der Geschichte erzählt wurde. Aber auch dieser Teil ist sehr gut.
Zudem war die Art der Stoffdarbietung etwas gewöhnungsbedürftig. Bahr sprang in Zeiten und Ereignissen hin und her, mal vorauseilend, wie das eine oder andere zu Ende ging, mal wieder zurückkehrend und von den Anfängen erzählend.
So oder so ist das Buch sehr lesens- bzw. hörenswert, denn es gibt die Meinung eines großen Politikers des 20 Jh wieder, der die Entspannung zw. Ost und West maßgeblich beeinflusst und den Boden für die dt Vereinigung über Jahrzehnte seines Dienstes in der hohen Politik vorbereitet hat.
Zum Schluss sagt Bahr seine kritischen Worte über die Entwicklung der EU, dass sich dies doch von dem unterscheidet, was sie damals angedacht haben. Er unterstreicht auch die Wichtigkeit des Kampfes gegen den dritten Weltkrieg. Nach dem Ausscheiden aus der Politik auf der vordersten Front hat sich Bahr der Abrüstung verschrieben, dazu meinte Brandt, Bahr würde damit bis zum Ende des Lebens ausgelastet sein. Er behielt recht.
Es gibt noch viele Dinge, die man diesem relativ kurzen Buch entnehmen kann. Lieber selbst hören/lesen und zu eigener Meinung kommen.

Egon Bar hat gut, klar und deutlich gelesen, Authentizität war dabei der große Vorteil, da er den eigenen Text las. Etwas langsam vllt, aber dafür hatte man genug Zeit und Raum, über das Gesagte nachzudenken. Zu der Aussprache von ch wie z.B. in „ungewöhnliche“ als gehauchtes h wie in „vehement“ konnte ich mich schnell gewöhnen.

Fazit: Ein sehr interessantes Buch über die dt Ost-/West Politik der Nachkriegszeit, das Lust auf mehr macht.

Hörbuch, Spieldauer: 4 Stunden und 36 Minuten, 2013, gelesen von Egon Bahr.