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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.06.2017

Viel Tamtam und nichts dahinter

P.S. Ich liebe Dich
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Er war ihr Geliebter, Seelenverwandter, bester Freund. Sie wollte mit ihm zusammen alt werden. Doch jetzt ist Hollys Mann Gerry tot. Er starb an einem Gehirntumor, mit gerade mal 30 Jahren. Holly wird ...

Er war ihr Geliebter, Seelenverwandter, bester Freund. Sie wollte mit ihm zusammen alt werden. Doch jetzt ist Hollys Mann Gerry tot. Er starb an einem Gehirntumor, mit gerade mal 30 Jahren. Holly wird kaum mit diesem Schicksalsschlag fertig. Dann bekommt sie von ihrer Mutter ein Päckchen mit Briefen. Zehn Stück an der Zahl, jeden Monat darf sie einen öffnen. Es sind Briefe von Gerry, die er noch vor seinem Tod geschrieben hat, um Holly über die schwierige Zeit hinweg zu helfen. – Natürlich, die Idee hinter dieser todtraurigen Geschichte ist wirklich grandios und geradezu eine Steilvorlage für tiefe Gefühle, Emotionen und vielleicht auch weise Worte. Nur leider war die Umsetzung ziemlich miserabel. Warum?
1. Die Charakterzeichnung ist einfach nur platt und banal. Das fängt schon mit der äußerlichen Beschreibung der Figuren an (blond, xy cm groß und schlank). Über Holly erfahren wir, dass sie gerne Party macht, shoppt, ständig den Job wechselt und ach ja, gerade sehr traurig ist. Richtig tiefe Einblicke in ihr Innenleben erhält der Leser so gut wie gar nicht. Gerry ist zwar tot, aber immerhin lernen wir ihn in ein paar Rückblicken kennen und es gibt ja auch noch die Briefe. Doch außer, dass er wohl unglaublich witzig und gutaussehend war, erfahren wir nichts über ihn. Warum hat er seiner Frau das geschrieben, was er geschrieben hat? Warum schickt er sie zu einem Karaoke-Wettbewerb, auf dem sie sich nur blamieren kann? Das restliche Romanpersonal könnte klischeehafter nicht sein: Da haben wir alles von der loyalen besten Freundin über den schwulen Friseur bis hin zur chaotischen kleinen Schwester.
2. Stilistisch ist der Roman einfach nur grauenhaft. Die Ausdruckweise ist holprig und plump, die Dialoge geistlos und abgedroschen. Momente tiefer Trauer? Fehlanzeige. Hoffnung zwischen den Zeilen? Nicht vorhanden. Tiefgang? Auf gar keinen Fall.
3. Die Geschehnisse werden einfach nur sehr oberflächlich dargestellt, viele Szenen sind für die Handlung total irrelevant und werden so austauschbar (z.b diese ganze Girls-and-the-City-Episode).

Die eigentliche Kunst der Autorin ist, dass sie ein Grundthema für ihr Buch gefunden hat, das auch funktioniert, wenn nur wenig schriftstellerisches Können vorhanden ist. Ja, auch mir hat die Geschichte Tränen in die Augen getrieben. Aber nicht, weil die Geschichte besonders emotional oder feinfühlig geschrieben ist, sondern einfach nur, weil wahrscheinlich jeder weinen muss, wenn er sich vorstellt einen geliebten Menschen zu verlieren.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Gestörte Wahrnehmung oder Wirklichkeit?

Der Teufel von Mailand
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Wie in vielen seiner Romane erzählt Martin Suter auch in „Der Teufel von Mailand“ die Geschichte eines Menschen, der eine Bewusstseinsveränderung erlebt und in eine Identitätskrise gerät. Neurologisches ...

Wie in vielen seiner Romane erzählt Martin Suter auch in „Der Teufel von Mailand“ die Geschichte eines Menschen, der eine Bewusstseinsveränderung erlebt und in eine Identitätskrise gerät. Neurologisches Leitthema ist diesmal die Synästhesie: Sonia hat sich gerade erst von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt und ist ein bisschen durch den Wind. Nach einem LSD-Trip spielen ihre Sinne verrückt: Sonia schmeckt auf einmal Formen, fühlt Farben und sieht Geräusche. Um ihr Gemüt zu beruhigen, plant Sonia eine Auszeit. Sie nimmt eine Stelle als Physiotherapeutin in einem gerade erst eröffneten Wellness-Hotel im Engadin an. Allerdings kommt Sonia dort erst recht nicht zur Ruhe. Die ursprüngliche Bergwelt überfordert sie, die Dorfbevölkerung scheint Fremden gegenüber eher abgeneigt und dann geschehen auch noch mysteriöse Dinge, die alle an die Unterengadiner Sage um den Teufel von Mailand erinnern. Bald weiß Sonia nicht mehr, ob ihre überreizte Wahrnehmung an allem Schuld ist oder ob ihr jemand das Leben zur Hölle machen will. Der Roman besticht wieder einmal durch Suters Schreib- und Erzählstil. Die Sätze sind direkt, auf den Punkt gebracht und ohne Schnörkel. Gleichzeitig schafft er es prägnante Bilder und eine einzigartige Stimmung zu kreieren. Auch die einerseits magische, andererseits etwas düstere, unheimliche Szenerie in dem Schweizer Bergdorf ist großartig gelungen. Die Figuren sind komplex und interessant. Nicht ganz so gut gelungen ist Martin Suter diesmal die Konstruktion seiner Geschichte. Trotz guter Idee, Spannung sowie toller Sprache und Atmosphäre bleibt am Ende ein fast belangloser, eher durchschnittlicher Psycho-Krimi mit ein bisschen Ehedrama. Suter-Einsteiger sollten auf jeden Fall erst zu einem anderen Buch greifen. Suter-Kenner kommen trotzdem auf ihre Kosten.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Packend

Lauf, Jane, lauf!
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Eine Frau steht mitten in Boston und weiß nicht mehr, wer sie ist. Ihre Manteltaschen sind voller Hundert-Dollar-Scheine und ihr Kleid blutdurchtränkt. So beginnt der Psychothriller „Lauf, Jane, lauf“ ...

Eine Frau steht mitten in Boston und weiß nicht mehr, wer sie ist. Ihre Manteltaschen sind voller Hundert-Dollar-Scheine und ihr Kleid blutdurchtränkt. So beginnt der Psychothriller „Lauf, Jane, lauf“ von Joy Fielding. Und mehr möchte ich an dieser Stelle schon gar nicht mehr zum Inhalt sagen, weil ich da einfach zu viel vorweg nehmen würde. Mir hat dieser Thriller, der in meinen Augen mittlerweile fast schon ein Klassiker ist, sehr gut gefallen. Fielding hat einen wunderbaren Schreibstil: Extrem fesselnd und bildlich, aber auch irgendwie elegant. Man fliegt geradezu durch die Seiten und kann einfach nicht mehr aufhören gemeinsam mit der Protagonistin Jane um ihr Gedächtnis zu kämpfen. Man ahnt zwar schon recht früh, wer hinter der ganzen Sache steckt, das tut der Spannung aber keinen Abbruch. Denn hauptsächlich fragt man sich nach dem Warum bzw. den Motiven des Täters. Das Ende der Geschichte ist dann umso heftiger und hat mir wirklich Gänsehaut verursacht, weil es einfach so realistisch und nachvollziehbar ist. Nebenbei erfährt man übrigens auch noch einiges über die hysterische Amnesie. Ein packendes, authentisches Versteckspiel – ein tolles Lesevergnügen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Eben nur fast genial

Fast genial
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Benedict Wells gilt als Ausnahmetalent in der deutschen Literaturszene. Gerade mal 23 Jahre war er alt, als sein Roman „Becks letzter Sommer“ bei Diogenes erschien – Wells war damals der jüngste Autor, ...

Benedict Wells gilt als Ausnahmetalent in der deutschen Literaturszene. Gerade mal 23 Jahre war er alt, als sein Roman „Becks letzter Sommer“ bei Diogenes erschien – Wells war damals der jüngste Autor, der bei dem Verlag unter Vertrag stand. Sein ursprünglich erster Roman „Spinner“, den er mit gerade mal 19 Jahren schrieb, wurde ein paar Jahre später ein ebenso großer Erfolg. Auch ich fand Wells beide ersten Romane sehr bemerkenswert. Umso gespannter war ich nun auf seinen dritten Roman „Fast genial“, den er ja nach seinem Durchbruch verfasste. So viel kann ich schon mal sagen: Der Roman war gut, allerdings hat Wells meiner Meinung nach deutlich einen Schritt zurück gemacht.

Wells hat seine Geschichte diesmal in die USA verlegt. Hauptfigur ist der Teenager Francis Dean, der ein klassisches Loser-Dasein führt. Zusammen mit seiner psychisch kranken Mutter lebt er in einem Trailerpark. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, in der Schule hat Francis auch seine Probleme und wer sein Vater ist, weiß er nicht. Da offenbart ihm seine Mutter eines Tages die Wahrheit über seinen Erzeuger. Für Francis gibt es jetzt nur noch ein Ziel: Er will seinen leiblichen Vater finden. Denn er ist der festen Überzeugung, dass diese Begegnung sein Lebensschicksal ändern könnte. Ein wilder Roadtrip quer durch die USA beginnt. Die Idee hinter der Geschichte hat mir ganz gut gefallen – es geht um die Suche nach Glück und Erfolg. Aber vor allem um die Frage, in welchem Maß Genetik das Leben eines Menschen bestimmt. Der Roman ist durchaus unterhaltsam, intelligent gemacht und hat auch ein paar tiefgründige Momente. Nicht ganz so begeistert – auch im Vergleich mit Wells Vorgängerwerken – war ich diesmal aber vom Schreibstil. Wells schreibt flott und leicht, gefehlt hat mir aber das Besondere. Es gab keine intensiven Gefühle, keinen eigenen Humor, keine leisen Zwischentöne. Wells hat es auch nicht richtig in den Griff bekommen, die Gedanken und Gefühle seiner Protagonisten richtig zu schildern. Auch die Roadtrip-Stationen haben nichts atmosphärisches, sondern sind im Gegenteil eher sehr klischeehaft. Das Ende hingegen war wiederum sehr genial.

Im Großen und Ganzen: eine unterhaltsame Geschichte mit einem innovativen Plot, sprachlich aber nicht herausragend und ab und an zu wenig plastisch erzählt.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Düsteres Fantasy-Abenteuer

Grimm
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Es war einmal… - jeder kennt sie, die Märchen der Gebrüder Grimm. Doch was wäre, wenn die Märchen gar keine erfundenen Geschichten wären, sondern Realität? In Christoph Marzis Fantasy-Abenteuer „Grimm“ ...

Es war einmal… - jeder kennt sie, die Märchen der Gebrüder Grimm. Doch was wäre, wenn die Märchen gar keine erfundenen Geschichten wären, sondern Realität? In Christoph Marzis Fantasy-Abenteuer „Grimm“ wird die 17-jährige Vesper Gold mit dieser Frage konfrontiert: Mitten in Hamburg scheinen sie Wölfe zu verfolgen, sie bemerkt mehrmals einen Mann, der einen eigenartigen Mantel mit Silberknöpfen trägt und dann fallen überall in Europa Kinder in einen unerklärlichen Tiefschlaf. Als Vesper auch noch von ihrem Vater einen seltsamen Brief samt einem alten Schlüssel und einem Ring erhält, steckt sie schon mitten drin in einem nervenaufreibenden Abenteuer. Es gilt, ein uraltes Geheimnis aufzuklären.

Für viele wahrscheinlich sehr gewöhnungsbedürftig, für mich aber absolut große Klasse ist Marzis Erzählstil: malerisch, emotional, metaphernlastig, poetisch. Sehr oft erinnert seine Sprache tatsächlich an die Sprache der grimmschen Märchen. Großartig ist auch die düstere, beklemmende Atmosphäre, die in dem Roman erzeugt wird. Die Schauplätze hat Marzi so gut beschrieben, dass man das Gefühl hat, selbst dort zu sein: Man streift mit Vesper durch das nebelige, herbstliche Hamburg, reist mit ihr ins Winterland und sieht ihre kleine Dachgeschosswohnung bildlich vor sich.

Außergewöhnlich sind auch die Charaktere – Vesper Gold ist ein Scheidungskind reicher Eltern: aufmüpfig in der Schule, gelangweilt und unglücklich. Die Idee hinter der Geschichte ist kreativ, hätte aber noch besser ausgebaut werden können. So kommt die Handlung im Großen und Ganzen doch ein wenig flach daher.

Fazit: ein sehr düsteres Fantasy-Abenteuer um die Gebrüder Grimm, eine Geheimgesellschaft und böse Märchenfiguren mit einer außergewöhnlichen Sprache. Nicht nur für Jugendliche.