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Veröffentlicht am 15.09.2016

Großartig. Weise. Schlicht und ergreifend. Gehört zu Lesehighlights des Jahres.

Lebensgeister
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„Lebensgeister“ von Banana Yoshimoto habe ich beinah in einem Rutsch gelesen und bin restlos begeistert. Ich wollte bloß nur kurz reinschauen, aber nach paar Seiten konnte ich das Buch nicht mehr aus der ...

„Lebensgeister“ von Banana Yoshimoto habe ich beinah in einem Rutsch gelesen und bin restlos begeistert. Ich wollte bloß nur kurz reinschauen, aber nach paar Seiten konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Mich faszinierten diese schlichte Leichtigkeit des Schreibstils, die Heiterkeit der Grundstimmung, obwohl es um ernste Dinge geht: den Tod des Geliebten, den Weg zurück ins Leben und Trauerbewältigung der Protagonistin, und last but not least die allem zugrundliegende Dankbarkeit. All die Zutaten so gekonnt gemischt und so erfrischend anders wie authentisch präsentiert! „Lebensgeister“ haben für einige erfüllte wie gespannte Lesestunden gesorgt, u.a. weil man gar nicht vorausahnen kann, wie es weiter geht, und das wollte ich unbedingt wissen.

Sayoko, eine dreißigjährige Kunstkuratorin, hat eine Nahtoderfahrung gemacht und nachdem sie zu den Lebenden zurück war, konnte sie nicht nur die andere Welt und ihre Bewohner um sich sehen, u.a. ihren lange verstorbenen Opa, sie hat eine neue Sicht auf diese Welt bekommen. Sayoko teilt ihre Überlegungen zum Leben, zur Liebe, zum Tod, zu Veränderungen, zur Freundschaft, Familie uvm. den Lesern fast nebenbei mit. Dabei sind ihre Gedanken so hell, so voller Lebensbejahung, aber ohne das Leben mit seinen Unsicherheiten und Gefahren zu verklären. Da stehen so manche Dinge geschrieben, so kann nur eine japanische Buddhistin schreiben. Auch auf die Gefahr hin, dass diese Sätze ohne Kontext ihre Wirkung z.T. verlieren, hier paar Zitate:

„Es gibt viele Menschen, die sich nach einer radikalen Änderung sehnen, aber nur wenige, die ihr wahres Wesen begreifen. Bei mir war es auch so.“ S. 86.

Ihr Opa rät ihr: „Alles hat seine Zeit, braucht seine Zeit. Daran solltest du immer denken. Wenn du zu weit nach vorne schaust, stolperst du. Verweile lieber im Moment, und geh Schritt für Schritt deinen Weg.“ S. 111.

„Wer im Herzen frei ist, macht auch anderen Menschen frei.“S. 135.

Sayoko geht nun ihren Weg und trifft auf interessante Menschen, die ihre neue Sicht der Dinge teilen. Sie helfen ihr, ihr neues Leben zu gestalten und nicht einsam zu sein. So bekommt sie neue Freunde, und einer wird vielleicht zu ihren neuen Lebensgefährten.
Wir haben ca. 150 Seiten reinen Textes, sie schaffen aber großes Kino und hinterlassen einen bleibenden Eindruck.

Das Coverbild passt wunderbar. Diese Heiterkeit und etwas beinah Surreales in diesem Bild finden sich in dieser Geschichte fast auf jeder Seite wieder.

Nach paar Tagen, als die „Lebensgeister“ ausgelesen waren, griff ich wieder zu dem Buch und las es nochmals. Ich wollte diese Leichtigkeit aufs Neue erleben, Sayoko und ihren Opa wieder über ihre Erlebnisse reden hören, ihre Dankbarkeit und Weisheit hautnah erleben.

Fazit: Es lohnt sich. Banana Yoshimotos „Lebensgeister“ sind eine wahre Bereicherung, auch der schönen, schlichten, bildhaften Sprache wegen. Das Buch gehört auf jeden Fall zu meinen persönlichen Favoriten dieses Lesejahres. Ich bleibe verzaubert und auf weitere Werke der Autorin gespannt zurück.

Herzlichen Dank an Diogenes Verlag dafür, dass diese großartige Geschichte auch die Leser in Deutschland erreicht hat.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Kluge, humorvolle, prima gemachte politische Satire.

Hier ist alles Banane
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„Hier ist alles Banane“ ist eine kluge, prima gemachte politische Satire, die einen erfrischend anderen Blick auf das Weltgeschehen der letzten zwanzig Jahre liefert.

Hörbuch. 6 CDs, ca. 450 Minuten, ...

„Hier ist alles Banane“ ist eine kluge, prima gemachte politische Satire, die einen erfrischend anderen Blick auf das Weltgeschehen der letzten zwanzig Jahre liefert.

Hörbuch. 6 CDs, ca. 450 Minuten, ungekürzte Lesung von Reiner Kröhnert.

Der Klappentext beschreibt in groben Zügen den Inhalt recht treffend.

Die Tagebücher fangen kurz vor dem Tod Honeckers in Chile an (CD1), beschreiben seine und Margots Ankunft dort und erklären, wie es dazu kam, dass Jorge Rodriguez zu ihrem Fahrer und Helfer in schwierigen Lebenslagen wurde, sagen, warum sich der ehem. Staatschef der DDR und seine Frau für seinen angeblichen Tod entschieden haben und enden ganz sanft in 2015 (CD 6). Dazwischen kommen noch viele Themen, die sowohl die DDR Zeiten, als auch das Weltgeschehen unter einem unorthodoxen Blickwinkel beleuchten.

Honeckers Tagebucheinträge spiegeln nicht nur einen erfrischend anderen Blick auf das Geschehen des öffentlichen Lebens in der ganzen Welt, wie z.B. all die EMs und WMs, die es in diesem Zeitraum gab, sondern berichten auch über sein Leben (nach dem „Tod“) in Chile, über seine gelegentlichen Schwierigkeiten, das Leben dort zu begreifen und über die Diskussionen, die er mit seiner Margot immer noch in alter Manier führt. Die beiden sind nach wie vor der Meinung, dass das Imperialismus kraft seiner Systemfehler dem Tode geweiht ist, dass es mit der BRD weiterhin bergabgeht, dass die moderne Sklaverei immer neue Züge annimmt, etc. und verstehen sich als tapfere Kämpfer für die sozialistischen Ideale.

Natürlich kommt als erstes eine Mauer um Honeckers Haus. Noch etliche Witze zum Thema Mauer kommen im Laufe der Geschichte. U.a. sagt er, dass wenn sie damals auf die Idee kämen, die Mauer Stück für Stück auszuverkaufen, wie es später geschah, hätten sie genug Geld zur Finanzierung noch vieler Projekte in der DDR.

Honeckers beschaffen sich auch Computer und verfolgen auf diese Weise das Leben, das sie verlassen haben. Zu sozialen Netzwerken und all den Informationen, die Menschen dort über ihr Leben preisgeben, staunt Honecker und meint, sie hätten so viele Agenten in der DDR engagieren mussten, damit sie zumindest etwas aus dem Privatleben bestimmter Personen herausfinden konnten, heute in SNs geht es viel einfacher und ganz von allein. Über Edward Snowdens Enthüllungen und die Notwendigkeit des Abhörens der Gespräche der Bürger, um abweichende Ansichten zu erkennen, um korrigierend eingreifen zu können, philosophiert Honecker zum Schluss in CD6 und resümiert:„Und ich denke, dass in dieser Hinsicht nie große Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten, der BRD und DDR gegeben hat. Und ich glaube auch nicht, dass zwischen den Regierungen darüber je irgendwelche Zweifel bestanden haben.“

Es gibt noch mehr von ähnlichen Einsichten zu anderen Themen des öffentlichen Lebens. Zum Gauck und seiner Vergangenheit in der DDR sagt Honecker auch manch lustige Dinge. Einige Ratschläge an andere Politiker und Regierungschefs im In- und Ausland hat er auch parat.

Es ist diese Art, den Kern der Dinge messerscharf zu beobachten, auf Honeckers Art zu interpretieren und in kurzen, präzisen Sätzen zu erfassen, die dieses Werk so eigenartig und absolut hörenswert macht. Dieser Humor, der oft wie ein Wink mit Zaunfall rüberkommt, brachte mich öfter zum Schmunzeln und noch öfter zum Lachen.

Vor allem die großartige Lesung von Reiner Kröhnert hat dieses Werk enorm bereichert. Er liest nicht, er spielt die Einträge mit seiner tollen Stimme durch. Man denkt, man hört dem Erich Honecker zu. Dazu kommen die Kommentare von Jorge, dem Fahrer, die Reiner Kröhnert in einer ganz anderen Stimmlage, leicht lispelnd und mit typisch spanischem, rollendem R interpretiert. Hier und dort kommt Jorge zu Wort und gibt seinen Senf dazu, kommentiert die Geschehnisse, die Honecker zu seinen Gunsten geschildert hat und erzählt, wie sich die Dinge aus seiner Sicht zugetragen hatten.

Fazit: Das Hörbuch hat mir nicht nur vergnügliche Stunden bereitet und mich mehrmals zum Lachen gebracht, sondern hin und wieder auch nachdenklich gestimmt. Ein Hörgenuss, das seinesgleichen sucht. Ich bin froh, Reiner Kröhnert in diesem Werk kennengelernt zu haben und freue mich auf seine weiteren Werke, wie auf die tolle politische Satire dieser Art.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein geistreicher, lesenswerter Roman über die eigene Identität, ihre Fragilität, uvm.

Nach einer wahren Geschichte
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Im Wesentlichen ist es ein Stück, das von zwei Profi-Schreiberinnen Anfang-Mitte vierzig handelt, die sich ausgiebig zum Thema Schreiben und Literatur austauschen. Aber auch andere Kernthemen wie Freundschaft, ...

Im Wesentlichen ist es ein Stück, das von zwei Profi-Schreiberinnen Anfang-Mitte vierzig handelt, die sich ausgiebig zum Thema Schreiben und Literatur austauschen. Aber auch andere Kernthemen wie Freundschaft, Liebe, Familie, das Leben insg. werden recht tiefgründig wie geistreich ausdiskutiert.
Die eine, Delphine, hat es zum nennenswerten Erfolg geschafft und die andere, L. genannt, betätigt sich nach eigenen Angaben als Ghostwriterin. Die Kernfrage, zu der die Diskussionen immer wieder zurückkehren, ist, was die Leser wirklich wollen. Die Ghostwriterin vertritt vehement die Meinung, die Leser wollen das wahre Leben, Realismus, übersetzt in Literatur. Delphine sieht es anders: Fiktion ist der Weg zum Erfolg. Bloß der lässt sich nicht mehr für Delphine einstellen. Sie befindet sich in einer Schaffenskrise und schlittert immer weiter hinein, je mehr Zeit sie mit L. verbringt. Delphine ahnt nicht, was L. eigentlich vorhat und lässt sich von Ausführungen ihrer neuen Freundin mitreißen. L. spielt eine fürsorgliche Freundin, ist immer für Delphine da, hat stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Probleme. Als es schon zu spät ist und Delphine diese Freundschaft fast mit dem Leben bezahlt, fallen ihr Schuppen von Augen.
Die Frage der eigenen Identität ist in dieser Geschichte aktiv, anhand des eigenen Beispiels, „einer wahren Geschichte“, wie der Titel besagt, angegangen worden. Als erfolgreiche Schriftstellerin sieht sich Delphine gezwungen, sich immer neu erfinden zu müssen. In die Richtung, in die L. sie drängt, will sie aber nicht gehen, etwas Eigenes will ihr auch nicht recht gelingen, nicht zuletzt, weil L. sich dazwischen stellt und dafür sorgt, dass Delphine immer weiter in die krankhafte Schreibblockade abgleitet.
Auch das Thema der Einsamkeit in der modernen Großstadtgesellschaft schwingt aktiv mit. Paris ist voll von Menschen, Delphine ist aber einsam wie in der Wüste. Selbst ihrem Freund kann sich Delphine nicht anvertrauen und landet immer mehr in der Isolation.
Die Art der Stoffdarbietung ist etwas gewöhnungsbedürftig. Es ist, als ob die Autorin den Verlauf ihrer Krankheit vor Augen der Leser Schritt für Schritt freilegt. Sie blickt auf die Geschehnisse zurück und versucht dabei zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Sie zeigt, wie arglos und einsam sie war, nennt aber auch die Punkte, die sie aufhorchen ließen, sie dazu brachten, Verdacht zu schöpfen. Diese vorausschauenden, auf den bekannten Ausgang der Geschichte gerichteten Kommentare nahmen leider Spannung weg, von der die Geschichte auch sonst nicht gerade strotzt.
Delphine war mir leider zu naiv. Ich konnte einfach nicht glauben, dass sich eine Frau mit Lebenserfahrung, eine gefeierte Schriftstellerin und sonst nicht auf den Kopf gefallen, so benehmen, bzw. hinters Licht führen lassen kann. Und je näher sich die Geschichte dem Schluss neigte, desto konstruierter und unglaubwürdiger kam sie mir vor: Drama auf Teufel komm raus. Ohne diese Naivität wäre diese Geschichte gar nicht möglich.
Auf der anderen Waageschale gibt es Vorzüge wie Fragestellungen zu akuten Themen des heutigen Lebens, leise Kritik der modernen Gesellschaft und eine Menge von geistreichen Sätzen. „.. ein Buch ist nichts anderes als eine Art radioaktiver, langsam zerfallender Stoff, der noch lange weiterstrahlt. Und letzten Endes werden wir immer als das betrachtet, was wir sind, menschliche Bomben mit erschreckender Zerstörungskraft, denn niemand weiß, wie wir das Material nutzen.“S. 90. „Was glaubst du, woraus Schriftsteller bestehen? … Ihr seid das Ergebnis von Scham, Schmerz, Geheimnis und Zusammenbruch. Ihr kommt aus namenlosen dunklen Gegenden oder habt sie zumindest durchquert. Überlebende, das seid ihr, jeder Einzelne und jeder auf seine Weise. Das gibt euch nicht alle Rechte. Aber glaub mir, es gibt euch das Recht zu schreiben, auch wenn es einen Aufruhr gibt.“ S. 151. „Ich bin dir nicht begegnet, ich habe dich erkannt.“ S. 278.
Es ist schon psychologisch fein, mir fehlte dennoch ein Quäntchen Raffinesse.
Die Länge der Kapitel ist sehr gut, passend ausgewählt. Es ist die Art von Stoff, der durchaus genug Zwischenraum braucht. Manchmal, nach drei-vier Seiten, ein Kapitelende zu sehen war schon eine Wohltat.
Fazit: Ein geistreicher, lesenswerter Roman, der gut unterhält und zum Nachdenken über die eigene Identität, ihre Fragilität, uvm. anregt. Interessant vor allem für Schreiberlinge und diejenigen, die es werden wollen, aber auch für passionierte LeserInnen, denn Delphine erzählt aus dem Nähkästchen, wie sich eine erfolgreiche Schriftstellerin nach einem Erfolg fühlt und wie ihre Arbeit und damit verbundenen Schwierigkeiten aussehen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Zu detailliert und wenig spannend.

Meine geniale Freundin
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Meine geniale Freundin Band 1 umfasst 406 Seiten reinen Textes. Zuvor gibt es eine 5-Seitige Aufstellung der handelnden Personen nach Familien geordnet. Sehr hilfreich, um durch das Gewirr von ital. Namen ...

Meine geniale Freundin Band 1 umfasst 406 Seiten reinen Textes. Zuvor gibt es eine 5-Seitige Aufstellung der handelnden Personen nach Familien geordnet. Sehr hilfreich, um durch das Gewirr von ital. Namen der gar nicht mal wenigen handelnden Personen durchzukommen. Prolog: 5 Seiten. Kindheit: 77 Seiten, Frühe Jugend: 318 Seiten.
Der Prolog hat mich fasziniert und viele Fragen aufgeworfen. Warum wollte Lila verschwinden? Wohin? Was wollte sie damit erreichen? Nun hat sie es auch getan und was nun? Da geht es aber nicht weiter. Die Fragen bleiben unbeantwortet. Der gesamte Roman besteht aus Reminiszenzen, beginnend mit früherer Kindheit.
Die Erinnerungen an die Kindheit kamen mir schon recht ausführlich vor und spätestens ab S. 55 tauchte hartnäckig die Frage auf: Und warum muss ich das alles so genau wissen? Da werden voll im Ernst, in allen Einzelheiten die Vorkommnisse in Primärschule vor Augen der Leser ausgebreitet, z.B. wer welche Puppe wohin geschmissen hat und welche Jungs mit Steinen beworfen wurden, dann kommen die Prüfungen der Primärschule, die darauffolgende Mittelstufe, die Prüfungen der Mittelstufe, das Gymnasium, zu dem die Erzählerin dann geht und Lila in Vaters Werkstatt aushelfen muss, etc. Der Detailreichtum wirkte auf mich eher ermüdend, erforderte sehr viel Zeit und Geduld.
Ich habe erwartet, dass es mit den Reminiszenzen mal aufhört und man gefesselt lesen darf, was jetzt auf der Suche nach Lila in der heutigen Zeit passiert oder ähnliches. Leider nicht. Auf die Kindheit folgte die Jugend, ebenfalls in der epischen Breite, mit den Bildern der Armut in Neapel im armen Viertel der Nachkriegszeit, denn die beiden Mädels kommen aus armen Familien, Lila ist Schusters Tochter und Linús Vater ist Pförtner in der Stadtverwaltung. Die Autorin kümmert sich gar nicht darum, den Leser zu fesseln, Sympathie für ihre Protagonistinnen zu erzeugen, ihre Geschichte spannend aufzubauen und entsprechend zu präsentieren. Elena Ferrante ähnelt in der Hinsicht den Leuten, die sich sehr gerne reden hören, in aller Selbstverständlichkeit davon überzeugt, dass ihr pausenloses Geplapper auch freie Ohren findet. Die Art der Stoffdarbietung ist reine Berichterstattung durchwirkt mit einigen Dialogen.
Aus dem ganzen Ungetüm schälen sich irgendwann die Bilder der damaligen Zeit, der Zwei-Klassen-Gesellschaft: hier die Reichen und Schönen, dort die armen Malocher, die sich mal zum Spaziergang auf die besseren Straßen getraut haben, wie auch einige Probleme des Erwachsenwerdens.
Die beiden Mädels sind recht unterschiedlich, was in früherer Jugend noch deutlicher wird, halten aber zusammen, denn Linú, die Erzählerin, die brave Gymnasiastin, ist nach wie vor von Lila und ihrem Charakter fasziniert. Im letzten Drittel wurde es paar Seiten lang spannend, denn Lila hat zwei Verehrer und die beiden wollen sie heiraten. Das Mädel ist gerade fünfzehn, das macht aber nichts. Mit sechzehn wird geheiratet. Der Roman endet am Lilas Hochzeitstag. Es gibt noch weitere drei oder vier Bänder. Vllt im letzten wird die Auflösung für Lilas Verschwinden aus dem Prolog präsentiert.
Ich lese zwar gerne in Reihen und Romane über Freundschaft gehören zu meinen Favoriten, kann mich insg. schon für vieles begeistern, aber hier werde ich nicht so viel Durchhaltevermögen haben und Unmenge an Zeit aufbringen können. Die Sprache ist zwar griffig und aussagekräftig, aber zu viel Narrativ insg. und Unmenge an Details. Ferrantes Kunstfertigkeit hat es nicht geschafft, mich für ihre Geschichte zu entflammen. Keine Ahnung, warum man es lesen soll. Drei Sterne mit viel Wohlwollen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Sehr gut gelungen: gekonnt und spannend geschrieben, psychologisch fein austariert.

Boy in the Park – Wem kannst du trauen?
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„Boy in the park“ von A.J. Grayson hat mich sehr positiv überrascht. So fein psychologisch austariert, so gekonnt und spannend erzählt, mit einer gelungenen Überraschung zum Schluss!, kaum zu fassen, dass ...

„Boy in the park“ von A.J. Grayson hat mich sehr positiv überrascht. So fein psychologisch austariert, so gekonnt und spannend erzählt, mit einer gelungenen Überraschung zum Schluss!, kaum zu fassen, dass es Debüt der Autorin ist.
Ich habe mich insgeheim schon vom Thriller-Genre verabschiedet, war aber von der Leseprobe sehr positiv angetan: Gute, philosophisch angehauchte Beobachtungen, mit feinem Humor garniert und treffender Gesellschaftskritik angereichert, haben meine Neugier entflammt. Also habe ich dem Roman eine Chance gegeben und wurde keineswegs enttäuscht.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Heute in San Francisco und vor paar Jahrzehnten an div. Plätzen in US. Im Heute beobachtet Dylan Aaronsen, etwa Mitte vierzig, ein sympathischer Kassierer im Bio-Supermarkt, wie ein kleiner Junge in jeder seinen Mittagspausen zum Teig in den Park kommt. Eines Tage verschwindet er auf eine rätselhafte Art. In der Vergangenheit führen die Bandaufzeichnungen auf Kassetten(!) Gespräche der Psychologin P. Lavrentis mit einem geistig umnachteten, manisch-aggressiven, unter akutem Mordverdacht stehenden jungen Mann namens Joseph in einer geschlossenen Anstalt in US. Lange versteht man nicht, was die beiden miteinander zu tun haben, denn am Anfang wird größtenteils aus Dylans Ich-Perspektive von seinem Leben in der Großstadt erzählt. Seine Sicht der Dinge ist so unterhaltsam, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Nach und nach offenbart „Boy in the park“ seine gesellschaftskritische Seite. Z.B. Ein Dichter ist mit seiner Kunst völlig erfolglos und dazu verdammt, seinen Lebensunterhalt als Kassierer zu verdienen. Wer hat dagegen Erfolg? Der Chef des Supermarktes, ein Betrüger, der den neurotischen Großstädtern unnütze Wässerchen und Tütchen als Lebensmittelergänzungen tagein tagaus anschwätzt. Dieses Geschäft läuft ganz wunderbar, der Betrüger und die Betrogenen scheinen zufrieden. Dies und noch einige andere derartige Dinge sind so schön, mit Augenzwinkern gezeigt, dass diese Seite des Romans mich an unterhaltsame politische Satire denken ließ. Auch andere aktuelle Themen wie Waffenbesitz, Gewalt in der Familie, Einsamkeit, wachsender Armut in der amer. Gesellschaft sind gekonnt in den Erzählteppich hineingewoben worden. Und immer wieder taucht der Junge im Park, anfangs vor Dylans Augen in seinen Mittagspausen, später auf seiner Reise vor seinem geistigen Auge.
Im letzen Viertel wird der Roman z.T. zum Reiseführer. Die Fahrt von Frisco nach Nashville und zurück wird mit Landschaftsbeschreibungen angereichert, bildhafte Erinnerungen an einen Besuch bei Grand Canyon sind auch dabei. Ich empfand diese Schilderungen als eine angenehme Abwechslung. Dylans Sicht, denn auch hier führt er oft das Wort, seine freundliche Seite ist eine Bereicherung und gute Unterhaltung zugleich.
Es gibt auch einiges, das mir weniger gut gefiel: manches war zu breit erzählt, manches wiederholte sich unnötig, einige Züge und Gedanken, insb. im letzen Viertel, passten zu Dylan einfach nicht, manche Kindermissbrauchsszenen, obwohl eigentlich glaubhaft dargeboten, konnte ich trotzdem nicht abnehmen.
Der Roman liest sich aber trotz der Schwere einiger Themen sehr leicht und fabelhaft schnell, da recht flott geschrieben, in kraftvoller, aussagestarker Sprache. Es gibt einige geistreiche Sätze, die ihren gebührenden Platz in jedem Zitatenheft finden können. „Kurz wird mir klar, dass das alles Blödsinn ist, dass sich Lyrik und Pessimismus nur in der Art der Verzauberung unterscheiden, mit der jemand die Welt betrachtet. Aber ich fühle mich heute nicht verzaubert. Heute sehe ich bloß die Entenärsche.“ S. 74.
Zum Schluss wird alles aufgelöst, es wird klar, was der Junge im Park mit dem Ganzen zu tun hat. Überraschung zum Schluss halte ich für sehr gelungen. Kann man nicht voraussehen. Prima in Szene gesetzt.

Fazit: Ein sehr gut gelungener, gekonnt und spannend geschriebener, psychologisch fein austarierter Roman, der nicht nur prima unterhält und zum Nachdenken anregt, sondern auch auf emotionaler Ebene berührt. „Boy in the park“ hat mir viele erfüllte Lesestunden bereitet. Fünf Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung!