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Veröffentlicht am 07.03.2021

Tragisch, intensiv und hochemotional!

Never Doubt
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"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In ...

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Auch in Willows und Isaacs Geschichte zeigen das New Adult Genre und auch die Autorin wieder, was sie können. Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden, geschrieben. Ganz zum Jahreshighlight mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, hat es aber doch nicht gereicht - denn leider kam kurz vor Ende eine kleine Enttäuschung, die mich dazu gebracht hat, einen halben Stern abzuziehen.


Willow: "Eines Tages, Willow, wirst du dich vielleicht in der Dunkelheit wiederfinden. Ich hoffe, dieser Tag kommt nie. Aber wenn doch, wird es zuerst beängstigend sein. Aber du wirst dein eigenes Licht sehen. Deine eigene Kraft. Und du wirst leuchten."


Das Cover ist wieder ein üblicher LYX-Traum mit dem dominanten Titel in glitzernden Großbuchstaben und den leuchtenden Lichtpunkten auf dem blau-lila Grund. Die Farb- und Lichtakzente haben mir schon bei den Cover der anderen Emma-Scott-Romane gut gefallen, da die Intensität und Dramatik der Geschichte durch die starken Akzenten trotz recht nichtssagendem Blattader-Motiv gut eingefangen werden kann. Denn hinter diesen hübschen Cover-Gestaltungen verbirgt sich eine alles andere als harmlose Geschichte. Geteilt in drei Akte, einen Prolog und einen Epilog, umfasst die Geschichte 42 Kapitel, die entweder aus Isaacs oder aus Willows Sicht erzählt sind. Zu Beginn folgt zusätzlich eine kurze Playlist, am Ende ist Angies Gedicht in englischer (also Original-)Fassung eingefügt worden. Schwer vermisst habe ich allerdings eine Triggerwarnung! Bereits das Vorwort, welches die "Me too"-Thematik anspricht, lässt zwar klar erahnen, was Willow ein Jahr vor Handlungsbeginn zugestoßen ist, ich hätte mir aber dennoch eine kleine Warnung des Verlags gewünscht. Um dies kurz nachzuholen: Es geht hier um Vergewaltigung, gewalttätige Eltern, Betäubung durch Drogen, emotionale Vernachlässigung und Armut.


Erster Satz: "Erzähl mir eine Geschichte."


Keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. Schon auf den ersten Seiten der Geschichte enthüllt Willow, was beinahe ihr inneres Licht ausgelöscht hat, ist jedoch nicht in der Lage ihre eigene Geschichte zu erzählen. Nicht ihren Freundinnen in New York, nicht ihren distanzierten Eltern, denen nur Ruf und Ansehen wichtig zu sein scheint und schon gar nicht der Polizei, denn wer würde ihr auch glauben, nachdem sie im Schock alle Beweise vernichtet hat? Als ihr Vater dann von der Großstadt in die Provinz von Indiana versetzt wird, sieht sie die kleine Stadt Harmony in erster Linie als Chance auf einen Neuanfang. Richtig Leben in sie kommt aber erst, als sie Isaac Pearce Theaterspielen sieht und begreift, dass das Theater eine Möglichkeit sein könnte, all ihren Schmerz zu katalysieren und ihre eigene Stimme zu finden. Auch Isaac sieht in seiner Kunst ein Ventil für all die Emotionen, die sich in seinem Alltag mit seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater in einem schlecht geheizten Trailer, den unbezahlten Rechnungen und der brodelnden Gerüchteküche anstauen. Vor allem ist das Theater und seine Rolle in Shakespeares Hamlet jedoch seine Chance, Harmonys Elend endlich zu entkommen und sich mit seinem unfassbaren Talent ein besseres Leben zu ermöglichen.


Willow: "Meine Eltern liebten mich, wie man einen Kunstwerk liebte: einen Gegenstand, den man im Haus aufstellt und bewundert, und von dem man hofft, dass er eines Tages etwas wert sein würde. Und seit jener Party war ich ein unschöner Anblick geworden."


Die Autorin orientiert sich auch in der Aufteilung und Strukturierung ihrer Geschichte an diesem Hauptmotiv, welches sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht: Theater. So erzählt sie ihre Geschichte in drei Akten, auf welche auch ganz wunderbar der klassische Dramenaufbau angewandt werden kann. Der erste Akt, welcher den Großteil der Handlung einnimmt, ist eine wahnsinnig gefühlvolle und sensible Einführung in die Geschichte, in die Schicksale der beiden Figuren und eine Hinführung auf deren Beziehung. Ganz anders als ich das von Emma Scott bisher gewohnt war, lässt sich die Geschichte viel Zeit und konzentriert sich auf das Spannungsgefüge zwischen Isaac, Willow und deren Umfeld, ohne dass es schnell konkret wird. Auch wenn es zwischen Willow und Isaac schon bei der ersten Begegnung eindeutig funkt, setzt die Autorin eher auf Respekt, Vertrauen und Verständnis als Basis der Beziehung und zieht eine zarte Annäherung brodelnder Leidenschaft vor. Angesichts Willows Vorgeschichte ist dies nur stimmig und die Autorin hat meinen Respekt dafür, wie es ihr gelungen ist bei einem so starken Trauma stimmig Erotik einzubauen. Isaac und Willow entwickeln eine sehr besondere Verbindung und eine intime Nähe, ohne sich körperlich näher zu kommen. Obwohl es also über 300 Seiten dauert, bis sich die beiden auch nur küssen, habe ich selten eine so intensive Liebesgeschichte gelesen.


Isaac: "Willow Holloway sah aus wie die Weide, von der sie ihren Namen hatte: hübsch, zart und trauernd. Nicht von außen, sondern von innen. Martin Ford hatte mir beigebracht, darauf zu achten, wie Menschen in ihren Körpern wohnten, und nicht, was sie sagten oder taten. Dieses Mädchen war tiefgründig. Ihre Augen hatten sie verraten, als unsere Blicke sich begegnet waren."


Aufgrund des problematischen Hintergrunds und des schweren Schicksals beider Figuren, kommt der Roman zu Beginn recht schwermütig daher und die ersten Gefühle zarter Liebe müssen sich durch viel Dunkelheit hindurchkämpfen. Stimmungsmäßig wurde ich dabei stark an das erste Werk, dass ich von Emma Scott gelesen (und geliebt) habe erinnert. Genau wie in "Never Doubt" wird auch in "The Light In Us" der tiefe Schmerz der Protagonisten, der in Kunst umgewandelt wird, zum Hauptthema und die einfühlsame Heilung der Beiden reißt mit. Außerdem bestimmen auch hier wieder Gegensätze das Bild. "Never Doubt" ist zwar leise und sensibel erzählt aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Um es mal mit Isaacs Worten zu sagen: "Willows Geschichte traft mein Herz wie ein Vorschlaghammer. Schlug jedes Mal wieder zu, wenn ich daran dachte. Und ich dachte ständig daran." Auch wenn die Handlung nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Isaac aber vor allem Willow erdulden mussten und immer noch müssen immer wieder sprachlos gemacht.


Willow: „Jede Geschichte hat ein „bis“. Wenn das Schlimme passiert, das der Figur zeigt, was sie am meisten will. Aber wo ist das „bis“, was alles wiedergutmacht?"


Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Die zarte, gebrochene Willow ist am Ende... bis zu ihrem persönlichen "bis" der Geschichte. Bis sie Isaac trifft, in dem sie ihren eigenen Schmerz widergespiegelt sieht. Und oh man, habe ich mich in diese Figur verliebt. Zwar schließt man als Leser auch Willow sehr ins Herz und beobachtet mit starker emotionaler Beteiligung, wie sie langsam wächst, Isaac gehört jedoch zu den anbetungswürdigsten Charakteren, von denen ich je gelesen habe. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen.


Willow: "Plastics. Ich hasste die Bezeichnung. Ich schwor, sie nicht mehr zu benutzen. Ich spürte die leichte Panikattacke, die in meinen Adern surrte und zuzuschlagen drohte, und der Gedanke, ein anderes Mädchen zu hassen, fühlte sich wie Verrat an. Ich war nicht allein. Ich wusste, viele der Mädchen auf der Tanzfläche hatten Ähnliches erlebt wie ich. Vielleicht waren sie wie Plastik behandelt worden: billig und austauschbar. Etwas, das man einmal benutzte und dann entsorgte. Vielleicht hatte man sie schikaniert. Damit sie sich minderwertig fühlten. Hässlich. Fett. Scharfmacherin. Schlampe. Plastik."


Wirkliche Highlights waren für mich auch der weise Martin, Regisseur, Theaterbesitzer und Ersatzvater, welcher Willow und Isaac mit einfühlsamen Ratschlägen und helfender Hand zur Seite steht und die herzliche Angie, beste Freundin und Rettungsanker, die man nicht nur wegen ihrer quirligen Witze und unschlagbarer T-Shirt-Sprüche ins Herz schließt. Übrigens: Auch wenn an der Übersetzung von Inka Marter nichts auszusetzen ist, musste ich schmunzeln, als ich die Aufschrift von Angies T-Shirt als "Ich schwöre feierlich, dass ich nichts Gutes im Schilde führe" übersetzt sah. Hier wurde deutlich, dass die Übersetzerin wohl die Referenz zu Harry Potter übersehen hatte, dessen bekanntes Zitat "I solemnly swear that I am up to no good" gemeinhin als "Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut" übersetzt wird. Aber das nur als eine kleine Nerd-Notiz am Rande. Andere auftretende Figuren hingegen wie zum Beispiel Isaacs Vater, der sich und jegliche Verantwortung für seinen Sohn gleich mit vor Jahren aufgegeben hat, Willows oberflächliche Eltern, die lieber ignorieren, was sich direkt vor ihrer Nase befindet, als sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen oder Willows Mitschüler und Hamlet-Bruder Justin, der der unsensibelste Kotzbrocken ist, von dem ich jemals gelesen habe, will man einfach nur schütteln.


Willow: "Es wird immer schwerer, die Realität von der Fiktion zu unterscheiden."
Angie runzelte die Stirn. "Es ist schwer, die Realität von einem uralten Stück über Hofleute und Prinzen und Totengräber zu unterscheiden?"
"Das ist Kunst"; sagte ich und erinnerte mich an Isaacs Worte. "Je besser sie ist, desto mehr kann man sich darin wiedererkennen."


Der zweite Akt startet dann im letzten Drittel des Buches, als Isaac und Willow endlich zusammengefunden haben. Die Besonderheit bei diesem eher kürzeren zweiten Teil, der einige Wendungen, Entwicklungen und auch den ersten Höhepunkt der Geschichte enthält, ist die starke Verschmelzung von Theater und Realität. Schon zuvor steht die Einbindung vieler Shakespeare-Zitate, Stücke, Motive und Gedanken durch die das Vorsprechen, die Vorbereitung und die Proben des Stücks auf der Tagesordnung. Ich kannte den Klassiker "Hamlet" vorher noch nicht, Emma Scott schiebt jedoch beiläufig an den richtigen Stellen die nötigen Erklärungen ein, sodass man auch als unwissender Laie mitkommt. Hier lernt man jedoch nicht nur am Rande mehr über diesen Klassiker, sondern verfolgt auch mit, wie die Figuren ihre Emotionen mit ins Stück hineinbringen und durch die fremden, uralten Worte ihre Geschichte erzählen. Mit fortschreitender Handlung lassen sich dadurch immer mehr Parallelen zwischen Stück und Realität erkennen, welche wie zwei Handlungsstränge nebeneinander und ineinander laufen. Wer zu Beginn der Geschichte ein bisschen aufgepasst hat, weiß, dass "Hamlet" eine Tragödie ist, die für alle Beteiligten nicht gut ausgeht. Die zunehmende Verwebung von herzzerreißender Liebesgeschichte und verstaubtem Stück gibt also eine leise Vorausdeutung auf einen dramatischen Ausgang der Geschichte und verleiht gerade dem zweiten Akt eine unglaublich fesselnde Dynamik und Atmosphäre.


Isaac: "Ich stand jetzt alleine da, den Blick auf Willow und nichts sonst gerichtet, und sprach den Text, der mir gegeben worden war. "Ich liebe Ophelia."
Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich.
Willow machte die Augen auf, und ihre Lippen öffneten sich bei einem leisen Seufzer. Ein winziges Einatmen, das über die stille Bühne wisperte."


Akt drei, der kürzeste der drei Teile, beinhaltet dann das berühmt berüchtigte retardierende Moment mit dem zweitem Höhepunkt sowie das Happy End am Ende und hat mich leider ziemlich enttäuscht. Denn nach dem großen, von Missverständnissen und Schmerz geprägten Ende des zweiten Akts, habe ich umgeblättert und wäre fast vom Stuhl gekippt, als ich die ersten Zeilen der nächsten Seite gelesen habe. Statt die Figuren etwas leiden zu lassen, bevor sie die Kurve bekommen und ihre Probleme aus der Welt schaffen, setzt die Autorin an dieser Stelle einfach einen Zeitsprung ein und springt drei Jahre in die Zukunft. Warum ich das nach der langsamen Hinführung der vorangegangenen Handlung als starken Bruch empfunden habe, muss ich wohl kaum erklären. An die spektakuläre Endszene des Theaterstücks mit dem Streit und der Trennung hätte man wunderbar anknüpfen und die Geschichte linear zu Ende erzählen können. Endkonfrontation und die finalen Entwicklungsschritte der Figuren hätte meiner Meinung nach auch ohne Zeitsprung geklappt. Dass Emma Scott sich die plötzliche Wendung nicht zu nutzen macht, um noch mehr Tiefe in die Geschichte zu bekommen, und sie stattdessen wichtige Schlüsselszenen einfach durch den Zeitsprung überspringt, finde ich einfach nur enttäuschend. Insgesamt ist auch ihr letzter Akt logisch und in sich stimmig, man verliert die Figuren aber zwischenzeitlich aus den Augen und die Geschichte büßt emotionale Nähe ein.


Willow: "Du bist mein "bis". Das "bis", das alles besser macht".


Dass nach starker Vorarbeit im letzten Drittel ein paar Baustellen auftreten, habe ich schon bei mehreren Büchern der Autorin beobachtet und kritisiert, zum Beispiel auch "The Light In Us" oder "All In - Zwei Versprechen": die Autorin drückt auf den letzten 50 Seiten häufig wahnsinnig aufs Gaspedal, überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, als würde sie mit aller Kraft noch möglichst viel Leben und Happy End Potential abklappern wollen, bevor sie ihre Figuren ins Ungewisse überlässt. Ein Ende, das den langsameren Verlauf der Geschichte zuvor fortsetzt und nach dem Überwinden des Hauptkonflikts mit einem offenen aber durchaus positiven Ende schließt, wäre mir hier lieber gewesen. So störten mich auch plötzlich verständnisvolle Eltern, sich in Luft auflösende Probleme und plötzlich überquellende Konten, welche die Glaubwürdigkeit der ganzen Handlung einen kleinen Dämpfer versetzen. Das richtige Ende ist dann aber wieder so voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit, dass ich beim Beenden der Geschichte schon wieder alle Kritikpunkte vergessen hatte. Egal was vorher etwas ungünstig aufgezogen war - die gewählte Schlussszene ist einfach genau richtig und hat mir sogar ein paar Tränchen entlockt und als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun für diese einmalige Achterbahn der Emotionen!


Willow: "Er küsste mich sanft. "Zweifle nicht."
Ich schüttelte den Kopf. "Niemals."


Wenn man die Geschichte nach ihrem Grad der emotionalen Zerstörung, der Happy End-Schönheit, der Protagonisten-Lovability oder dem Schreibstil beurteilt, bekommt sie ganz klar 5 Sterne. Nimmt man jedoch eine Variable, nämlich das Leserherz, aus der Gleichung heraus und betrachtet die Geschichte mit ein wenig Abstand, lassen sich vor allem im letzten Akt einige kleine Baustellen entdecken, die es mir leider nicht erlauben, eine uneingeschränkte Leseempfehlung auszusprechen. Gerade am Ende gibt es einige Stellen, an denen ich mir eine etwas andere Lösung gewünscht hätte, weshalb ich "nur" 4,5 Sterne vergebe.




Fazit:


Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen geschrieben, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden. Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.03.2021

Tragisch, intensiv und hochemotional!

Never Doubt
0

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In ...

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Auch in Willows und Isaacs Geschichte zeigen das New Adult Genre und auch die Autorin wieder, was sie können. Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden, geschrieben. Ganz zum Jahreshighlight mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, hat es aber doch nicht gereicht - denn leider kam kurz vor Ende eine kleine Enttäuschung, die mich dazu gebracht hat, einen halben Stern abzuziehen.


Willow: "Eines Tages, Willow, wirst du dich vielleicht in der Dunkelheit wiederfinden. Ich hoffe, dieser Tag kommt nie. Aber wenn doch, wird es zuerst beängstigend sein. Aber du wirst dein eigenes Licht sehen. Deine eigene Kraft. Und du wirst leuchten."


Das Cover ist wieder ein üblicher LYX-Traum mit dem dominanten Titel in glitzernden Großbuchstaben und den leuchtenden Lichtpunkten auf dem blau-lila Grund. Die Farb- und Lichtakzente haben mir schon bei den Cover der anderen Emma-Scott-Romane gut gefallen, da die Intensität und Dramatik der Geschichte durch die starken Akzenten trotz recht nichtssagendem Blattader-Motiv gut eingefangen werden kann. Denn hinter diesen hübschen Cover-Gestaltungen verbirgt sich eine alles andere als harmlose Geschichte. Geteilt in drei Akte, einen Prolog und einen Epilog, umfasst die Geschichte 42 Kapitel, die entweder aus Isaacs oder aus Willows Sicht erzählt sind. Zu Beginn folgt zusätzlich eine kurze Playlist, am Ende ist Angies Gedicht in englischer (also Original-)Fassung eingefügt worden. Schwer vermisst habe ich allerdings eine Triggerwarnung! Bereits das Vorwort, welches die "Me too"-Thematik anspricht, lässt zwar klar erahnen, was Willow ein Jahr vor Handlungsbeginn zugestoßen ist, ich hätte mir aber dennoch eine kleine Warnung des Verlags gewünscht. Um dies kurz nachzuholen: Es geht hier um Vergewaltigung, gewalttätige Eltern, Betäubung durch Drogen, emotionale Vernachlässigung und Armut.


Erster Satz: "Erzähl mir eine Geschichte."


Keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. Schon auf den ersten Seiten der Geschichte enthüllt Willow, was beinahe ihr inneres Licht ausgelöscht hat, ist jedoch nicht in der Lage ihre eigene Geschichte zu erzählen. Nicht ihren Freundinnen in New York, nicht ihren distanzierten Eltern, denen nur Ruf und Ansehen wichtig zu sein scheint und schon gar nicht der Polizei, denn wer würde ihr auch glauben, nachdem sie im Schock alle Beweise vernichtet hat? Als ihr Vater dann von der Großstadt in die Provinz von Indiana versetzt wird, sieht sie die kleine Stadt Harmony in erster Linie als Chance auf einen Neuanfang. Richtig Leben in sie kommt aber erst, als sie Isaac Pearce Theaterspielen sieht und begreift, dass das Theater eine Möglichkeit sein könnte, all ihren Schmerz zu katalysieren und ihre eigene Stimme zu finden. Auch Isaac sieht in seiner Kunst ein Ventil für all die Emotionen, die sich in seinem Alltag mit seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater in einem schlecht geheizten Trailer, den unbezahlten Rechnungen und der brodelnden Gerüchteküche anstauen. Vor allem ist das Theater und seine Rolle in Shakespeares Hamlet jedoch seine Chance, Harmonys Elend endlich zu entkommen und sich mit seinem unfassbaren Talent ein besseres Leben zu ermöglichen.


Willow: "Meine Eltern liebten mich, wie man einen Kunstwerk liebte: einen Gegenstand, den man im Haus aufstellt und bewundert, und von dem man hofft, dass er eines Tages etwas wert sein würde. Und seit jener Party war ich ein unschöner Anblick geworden."


Die Autorin orientiert sich auch in der Aufteilung und Strukturierung ihrer Geschichte an diesem Hauptmotiv, welches sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht: Theater. So erzählt sie ihre Geschichte in drei Akten, auf welche auch ganz wunderbar der klassische Dramenaufbau angewandt werden kann. Der erste Akt, welcher den Großteil der Handlung einnimmt, ist eine wahnsinnig gefühlvolle und sensible Einführung in die Geschichte, in die Schicksale der beiden Figuren und eine Hinführung auf deren Beziehung. Ganz anders als ich das von Emma Scott bisher gewohnt war, lässt sich die Geschichte viel Zeit und konzentriert sich auf das Spannungsgefüge zwischen Isaac, Willow und deren Umfeld, ohne dass es schnell konkret wird. Auch wenn es zwischen Willow und Isaac schon bei der ersten Begegnung eindeutig funkt, setzt die Autorin eher auf Respekt, Vertrauen und Verständnis als Basis der Beziehung und zieht eine zarte Annäherung brodelnder Leidenschaft vor. Angesichts Willows Vorgeschichte ist dies nur stimmig und die Autorin hat meinen Respekt dafür, wie es ihr gelungen ist bei einem so starken Trauma stimmig Erotik einzubauen. Isaac und Willow entwickeln eine sehr besondere Verbindung und eine intime Nähe, ohne sich körperlich näher zu kommen. Obwohl es also über 300 Seiten dauert, bis sich die beiden auch nur küssen, habe ich selten eine so intensive Liebesgeschichte gelesen.


Isaac: "Willow Holloway sah aus wie die Weide, von der sie ihren Namen hatte: hübsch, zart und trauernd. Nicht von außen, sondern von innen. Martin Ford hatte mir beigebracht, darauf zu achten, wie Menschen in ihren Körpern wohnten, und nicht, was sie sagten oder taten. Dieses Mädchen war tiefgründig. Ihre Augen hatten sie verraten, als unsere Blicke sich begegnet waren."


Aufgrund des problematischen Hintergrunds und des schweren Schicksals beider Figuren, kommt der Roman zu Beginn recht schwermütig daher und die ersten Gefühle zarter Liebe müssen sich durch viel Dunkelheit hindurchkämpfen. Stimmungsmäßig wurde ich dabei stark an das erste Werk, dass ich von Emma Scott gelesen (und geliebt) habe erinnert. Genau wie in "Never Doubt" wird auch in "The Light In Us" der tiefe Schmerz der Protagonisten, der in Kunst umgewandelt wird, zum Hauptthema und die einfühlsame Heilung der Beiden reißt mit. Außerdem bestimmen auch hier wieder Gegensätze das Bild. "Never Doubt" ist zwar leise und sensibel erzählt aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Um es mal mit Isaacs Worten zu sagen: "Willows Geschichte traft mein Herz wie ein Vorschlaghammer. Schlug jedes Mal wieder zu, wenn ich daran dachte. Und ich dachte ständig daran." Auch wenn die Handlung nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Isaac aber vor allem Willow erdulden mussten und immer noch müssen immer wieder sprachlos gemacht.


Willow: „Jede Geschichte hat ein „bis“. Wenn das Schlimme passiert, das der Figur zeigt, was sie am meisten will. Aber wo ist das „bis“, was alles wiedergutmacht?"


Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Die zarte, gebrochene Willow ist am Ende... bis zu ihrem persönlichen "bis" der Geschichte. Bis sie Isaac trifft, in dem sie ihren eigenen Schmerz widergespiegelt sieht. Und oh man, habe ich mich in diese Figur verliebt. Zwar schließt man als Leser auch Willow sehr ins Herz und beobachtet mit starker emotionaler Beteiligung, wie sie langsam wächst, Isaac gehört jedoch zu den anbetungswürdigsten Charakteren, von denen ich je gelesen habe. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen.


Willow: "Plastics. Ich hasste die Bezeichnung. Ich schwor, sie nicht mehr zu benutzen. Ich spürte die leichte Panikattacke, die in meinen Adern surrte und zuzuschlagen drohte, und der Gedanke, ein anderes Mädchen zu hassen, fühlte sich wie Verrat an. Ich war nicht allein. Ich wusste, viele der Mädchen auf der Tanzfläche hatten Ähnliches erlebt wie ich. Vielleicht waren sie wie Plastik behandelt worden: billig und austauschbar. Etwas, das man einmal benutzte und dann entsorgte. Vielleicht hatte man sie schikaniert. Damit sie sich minderwertig fühlten. Hässlich. Fett. Scharfmacherin. Schlampe. Plastik."


Wirkliche Highlights waren für mich auch der weise Martin, Regisseur, Theaterbesitzer und Ersatzvater, welcher Willow und Isaac mit einfühlsamen Ratschlägen und helfender Hand zur Seite steht und die herzliche Angie, beste Freundin und Rettungsanker, die man nicht nur wegen ihrer quirligen Witze und unschlagbarer T-Shirt-Sprüche ins Herz schließt. Übrigens: Auch wenn an der Übersetzung von Inka Marter nichts auszusetzen ist, musste ich schmunzeln, als ich die Aufschrift von Angies T-Shirt als "Ich schwöre feierlich, dass ich nichts Gutes im Schilde führe" übersetzt sah. Hier wurde deutlich, dass die Übersetzerin wohl die Referenz zu Harry Potter übersehen hatte, dessen bekanntes Zitat "I solemnly swear that I am up to no good" gemeinhin als "Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut" übersetzt wird. Aber das nur als eine kleine Nerd-Notiz am Rande. Andere auftretende Figuren hingegen wie zum Beispiel Isaacs Vater, der sich und jegliche Verantwortung für seinen Sohn gleich mit vor Jahren aufgegeben hat, Willows oberflächliche Eltern, die lieber ignorieren, was sich direkt vor ihrer Nase befindet, als sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen oder Willows Mitschüler und Hamlet-Bruder Justin, der der unsensibelste Kotzbrocken ist, von dem ich jemals gelesen habe, will man einfach nur schütteln.


Willow: "Es wird immer schwerer, die Realität von der Fiktion zu unterscheiden."
Angie runzelte die Stirn. "Es ist schwer, die Realität von einem uralten Stück über Hofleute und Prinzen und Totengräber zu unterscheiden?"
"Das ist Kunst"; sagte ich und erinnerte mich an Isaacs Worte. "Je besser sie ist, desto mehr kann man sich darin wiedererkennen."


Der zweite Akt startet dann im letzten Drittel des Buches, als Isaac und Willow endlich zusammengefunden haben. Die Besonderheit bei diesem eher kürzeren zweiten Teil, der einige Wendungen, Entwicklungen und auch den ersten Höhepunkt der Geschichte enthält, ist die starke Verschmelzung von Theater und Realität. Schon zuvor steht die Einbindung vieler Shakespeare-Zitate, Stücke, Motive und Gedanken durch die das Vorsprechen, die Vorbereitung und die Proben des Stücks auf der Tagesordnung. Ich kannte den Klassiker "Hamlet" vorher noch nicht, Emma Scott schiebt jedoch beiläufig an den richtigen Stellen die nötigen Erklärungen ein, sodass man auch als unwissender Laie mitkommt. Hier lernt man jedoch nicht nur am Rande mehr über diesen Klassiker, sondern verfolgt auch mit, wie die Figuren ihre Emotionen mit ins Stück hineinbringen und durch die fremden, uralten Worte ihre Geschichte erzählen. Mit fortschreitender Handlung lassen sich dadurch immer mehr Parallelen zwischen Stück und Realität erkennen, welche wie zwei Handlungsstränge nebeneinander und ineinander laufen. Wer zu Beginn der Geschichte ein bisschen aufgepasst hat, weiß, dass "Hamlet" eine Tragödie ist, die für alle Beteiligten nicht gut ausgeht. Die zunehmende Verwebung von herzzerreißender Liebesgeschichte und verstaubtem Stück gibt also eine leise Vorausdeutung auf einen dramatischen Ausgang der Geschichte und verleiht gerade dem zweiten Akt eine unglaublich fesselnde Dynamik und Atmosphäre.


Isaac: "Ich stand jetzt alleine da, den Blick auf Willow und nichts sonst gerichtet, und sprach den Text, der mir gegeben worden war. "Ich liebe Ophelia."
Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich.
Willow machte die Augen auf, und ihre Lippen öffneten sich bei einem leisen Seufzer. Ein winziges Einatmen, das über die stille Bühne wisperte."


Akt drei, der kürzeste der drei Teile, beinhaltet dann das berühmt berüchtigte retardierende Moment mit dem zweitem Höhepunkt sowie das Happy End am Ende und hat mich leider ziemlich enttäuscht. Denn nach dem großen, von Missverständnissen und Schmerz geprägten Ende des zweiten Akts, habe ich umgeblättert und wäre fast vom Stuhl gekippt, als ich die ersten Zeilen der nächsten Seite gelesen habe. Statt die Figuren etwas leiden zu lassen, bevor sie die Kurve bekommen und ihre Probleme aus der Welt schaffen, setzt die Autorin an dieser Stelle einfach einen Zeitsprung ein und springt drei Jahre in die Zukunft. Warum ich das nach der langsamen Hinführung der vorangegangenen Handlung als starken Bruch empfunden habe, muss ich wohl kaum erklären. An die spektakuläre Endszene des Theaterstücks mit dem Streit und der Trennung hätte man wunderbar anknüpfen und die Geschichte linear zu Ende erzählen können. Endkonfrontation und die finalen Entwicklungsschritte der Figuren hätte meiner Meinung nach auch ohne Zeitsprung geklappt. Dass Emma Scott sich die plötzliche Wendung nicht zu nutzen macht, um noch mehr Tiefe in die Geschichte zu bekommen, und sie stattdessen wichtige Schlüsselszenen einfach durch den Zeitsprung überspringt, finde ich einfach nur enttäuschend. Insgesamt ist auch ihr letzter Akt logisch und in sich stimmig, man verliert die Figuren aber zwischenzeitlich aus den Augen und die Geschichte büßt emotionale Nähe ein.


Willow: "Du bist mein "bis". Das "bis", das alles besser macht".


Dass nach starker Vorarbeit im letzten Drittel ein paar Baustellen auftreten, habe ich schon bei mehreren Büchern der Autorin beobachtet und kritisiert, zum Beispiel auch "The Light In Us" oder "All In - Zwei Versprechen": die Autorin drückt auf den letzten 50 Seiten häufig wahnsinnig aufs Gaspedal, überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, als würde sie mit aller Kraft noch möglichst viel Leben und Happy End Potential abklappern wollen, bevor sie ihre Figuren ins Ungewisse überlässt. Ein Ende, das den langsameren Verlauf der Geschichte zuvor fortsetzt und nach dem Überwinden des Hauptkonflikts mit einem offenen aber durchaus positiven Ende schließt, wäre mir hier lieber gewesen. So störten mich auch plötzlich verständnisvolle Eltern, sich in Luft auflösende Probleme und plötzlich überquellende Konten, welche die Glaubwürdigkeit der ganzen Handlung einen kleinen Dämpfer versetzen. Das richtige Ende ist dann aber wieder so voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit, dass ich beim Beenden der Geschichte schon wieder alle Kritikpunkte vergessen hatte. Egal was vorher etwas ungünstig aufgezogen war - die gewählte Schlussszene ist einfach genau richtig und hat mir sogar ein paar Tränchen entlockt und als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun für diese einmalige Achterbahn der Emotionen!


Willow: "Er küsste mich sanft. "Zweifle nicht."
Ich schüttelte den Kopf. "Niemals."


Wenn man die Geschichte nach ihrem Grad der emotionalen Zerstörung, der Happy End-Schönheit, der Protagonisten-Lovability oder dem Schreibstil beurteilt, bekommt sie ganz klar 5 Sterne. Nimmt man jedoch eine Variable, nämlich das Leserherz, aus der Gleichung heraus und betrachtet die Geschichte mit ein wenig Abstand, lassen sich vor allem im letzten Akt einige kleine Baustellen entdecken, die es mir leider nicht erlauben, eine uneingeschränkte Leseempfehlung auszusprechen. Gerade am Ende gibt es einige Stellen, an denen ich mir eine etwas andere Lösung gewünscht hätte, weshalb ich "nur" 4,5 Sterne vergebe.




Fazit:


Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen geschrieben, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden. Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.03.2021

Tragisch, intensiv und hochemotional!

Never Doubt
0

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In ...

"Never Doubt" ist nun mein sechstes Buch von Emma Scott, welche sich schon mit ihren Liebesdramen "The Light In Us", "Bring Down The Stars", "Light Up The Sky", "All In - Zwei Versprechen" und "All In - Tausend Augenblicke" in mein Leseherz geschrieben hat. Auch in Willows und Isaacs Geschichte zeigen das New Adult Genre und auch die Autorin wieder, was sie können. Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden, geschrieben. Ganz zum Jahreshighlight mit vollen 5 Sternen, Gefühlsausbrüchen und monatlichem Reread, hat es aber doch nicht gereicht - denn leider kam kurz vor Ende eine kleine Enttäuschung, die mich dazu gebracht hat, einen halben Stern abzuziehen.


Willow: "Eines Tages, Willow, wirst du dich vielleicht in der Dunkelheit wiederfinden. Ich hoffe, dieser Tag kommt nie. Aber wenn doch, wird es zuerst beängstigend sein. Aber du wirst dein eigenes Licht sehen. Deine eigene Kraft. Und du wirst leuchten."


Das Cover ist wieder ein üblicher LYX-Traum mit dem dominanten Titel in glitzernden Großbuchstaben und den leuchtenden Lichtpunkten auf dem blau-lila Grund. Die Farb- und Lichtakzente haben mir schon bei den Cover der anderen Emma-Scott-Romane gut gefallen, da die Intensität und Dramatik der Geschichte durch die starken Akzenten trotz recht nichtssagendem Blattader-Motiv gut eingefangen werden kann. Denn hinter diesen hübschen Cover-Gestaltungen verbirgt sich eine alles andere als harmlose Geschichte. Geteilt in drei Akte, einen Prolog und einen Epilog, umfasst die Geschichte 42 Kapitel, die entweder aus Isaacs oder aus Willows Sicht erzählt sind. Zu Beginn folgt zusätzlich eine kurze Playlist, am Ende ist Angies Gedicht in englischer (also Original-)Fassung eingefügt worden. Schwer vermisst habe ich allerdings eine Triggerwarnung! Bereits das Vorwort, welches die "Me too"-Thematik anspricht, lässt zwar klar erahnen, was Willow ein Jahr vor Handlungsbeginn zugestoßen ist, ich hätte mir aber dennoch eine kleine Warnung des Verlags gewünscht. Um dies kurz nachzuholen: Es geht hier um Vergewaltigung, gewalttätige Eltern, Betäubung durch Drogen, emotionale Vernachlässigung und Armut.


Erster Satz: "Erzähl mir eine Geschichte."


Keine leichte Kost für eine Liebesgeschichte, dafür ist Emma Scott jedoch auch nicht bekannt. Schon auf den ersten Seiten der Geschichte enthüllt Willow, was beinahe ihr inneres Licht ausgelöscht hat, ist jedoch nicht in der Lage ihre eigene Geschichte zu erzählen. Nicht ihren Freundinnen in New York, nicht ihren distanzierten Eltern, denen nur Ruf und Ansehen wichtig zu sein scheint und schon gar nicht der Polizei, denn wer würde ihr auch glauben, nachdem sie im Schock alle Beweise vernichtet hat? Als ihr Vater dann von der Großstadt in die Provinz von Indiana versetzt wird, sieht sie die kleine Stadt Harmony in erster Linie als Chance auf einen Neuanfang. Richtig Leben in sie kommt aber erst, als sie Isaac Pearce Theaterspielen sieht und begreift, dass das Theater eine Möglichkeit sein könnte, all ihren Schmerz zu katalysieren und ihre eigene Stimme zu finden. Auch Isaac sieht in seiner Kunst ein Ventil für all die Emotionen, die sich in seinem Alltag mit seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater in einem schlecht geheizten Trailer, den unbezahlten Rechnungen und der brodelnden Gerüchteküche anstauen. Vor allem ist das Theater und seine Rolle in Shakespeares Hamlet jedoch seine Chance, Harmonys Elend endlich zu entkommen und sich mit seinem unfassbaren Talent ein besseres Leben zu ermöglichen.


Willow: "Meine Eltern liebten mich, wie man einen Kunstwerk liebte: einen Gegenstand, den man im Haus aufstellt und bewundert, und von dem man hofft, dass er eines Tages etwas wert sein würde. Und seit jener Party war ich ein unschöner Anblick geworden."


Die Autorin orientiert sich auch in der Aufteilung und Strukturierung ihrer Geschichte an diesem Hauptmotiv, welches sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht: Theater. So erzählt sie ihre Geschichte in drei Akten, auf welche auch ganz wunderbar der klassische Dramenaufbau angewandt werden kann. Der erste Akt, welcher den Großteil der Handlung einnimmt, ist eine wahnsinnig gefühlvolle und sensible Einführung in die Geschichte, in die Schicksale der beiden Figuren und eine Hinführung auf deren Beziehung. Ganz anders als ich das von Emma Scott bisher gewohnt war, lässt sich die Geschichte viel Zeit und konzentriert sich auf das Spannungsgefüge zwischen Isaac, Willow und deren Umfeld, ohne dass es schnell konkret wird. Auch wenn es zwischen Willow und Isaac schon bei der ersten Begegnung eindeutig funkt, setzt die Autorin eher auf Respekt, Vertrauen und Verständnis als Basis der Beziehung und zieht eine zarte Annäherung brodelnder Leidenschaft vor. Angesichts Willows Vorgeschichte ist dies nur stimmig und die Autorin hat meinen Respekt dafür, wie es ihr gelungen ist bei einem so starken Trauma stimmig Erotik einzubauen. Isaac und Willow entwickeln eine sehr besondere Verbindung und eine intime Nähe, ohne sich körperlich näher zu kommen. Obwohl es also über 300 Seiten dauert, bis sich die beiden auch nur küssen, habe ich selten eine so intensive Liebesgeschichte gelesen.


Isaac: "Willow Holloway sah aus wie die Weide, von der sie ihren Namen hatte: hübsch, zart und trauernd. Nicht von außen, sondern von innen. Martin Ford hatte mir beigebracht, darauf zu achten, wie Menschen in ihren Körpern wohnten, und nicht, was sie sagten oder taten. Dieses Mädchen war tiefgründig. Ihre Augen hatten sie verraten, als unsere Blicke sich begegnet waren."


Aufgrund des problematischen Hintergrunds und des schweren Schicksals beider Figuren, kommt der Roman zu Beginn recht schwermütig daher und die ersten Gefühle zarter Liebe müssen sich durch viel Dunkelheit hindurchkämpfen. Stimmungsmäßig wurde ich dabei stark an das erste Werk, dass ich von Emma Scott gelesen (und geliebt) habe erinnert. Genau wie in "Never Doubt" wird auch in "The Light In Us" der tiefe Schmerz der Protagonisten, der in Kunst umgewandelt wird, zum Hauptthema und die einfühlsame Heilung der Beiden reißt mit. Außerdem bestimmen auch hier wieder Gegensätze das Bild. "Never Doubt" ist zwar leise und sensibel erzählt aber mit brüllend lauten Schicksalen. Ruhig und ereignislos im Verlauf aber hochdramatisch unter der Oberfläche. Um es mal mit Isaacs Worten zu sagen: "Willows Geschichte traft mein Herz wie ein Vorschlaghammer. Schlug jedes Mal wieder zu, wenn ich daran dachte. Und ich dachte ständig daran." Auch wenn die Handlung nicht von Höhepunkten und wildem Auf und Ab geprägt ist, hat mich das, was Isaac aber vor allem Willow erdulden mussten und immer noch müssen immer wieder sprachlos gemacht.


Willow: „Jede Geschichte hat ein „bis“. Wenn das Schlimme passiert, das der Figur zeigt, was sie am meisten will. Aber wo ist das „bis“, was alles wiedergutmacht?"


Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung. Emma Scott schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich. Die zarte, gebrochene Willow ist am Ende... bis zu ihrem persönlichen "bis" der Geschichte. Bis sie Isaac trifft, in dem sie ihren eigenen Schmerz widergespiegelt sieht. Und oh man, habe ich mich in diese Figur verliebt. Zwar schließt man als Leser auch Willow sehr ins Herz und beobachtet mit starker emotionaler Beteiligung, wie sie langsam wächst, Isaac gehört jedoch zu den anbetungswürdigsten Charakteren, von denen ich je gelesen habe. Ich weiß auch nicht wieso, aber die Autorin hat einfach ein Händchen dafür, männliche Protagonisten zu erschaffen, die mich mit ihrer poetischen Tiefgründigkeit und gequälte Intensität immer wieder vom Hocker hauen.


Willow: "Plastics. Ich hasste die Bezeichnung. Ich schwor, sie nicht mehr zu benutzen. Ich spürte die leichte Panikattacke, die in meinen Adern surrte und zuzuschlagen drohte, und der Gedanke, ein anderes Mädchen zu hassen, fühlte sich wie Verrat an. Ich war nicht allein. Ich wusste, viele der Mädchen auf der Tanzfläche hatten Ähnliches erlebt wie ich. Vielleicht waren sie wie Plastik behandelt worden: billig und austauschbar. Etwas, das man einmal benutzte und dann entsorgte. Vielleicht hatte man sie schikaniert. Damit sie sich minderwertig fühlten. Hässlich. Fett. Scharfmacherin. Schlampe. Plastik."


Wirkliche Highlights waren für mich auch der weise Martin, Regisseur, Theaterbesitzer und Ersatzvater, welcher Willow und Isaac mit einfühlsamen Ratschlägen und helfender Hand zur Seite steht und die herzliche Angie, beste Freundin und Rettungsanker, die man nicht nur wegen ihrer quirligen Witze und unschlagbarer T-Shirt-Sprüche ins Herz schließt. Übrigens: Auch wenn an der Übersetzung von Inka Marter nichts auszusetzen ist, musste ich schmunzeln, als ich die Aufschrift von Angies T-Shirt als "Ich schwöre feierlich, dass ich nichts Gutes im Schilde führe" übersetzt sah. Hier wurde deutlich, dass die Übersetzerin wohl die Referenz zu Harry Potter übersehen hatte, dessen bekanntes Zitat "I solemnly swear that I am up to no good" gemeinhin als "Ich schwöre feierlich, ich bin ein Tunichtgut" übersetzt wird. Aber das nur als eine kleine Nerd-Notiz am Rande. Andere auftretende Figuren hingegen wie zum Beispiel Isaacs Vater, der sich und jegliche Verantwortung für seinen Sohn gleich mit vor Jahren aufgegeben hat, Willows oberflächliche Eltern, die lieber ignorieren, was sich direkt vor ihrer Nase befindet, als sich unliebsamen Wahrheiten zu stellen oder Willows Mitschüler und Hamlet-Bruder Justin, der der unsensibelste Kotzbrocken ist, von dem ich jemals gelesen habe, will man einfach nur schütteln.


Willow: "Es wird immer schwerer, die Realität von der Fiktion zu unterscheiden."
Angie runzelte die Stirn. "Es ist schwer, die Realität von einem uralten Stück über Hofleute und Prinzen und Totengräber zu unterscheiden?"
"Das ist Kunst"; sagte ich und erinnerte mich an Isaacs Worte. "Je besser sie ist, desto mehr kann man sich darin wiedererkennen."


Der zweite Akt startet dann im letzten Drittel des Buches, als Isaac und Willow endlich zusammengefunden haben. Die Besonderheit bei diesem eher kürzeren zweiten Teil, der einige Wendungen, Entwicklungen und auch den ersten Höhepunkt der Geschichte enthält, ist die starke Verschmelzung von Theater und Realität. Schon zuvor steht die Einbindung vieler Shakespeare-Zitate, Stücke, Motive und Gedanken durch die das Vorsprechen, die Vorbereitung und die Proben des Stücks auf der Tagesordnung. Ich kannte den Klassiker "Hamlet" vorher noch nicht, Emma Scott schiebt jedoch beiläufig an den richtigen Stellen die nötigen Erklärungen ein, sodass man auch als unwissender Laie mitkommt. Hier lernt man jedoch nicht nur am Rande mehr über diesen Klassiker, sondern verfolgt auch mit, wie die Figuren ihre Emotionen mit ins Stück hineinbringen und durch die fremden, uralten Worte ihre Geschichte erzählen. Mit fortschreitender Handlung lassen sich dadurch immer mehr Parallelen zwischen Stück und Realität erkennen, welche wie zwei Handlungsstränge nebeneinander und ineinander laufen. Wer zu Beginn der Geschichte ein bisschen aufgepasst hat, weiß, dass "Hamlet" eine Tragödie ist, die für alle Beteiligten nicht gut ausgeht. Die zunehmende Verwebung von herzzerreißender Liebesgeschichte und verstaubtem Stück gibt also eine leise Vorausdeutung auf einen dramatischen Ausgang der Geschichte und verleiht gerade dem zweiten Akt eine unglaublich fesselnde Dynamik und Atmosphäre.


Isaac: "Ich stand jetzt alleine da, den Blick auf Willow und nichts sonst gerichtet, und sprach den Text, der mir gegeben worden war. "Ich liebe Ophelia."
Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich.
Willow machte die Augen auf, und ihre Lippen öffneten sich bei einem leisen Seufzer. Ein winziges Einatmen, das über die stille Bühne wisperte."


Akt drei, der kürzeste der drei Teile, beinhaltet dann das berühmt berüchtigte retardierende Moment mit dem zweitem Höhepunkt sowie das Happy End am Ende und hat mich leider ziemlich enttäuscht. Denn nach dem großen, von Missverständnissen und Schmerz geprägten Ende des zweiten Akts, habe ich umgeblättert und wäre fast vom Stuhl gekippt, als ich die ersten Zeilen der nächsten Seite gelesen habe. Statt die Figuren etwas leiden zu lassen, bevor sie die Kurve bekommen und ihre Probleme aus der Welt schaffen, setzt die Autorin an dieser Stelle einfach einen Zeitsprung ein und springt drei Jahre in die Zukunft. Warum ich das nach der langsamen Hinführung der vorangegangenen Handlung als starken Bruch empfunden habe, muss ich wohl kaum erklären. An die spektakuläre Endszene des Theaterstücks mit dem Streit und der Trennung hätte man wunderbar anknüpfen und die Geschichte linear zu Ende erzählen können. Endkonfrontation und die finalen Entwicklungsschritte der Figuren hätte meiner Meinung nach auch ohne Zeitsprung geklappt. Dass Emma Scott sich die plötzliche Wendung nicht zu nutzen macht, um noch mehr Tiefe in die Geschichte zu bekommen, und sie stattdessen wichtige Schlüsselszenen einfach durch den Zeitsprung überspringt, finde ich einfach nur enttäuschend. Insgesamt ist auch ihr letzter Akt logisch und in sich stimmig, man verliert die Figuren aber zwischenzeitlich aus den Augen und die Geschichte büßt emotionale Nähe ein.


Willow: "Du bist mein "bis". Das "bis", das alles besser macht".


Dass nach starker Vorarbeit im letzten Drittel ein paar Baustellen auftreten, habe ich schon bei mehreren Büchern der Autorin beobachtet und kritisiert, zum Beispiel auch "The Light In Us" oder "All In - Zwei Versprechen": die Autorin drückt auf den letzten 50 Seiten häufig wahnsinnig aufs Gaspedal, überspringt dadurch für die Entwicklung ihrer Figuren essenzielle Szenen, als würde sie mit aller Kraft noch möglichst viel Leben und Happy End Potential abklappern wollen, bevor sie ihre Figuren ins Ungewisse überlässt. Ein Ende, das den langsameren Verlauf der Geschichte zuvor fortsetzt und nach dem Überwinden des Hauptkonflikts mit einem offenen aber durchaus positiven Ende schließt, wäre mir hier lieber gewesen. So störten mich auch plötzlich verständnisvolle Eltern, sich in Luft auflösende Probleme und plötzlich überquellende Konten, welche die Glaubwürdigkeit der ganzen Handlung einen kleinen Dämpfer versetzen. Das richtige Ende ist dann aber wieder so voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit, dass ich beim Beenden der Geschichte schon wieder alle Kritikpunkte vergessen hatte. Egal was vorher etwas ungünstig aufgezogen war - die gewählte Schlussszene ist einfach genau richtig und hat mir sogar ein paar Tränchen entlockt und als ich das Buch aus der Hand legte, war ich emotional komplett am Ende! Trotzdem würde ich mir das jederzeit wieder antun für diese einmalige Achterbahn der Emotionen!


Willow: "Er küsste mich sanft. "Zweifle nicht."
Ich schüttelte den Kopf. "Niemals."


Wenn man die Geschichte nach ihrem Grad der emotionalen Zerstörung, der Happy End-Schönheit, der Protagonisten-Lovability oder dem Schreibstil beurteilt, bekommt sie ganz klar 5 Sterne. Nimmt man jedoch eine Variable, nämlich das Leserherz, aus der Gleichung heraus und betrachtet die Geschichte mit ein wenig Abstand, lassen sich vor allem im letzten Akt einige kleine Baustellen entdecken, die es mir leider nicht erlauben, eine uneingeschränkte Leseempfehlung auszusprechen. Gerade am Ende gibt es einige Stellen, an denen ich mir eine etwas andere Lösung gewünscht hätte, weshalb ich "nur" 4,5 Sterne vergebe.




Fazit:


Emma Scott hat hier (mal wieder) eine tragische, intensive und hochemotionale Geschichte über zwei zerstörte Künstlerseelen geschrieben, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden. Die Magie der Geschichte liegt zwischen den Zeilen, zwischen den Worten, in den Emotionen der Figuren und deren vorsichtiger Entwicklung.

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Veröffentlicht am 05.03.2021

Grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt

Never Never
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Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die ...

Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die Taschenbuchauflage herausgebracht hat, habe ich meine Chance ergriffen und ein Rezensionsexemplar ergattert. Und, was soll ich sagen: dieses Gemeinschaftsprojekt der Autorinnen Hoover und Fisher hat mich zuerst verwirrt, dann begeistert und dann enttäuscht, in dieser Reihenfolge!


Silas: "Ich ziehe es vor, dich zu lieben, wenn du ganz unten angekommen bist, anstatt dich an der Spitze zu verachten."


Um das zu verstehen muss man wissen, dass sich hinter dem typischen, pink-weißen Hoover-meets-dtv-Verlag-Cover mit den dunklen Silhouetten, eine dreigeteilte Geschichte verbirgt. Da jede weitere Information, die über den Klapptext hinausgeht, ein schwerwiegender Spoiler ist, sollten alle, die die Geschichte noch nicht gelesen haben, JETZT aufhören, weiterzulesen und sofort zum Fazit springen (Spoiler Alert!!!). Das Autorinnenduo hat "Never Never" ursprünglich in drei getrennten Kurzromanen veröffentlicht, die deutsche Ausgabe vereint also alle drei Teile und den Epilog. Da jeder der drei Teile mit einem Gedächtnisverlust mitten in der Handlung endet, ist es mehr als sinnvoll, alle drei Abschnitt direkt hintereinander zu lesen, weshalb ich dem dtv Verlag für die Zusammenlegung sehr dankbar bin.


Erster Satz: "Ein Poltern."


Im ersten Teil lernen wir die beiden Highschool-Seniors Charlie und Silas kennen, welche nicht nur beste Freunde seit ihrer Kindheit, sondern auch seit mehreren Jahren in einer Beziehung sind... zumindest sagen ihre Freunde das. Denn die beiden können sich an nichts mehr erinnern. Nicht wer sie selbst sind, nicht wer der andere ist, nicht wer ihre Familie und Freunde sind - nichts. Und das, obwohl sie sich geschworen haben "Niemals aufzuhören, niemals zu vergessen" - "Never Never". Abwechselnd aus der Sicht von Charlie und Silas erzählt, folgen wir den beiden auf der verwirrenden Suche nach der Wahrheit und stehen ihnen bei ihren Schwierigkeiten bei, sich mit weggewischten Erinnerungen durch den Schul- und Familienalltag zu kämpfen. Dieser erste Teil führt also auf äußerst intensive und verwirrende Art und Weise in die Geschichte ein und baut eine immense Spannung auf, da man natürlich wissen will, was, oder wer zu dem gemeinsamen Gedächtnisverlust geführt hat.


Silas: "Alles an ihr ist faszinierend - so wie die Auswirkungen einer Naturkatastrophe, an denen die Menschen sich nicht erfreuen sollen, doch sie gaffen trotzdem. Charlie ist die Schneise der Zerstörung, die ein Tornado hinter sich lässt."


Ist der erste Teil Spannung und Verwirrung pur, geht es im darauffolgenden Teil 2 vor allem um die Annäherung der beiden Figuren und deren zurückliegende Beziehungsgeschichte. Sehr interessant ist, dass man trotz der ständigen Amnesien alle 48 Stunden relativ schnell ein Gefühl für die Figuren bekommt und sie ihre zentralen Attribute behalten, auch wenn ihr autobiografisches Gedächtnis komplett ausradiert ist. So schließt man den liebevollen, charmanten Silas mit dem Fotografenauge und den lahmen Witzen sofort ins Herz, während man die eher trockene, abweisende Charlie mit mehr Skepsis beobachtet. Doch auch wenn man die beiden Hauptfiguren nicht zu jedem Zeitpunkt der Geschichte mag und enthüllte Geheimnisse das Bild, das wir uns von ihnen gemacht haben, immer wieder zerrüttet, ist es wahnsinnig interessant, den beiden zuzusehen, wie sie sich immer neu verlieben. Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier also eine sehr unkonventionelle, kreative Art und Weise gefunden, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Die Entwicklung der aktuellen Anziehung und Nähe zwischen den Figuren wird nämlich begleitet durch die nicht lineare Erzählweise der Vergangenheit, bei der der Leser selbst die Beziehungsgeschichte aus bruchstückhaften Informationen zusammenpuzzeln muss, welche wir durch Videos, Liebesbriefe, Tagebucheinträge, Nachrichtenverläufe und Erzählungen von Außenstehenden erhalten.


Charlie: "Das heißt, du hast es auch gespürt?", fragt er und rennt um mich herum, um sich vor mich zu stellen. Ich erwäge, ihm die Wahrheit zu sagen. Dass, wenn ich tot wäre, wie Schneewittchen und er mich so küssen würde, mein Herz bestimmt wieder anfangen würde zu schlagen. Dass ich bereit wäre, Drachen zu erlegen für diesen Kuss. Aber wir haben nicht die Zeit, uns so zu küssen. Wir müssen herausfinden, was passiert ist und wie wir es rückgängig machen können. "Ich habe gar nichts gespürt."


"Never Never" ist also ganz anders als erwartet keine typische Liebesgeschichte, sondern eine atmosphärisch dichte Schnitzeljagd, während der Charlie und Silas der Wahrheit immer näherkommen und sich dabei immer wieder aufs Neue verlieben... Soweit so gut. Leider ist diese grandiose Grundidee zwar spannend umgesetzt, aber nicht konsequent zu Ende geführt. Denn was in Teil 1 spannend schmackhaft gemacht und in Teil 2 mit viel Fingerspitzengefühl vertieft wurde, sollte in Teil 3 eigentlich zufriedenstellen aufgelöst werden. Dass dies aber nicht gelingt ist das große Manko der Geschichte, denn die abrupte, unspektakuläre Auflösung zerstört leider einen Großteil der zuvor aufgebauten Magie. Was rasant und spannend beginnt, verliert schon nach wenigen Seiten an Drive - es fehlen neue Erkenntnisse, die Weiterentwicklung von Familiendynamik und ein richtiger Höhepunkt. Darüber hinaus bleiben viele Fragen offen und ungeklärt. Ganz schmerzhaft habe ich zum Beispiel die Auflösung des Hauptmotivs, also dem Schwur "Never Never" vermisst. Wie kommen zwei 14jährige dazu, sich das zu schwören und in welchem Zusammenhang steht es mit den späteren Entwicklungen?


Silas: "Niemals darfst du vergessen. dass dein erster Kuss mir gehörte. Niemals darfst du vergessen, dass dir auch mein letzter gehören wird. Und zwischen diesem ersten und dem letzten darfst du niemals aufhören, mich zu lieben. Niemals aufhören, Charlie. Niemals vergessen. Never Never."


Fast alle auf den vorherigen 300 Seiten ausgestreuten Hinweise verlaufen sich im Sand und werden nicht weiter aufgegriffen, auch wenn einige durchaus Potential gehabt hätten. Die Auflösung kommt also komplett aus dem Blaue heraus, was sehr enttäuscht, da man sich als Leser natürlich seine eigenen Theorien bastelt. Bis zum dritten Abschnitt ist alles offen - ob die Geschichte in Richtung Mystery, Psychodrama, Krimi oder Wissenschaftsthriller gehen wird lässt sich schwer abschätzen und gerade die Ratlosigkeit, was hinter alldem steckt, ist ein Hauptantrieb der Geschichte. Was sich die beiden Autorinnen hier jedoch schlussendlich überlegt haben, ist eher lasch und klingt nach einem lauen Kompromiss zwischen verschiedenen Ideen.


Silas: "Ich schließe die Augen und weiß, dass es genau so sein sollte, wie jetzt.
Charlie und Silas.
Zusammen."


Spoiler: Ich hatte entweder etwas düsteres, Voodoo-mäßiges, eine komplexe Familienintrige, oder etwas wissenschaftlich Erklärbares erwartet, aber Schicksal und Liebe? Das klang in meinen Ohren zu schwammig und vage, um als Erklärung durchgehen zu können. Nicht nur rein inhaltlich ist die Wendung eher enttäuschend, auch handwerklich ist die Erklärung für alles nicht besonders gekonnt eingefügt. Eine richtig gute Wendung ist meiner Meinung nach dadurch ausgezeichnet, dass man leise Hinweise und Andeutungen finden würde, wenn man die Geschichte mit dem neuen Wissen nocheinmal lesen würde, sie aber zu subtil sind, als dass sie einem beim Lesen sofort auffallen würden. Hier gibt es keine solche Hinweise und somit erscheint die Auflösung leider, als wären sich Colleen Hoover und Tarryn Fisher bis zum Ende nicht einig gewesen, wie ihre Geschichte enden soll.


Silas: "Meine Mutter sagt immer, Menschen in unserem Alter können noch nicht richtig lieben, aber das glaube ich nicht. Die Erwachsenen tun immer so, als wären unsere Gefühle nicht so groß und wichtig wie ihre - als wären wir zu jung, um zu wissen, was wir wirklich wollen. Aber ich glaube, dass wir letztlich etwas ganz Ähnliches wollen wie sie. Wir wollen jemanden finden, der an uns glaubt. Der zu uns steht und uns ein Stück der Einsamkeit nimmt."


Bevor ich zu meinem Fazit kommen, will ich eines nochmal hervorheben: In vielen Rezensionen habe ich gelesen, wie Colleen Hoover Fans alles Schwächen von "Never Never" gerne der Co-Autorin Tarryn Fisher zuschreiben. Ich finde das äußerst schwierig und kurzsichtig, da wir einfach nicht beurteilen können, wer nun genau was geschrieben hat und es demnach meines Erachtens müßig ist, in einem gemeinsamen Projekt einer Schriftstellerin die Schuld für Versäumnisse und einer anderen das Lob für Gelungenes zuzuweisen. Ich kenne Tarryn Fishers Stil noch nicht aus anderen Romanen, während ich schon einiges von Colleen Hoover gelesen habe, dennoch konnte ich nicht feststellen, welche Autorin welchen Part geschrieben hat. Bücher kann man meiner Meinung nach nur als Gesamtpaket beurteilen und mein Urteil fällt gemischt aus: Einem spannenden ersten Teil folgt ein genialer Mittelteil, der auf ungewöhnliche Art und Weise eine Liebesgeschichte erzählt, bevor der letzte Teil leider vieles verpasst.


Zum Abschluss noch eines meiner liebsten Zitate:


Charlie: "Wessen Meinung zählt eigentlich im Leben? Die der Eltern? Meine Meinung kann ich schonmal vergessen. Die des Freundes? Wenn man nicht gerade mit einem Heiligen wie Silas Nash zusammen ist, könnte das ganz schön schiefgehen. Ich überlege, was ich wohl Janette raten würde, sollte sie mir diese Frage stellen. "Vetrau deinem Instinkt", sage ich laut.
"Wovon redest du?", fragt Silas. Er kramt in einer Schachtel herum, die er in seinem Schrank gefunden hat, doch er hockt sich zurück auf die Fersen, um mich anzusehen.
"Vertrau deinem Instinkt und nicht deinem Herzen, denn dein Herz will es allen recht machen, und auch nicht deinem Hirn, weil es sich zu sehr auf die Logik verlässt."





Fazit:


Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier eine grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt. "Never Never" begeistert mit einem hochspannenden Einstieg, einer feinfühligen Charakterisierung der Figuren und einer kreativen Erzählart, leider kann das Ende und die Auflösung des großen Rätsels jedoch nicht übe

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Veröffentlicht am 05.03.2021

Grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt

Never Never
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Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die ...

Bis auf "Never Never" und "Too late" habe ich bislang alle Projekte von der "Queen of Hearts", Colleen Hoover gelesen. Als der dtv Verlag letzte Woche - zwei Jahre nach dem Ersterscheinungstermin, die Taschenbuchauflage herausgebracht hat, habe ich meine Chance ergriffen und ein Rezensionsexemplar ergattert. Und, was soll ich sagen: dieses Gemeinschaftsprojekt der Autorinnen Hoover und Fisher hat mich zuerst verwirrt, dann begeistert und dann enttäuscht, in dieser Reihenfolge!


Silas: "Ich ziehe es vor, dich zu lieben, wenn du ganz unten angekommen bist, anstatt dich an der Spitze zu verachten."


Um das zu verstehen muss man wissen, dass sich hinter dem typischen, pink-weißen Hoover-meets-dtv-Verlag-Cover mit den dunklen Silhouetten, eine dreigeteilte Geschichte verbirgt. Da jede weitere Information, die über den Klapptext hinausgeht, ein schwerwiegender Spoiler ist, sollten alle, die die Geschichte noch nicht gelesen haben, JETZT aufhören, weiterzulesen und sofort zum Fazit springen (Spoiler Alert!!!). Das Autorinnenduo hat "Never Never" ursprünglich in drei getrennten Kurzromanen veröffentlicht, die deutsche Ausgabe vereint also alle drei Teile und den Epilog. Da jeder der drei Teile mit einem Gedächtnisverlust mitten in der Handlung endet, ist es mehr als sinnvoll, alle drei Abschnitt direkt hintereinander zu lesen, weshalb ich dem dtv Verlag für die Zusammenlegung sehr dankbar bin.


Erster Satz: "Ein Poltern."


Im ersten Teil lernen wir die beiden Highschool-Seniors Charlie und Silas kennen, welche nicht nur beste Freunde seit ihrer Kindheit, sondern auch seit mehreren Jahren in einer Beziehung sind... zumindest sagen ihre Freunde das. Denn die beiden können sich an nichts mehr erinnern. Nicht wer sie selbst sind, nicht wer der andere ist, nicht wer ihre Familie und Freunde sind - nichts. Und das, obwohl sie sich geschworen haben "Niemals aufzuhören, niemals zu vergessen" - "Never Never". Abwechselnd aus der Sicht von Charlie und Silas erzählt, folgen wir den beiden auf der verwirrenden Suche nach der Wahrheit und stehen ihnen bei ihren Schwierigkeiten bei, sich mit weggewischten Erinnerungen durch den Schul- und Familienalltag zu kämpfen. Dieser erste Teil führt also auf äußerst intensive und verwirrende Art und Weise in die Geschichte ein und baut eine immense Spannung auf, da man natürlich wissen will, was, oder wer zu dem gemeinsamen Gedächtnisverlust geführt hat.


Silas: "Alles an ihr ist faszinierend - so wie die Auswirkungen einer Naturkatastrophe, an denen die Menschen sich nicht erfreuen sollen, doch sie gaffen trotzdem. Charlie ist die Schneise der Zerstörung, die ein Tornado hinter sich lässt."


Ist der erste Teil Spannung und Verwirrung pur, geht es im darauffolgenden Teil 2 vor allem um die Annäherung der beiden Figuren und deren zurückliegende Beziehungsgeschichte. Sehr interessant ist, dass man trotz der ständigen Amnesien alle 48 Stunden relativ schnell ein Gefühl für die Figuren bekommt und sie ihre zentralen Attribute behalten, auch wenn ihr autobiografisches Gedächtnis komplett ausradiert ist. So schließt man den liebevollen, charmanten Silas mit dem Fotografenauge und den lahmen Witzen sofort ins Herz, während man die eher trockene, abweisende Charlie mit mehr Skepsis beobachtet. Doch auch wenn man die beiden Hauptfiguren nicht zu jedem Zeitpunkt der Geschichte mag und enthüllte Geheimnisse das Bild, das wir uns von ihnen gemacht haben, immer wieder zerrüttet, ist es wahnsinnig interessant, den beiden zuzusehen, wie sie sich immer neu verlieben. Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier also eine sehr unkonventionelle, kreative Art und Weise gefunden, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Die Entwicklung der aktuellen Anziehung und Nähe zwischen den Figuren wird nämlich begleitet durch die nicht lineare Erzählweise der Vergangenheit, bei der der Leser selbst die Beziehungsgeschichte aus bruchstückhaften Informationen zusammenpuzzeln muss, welche wir durch Videos, Liebesbriefe, Tagebucheinträge, Nachrichtenverläufe und Erzählungen von Außenstehenden erhalten.


Charlie: "Das heißt, du hast es auch gespürt?", fragt er und rennt um mich herum, um sich vor mich zu stellen. Ich erwäge, ihm die Wahrheit zu sagen. Dass, wenn ich tot wäre, wie Schneewittchen und er mich so küssen würde, mein Herz bestimmt wieder anfangen würde zu schlagen. Dass ich bereit wäre, Drachen zu erlegen für diesen Kuss. Aber wir haben nicht die Zeit, uns so zu küssen. Wir müssen herausfinden, was passiert ist und wie wir es rückgängig machen können. "Ich habe gar nichts gespürt."


"Never Never" ist also ganz anders als erwartet keine typische Liebesgeschichte, sondern eine atmosphärisch dichte Schnitzeljagd, während der Charlie und Silas der Wahrheit immer näherkommen und sich dabei immer wieder aufs Neue verlieben... Soweit so gut. Leider ist diese grandiose Grundidee zwar spannend umgesetzt, aber nicht konsequent zu Ende geführt. Denn was in Teil 1 spannend schmackhaft gemacht und in Teil 2 mit viel Fingerspitzengefühl vertieft wurde, sollte in Teil 3 eigentlich zufriedenstellen aufgelöst werden. Dass dies aber nicht gelingt ist das große Manko der Geschichte, denn die abrupte, unspektakuläre Auflösung zerstört leider einen Großteil der zuvor aufgebauten Magie. Was rasant und spannend beginnt, verliert schon nach wenigen Seiten an Drive - es fehlen neue Erkenntnisse, die Weiterentwicklung von Familiendynamik und ein richtiger Höhepunkt. Darüber hinaus bleiben viele Fragen offen und ungeklärt. Ganz schmerzhaft habe ich zum Beispiel die Auflösung des Hauptmotivs, also dem Schwur "Never Never" vermisst. Wie kommen zwei 14jährige dazu, sich das zu schwören und in welchem Zusammenhang steht es mit den späteren Entwicklungen?


Silas: "Niemals darfst du vergessen. dass dein erster Kuss mir gehörte. Niemals darfst du vergessen, dass dir auch mein letzter gehören wird. Und zwischen diesem ersten und dem letzten darfst du niemals aufhören, mich zu lieben. Niemals aufhören, Charlie. Niemals vergessen. Never Never."


Fast alle auf den vorherigen 300 Seiten ausgestreuten Hinweise verlaufen sich im Sand und werden nicht weiter aufgegriffen, auch wenn einige durchaus Potential gehabt hätten. Die Auflösung kommt also komplett aus dem Blaue heraus, was sehr enttäuscht, da man sich als Leser natürlich seine eigenen Theorien bastelt. Bis zum dritten Abschnitt ist alles offen - ob die Geschichte in Richtung Mystery, Psychodrama, Krimi oder Wissenschaftsthriller gehen wird lässt sich schwer abschätzen und gerade die Ratlosigkeit, was hinter alldem steckt, ist ein Hauptantrieb der Geschichte. Was sich die beiden Autorinnen hier jedoch schlussendlich überlegt haben, ist eher lasch und klingt nach einem lauen Kompromiss zwischen verschiedenen Ideen.


Silas: "Ich schließe die Augen und weiß, dass es genau so sein sollte, wie jetzt.
Charlie und Silas.
Zusammen."


Spoiler: Ich hatte entweder etwas düsteres, Voodoo-mäßiges, eine komplexe Familienintrige, oder etwas wissenschaftlich Erklärbares erwartet, aber Schicksal und Liebe? Das klang in meinen Ohren zu schwammig und vage, um als Erklärung durchgehen zu können. Nicht nur rein inhaltlich ist die Wendung eher enttäuschend, auch handwerklich ist die Erklärung für alles nicht besonders gekonnt eingefügt. Eine richtig gute Wendung ist meiner Meinung nach dadurch ausgezeichnet, dass man leise Hinweise und Andeutungen finden würde, wenn man die Geschichte mit dem neuen Wissen nocheinmal lesen würde, sie aber zu subtil sind, als dass sie einem beim Lesen sofort auffallen würden. Hier gibt es keine solche Hinweise und somit erscheint die Auflösung leider, als wären sich Colleen Hoover und Tarryn Fisher bis zum Ende nicht einig gewesen, wie ihre Geschichte enden soll.


Silas: "Meine Mutter sagt immer, Menschen in unserem Alter können noch nicht richtig lieben, aber das glaube ich nicht. Die Erwachsenen tun immer so, als wären unsere Gefühle nicht so groß und wichtig wie ihre - als wären wir zu jung, um zu wissen, was wir wirklich wollen. Aber ich glaube, dass wir letztlich etwas ganz Ähnliches wollen wie sie. Wir wollen jemanden finden, der an uns glaubt. Der zu uns steht und uns ein Stück der Einsamkeit nimmt."


Bevor ich zu meinem Fazit kommen, will ich eines nochmal hervorheben: In vielen Rezensionen habe ich gelesen, wie Colleen Hoover Fans alles Schwächen von "Never Never" gerne der Co-Autorin Tarryn Fisher zuschreiben. Ich finde das äußerst schwierig und kurzsichtig, da wir einfach nicht beurteilen können, wer nun genau was geschrieben hat und es demnach meines Erachtens müßig ist, in einem gemeinsamen Projekt einer Schriftstellerin die Schuld für Versäumnisse und einer anderen das Lob für Gelungenes zuzuweisen. Ich kenne Tarryn Fishers Stil noch nicht aus anderen Romanen, während ich schon einiges von Colleen Hoover gelesen habe, dennoch konnte ich nicht feststellen, welche Autorin welchen Part geschrieben hat. Bücher kann man meiner Meinung nach nur als Gesamtpaket beurteilen und mein Urteil fällt gemischt aus: Einem spannenden ersten Teil folgt ein genialer Mittelteil, der auf ungewöhnliche Art und Weise eine Liebesgeschichte erzählt, bevor der letzte Teil leider vieles verpasst.


Zum Abschluss noch eines meiner liebsten Zitate:


Charlie: "Wessen Meinung zählt eigentlich im Leben? Die der Eltern? Meine Meinung kann ich schonmal vergessen. Die des Freundes? Wenn man nicht gerade mit einem Heiligen wie Silas Nash zusammen ist, könnte das ganz schön schiefgehen. Ich überlege, was ich wohl Janette raten würde, sollte sie mir diese Frage stellen. "Vetrau deinem Instinkt", sage ich laut.
"Wovon redest du?", fragt Silas. Er kramt in einer Schachtel herum, die er in seinem Schrank gefunden hat, doch er hockt sich zurück auf die Fersen, um mich anzusehen.
"Vertrau deinem Instinkt und nicht deinem Herzen, denn dein Herz will es allen recht machen, und auch nicht deinem Hirn, weil es sich zu sehr auf die Logik verlässt."





Fazit:


Colleen Hoover und Tarryn Fisher haben hier eine grandiose Grundidee spannend umgesetzt, aber leider nicht konsequent zu Ende geführt. "Never Never" begeistert mit einem hochspannenden Einstieg, einer feinfühligen Charakterisierung der Figuren und einer kreativen Erzählart, leider kann das Ende und die Auflösung des großen Rätsels jedoch nicht übe

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