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Veröffentlicht am 04.06.2017

Ergreifende Mutter-Tochter-Geschichte

Die vergessene Frau
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Tara Hylands ergreifender Roman beginnt im Jahr 1946 auf einer entlegenen Farm in Irland. Die 17 Jahre alte Franny – ein gutaussehendes, talentiertes Mädchen – träumt von einem anderen, einem besseren ...

Tara Hylands ergreifender Roman beginnt im Jahr 1946 auf einer entlegenen Farm in Irland. Die 17 Jahre alte Franny – ein gutaussehendes, talentiertes Mädchen – träumt von einem anderen, einem besseren Leben. Irgendwann einmal, so schwört sie sich, wird sie der Enge ihres Elternhauses entfliehen und wie ihre Idole einer berühmter Filmstar werden. Doch dann wird Franny ungewollt schwanger. In ihrer Not flieht sie nach London und kommt dort bei einer verwitweten Frau in Whitechapel unter. Um sich und ihre kleine Tochter Cara über Wasser zu halten, arbeitet Franny hart, verliert aber nie ihren Traum aus den Augen. Eines Tages bietet sich für Franny eine einmalige Chance, doch dafür muss sie ein großes Opfer bringen.

Tara Hyland erzählt das zum Teil harte und tragische, aber auch sehr erlebnisreiche Leben von Franny und ihrer Tochter Cara so lebendig, einfühlsam und mitreißend, dass man das Buch nur sehr schwer zur Seite legen kann. Obwohl der Roman rund 700 Seiten umfasst, hab ich das Buch fast in einem Rutsch gelesen. Der Leser begleitet Mutter und Tochter fast 30 Jahre lang – von 1946 bis Anfang der 70er Jahre. Man lernt dabei Glanz und Glamour der goldenen Hollywood-Ära in den 50er kennen und kommt auch mit den Schattenseiten des Ruhms in Berührung. Gleichzeitig erfährt der Leser aber auch einiges über die Lebenssituation der Arbeiterfamilien im zerbombten London der Nachkriegszeit, taucht ein in die Londoner Unterwelt und erlebt die pulsierenden 60er Jahre in der englischen Hauptstadt. Ein Teil des Romans spielt auch in der kargen Landschaft Irlands. Erzählt wird die Geschichte meist abwechselnd aus der Sicht von Franny und Cara. Obgleich der Roman mit sehr vielen Themen vollgepackt ist und die beiden Protagonistinnen wirklich viele Schicksalsschläge erleiden, wird die Geschichte niemals kitschig oder unglaubwürdig. Im Gegenteil: Der Roman bleibt bis zum Ende unterhaltsam, ergreifend und spannend. Das liegt vor allem an den starken und echten Charakteren. Vor allem Cara wächst einem ans Herz und man bekommt irgendwann das Gefühl, sie persönlich zu kennen. Grandios ausgearbeitet ist auch das Beziehungsgeflecht zwischen Franny und Cara – kompliziert, fragil, bitter und doch so liebevoll. Summa summarum ist „Die vergessene Frau“ eine mitreißende und bewegende Mutter-Tochter-Geschichte zwischen Irland, London und dem schillerenden Hollywood.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Wenn jemand in das Leben anderer dringt

Phobia
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Was für eine schreckliche Vorstellung: Mitten in einer kalten Dezembernacht hört Sarah Bridgewater ihren Mann nach Hause kommen, obwohl der eigentlich auf einer Geschäftsreise sein müsste. Doch der Mann, ...

Was für eine schreckliche Vorstellung: Mitten in einer kalten Dezembernacht hört Sarah Bridgewater ihren Mann nach Hause kommen, obwohl der eigentlich auf einer Geschäftsreise sein müsste. Doch der Mann, den Sarah schließlich in der Küche antrifft, ist nicht ihr Ehemann Stephen. Er trägt jedoch den Anzug ihres Mannes, hat dessen Koffer bei sich und ist mit Stephens Auto nach Hause gekommen. Der Fremde behauptet, Stephen zu sein, und weiß Dinge, die nur Sarahs Mann wissen kann.

Wulf Dorns Psychothriller „Phobia“ beginnt wie ein schlimmer Albtraum – düster und nervenaufreibend. Sofort wird der Leser in den Bann gezogen und muss sich mit einer der menschlichen Urängste auseinandersetzen: dem Gefühl, sich nirgendwo mehr sicher zu fühlen. Gerade zu Beginn der Geschichte kommt Sarahs Verzweiflung sehr gut rüber. Was allerdings so vielversprechend beginnt, flacht im Laufe der Geschichte immer mehr ab. An sich ist ja die Idee des Thrillers grandios: Da schleicht sich jemand in das Leben anderer bzw. versucht die Identität von jemanden zu stehlen. Dorn hat aber aus dem Plot viel zu wenig rausgeholt. Das führt unweigerlich dazu, dass die ganze Geschichte viel zu durchsichtig ist und für einen Thriller eigentlich zu lahm. Dorn verzettelt sich in Nebenhandlungen, die überhaupt nichts zur Geschichte beitragen. Zum Teil laufen diese sogar einfach ins Leere und lassen viele unbeantwortete Fragen zurück. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Dorn noch viel stärker in die Gedankenwelt des Täters eintaucht und generell auch einfach noch viel mehr mit der Psyche des Lesers spielt. So kommt das Motiv zum Schluss fast ein wenig belanglos rüber. Zu gute halten kann man dem Autor seinen leichten und angenehmen Erzählstil; er verwendet eine einfache und schnörkellose Sprache und das Buch liest sich dadurch weg wie nichts. Auch schafft es Dorn die ganze Handlung sehr logisch zu erzählen. Die Botschaft, die bei dem Buch mitschwingt, ist auch ganz schön. Fazit: Ein unterhaltsames Buch für Zwischendurch, für einen Thriller allerdings nur mäßig spannend. Und noch etwas am Rande: In „Phobia“ taucht zwar auch der Psychiater Mark Behrendt aus Wulf Dorns erstem Thriller „Trigger“ auf. Eine direkte Fortsetzung ist „Phobia“ aber nicht.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Ein Wohlfühl-Roman

Die Frauen der Rosenvilla
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Rosen, Schokolade und ein Familiengeheimnis – Teresa Simons Roman beginnt im Frühjahr 2013: Anna Kepler, Erbin einer Schokoladendynastie, hat gerade viel um die Ohren: In ihrer Heimat Dresden hat sie gerade ...

Rosen, Schokolade und ein Familiengeheimnis – Teresa Simons Roman beginnt im Frühjahr 2013: Anna Kepler, Erbin einer Schokoladendynastie, hat gerade viel um die Ohren: In ihrer Heimat Dresden hat sie gerade ihren zweiten Schokoladenladen eröffnet. Außerdem ist Anna gerade dabei die Familienvilla in Blasewitz zu renovieren. Das DDR-Regime hatte Annas Opa, dem die Villa zuletzt gehörte, einst enteignet. Erst lange nach dem Fall der Mauer ist die Immobilie in den Familienbesitz zurückgekehrt. Anna möchte nun möglichst alles wieder so herstellen, wie es einmal war. Als sie den einst so berühmten Rosengarten der Villa neu anlegt, findet sie ein vergrabenes Bankschließfach. Darin mehrere lose Tagebuchseiten, Schmuck und andere Gegenstände. Anna beginnt fasziniert zu lesen und stößt auf ein Geheimnis, das fast 100 Jahre alt ist.

„Die Frauen der Rosenvilla“ ist eine reizende Familiengeschichte und ein richtiger Wohlühl-Roman. Zu gerne würde man Anna in ihrem Laden „Schokolust“ bei einer Tasse Kakao Gesellschaft leisten. Und wenn sie in ihrer Küche werkelt und neue Pralinen kreiert, läuft einem richtig das Wasser im Mund zusammen. Auch der Rosengarten wird so anschaulich beschrieben, dass man die vielen exquisiten Rosensorten richtig vor sich sieht und ihren Duft erahnt. Und wer würde sich in so einer tollen Villa nicht wohl fühlen? Natürlich geht es in dem Roman aber nicht nur um Rosen und Schokolade. Anhand der Tagebucheinträge, die Anna findet, reist der Leser zurück in die Vergangenheit – einmal in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, dann in die Zeit zwischen den Weltkriegen und schließlich in die Zeit während des dritten Reichs. Dabei trifft man auf drei Frauen aus drei Generationen, die alle einmal in der Rosenvilla gelebt haben. Nach und nach lüftet man zusammen mit Anna ein tragisches Familiengeheimnis. Auch ein paar historische Fakten über die Weltkriege und den Schauplatz Dresden hat die Autorin eingestreut. Zum Schluss hin war mir die Geschichte zwar ein bisschen zu arg konstruiert und es gibt schon sehr viele Zufälle. Auch die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart hätte eleganter gelöst werden können, trotzdem hab ich den Roman richtig gern gelesen. Dazu hat vor allem der flüssige und lebendige Schreibstil beigetragen. Ein wirklich schöner Roman fürs Herz und für einen entspannten Sonntagnachmittag bei einer großen Tasse heißer Schokolade.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Meisterhafte Dialoge

Der Verdacht
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Bern, 1948: Kommissar Bärlach liegt todkrank im Krankenhaus, er hat vielleicht noch ein Jahr zu leben. In der Zeitschrift „Life“ stößt er auf das Bild des berüchtigten Arztes Nehle, der im Konzentrationslager ...

Bern, 1948: Kommissar Bärlach liegt todkrank im Krankenhaus, er hat vielleicht noch ein Jahr zu leben. In der Zeitschrift „Life“ stößt er auf das Bild des berüchtigten Arztes Nehle, der im Konzentrationslager Stutthof Gefangene ohne Narkose operiert hat. Bärlachs behandelnder Arzt und Freund Dr. Hungertobel erschrickt, als er das Bild sieht, denn er glaubt, den Arzt zu kennen. Er ist jetzt der Leiter einer erlesenen Privatklinik in Zürich. Obwohl er sehr krank ist und eigentlich auch schon pensioniert, beginnt Bärlach zu ermitteln. Denn er will die „Unmenschlichkeit in jeder Form“ bekämpfen.

Dürrenmatts „Der Verdacht“ mutet auf den ersten Blick an wie ein Kriminalroman, ist aber weitaus mehr – nämlich eine philosophische Betrachtung über Moral, Glaube, Freiheit und Überzeugung. Vor allem geht es um die Frage: Wer hindert den Menschen daran böses zu tun, wenn er an nichts glaubt? Zwischendurch setzt sich Bärlach auch sehr selbstkritisch mit der Rolle der Schweiz während des dritten Reichs auseinander. Die Krimihandlung bildet lediglich den Rahmen. Es soll aber auch gar nicht darum gehen, herauszufinden wer der Täter ist.

Dürrenmatts große Stärke sind seine Dialoge. Stellenweise sind diese wirklich meisterhaft – wie der Dialog zwischen Bärlach und dem verdächtigen Arzt im zweiten Teil des Romans. „Zeigen Sie mir Ihren Glauben“ fordert da der Arzt den Kommissar auf. Als Bärlach schweigt, setzt der Arzt nach: „Man liebt es heute zu schweigen, wenn man gefragt wird, wie ein Mädchen, dem man eine peinliche Frage stellt. Man weiß ja auch nicht recht, woran man eigentlich glaubt.“ Wie soll man bei so viel Sprachlosigkeit, dem Bösen in der Welt etwas entgegensetzen können? „Der Verdacht“ ist nicht Dürrenmatts bester Roman, aber trotzdem sehr zu empfehlen. Tiefgründig, philosophisch und exzellent geschrieben.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Kulturgeschichte des Putzens

Wisch und Weg
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Ein Buch rund ums Putzen – wer glaubt, dass das langweilig ist, muss einen Blick in Maria Antas Buch „Wisch und weg“ werfen. Die Autorin beschäftigt sich darin mehr oder weniger mit der Kulturgeschichte ...

Ein Buch rund ums Putzen – wer glaubt, dass das langweilig ist, muss einen Blick in Maria Antas Buch „Wisch und weg“ werfen. Die Autorin beschäftigt sich darin mehr oder weniger mit der Kulturgeschichte des Putzens und fragt, welche Bedeutung das Putzen in der Gesellschaft hatte und hat. Sie erinnert an beinah vergessene Rituale aus ihrer Kindheit, wie das nachmittägliche Mangeln oder den Freitagsputz und denkt dabei auch über Gerätschaften nach, die man heutzutage kaum mehr benutzt – wie die Teppichstange im Hinterhof, auf der man übrigens auch hervorragend herum klettern konnte. Antas reflektiert aber auch über das Putzen als Dienstleistung, hinterfragt das Putzen im Zusammenhang mit der Entstehung von Allergien oder fragt sich, wann aus Reinlichkeit eine Neurose wird. Aufgebaut ist das Buch wie eine Art Tagebuch, das über 28 Tage geht. Die einzelnen Kapitel sind relativ kurz und bunt illustriert. Die Sprache ist leicht und erfrischend, oft erzählt Antas Anekdoten aus ihrer Kindheit - sehr humorig und mit einem Augenzwinkern. Eine Anleitung zum Putzen darf man sich bei diesem Buch nicht erwarten, auch geht die Autorin bei ihren Überlegungen nicht sehr in die Tiefe, trotzdem macht es Spaß, das kleine Sachbüchlein zu lesen. Und man lernt auch ein paar interessante Dinge über die Geschichte des Putzens und seinen Stellenwert in der Gesellschaft.