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Veröffentlicht am 15.09.2016

Gelungener Südfrankreich-Krimi! Urlaubsfeeling, sympathische Figuren, spannender Plot.

Tödlicher Tramontane
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Tödlicher Tramontane ist ein sehr gut gelungener Südfrankreich-Krimi, da er alles hat, was man von so einem Krimi erwartet.

Der Klappentext spiegelt die Ausgangssituation prima wieder. Ich war sofort ...

Tödlicher Tramontane ist ein sehr gut gelungener Südfrankreich-Krimi, da er alles hat, was man von so einem Krimi erwartet.

Der Klappentext spiegelt die Ausgangssituation prima wieder. Ich war sofort in die Geschichte eingetaucht. Es fühlte sich an, als ob ich im Urlaub in Banyuls-sur-Mer war: Nicht nur die Landschaften der Gegend, die Sonne über dem blauen Meer, sondern auch die dort lebenden Menschen und ihre Eigenarten wurden unterhaltsam und mit einer Prise Humor vermittelt. Man bekommt leicht eine Ahnung, wie die Einheimischen sind, wie sie ticken, was für sie wichtig ist und warum.

So ist auch der Protagonist Perez, ein etwa Mitte fünfzig alter Mann, der sich dem Genuss verschrieben hat und in Banyuls-sur-Mer zu denjenigen gehört, die im Rathaus zusammen mit dem Bürgermeister und paar anderen Herrschaften über die wichtigen Dinge im Ort mitentscheidet. Deshalb ist er überrascht, dass er übers Dorfradio vermittelt mitbekommt, dass eine Hafenerweiterung in Banyuls so gut wie sicher ist. Dieser enorm wichtige Punkt wurde im Rathaus aber nie offiziell besprochen. Da fängt Perez zu recherchieren an. Und kaum tritt er diesen Weg an, schon passieren jede Menge Dinge, die für viel Wirbel sorgen. Perez sieht sich gezwungen zu handeln und alles wieder in Ordnung zu bringen. Perez hat auch früher manche kleinere Sachen untersucht. Diese hier ist aber ganz schön verwoben und kompliziert, auch weil da böse, einflussreiche Jungs mitmischen. Da Perez sich aber direkt angesprochen fühlt, seine beste Freundin ist plötzlich verschwunden und ihre Tochter ist in großer Sorge, gibt es für ihn keine wenn und aber.

Alle Figuren sind sehr gut gelungen. Sie kommen so authentisch, so lebendig rüber, dass man den Eindruck gewinnt, man ist in Banyuls-sur-Mer zu Besuch zwischen all den Leuten und erlebt ihre Abenteuer und Sorgen mit. Perez ist ein Schmuggler, aber ein sehr sympathischer. Es hat eben Tradition. Und er tut nichts anderes als die jahrhundertalte Tradition zu pflegen, in dem er spanische Delikatessen am Fiskus vorbei ins Land holt. Was aber Gerechtigkeit im zwischenmenschlichen Sinne angeht, da kennt er kein Pardon.
Auch Nebenfiguren sind einfach herrlich. Perez‘ Koch Haziem ist schon ein Schmuckstück, aber auch alle andere haben ihre Eigenheiten und Interessen, die sie nach Kräften vertreten.

Der Plot ist auch sehr gut gelungen. Spannende Momente wechseln sich mit emotionalen und genussvollen ab. Es gibt auch eine Portion Gesellschaftskritik, gut verpackt, der Schluss ist prima, spannend, aktionsreich und erfüllend.

Der Erzähler Michael Schwarzmeier hat sehr gut gelesen und die Geschichte wunderbar bereichert. Ich konnte alle Figuren ihren Stimmen nach prima unterscheiden und problemlos mitgehen. Hat Spaß gemacht, diesem Krimi zuzuhören. So geht jede Hausarbeit leicht von der Hand, wenn man etwas Tolles zu hören hat.

Fazit: Tödlicher Tramontane ist ein sehr gut
gelungener Südfrankreich-Krimi, da er alles hat, was man von so einem Krimi erwartet: Urlaubsfeeling, sympathische Figuren, die Eigenarten der Einheimischen und ihre Art die Welt zu sehen, spannenden Plot und einen stimmigen Schluss.
Ich bin auf weitere Werke aus der Feder von Yann Sola gespannt und vergebe 5 wohl verdiente Sterne für diesen unterhaltsamen und prima gelungenen Regio-Krimi.
Hörbuch, Spieldauer: 9 Stunden und 47 Minuten, ungekürzte Ausgabe, gelesen von Michael Schwarzmeier.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Hector hat sich in der Folge 7 selbst übertroffen.

Hector und die Suche nach dem Paradies
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Klappentext: „Hector ist 25 und zum ersten Mal richtig verliebt. In Clotilde, eine Kollegin aus dem Krankenhaus, schön wie ein Botticelli-Engel, aber leider auch genauso unnahbar. Als mehrere Patienten ...

Klappentext: „Hector ist 25 und zum ersten Mal richtig verliebt. In Clotilde, eine Kollegin aus dem Krankenhaus, schön wie ein Botticelli-Engel, aber leider auch genauso unnahbar. Als mehrere Patienten der Klinik nach dem Genuss eines Tees apokalyptische Wahnvorstellungen haben, fliegt Hector ihr in Richtung Himalaja. Der Auftrag: zu verhindern, dass die falschen Leute hinter das Geheimnis des Tees kommen. In Katmandu liefern Buddhismus und Hinduismus Hector jede Menge interessante Antworten auf die Frage nach dem Paradies. Und ist diese Reise auch seine Chance, Clotilde doch noch näher zu kommen?“

Der KT spiegelt den Inhalt treffend wieder. Der Roman ist eine Reise im doppelten Sinn: Physisch reist Hector in die Berge. In der Hinsicht hat die „Hectors Suche nach dem Paradies“ etwas von einem Reisführer: Die Eindrücke von Katmandu, die Begehungen der Stupas, die Beschreibungen der Umgebung, die Wanderungen in den hohen Bergen zu den gut versteckten Klöstern, bildhafte Naturbeschreibungen, all das führ dazu, dass man sich wie im Urlaub fühlt.
Spirituell reist Hector auch, denn dazu gibt es ein reichhaltiges Kulturprogramm in Form von philosophisch angehauchten Diskussionen unter Freunden. Buddhismus, Hinduismus und Christentum werden unter die Lupe genommen und die Kernpunkte verglichen. Dazu sind diese schon stark verknappt und vereinfacht, aber gut auf den Punkt gebracht und sehr unterhaltsam dem Leser dargeboten. Diskutiert wurde auch über Gott (und seine Existenz) und die Welt, über Leben und Tod, u.a. wurde Unterschied zwischen Erleuchtung und Nirwana erklärt, alles sehr zugänglich, sodass man keine Verständigungsprobleme haben dürfte. Als Handlung gibt es eine spannende Verfolgungsjagd, gefährliche und weniger gefährliche Bösewichte, schöne junge Frauen, die sich Hector an den Hals werfen, jede Menge von feinem Humor und eine Prise Mystik.
Mir hat Spaß gemacht, sowohl den Diskussionen zu folgen, als auch bei der Verfolgungsjagt dabei zu sein. (Fast) alle wollen den sagenhaften Tee sein eigen nennen, der angeblich einen in Ekstase versetzen kann.
Alle Figuren sind prima gelungen und kommen sehr lebendig rüber. Selbst die Nebenfiguren haben nicht nur ihre eigenen Konturen bekommen, sie haben mich oft überrascht und hier und dort zum Schmunzeln gebracht. Die Pharma-Konzerne kommen da wohl kaum als Sympathieträger daher. Sie stellen zusammen mit den Vertretern der chinesischen und amerikanischen Regierungen die Bösewichte dar. Die amerikanischen Agenten avancieren erst zu Bösewichten, ihr typisches Gehabe, die Welt gehöre ihnen, ist prima, nur in einer Szene perfekt eingefangen worden, dann bekommen sie etwas von Witzfiguren. Köstlich. Die Gesellschaftskritik bei der Darstellung weiterer Figuren wie die humorvoll-ironische Kritik der weltpolitischen Verhältnisse vertiefen und bereichern die Geschichte. Diese sollte man sich nicht entgehen lassen.
Ich fand es schön, Hector mit seinen 25-Jähren zu begegnen, denn in den früheren Folgen ist er mindestens zehn Jahre älter und hat altersbedingt schon ganz andere Sorgen. In diesem Band ist er ein ganz junger Arzt, der seine Internatur absolvieren muss und sich für die Psychiatrie noch nicht entschieden hat.
Ich mag auch diesen Erzählstil: Schlicht und ergreifend, wie ich den in den ersteren Folgen der Reihe vor paar Jahren kennengelernt und meinen Spaß daran gefunden habe. Frei nach dem Motto: Geniale Dinge sind einfach.
Ich muss auch sagen, dass es sich erst hingezogen hat, bis sich der rote Faden der Geschichte erkenntlich zeigte, dann aber wurde sie spannend und je weiter ich las, desto besser gefiel mir „Hectors Suche nach dem Paradies“. In der zweiten Hälfte konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen.
Auf der spirituellen Reise mangelt es Hector an Frauen und Sex keineswegs. Dabei sind bestimmte Botschaften zwischen den Zeilen gut erkennbar, in etwa: eine starke Frau kann viel, mit einem passenden Mann kann sie schier Unmögliches erreichen.

Fazit: Tolle Unterhaltung, die nicht nur amüsiert, sondern auch zum Nachdenken anregt und der Welt Spiegel vors Gesicht hält. Hector hat sich selbst in der Folge 7 übertroffen. 5 von 5 möglichen Sternen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein ganz besonderes Leseerlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Die Straße der Geschichtenerzähler
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Klappentext: „Die junge Engländerin Vivian Rose Spencer reist 1914 zu Ausgrabungen in der Türkei. Hier, im sagenhaften Labraunda, lässt sie die strengen Konventionen ihrer Heimat weit hinter sich und ...

Klappentext: „Die junge Engländerin Vivian Rose Spencer reist 1914 zu Ausgrabungen in der Türkei. Hier, im sagenhaften Labraunda, lässt sie die strengen Konventionen ihrer Heimat weit hinter sich und verliebt sich in den Archäologen Tahsin Bey. Als der Krieg ausbricht, verlieren sich die beiden aus den Augen. Auf ihrer Suche nach ihm trifft Vivian in einem Zug nach Peschawar den jungen Paschtunen Qayyum Gul. Beide ahnen nicht, dass ihre Geschicke sich auf immer verbinden und sie eines Tages, auf der Straße der Geschichtenerzähler, wieder zusammenführen werden.“
Der KT lässt schon fast einen Frauenroman vermuten. So in etwa fängt er auch an. Die gemütlichen Abende bei den Ausgrabungen in Labraunda mit charismatischen Erzählern, die ihre Legenden um die mutigen Abenteurer zum Besten zu geben wissen. Von da aus ist es auch bis zu einer Liebesgeschichte nicht weit. Tahsin Bey, der unzählige Geschichten und Geheimnisse seines Landes kennt und mit seiner Faszination zur Archäologie auch die junge Viv Spencer beeindruckt, avanciert trotz des Altersunterschieds zum Zukünftigen von Viv.
Aber ein Frauen- oder Liebesroman ist „Die Geschichte der Straßenerzähler“ keineswegs. Die emotionale Seite, die in solchen Romanen oft ausführlichst in Szene gesetzt wird, ist hier weitestgehend ausgeklammert. Das gilt nicht nur für die Romantik. Es gibt bildhafte Schilderungen vom Leid der im ersten Weltkrieg verletzten Männer, aber was sich Viv dabei denkt und fühlt, da sie eine Zeit lang eine Hilfskrankenschwester in London ist, bliebt dem Einfühlungsvermögen der Leser überlassen.
Die ersten zwei Teile spielen in Jahren 1914-1916 und liefern nicht nur die romantischen Bilder in Labraunda, sondern lassen vor allem die Leser über den Unsinn eines Krieges anhand nachdenken. Starke anti-Kriegsbotschaften, tiefe Gedanken zu Werten und Moral in Kriegszeiten. Dabei geht es nicht nur um den ersten Weltkrieg. Es geht auch um Herrscher und Beherrschten im Sinne Machtinhaber und „Fußvolk“, wie Engländer und Pakistanis oder auch Osmanen und Armenier, oder auch Männer, die Krieg führen und Frauen, die nun ihre Pflicht als Krankenpflegerinnen erfüllen müssen. Prägnante Situationen dazu sind in opulenter Fülle da.
Frauenrechte, Stellung der Frauen in der Gesellschaft, ob in England oder in Peschawar, ist eines der zentralen Themen des Romans. Es werden englische Frauen in London und in Peschawar gezeichnet und die einheimische Frauen. Man sieht, wie stark sich ihre Lebensweisen, Bildungsstand und die gesellschaftliche Stellung unterscheiden!
Viv gibt in Peschawar kostenlosen Unterricht paschtunischem Jungen Najeeb. Seine Neugier und Wissensdurst bringen sie oft zum Schmunzeln, es macht ihr Spaß, ihn zu unterrichten. Er ist auch ein spannender Diskussionspartner. Viv schafft es mühelos, ihre Faszination für Archäologie auf ihn zu übertragen, denn sie sucht nach einem Stirnreif, der König Dareios dem helenischen Seefahrer Skylax im Jahr 515 vor Christus als Zeichen des Vertrauens geschenkt hat. Najeeb ist Feuer und Flamme, auch weil es um das historische Erbe seines Volkes geht. Najeebs Mutter reagiert aber alles andere als erfreut, als sie von diesen Unterrichtsstunden hört. Najeeb soll zu Mulla zum Unterricht gehen. Paschtunische Frauen erhalten gar keine Bildung. Ihnen wird von Kindesbeinen eine Mutterrolle anerzogen. Dies wurde sehr gelungen anhand von Najeebs kleiner Nichte gezeigt. Viv reist in Kürze nach England zurück.
Der letze Teil spielt 1928-1930. Vieles hat sich geändert. Hier spielt die Geschichte um den Aufstand der Paschtunen gegen die Briten, dem viele Einheimische zu Opfern fallen. Viv ist wieder in Peschawar. Najeeb hat sie eingeladen, um zusammen den Stirnreif auszugraben, dessen Fundort Najeeb ausfindig gemacht hat.
Die Geschichte ist komplex, facettenreich und so erfrischend anders, wie frei von der Leber erzählt! So leicht und locker kann nur eine Meisterin des Fachs solche schwierigen Themen angehen und diese gekonnt miteinander verweben. Ihre Schilderungen spielen mitunter mit allen Sinnen: man riecht, schmeckt, nimmt haptisch ihre Geschichte wahr. Es werden auch verschiedene erzählformen kombiniert, insb. im letzen Teil gibt es Briefe, Telegramme, Reminiszenzen, Geschichten über die Schicksale der paschtunischen Frauen, etc., die das Leseerlebnis bereichern.
Es ist nicht alles am Ende erklärt worden. Lose Enden, könnte man meinen. Aber ich finde, es muss nicht immer alles ins Kleinste ausgeschlachtet werden. Der rote Faden ist gut präsent, die Hauptbotschaften sind sehr klar dargelegt worden und angekommen, den Rest kann man sich denken.
Die Ausgestaltung des Buches ist etwas ungewöhnlich. Es fehlen die „Gänsefüßchen“ bei der direkten Rede. Paar Mal bin ich drüber gestolpert, aber sonst sieht der Text so entspannt und aufgeräumt aus, dass es mir wiederum gut gefallen hat.
Das Coverbild mit dem Mann, der die orientalisch anmutende Straße entlangläuft, halte ich für sehr gelungen. Das könnte die Straße der Geschichtenerzähler sein, zu der die Geschichte immer wieder zurückkehrt, daher ist der Titel ist doch recht passend.

Fazit: Die Straße der Geschichtenerzähler habe ich sehr gern gelesen. Das Buch wollte sich nicht aus der Hand legen lassen. Es ist ein ganz besonderes Leseerlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Man taucht ein eine völlig andere Welt ab, erfährt so viel über die damalige Zeit, über die Paschtunen und ihre Sicht der Dinge.
Auf dem Buchrücken liest man: „Kamila Shamsie verfügt über außergewöhnliche erzählerische Kraft.“ Salman Rushdie. Und: „Diesen aufregenden und zutiefst bewegenden Roman kann man gar nicht genug empfehlen.“ The Guardian.
Ja, das stimmt. Trotzdem dass hier wohl kaum mit Emotionen „gespielt“ wird, ist es ein bewegender Roman, der noch lange nachhallt. Gerne lese ich auch weitere Romane aus der Feder von Kamila Shamsie.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein sehr gut gelungener, lesenswerter Roman.

Bühlerhöhe
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Der Klappentext umreißt die Ausgangssituation recht griffig. Rosa, die Hauptprotagonistin, ist keine professionelle Agentin und ist nicht ganz überzeugt davon, was sie auf der Bühlerhöhe tun soll. Dem ...

Der Klappentext umreißt die Ausgangssituation recht griffig. Rosa, die Hauptprotagonistin, ist keine professionelle Agentin und ist nicht ganz überzeugt davon, was sie auf der Bühlerhöhe tun soll. Dem Geheimdienst ist zu Ohren gekommen, dass ein Anschlag auf Adenauer während seiner Ferien auf Bühlerhöhe im Schwarzwald geplant ist. Adenauer steckt in Verhandlungen über die finanzielle Wiedergutmachung für Verbrechen an Juden während der Nazi-Zeit. Das Geld braucht Palästina, so die offizielle Meinung. Es gibt aber auch andere Interessengruppen, die keineswegs das Geld von Deutschland akzeptieren wollen. Ein gelungenes Attentat würde die Verhandlungen zumindest anhalten oder gar stoppen.
Rosa war als Kind öfter mal in diesem noblen Hotel: Ihre ganze Familie verbrachte dort Sommerferien. Rosa kennt sich auf der Bühlerhöhe und mit den Gepflogenheiten der gehobenen Klasse gut aus, so die Argumentation von Mossad-Werber. Rosa sagt ja. Trotzdem, dass sie auch ihren kleinen Sohn allein in Palästina zurücklassen muss. So ist Rosa: eine Idealistin, die Interessen ihrer Gemeinschaft über alles stellt.
Auf der Bühlerhöhe trifft Rosa die Hausdame Sophie Reisacher, die sie gleich ins Visier nimmt und ihr stets nachspioniert. Beide Frauen haben etwas gemeinsam: Mitte dreißig, sehr attraktiv, auch was die Vergangenheit angeht, gibt es Übereinstimmungen. Ein Ziel vor Augen in der Gegenwart haben sie ebenso, aber auch einen grundlegenden Unterschied: Rosa dient selbstlos ihrer Gemeinschaft samt deren Ideen, Sophie kämpft nur für sich. Für Sophie Reisacher gibt es nur ihre eigenen Interessen. Sie will hoch hinaus: einen weltgewandten Mann heiraten, der ihr die Welt zu Füßen legt. Was aus den Vorhaben beider Frauen wird, ist eine interessante Aussage des Romans.
Es gibt noch eine Frau, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird. Agnes ist ein etwa zwanzigjähriges Bauernmädchen, das in dem benachbarten Gasthof Hundseck am Empfang arbeitet. Trotz des jungen Alters hat sie das Leben schon gezeichnet. Zum Ende des Krieges hat auch sie und ihre ältere Schwester das Schicksal vieler Frauen geteilt. Als die Truppen abzogen und hinter sich eine Wüste aus Trümmern und Leid hinterließen, wurden sie auch nicht verschont. Agnes Passagen sind in ihrem Dialekt verfasst, prima passend zu ihr. So wird wieder ein Kontrast deutlich, Hochdeutsch reden nur die beiden anderen Frauen.
Das Spiel mit Kontrasten wird auch bei anderen Figuren und ihren Beziehungen zueinander fortgesetzt. Rosa und ihre Schwester Rachel bilden ein weiteres Paar, das sich durch ihre Gegensätze anzieht. Rachel teilt Rosas kommunistischen Idealismus nicht. Sie ist Künstlerin, Freigeist, lebt mit einem zehn Jahre jüngeren Araber zusammen, was ein Eklat in jeder Hinsicht darstellt, und kümmert sich nur um ihr eigenes Leben. Rachel und ihre Sicht der Dinge stellen eine Bereicherung für den Roman dar. Die beiden Schwestern liefern sich hitzige Diskussionen über Frauenschicksale, Würde und Gelobtes Land.
Auch Agnes und ihre ältere Schwester Walburga sind so ein Paar, das wiederum mit Rosa und Rachel kontrastiert. Walburga lebt im Wald und würde sich nie verheizen im Hotel lassen. „Dem Hund traute sie mehr als allen Menschen zusammen, und der Wald war ihr lieber als jedes Dach über dem Kopf.“ S. 72.
Der Roman ist schon wegen all den Figuren und ihren Lebensgeschichten sehr lesenswert. Mithilfe von Sophies Figur wird von den Schicksalen der Menschen aus Elsass erzählt, u.a. von Sophies Oma: „Ihre Großmutter Odile, Jahrgang 1869, hatte in ihrem Leben viermal die Nationalität gewechselt, ohne Straßburg je zu verlassen. 1870 deutsch, 1918 französisch, 1940 wieder deutsch, 1945 wieder französisch.“ S. 316. Auch Sophie ist dementsprechend eine zerrissene Persönlichkeit und weiß nicht so recht, wo sie hingehört. Genau darauf zielt eine Weisheit aus dem Talmud zum Schluss.
Die Spannung kommt auf als Rosa, in Schwarzwald angekommen, mit einer unerwarteten Überraschung konfrontiert wird: Ari, der Profi-Agent, dessen Gattin sie spielen soll, kommt erst mal nicht, und Rosa muss sich im Alleingang in der Männerwelt mit all ihren Machtspielen und Seilschaften behaupten. Ganz zu Anfang ist ihre Unsicherheit und ihre Sicht der Dinge aufgrund der doppelten Identität ist sehr gelungen. Da ist man quasi Rosa, steckt in ihrer Situation, überlegt mit ihr zusammen, was nun zu tun wäre.
Als Kontrast zu Männerwelt gibt es auch Frauenwelt in dieser Geschichte. Die alten Verbindungen werden wieder belebt, Informationsaustausch hergestellt. So wird es möglich, Männer und ihre Pläne zu durchschauen und die notwendigen Schritte in letzter Minute einzuleiten.
Bis zur Hälfte hielt sich die Spannung aufrecht. Aber dann löste sie sich wohlgefällig bei Ankunft Aris auf. Auch den Strang um Identität des Mörders vom Araber und seine Motive hätte ich eleganter dargeboten gewünscht. Auch, was es mit Ari auf sich hatte, ließ sich früh durchblicken.
Der Schreibstil ist angenehm: schlicht und ergreifend, der es mit Leichtigkeit schafft, das Kopfkino zu starten. Die Erzählweise wechselt sich von Perspektive zu Perspektive, was die Geschichte reichhaltiger und authentischer macht. Die drei Erzählperspektiven wurden gekonnt und zielführend eingesetzt. Rosas Sicht legt dem Leser u.a. nahe, wie eine Jüdin denkt, deren Mutter und Bruder im KZ umgekommen waren: Sie kann nicht fassen, dass nun so getan wird, als ob kein Unrecht geschehen war. Auch andere Perspektiven offenbaren spannende Sicht der Dinge, und so steht ein facettenreiches Bild vom großen Ganzen da.
Gleichmäßig verteilt, gibt es wohl dosierten Überlegungen zur Kunst des Lebens, z.B. Sophies Überlegungen, was eine Ehe ist, wie man das Leben am besten meistert. Rosa liest in einer Zeitschrift, welche Art von Frauen Männer zu ehelichen pflegen. Zum Schluss gibt es bei der Beerdigung weise Worte aus dem Talmud, die dem Roman einen würdigen Schluss setzen.

Fazit: Ein gut gelungener, lesenswerter Roman, der sich mit Fragen der nationalen und persönlichen Identität, Schicksalen der Menschen nach dem Weltkrieg uvm. befasst und zum Nachdenken anregt. Mal kommt er wie ein Politthriller, mal wie ein Krimi, mal wie ein Frauenroman daher. Ein gelungener Mix. Die Atmosphäre des Schwarzwaldes ist auch prima erfasst worden.
Bühlerhöhe von Brigitte Glaser habe ich gerne gelesen. Der Roman hat mir einige erfüllte Lesestunden bereitet. Eine klare Leseempfehlung und vier besonders hell leuchtende Sterne.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Geschichte einer Frau, die unbeirrt ihren Weg gehen wollte.

Die Frau, die allen davonrannte
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Aganetha Smarts Lebensgeschichte kann damals wie heute als nicht konventionell gelten.
Es ist Geschichte einer jungen Frau aus einfachen Verhältnissen, die kaum Selbstinszenierung und Eitelkeit von Kindesbeinen ...

Aganetha Smarts Lebensgeschichte kann damals wie heute als nicht konventionell gelten.
Es ist Geschichte einer jungen Frau aus einfachen Verhältnissen, die kaum Selbstinszenierung und Eitelkeit von Kindesbeinen an in ihrer Bauernfamilie gelernt hat, was für ein dauerhaft erfolgreiches Leben in der Öffentlichkeit als It-girl nach ihrem ersten großen Erfolg nötig gewesen wäre.

Die Handlung ist auf zwei Ebenen angesiedelt. Den größten Teil des Romans, schätzungsweise 4/5, nimmt die Geschichte von der jungen Aganetha Smart und ihrer Familie in der Vergangenheit. Im Grunde besteht der Roman aus Rückblenden, die hin und wieder durch Szenen in der Gegenwart durchwirkt sind, und erklären, wie es zu der Situation gekommen ist, die man im Heute präsentiert bekommt.
Man trifft die 104-jährige Miss Smart im Pflegeheim. Sie wirkt sympathisch: humorig, leicht bissig, eine geübte Beobachterin, die das Handeln der Menschen aufgrund ihrer Lebenserfahrung gut einschätzen kann und ihre Meinung dem Leser unvermittelt liefert. Ihre philosophischen Ausführungen zum Thema Lüge beispielsweise sind schon recht spannend und zeugen von ihrem klaren Verstand und ihrer profunden Menschenkenntnis.

Eines Tages wird sie von zwei jungen Menschen abgeholt, die einen Film über sie drehen wollen. Lange versteht man nicht so recht, warum sie das tun wollen, denn der Grund, der anfangs genannt wird, kommt einem recht fadenscheinig vor. Aganethas großer Erfolg liegt bereits über 80 Jahre zurück. Erst zum Schlusss eröffnet sich das "große Geheimnis".

Die Rückblenden sind sehr schön und bildhaft geschrieben. Man fühlt sich in die damalige Zeit versetzt, Aggie war 1908 geboren, und hat keine Probleme die Welt mit den Augen der anfangs 9-Jährigen Aggie zu sehen. Der Besuch der Gräber am Friedhof zusammen mit der 22-jährigen Halbschwester wirkt schon fast poetisch und erzählt eine traurige Familiengeschichte. Vor dem Text gibt es übrigens einen Genealogiebaum der Familie Smart, der sich als sehr hilfreich bei den Ausführungen der Familienverhältnisse erweist.

Der Erzählstrang in der Gegenwart ist in Ich-Form verfasst. Das passt sehr gut, schafft so eine Nähe zu der 104-Jährigen Miss Smart, dass man ihr alles abnehmen kann. Auch dass ihre Erinnerungen rein assoziativ und ganz plötzlich einsetzen, nicht immer chronologisch, und erzählen die eine oder andere Episode aus ihrem Leben als junge und später 40-Jährige Frau. Man begleitet Aggie bei ihrem Lauftraining, beim neuen Leben in der Stadt und bei ihrem großen Erfolg.
Es wird einem auch glasklar, was es heißt, so alt zu werden, welche psychische Belastung es ist, alle verloren zu haben, die man je geliebt hat, und welche physische Belastung man sich selbst und den Pflegern ist, i.e. man ist ständig auf fremde Hilfe angewiesen, selbst beim Teetrinken, denn der Körper macht nicht mehr viel mit. Rollstuhl ist die gängige Möglichkeit der Fortbewegung, am besten wenn jemand diesen rollt.

Das Laufen als Prozess, als Form des Daseins samt all den Empfindungen dabei, ist sehr plastisch beschrieben. Da gibt es an mehreren Stellen schöne Zeilen dazu, sodass man die Laufschuhe festschnüren und selbst gleich loslaufen will. "Ich finde nicht in meinen Körper; es ist ein einziger Kampf. Ich treibe haltlos dahin Treibe dem Verschwinden entgegen.
Außer beim Laufen. Wenn ich laufe, bin ich zugleich in meinem Körper und außerhalb. Ich spüre diese extremsten körperlichen Anstrengungen, während ich gleichzeitig völlig frei fühle, als flöge ich auf und davon. Ich will ich nicht daran erinnern, was mir passiert ist. Ich will nicht über die Vergangenheit nachdenken. Ich kann es in gewisser Weise gar nicht. Ich bin für Reue nicht geschaffen." S. 269.

Besonders die Freundschaft von Aggie und Glad, ihrer Mitstreiterin auf der Laufbahn und später auch in anderen Bereichen des jungen Lebens, hat einen großen Raum eingenommen. Diese Freundschaft zweier Rivalinnen ist psychologisch tief und einfühlsam dargelegt worden, wobei es nie ins Pathetische rutscht und eher bei nüchternen Darstellungen bleibt. Der Kontrast der Persönlichkeiten lässt Aggies Charakter umso deutlicher erscheinen und stimmt nachdenklich. Man fragt sich, lautet die Botschaft in etwa: Nicht der/die technisch, fachlich Bessere auf lange Sicht gewinnt, sondern der/diejenige, der/die mehr soziale Kompetenz wie Hartnäckigkeit und Ausdauer an den Tag legt? Und/oder auch: Wenn jemand nicht von der Persöhnlichkeit her es mitbringt, der kann nicht dauerhaft erfolgreich bleiben, zumindest in dem Sinne, wie die breite Masse den Begriff Erfolg begreift?

Auch Fragen der Identität und der Treue zu sich selbst sind eingehend an Aggies Beispiel/Ausführungen behandelt worden. Mir schwant, Aggies Geschichte ist auch eine Art Studie zum Thema, was passiert, wenn jemanden, der gar nicht auf viel Aufmerksamkeit vorbereitet ist und sonst keine Lust hat im Trubel der Eitelkeiten mitzuspielen, der große Erfolgt trifft.

Auch Themen wie Leben, Sterben, ein Kind zur Welt bringen, Familienleben, Verantwortung, Freundschaft, Liebe, Erfolg sind ein fester Bestandteil dieses Romans und sind auf eine nicht-triviale Art und Weise dargeboten worden.

Frauendiskriminierung und Frauenausbeutung ist hier auch ein Thema, das in diesem Roman insb. im letzten Drittel deutlich wird. Im Nachwort liest man: "Nur damit niemand glaubt, Diskriminierung im Laufsport gäbe es heute nicht mehr: im Jahr 2011 verfügte der Weltleichtathletikverband, dass offizielle Rekorde von Frauen nur in reinen Frauen-Laufwettkämpfen aufgestellt werden können. Damit soll verhindert werden, dass Frauen mit schnelleren Tempomachern laufen ...Durch die neue Regelung wurden zuvor von Frauen in gemischten Laufwettkämpfen aufgestellte Rekorde ungültig."S. 346.
Nach der Sportkarriere muss Aggie ihren Platz in der Redaktion räumen: "Der unausgesprochene Grund ist das Jahr: 1945. Das Kriegsende und damit die Menge tapferer junger Männer, die nach Hause kommen und ihre Stellen von Frauen wie mir besetzt finden. Sollte ich da nicht schleunigst das Richtige tun und beiseitetreten, um einem Ernährer Platz zu machen? Ich kann noch von Glück sagen, dass man mich nicht einfach vor die Tür setzt. Auf die ich jetzt zumarschiere, Schaum vorm Mund. Ich muss dringend laufen gehen." S. 289.
Auch das Bild von Aggies Mutter, die als Heilpraktikerin und Hebamme im Dorf tätig ist, liefert Beispiele dafür. Zu ihr kommen oft genug Mädchen, die sich von den Männerversprechungen leiten ließen und nun doch nicht geehlicht wurden.

"Ich habe nachgedacht über den Erfolg, Miss Gibb. Was macht ...eine große Sportlerin aus?"S. 297. Das scheint die Frage zu sein, auf deren Antwort Aggies Sportkarriere hinausläuft. Wohl kaum nur das Talent, die schnellen Beine, die Physis. Bei den Zutaten ist das Wichtigste nicht dabei, auch hier nocht: "Irgendwie ging es nie weg - das Verlangen zu konkurrieren, gegen andere anzutreten, zu gewinnen oder zu verlieren, Teil eines Rhythmus zu sein, der größer ist als ich. Eines ganzen Felds von Anstrengung und Verausgabung." S 309.

Die Geschichte hat auch eine zutiefst tragische Seite, wenn man an Tattie, Aggies Schwägerin, denkt. Da taucht die Frage auf: wie viel Unheil, dass man nie wieder gutmachen kann, durch menschliche Kälte und Gleichgültigkeit entsteht.

Die Überraschung zum Schluss kommt nicht zu kurz, wobei es sehr nah an Leser-hinters-Licht-führen kommt. Einige Seiten zuvor wurde in diesem Zusammenhang etwas ganz anderes erklärt, was falschen Schluss ziehen lässt.

Was ich weniger gut fand:
Die Infoversorgung erschien mir mancherorts suboptimal: Der 104-jährige Aggie wird erzählt, was sie schon weiß und zuvor ihre Meinung dazu abgegeben hat.
Die Handlung in der Gegenwart ist recht begrenzt.
Der Spannungsbogen konnte nicht überall aufrechterhalten werden. Einige Durchhänger ließen mich das Buch beiseitelegen.

Sonst ist der Schluss ist sehr gut: stimmig, atmosphärisch, berührend.

Fazit: Ein gelungener Roman über eine Frau, die konsequent ihren Weg ging.