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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Guter Schreibstil, langweilige Geschichte

Nachttankstelle
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Ein netter Langweiler Ende 30, der ein bisschen ziellos durchs Leben stolpert, Musiker-Vergangenheit, eine Kneipe, in der sich am Ende alle finden und natürlich Berlin als Schauplatz – das sind die Zutaten ...

Ein netter Langweiler Ende 30, der ein bisschen ziellos durchs Leben stolpert, Musiker-Vergangenheit, eine Kneipe, in der sich am Ende alle finden und natürlich Berlin als Schauplatz – das sind die Zutaten von
Tom Liehrs Roman „Nachttankstelle“ und irgendwie kommt einem das alles doch schon sehr bekannt vor. Tatsächlich musste ich beim Lesen relativ oft an „Herr Lehmann“ von Sven Regner denken, ein bisschen auch an die Werke von Frank Goosen, nur dass „Nachttankstelle“ im Vergleich sehr viel schlechter abschneidet. Das liegt an dem extrem dünnen,
langatmigen, vorhersehbaren und noch dazu überkonstruierten Plot. Wir begleiten den 38-jährigen Uwe Fiedler, dessen Leben seit Jahren stagniert: Er bekommt sein Studium nicht fertig und schiebt stattdessen Nachtschichten an einer Tankstelle. Weil es praktisch ist, lebt er auch noch mit seiner Ex-Freundin Rieke zusammen. Als ihn Rieke aber eines
Tages rausschmeißt, wird Uwe gezwungen seine Komfortzone zu verlassen.Eine neue Bekanntschaft und eine Erbschaft helfen ihm dabei.

Das Leben der Hauptfigur ist trostlos und die ganze Geschichte an sich ist es auch. Es gibt keine richtigen Höhen und Tiefen, die paar Wendungen konnte man erahnen oder sind sehr an den Haaren herbeigezogen und generell fehlen größere Spannungsmomente oder tiefergehende Psychogramme. Normalerweise hätte ich so eine Geschichte abgebrochen, wäre da nicht Tom Liehrs Schreibstil, denn der hat mir wirklich sehr gut
gefallen. Liehr erzählt sehr kreativ, mit viel Wortwitz, sehr menschlich und manchmal auch tiefgründig. Nur leider reicht das halt nicht immer. „Nachttankstelle“ war mein erstes Buch von Tom Liehr und leider nicht so mein Fall. Weil mich der Schreibstil aber wirklich überzeugt hat, werde ich mir auf jeden Fall nochmal ein anderes Buch von ihm anschauen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Der Papst hat einen Traum

Der Teufel in der Weihnachtsnacht
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„Der Teufel in der Weihnachtsnacht“ ist eine humorvolle und zugleich bitterböse Erzählung auf knapp 60 Seiten: In der Nacht vor Weihnachten schläft der Papst recht schlecht – er hat wieder einmal zu viel ...

„Der Teufel in der Weihnachtsnacht“ ist eine humorvolle und zugleich bitterböse Erzählung auf knapp 60 Seiten: In der Nacht vor Weihnachten schläft der Papst recht schlecht – er hat wieder einmal zu viel von Schwester Innocentias Christstollen genascht, der ihm jetzt schwer im Magen liegt. Plötzlich steht der Teufel an seinem Bett und kaum hat sich der Papst versehen, sitzt er schon neben Satan in dessen rotem Ferrari, braust durch die Nacht und erhält Nachhilfe in Sachen Betriebswirtschaft, Marketing und innovativer Personalführung. Denn der Teufel weiß natürlich wo der Schuh drückt: Der Kirche laufen die Schäfchen weg, das Image bröckelt, die Einnahmen sinken. Und so präsentiert der Teufel dem Papst eine Reihe von Ideen, mit denen das Image der Kirche aufpoliert werden könnte: vom Musical über den elektrischen Beichtstuhl bis hin zu Werbespots, die die Menschen wieder zum Beten animieren sollen. Zum Glück ist aber alles nur ein Traum – oder vielleicht doch nicht? Lewinsky erzählt frech, mit Tiefgang und mit ganz viel schwarzem Humor. Eine hochamüsante Erzählung, die kritisch Bezug auf die katholische Kirche in der heutigen Zeit nimmt, aber auf keinen Fall beleidigend ist.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Tolle Familiensaga

Das Glas der Grandi
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Drei Familien aus drei Ländern, die eine Kunst, eine Leidenschaft eint: Das Glasbläserhandwerk. Das Schicksal führt sie in der Nachkriegszeit zusammen und jeder will auf seine Weise das Erbe seiner Familie ...

Drei Familien aus drei Ländern, die eine Kunst, eine Leidenschaft eint: Das Glasbläserhandwerk. Das Schicksal führt sie in der Nachkriegszeit zusammen und jeder will auf seine Weise das Erbe seiner Familie retten. In ihrer mitreißenden Familiensaga „Das Glas der Grandi“ gibt Theresa Révay ihren Lesern einen detaillierten Einblick in die Geschichte des europäischen Glashandwerks. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem die Glasbläserkunst aus Murano – die kleine Insel in der Lagune Venedigs ist seit über 1.000 Jahren für diese Kunst bekannt und gilt sogar als Wiege der mitteleuropäischen Glaskunst. Es geht aber auch um die Glashütten in Lothringen und Böhmen.

Livia Grandi – Hauptfigur in Theresa Révays Familiengeschichte - entstammt einer alteingesessenen venezianischen Glasbläserdynastie. Nach dem Zweiten Weltkrieg lastet das Familienerbe ganz allein auf ihren Schultern, der geliebte Großvater stirbt, der Bruder kehrt nur als Schatten seiner selbst aus dem Krieg zurück. Dazu kommt noch, dass die Geschäfte in dieser schweren Zeit sehr schlecht laufen. Einzige Rettung könnte ein kleines rotes Büchlein sein, dass Livia von ihrem Großvater am Sterbebett anvertraut bekommen hat. Seit dem 16. Jahrhundert wird das Buch von Generation zu Generation weitergegeben und es enthält das in der Branche verschollen geglaubte Rezept des berühmten Chiaroscuro-Glases. Doch dann wird Livia von ihrem Bruder aus der Geschäftsleitung verdrängt. Enttäuscht flüchtet sie sich in die Arme des Erben einer bekannten Lothringer Glashütte.

Theresa Révay hat für ihren Roman sehr gut recherchiert und so bekommt der Leser einen recht guten Einblick in den Beruf der Glasbläser und Graveure sowie viele interessante Infos zur Entwicklung des Glashandwerks in Italien, Frankreich, Böhmen und Bayern. Nebenbei schafft es Révay aber auch ein einfühlsames und umfangreiches Bild der Nachkriegsgeneration in Europa zu zeichnen – einer Generation, die nach dem Krieg erst einmal vor den Trümmern ihrer Existenz stand und nochmal ganz von vorne anfangen musste. Besonders bewegend schildert Révay dabei das Schicksal der Sudetendeutschen, die aufgrund der sogenannten Benes-Dekrete aus Böhmen deportiert wurden. Mit Livia haben wir zudem eine starke Frau, die gegen die Widerstände ihrer Zeit um ihr Glück kämpft.

Fazit: Eine rundum gelungene Familiensaga: packend, bewegend, gut recherchiert, unterhaltsam und spannend.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Spannend und bewegend

Das Echo der Schuld
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Spannend, raffiniert und bewegend: Und wieder einmal hat mir ein Roman von Charlotte Link unheimlich gut gefallen. In „Das Echo der Schuld“ werden zunächst zwei Handlungsstränge nebeneinander erzählt: ...

Spannend, raffiniert und bewegend: Und wieder einmal hat mir ein Roman von Charlotte Link unheimlich gut gefallen. In „Das Echo der Schuld“ werden zunächst zwei Handlungsstränge nebeneinander erzählt: Zum einen steht die Engländerin Virginia Quentin im Mittelpunkt der Geschichte. Sie führt ein schönes Leben als Gattin eines erfolgreichen und wohlhabenden Besitzers einer Bank. Die meiste Zeit des Jahres verbringt sie recht abgeschottet mit ihrer kleinen Tochter auf dem Landsitz der Familie in King´s Lynn. Trotzdem gibt es etwas in ihrer Vergangenheit, das ihr Leben überschattet und sie innerlich nicht zur Ruhe kommen lässt. Als Virginia eines Tages zwei deutschen Touristen, deren Segelschiff vor der Küste Schottlands gekentert ist, hilft, gerät ihr Leben aus den Fugen. Auf der anderen Seite geht in dem kleinen Örtchen King´s Lynn ein pädophiler Massenmörder um. Charlotte Link erzählt sehr vereinnahmend und verwebt die beiden Handlungsstränge gekonnt zu einer aufwühlenden, spannenden und logisch durchdachten Geschichte. Auch die Charaktere sind wieder so detailliert und authentisch gezeichnet, wie man das von Charlotte Link gewohnt ist. Sogar die Nebenfiguren sind psychologisch so ausgeklügelt, dass man ihnen nahezu auf den Grund ihrer Seele blicken kann. Das Ende lässt einen mit einer Gänsehaut zurück. Wieder einmal gute, spannende Unterhaltung.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Nicht scharfzüngig genug

Hier ist alles Banane
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Erich Honecker, ehemaliger Staatschef der DDR, starb am 29. Mai 1994 in Chile – so glaubt es die Welt. Doch jetzt kam die Wahrheit ans Licht: In Wirklichkeit hat Honecker seinen Tod damals nur vorgetäuscht ...

Erich Honecker, ehemaliger Staatschef der DDR, starb am 29. Mai 1994 in Chile – so glaubt es die Welt. Doch jetzt kam die Wahrheit ans Licht: In Wirklichkeit hat Honecker seinen Tod damals nur vorgetäuscht und lebte bis vor kurzem mit seiner Frau in einem gepflegten Reihenhaus im Stadtteil La Reina in Chile. Das beweisen die geheimen Tagebücher, die Honecker zwischen den Jahren 1994 bis 2015 verfasst hat und die sein ehemaliger Chauffeur Jorge Nicolás Sanchez Rodriguez jetzt veröffentlicht hat. Der Herausgeber und auch die Tagebücher sind natürlich nicht echt. Dahinter stecken der Literaturagent Daniel Wichmann und der Journalist Ralf Heimann. Das Autorenduo versucht mit „Hier ist alles Banane“ etwas, was Timur Vermes vor ein paar Jahren schon mit Adolf Hitler in „Er ist wieder da“ durchgespielt hat: Es geht um die Frage, was wäre, wenn ein diktatorischer, demagogischer Machthaber der Vergangenheit in der heutigen Zeit auftaucht. Stilistisch sind die beiden Werke nicht zu vergleichen. „Hier ist alles Banane“ ist keine Prosa, sondern besteht tatsächlich aus einzelnen Tagebucheinträgen. Darin plaudert Honecker nicht nur über sein Privatleben und weint ein bisschen der guten alten Zeit in der DDR hinterher, sondern kommentiert auch die weltpolitische Lage zwischen 1994 und 2015.

Ein paar Ideen im Buch und ein paar Gedankengänge, die die Autoren Honecker in den Mund legen, sind schon recht amüsant. Besonders lustig ist das Buch vor allem, wenn Honecker seinen Senf zum Weltgeschehen gibt. So könnte sich Honecker den Posten als Staatschef in der Schweiz vorstellen. Dort sei Startkapital vorhanden, nur die ewigen Volksabstimmungen müssten abgeschafft werden. Auch nett ist der unerschütterliche Glauben Honeckers an die Produktivität der DDR. Der Despot Honecker verliert auch ein bisschen an Schrecken, weil ihn die Autoren generell als einen recht dümmlichen Macho darstellen.

Obwohl ich für solche Art von Satire durchaus zu haben bin, hat „Hier ist alles Banane“ bei mir nicht richtig gezündet. Das Buch hat humorige Ansätze, doch schleicht sich manche Länge ein. Manche Anekdote bemüht das Autorenduo auch einfach zu oft, um dann noch darüber lachen zu können. Außerdem war mir das Werk – auch im Vergleich zu „Er ist wieder da“ – nicht scharfzüngig und nicht scharfsinnig genug, um eine rundum gelungene Satire zu sein. Ich konnte auch nicht wirklich etwas aus dem Buch ziehen – bei solchen Satiren erwarte ich aber schon auch, dass der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten wird. In der Summe gute Idee, gute Ansätze, aber leider mit ein paar Schwächen in der Umsetzung.