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Veröffentlicht am 11.03.2023

Besser als Band 1, aber immer noch nicht gänzlich überzeugend!

Unravel Me
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Handlung: Nachdem mich der Auftakt von "Shatter Me" inhaltlich nicht wirklich überzeugen, aber trotzdem bis zum Ende mitreißen konnte, habe ich beschlossen, der Reihe nochmal eine zweite Chance zu geben. ...

Handlung: Nachdem mich der Auftakt von "Shatter Me" inhaltlich nicht wirklich überzeugen, aber trotzdem bis zum Ende mitreißen konnte, habe ich beschlossen, der Reihe nochmal eine zweite Chance zu geben. Auch nach "Unravel Me" bin ich noch nicht vollständig überzeugt, habe aber den Eindruck, dass sich ein weiteres Dranbleiben lohnt. Die erste Hälfte der Geschichte hat sich für mich leider ganz furchtbar gezogen, da bis auf Juliettes holpriges Einfinden im Omega Point und einigen Schwierigkeiten mit Adam nichts passiert. Erst kurz nach der Hälfte, als Aaron Warner einen erneuten Auftritt hat, konnte die Autorin für mich das Steuer herumreißen und an den packenden Sog des ersten Bandes anknüpfen. Das sehr grob und unklar umrissene Worldbuilding wird in dieser Fortsetzung minimal weiter ausgebaut. Wir erfahren aber immer noch nicht viel Nennenswerten über das postapokalyptische Setting und die Machtstrukturen des Reestablishments. Auch die grundlegende Idee der Geschichte erscheint für mich weiterhin weder überzeugend noch besonders originell. Eine Menschheit am Rande des Ruins, ein böses diktatorisches Regime, eine rebellische Untergrundbewegung, ein Mädchen mit Superkräften, das alle als Waffe einsetzen möchten und zwei Männer, die die jeweiligen Seiten des Konflikts verkörpern - das ist der Prototyp des typischen, klischeehaften Dystopie-Plots, was nicht verwunderlich ist, da die Geschichte ursprünglich mitten in der 2010er-Dystopienphase erschienen ist. Da erhoffe ich mir von den folgenden Bänden noch deutlich mehr neue Ideen!

Schreibstil
: In meiner Rezension zu Band 1 habe ich schon die besondere Wirkung von Tahereh Mafis experimentellem, außergewöhnlichen Schreibstil beschrieben. Sie schreibt beinahe lyrisch, mit einem unwiderstehlichen Rhythmus, vielen Wiederholungen, sehr vielen Metaphern und Wortbildern, sodass manche Stellen ein wenig wie Poetry Slam klingen. Dazu passt auch die sanfte, träumerische Stimme des Originalhörbuchs, die die im Print-Buch als tagebuchartige Notizen festgehaltenen Szenen als Gedankenstrom zum Leben erweckt. Etwas befremdlich ist dabei, dass viele Worte oder ganze Sätze durchgestrichen sind (im Hörbuch durch ein Geräusch eines Stifts auf Papier verwirklicht) und die meisten Wortbilder keinen Sinn ergeben, was diesen zuvor beschriebenen Eindruck von Verwirrung und Entrückung verstärkt und das Chaos in Juliettes Kopf auf sehr eindringliche Art und Weise widerspiegelt.

Figuren
: Während Handlung und Worldbuilding für mich weiterhin ausbaufähig bleiben und der Schreibstil auch hier ein großer Pluspunkt darstellt, haben sich die Charakterzeichnungen hier deutlich verbessert. Besonders Hauptfigur und Ich-Erzählerin Juliette (die zuvor für mich noch sehr unrealistisch dargestellt wurde, indem sie nach einer lieblosen Kindheit, traumatischer Schuld und nicht zuletzt einem Jahr ohne menschlichen Kontakt in dunkler Isolationshaft plötzlich zur mental gesunden Kämpferin in einem Konflikt wird, von dem sie zuvor noch nichts wusste) erhielt hier mehr Tiefe und hatte ihrer Vergangenheit entsprechend einige psychische Schwierigkeiten. Adam, welcher mich mit seiner Insta-Love-Liebe zu Juliette sowie einer Figurenzeichnung auf Wattpad-Niveau in Band 1 ziemlich genervt hat, kommt hier zum Glück weniger vor und hat eine weniger tragende Rolle. Dafür rücken andere Nebenfiguren auf dem Rebellenstützpunkt weiter in den Fokus. Am meisten gefreut habe ich mich allerdings über den Auftritt von Aaron Warner, der hier eine Kehrtwende vom psychopathischen Bösewicht zum interessanten und ambivalenten Love Interest hinlegt. Wie glaubhaft die plötzliche Entwicklung und auch die Veränderung von Juliettes Bild von ihm ist, kann diskutiert werden, ich habe aber den Eindruck, dass wir mit ihm in den nächsten vier Bänden noch viel Spaß haben werden...


Die Zitate:


"Run, Juliette, run faster, run until your bones break and your shins split and your muscles atrophy and your heart dies because it was always too big for your chest and it beat too fast for too long and you run.
Run run run until you can't hear their feet behind you. Run until they drop their fists and their shouts dissolve in the air. Run with your eyes open and your mouth shut and dam the river rushing up behind your eyes. Run, Juliette.
Run until you drop dead. Make sure your heart stops before they ever reach you. Before they ever touch you.
Run, I said.”

"Hope. It's like a drop of honey, a field of tulips blooming in the springtime. It's a fresh rain, a whispered promise, a cloudless sky, the perfect punctuation mark at the end of a sentence. And it's the only thing in the world keeping me afloat."

"I am nothing more than the consequence of catastrophe."

"He’s kissing me like the world is rolling right off a cliff, like he’s trying to hang on and he’s decided to hold on to me, like he’s starving for life and love and he’s never known it could ever feel this good to be close to someone. Like it’s the first time he’s ever felt anything but hunger and he doesn’t know how to pace himself, doesn’t know how to eat in small bites, doesn’t know how to do anything anything anything in moderation."


Das Urteil:


Auch nach "Unravel Me" bin ich noch nicht vollständig überzeugt, habe aber den Eindruck, dass sich ein weiteres Dranbleiben lohnt. Während Handlung und Worldbuilding für mich weiterhin ausbaufähig bleiben und der Schreibstil auch hier ein großer Pluspunkt darstellt, haben sich die Charakterzeichnungen hier deutlich verbessert und versprechen viel Spaß in den nächsten Bänden.

3,5 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.03.2023

Eine großartige Musikbiographie!

Daisy Jones & The Six
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Handlung: Nachdem mich Taylor Jenkins Reid in "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" tief beeindruckt hat, habe ich mir sofort ihr weithin gehypter und international bekannter Bestseller "Daisy Jones & The ...

Handlung: Nachdem mich Taylor Jenkins Reid in "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" tief beeindruckt hat, habe ich mir sofort ihr weithin gehypter und international bekannter Bestseller "Daisy Jones & The Six" bestellt. Ganz an die Geschichte von Evelyn Hugo konnte "Daisy Jones & The Six" für mich zwar nicht heranreichen, die Autorin hat hier aber wieder eine großartige fiktive Musikbiografie geschrieben, der man jedes Detail abkauft. Aus der Sicht der damaligen Beteiligten erleben wir hier das Zusammenfinden, den Aufstieg und dann schließlich das Ende der weltberühmten Rockband "Daisy Jones & The Six". Dabei wird der Rock’n’Roll der 70er Jahre mit Partys auf dem Sunset Strip in Los Angeles, unkontrolliertem Drogenkonsum, erfolgreichen Welttourneen und unsterblichen Platten zwischen den Seiten eingefangen. Dies beschert uns beim Lesen viele großartigen Momenten, bei denen man angesichts des Welterfolg der Band, des musikalischen Genie und der puren Euphorie auf der Bühne am liebsten mitfeiern und Teil des Ganzen werden möchte. Die Autorin schreckt jedoch auch nicht davor zurück, die Schattenseiten wie Drogenabhängigkeit, Streit, Erfolgsdruck, Rassismus, Sexismus, Einsamkeit und Herzschmerz darzustellen, sodass das Lesen nicht immer Spaß macht. Neben diesen Gegensätzen wird außerdem eine bittersüße Liebesgeschichte über zwei gebrochene Genies erzählt, die sich tief im Herzen verstehen, ihre Chemie in Songs fließen lassen, es aber nie zueinander schaffen. Das hat mir schlicht und einfach das Herz gebrochen! Der Grund, weshalb ich dem Buch trotz allem, was es in mir ausgelöst hat, keine 5 Sterne geben möchte, ich dass die Handlung im Mittelteil ein wenig vor sich hinplätschert und für mich etwas geraffter sein können. Es ist durch die sich langsam zuspitzenden Konflikte in der Band, die sich entrollende Liebesgeschichte und der wachsende Ruhm der Band aber dennoch ein eindeutiger Spannungsbogen mit Steigerung von Anfang bis zum Ende vorhanden. Man liest weiter, weiß eigentlich schon fast, was zur Trennung der Band führen wird, und hofft nur, dass alle unbeschadet und mit ganzem Herzen am Ende ankommen.

Schreibstil:
Hervorstechend ist an der Geschichte, dass sie im Stil einer bibliographischen Dokumentation geschrieben ist. Es gibt keinen Erzähler, keine Beschreibungen, keine durchgängige Handlungen. Stattdessen müssen wir uns die Geschehnisse aus Schnipseln aus Interviews, in denen die beteiligten Figuren aus ihrer Sicht erzählen, was damals passiert ist, selbst zusammensetzen. Die Einteilung in grobe Zeiträume und anleitende Zwischenkommentare einer bis zum Ende unbekannten Autorin helfen dabei, die Geschehnisse zu ordnen. Super spannend ist dabei, dass sich die Beschreibungen und Aussagen der Bandmitglieder zwar überlappen, aber auch teilweise leicht widersprechen, sodass trotz der Abwesenheit einer durchgängigen Erzählung ein lebendiges und kontroverses Bild der damaligen Zeit vor dem inneren Auge entsteht. Großartig sind auch die Lyrics der im Buch besprochenen Songs, die am Ende des Buches eingefügt sind. Noch lieber als gelesen hätte ich die Songs nur noch gehört - aber vielleicht können wir das ja in der neuen Amazon Prime Serie, auf die ich wahnsinnig gespannt bin!

Figuren
: Die große Stärke der Bücher von Taylor Jenkins Reid ist, dass sich die fiktiven Figuren so lebensecht anfühlen, dass man meint, man könne sie googeln. Sei es die Hassliebe zwischen der leicht verträumte Powerfrau Daisy und dem egozentrischen Musikgenie Billy, die unerschöpfliche Ruhe und Gelassenheit seiner vertrauensvollen Frau Camilla, die Affäre zwischen dem grummelige Graham und der emanzipierten Keyboarderin Karen, die Gemütlichkeit von Warren und Pete oder der Egotrip von Eddie - die Charaktere und deren Beziehungen untereinander werden allein durch den Erzählton ihrer Kommentare deutlich und scheinen durch die Seiten hindurch zu einem zu sprechen. Dabei ist keine der Figuren sofort zugänglich, makellos oder uneingeschränkt sympathisch. Alle haben ihre großen und kleinen Fehler, die sie aber greifbar und real erscheinen lassen und dafür sorgen, dass man sie über kurz oder lang einfach ins Herz schließen muss. Eine solche Nähe wie bei Evelyn Hugo habe ich aber nicht zu den Figuren aufgebaut. Es kann allerdings auch sein, dass dies aus einem Selbstschutz-Reflex heraus passiert ist, da die Abgründe der Figuren und deren Drogenkonsum manchmal nur schwer zu ertragen sind.


Die Zitate:


Daisy Jones: “I had absolutely no interest in being somebody else's muse.
I am not a muse.
I am the somebody.
End of fucking story.”

Billy Dunne: “You have these lines you won’t cross. But then you cross them. And suddenly you possess the very dangerous information that you can break the rule and the world won’t instantly come to an end. You’ve taken a big, black, bold line and you’ve made it a little bit gray. And now every time you cross it again, it just gets grayer and grayer until one day you look around and you think, There was a line here once, I think.”

Daisy Jones: “I wish someone had told me that love isn’t torture. Because I thought love was this thing that was supposed to tear you in two and leave you heartbroken and make your heart race in the worst way. I thought love was bombs and tears and blood. I did not know that it was supposed to make you lighter, not heavier. I didn’t know it was supposed to take only the kind of work that makes you softer. I thought love was war. I didn’t know it was supposed to… I didn’t know it was supposed to be peace.”"

Billy Dunne: “Passion is...it's fire. And fire is great, man. But we're made of water. Water is how we keep living. Water is what we need to survive.”

Billy Dunne: “She had written something that felt like I could have written it, except I knew I couldn't have. I wouldn't have come up with something like that. Which is what we all want from art, isn’t it? When someone pins down something that feels like it lives inside us? Takes a piece of your heart out and shows it to you? It’s like they are introducing you to a part of yourself.”

Graham Dunne: “Music is never about music. If it was, we'd be writing songs about guitars. But we don't. We write songs about women. Women will crush you, you know? I suppose everybody hurts everybody, but women always seem to get back up, you ever notice that? Women are always still standing.”

Billy Dunne: "We love broken, beautiful people. And it doesn't get much more obviously broken and more classically beautiful than Daisy Jones."



Das Urteil:


Eine großartige Musikbiographie über Liebe, Herzschmerz, Drogen, Partys, Sex, Erfolg, Geld, Freundschaft, Familie und Rock´n´Roll mit einfallsreichem Erzählkonzept und lebendigen Figuren! Trotz kleiner Durchhänger im Mittelteil kann ich die Geschichte uneingeschränkt weiterempfehlen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.03.2023

Eine großartige Musikbiographie!

Daisy Jones and The Six
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Handlung: Nachdem mich Taylor Jenkins Reid in "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" tief beeindruckt hat, habe ich mir sofort ihr weithin gehypter und international bekannter Bestseller "Daisy Jones & The ...

Handlung: Nachdem mich Taylor Jenkins Reid in "The Seven Husbands of Evelyn Hugo" tief beeindruckt hat, habe ich mir sofort ihr weithin gehypter und international bekannter Bestseller "Daisy Jones & The Six" bestellt. Ganz an die Geschichte von Evelyn Hugo konnte "Daisy Jones & The Six" für mich zwar nicht heranreichen, die Autorin hat hier aber wieder eine großartige fiktive Musikbiografie geschrieben, der man jedes Detail abkauft. Aus der Sicht der damaligen Beteiligten erleben wir hier das Zusammenfinden, den Aufstieg und dann schließlich das Ende der weltberühmten Rockband "Daisy Jones & The Six". Dabei wird der Rock’n’Roll der 70er Jahre mit Partys auf dem Sunset Strip in Los Angeles, unkontrolliertem Drogenkonsum, erfolgreichen Welttourneen und unsterblichen Platten zwischen den Seiten eingefangen. Dies beschert uns beim Lesen viele großartigen Momenten, bei denen man angesichts des Welterfolg der Band, des musikalischen Genie und der puren Euphorie auf der Bühne am liebsten mitfeiern und Teil des Ganzen werden möchte. Die Autorin schreckt jedoch auch nicht davor zurück, die Schattenseiten wie Drogenabhängigkeit, Streit, Erfolgsdruck, Rassismus, Sexismus, Einsamkeit und Herzschmerz darzustellen, sodass das Lesen nicht immer Spaß macht. Neben diesen Gegensätzen wird außerdem eine bittersüße Liebesgeschichte über zwei gebrochene Genies erzählt, die sich tief im Herzen verstehen, ihre Chemie in Songs fließen lassen, es aber nie zueinander schaffen. Das hat mir schlicht und einfach das Herz gebrochen! Der Grund, weshalb ich dem Buch trotz allem, was es in mir ausgelöst hat, keine 5 Sterne geben möchte, ich dass die Handlung im Mittelteil ein wenig vor sich hinplätschert und für mich etwas geraffter sein können. Es ist durch die sich langsam zuspitzenden Konflikte in der Band, die sich entrollende Liebesgeschichte und der wachsende Ruhm der Band aber dennoch ein eindeutiger Spannungsbogen mit Steigerung von Anfang bis zum Ende vorhanden. Man liest weiter, weiß eigentlich schon fast, was zur Trennung der Band führen wird, und hofft nur, dass alle unbeschadet und mit ganzem Herzen am Ende ankommen.

Schreibstil:
Hervorstechend ist an der Geschichte, dass sie im Stil einer bibliographischen Dokumentation geschrieben ist. Es gibt keinen Erzähler, keine Beschreibungen, keine durchgängige Handlungen. Stattdessen müssen wir uns die Geschehnisse aus Schnipseln aus Interviews, in denen die beteiligten Figuren aus ihrer Sicht erzählen, was damals passiert ist, selbst zusammensetzen. Die Einteilung in grobe Zeiträume und anleitende Zwischenkommentare einer bis zum Ende unbekannten Autorin helfen dabei, die Geschehnisse zu ordnen. Super spannend ist dabei, dass sich die Beschreibungen und Aussagen der Bandmitglieder zwar überlappen, aber auch teilweise leicht widersprechen, sodass trotz der Abwesenheit einer durchgängigen Erzählung ein lebendiges und kontroverses Bild der damaligen Zeit vor dem inneren Auge entsteht. Großartig sind auch die Lyrics der im Buch besprochenen Songs, die am Ende des Buches eingefügt sind. Noch lieber als gelesen hätte ich die Songs nur noch gehört - aber vielleicht können wir das ja in der neuen Amazon Prime Serie, auf die ich wahnsinnig gespannt bin!

Figuren
: Die große Stärke der Bücher von Taylor Jenkins Reid ist, dass sich die fiktiven Figuren so lebensecht anfühlen, dass man meint, man könne sie googeln. Sei es die Hassliebe zwischen der leicht verträumte Powerfrau Daisy und dem egozentrischen Musikgenie Billy, die unerschöpfliche Ruhe und Gelassenheit seiner vertrauensvollen Frau Camilla, die Affäre zwischen dem grummelige Graham und der emanzipierten Keyboarderin Karen, die Gemütlichkeit von Warren und Pete oder der Egotrip von Eddie - die Charaktere und deren Beziehungen untereinander werden allein durch den Erzählton ihrer Kommentare deutlich und scheinen durch die Seiten hindurch zu einem zu sprechen. Dabei ist keine der Figuren sofort zugänglich, makellos oder uneingeschränkt sympathisch. Alle haben ihre großen und kleinen Fehler, die sie aber greifbar und real erscheinen lassen und dafür sorgen, dass man sie über kurz oder lang einfach ins Herz schließen muss. Eine solche Nähe wie bei Evelyn Hugo habe ich aber nicht zu den Figuren aufgebaut. Es kann allerdings auch sein, dass dies aus einem Selbstschutz-Reflex heraus passiert ist, da die Abgründe der Figuren und deren Drogenkonsum manchmal nur schwer zu ertragen sind.


Die Zitate:


Daisy Jones: “I had absolutely no interest in being somebody else's muse.
I am not a muse.
I am the somebody.
End of fucking story.”

Billy Dunne: “You have these lines you won’t cross. But then you cross them. And suddenly you possess the very dangerous information that you can break the rule and the world won’t instantly come to an end. You’ve taken a big, black, bold line and you’ve made it a little bit gray. And now every time you cross it again, it just gets grayer and grayer until one day you look around and you think, There was a line here once, I think.”

Daisy Jones: “I wish someone had told me that love isn’t torture. Because I thought love was this thing that was supposed to tear you in two and leave you heartbroken and make your heart race in the worst way. I thought love was bombs and tears and blood. I did not know that it was supposed to make you lighter, not heavier. I didn’t know it was supposed to take only the kind of work that makes you softer. I thought love was war. I didn’t know it was supposed to… I didn’t know it was supposed to be peace.”"

Billy Dunne: “Passion is...it's fire. And fire is great, man. But we're made of water. Water is how we keep living. Water is what we need to survive.”

Billy Dunne: “She had written something that felt like I could have written it, except I knew I couldn't have. I wouldn't have come up with something like that. Which is what we all want from art, isn’t it? When someone pins down something that feels like it lives inside us? Takes a piece of your heart out and shows it to you? It’s like they are introducing you to a part of yourself.”

Graham Dunne: “Music is never about music. If it was, we'd be writing songs about guitars. But we don't. We write songs about women. Women will crush you, you know? I suppose everybody hurts everybody, but women always seem to get back up, you ever notice that? Women are always still standing.”

Billy Dunne: "We love broken, beautiful people. And it doesn't get much more obviously broken and more classically beautiful than Daisy Jones."



Das Urteil:


Eine großartige Musikbiographie über Liebe, Herzschmerz, Drogen, Partys, Sex, Erfolg, Geld, Freundschaft, Familie und Rock´n´Roll mit einfallsreichem Erzählkonzept und lebendigen Figuren! Trotz kleiner Durchhänger im Mittelteil kann ich die Geschichte uneingeschränkt weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 07.03.2023

Eine Slowburn Enemies-to-Lovers-Romanze mit überraschendem Witz und emotionalem Tiefgang

Das irrationale Vorkommnis der Liebe – Die deutsche Ausgabe von »Love on the Brain«
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Handlung: Nachdem mir "The Love Hypothesis" so gut gefallen hat, habe ich beschlossen, die anderen Bücher von Ali Hazelwood ebenfalls zu lesen. Angefangen habe ich mit "Love on the Brain", welches mich ...

Handlung: Nachdem mir "The Love Hypothesis" so gut gefallen hat, habe ich beschlossen, die anderen Bücher von Ali Hazelwood ebenfalls zu lesen. Angefangen habe ich mit "Love on the Brain", welches mich sogar noch mehr überzeugen konnte als ihr erstes Werk. Genau wie "The Love Hypothesis" besteht auch die Geschichte von Bee und Levi praktisch nur aus Tropes - Haters-to-Lovers, Slowburn, Forced Proximity, Grumpy-and-Sunshine -, welche gepaart mit minimalen Krimielementen und einer geheimen Internetidentität einen insgesamt recht vorhersehbaren Plot ergeben. Wurde ich inhaltlich überrascht? Nicht wirklich. Erzählt die Autorin hier etwas Neues? Muss ich ebenfalls verneinen. Habe ich diese charmant, unterhaltsam und gewitzt erzählte Geschichte trotzdem mit jeder Seite mehr geliebt? Auf jeden Fall! Ali Hazelwood erzählt hier abermals eine Romanze mit überraschendem Witz und emotionalem Tiefgang, in der zwei sozial unbeholfene Wissenschaftler von Feinden, zu Freunden, zu Liebenden werden.

Schreibstil
: Passend zum Titel und Bees Forschungsfeld sind die 25 Kapitel von "Love on the Brain" mit einer Gehirnregion und einer im Kapitel vorkommenden Emotion oder Kognition benannt. Mit 354 Seiten ist die Geschichte etwas länger als "The Love Hypothesis", dennoch bin ich geradezu durch die Seiten geflogen. Denn Ali Hazelwood schreibt frisch, unterhaltsam und versteht es ihr Academia-Setting mit einem charmanten Augenzwinkern auf den Punkt zu bringen. Sehr gut gefallen hat mir auch, dass die Autorin hier auch auf die Unterrepräsentation von Frauen in der Wissenschaft und die großen und kleinen Problemen, die sich daraus ergeben, eingeht. Besonders gelacht habe ich dabei über die kreativen Begriffe wie WurstFest™, Cockcluster, Meatwave, Brodeo, oder "Dickspolision in the Testosteroven", die sie für rein männerdominierte Arbeitsgruppen ausdenkt. Legendär ist auch das sogenannte Sausage Referencing™, das den nervtötenden Umstand in Worte kleidet, dass die Meinung oder der Beitrag einer Frau erst dann ernst genommen wird, wenn er von einem Mann nochmal wiederholt oder bekräftigt wird. Super fand ich ebenfalls, wie die Autorin durch die von Bee gestartete Champagne #FairGraduateAdmissions auf ihrem Twitter-Account @WhatWouldMarieCurieDo darauf eingeht, wie standardisierte Tests Randgruppen und finanziell schwächere Menschen diskriminiert und von höherer Bildung fernhalten. Neben der treffsicheren Darstellung des Lebens von Frauen in STEM (Science, Technology, Engineering and Maths) ist die Geschichte auch auf anderen Ebenen herrlich nerdig. Dank Ali Hazelwood habe ich nun nicht nur Lust, mal wieder einen Star Wars Rewatch zu machen und eine Katze zu adoptieren, ich kenne nun auch viele witzige Fakten über Marie Curie, Geister und Neurostimulation. Mit Themen wie Industriespionage, finanzielle Unsicherheit, Verlust von Angehörigen, Einsamkeit, sexueller Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz hat die Geschichte durchaus auch ihre etwas düsteren Seiten, welche durch den beschwingten Erzählton jedoch gut ausgeglichen werden.

Figuren:
Aus der Ich-Perspektive von Bee werden die Gefühle, die sich langsam zwischen ihr und Levi entwickeln, sowie die vielen schrägen Situationen, in die die beiden sich hineinmanövrieren, gut nachvollziehbar und greifbar dargestellt. Die beiden sind in ihrer komplementären Gegensätzlichkeit einfach ZUCKER. Während Bee mit ihren Piercings, den bunten Haaren und ihrem miesen parasympathischen Nervensystem, das sie ständig in Ohnmacht fallen lässt, ein absoluter Sonnenschein ist, viel zu viel redet und sich von ihrem Impulsen tragen lässt, ist Levi ein zugeknöpfter, einsilbiger Ingenieur, der seine Gefühle schlecht ausdrücken kann. Zumindest denkt Bee das zunächst. Je näher die beiden sich kennenlernen, desto mehr Gemeinsamkeiten muss sie zwischen sich und ihrer Gradschool-Nemesis erkennen. Und als sie dann feststellt, dass das, was ihn dazu bringt, ihr aus dem Weg zu gehen alles andere ist als Abneigung, sprühen endgültig die Funken... Beide Figuren sind mir total schnell ans Herz gewachsen und schaffen es auch, sich auf den wenigen Seiten glaubhaft weiterzuentwickeln. Mindestens genauso gut wie die beiden liebenswerten Hauptfiguren haben mir auch die Nebenfiguren gefallen. Egal ob die Gothic-Laborassistentin Rocio, die verstörend pinke Kaylee, die Weltenbummlerin Mareike oder die beiden felligen Freunde Schrödinger and Félicette - ich habe sie alle total schnell ins Herz geschlossen, immer wieder glücklich über sie gekichert und mich außerdem über die gelungene, beiläufige Repräsentation von LBGTQIA+ und BIPOC gefreut.


Die Zitate:

"The real villain is love: an unstable isotope, constantly undergoing spontaneous nuclear decay. And it will forever go unpunished."

"Annie used to have a funny theory: we all have a Year Zero around which the calendars of our lives pivot. At some point you meet someone, and they become so important, so metamorphic, that ten, twenty, sixty-five years down the line you look back and realize that you could split your existence in two. Before they showed (BCE), and your Common Era. Your very own Gregorian calendar."

"We're only humans. We're full of ''whys'', drowning in ''whys.'' Every once in a while, we need a bit of ''because'' and if it's not readily available, we make it up."

"Science is reliable in its variability. Science does whatever the fuck it wants. God, I love science."

"I guess this is it—being in love. Truly in love. Lots and lots of horrible, wondrous, violent emotions.”


Das Urteil:


"Love on the Brain" ist eine Slowburn Enemies-to-Lovers-Romanze mit überraschendem Witz und emotionalem Tiefgang, in der zwei sozial unbeholfene Wissenschaftler von Feinden, zu Freunden und schließlich mit vielen Umwegen zu Liebenden werden... Ali Hazelwood schreibt frisch, unterhaltsam, stellt zwei liebenswerte Hauptfiguren vor und versteht es ihr Academia-Setting mit einem charmanten Augenzwinkern auf den Punkt zu bringen.

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Veröffentlicht am 04.03.2023

Ein absoluter Geniestreich!

Chaos Walking - Die Zukunft der Welt
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Mit "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist Mitte Januar endlich der dritte Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola zu einem Ende bringt ...

Mit "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist Mitte Januar endlich der dritte Teil der Chaos-Walking-Trilogie von Patrick Ness erschienen, welcher die Geschichte von Todd und Viola zu einem Ende bringt und ein letztes Mal ins dystopische New World führt. Nachdem Lesen bin ich nun genau wie nach den vorherigen Bänden emotional gefangen zwischen Entsetzen und Faszination, Abscheu und Begeisterung und weiß nur, dass das, was auf diesen 608 Seiten passiert KRASS KRASS KRASS ist!

Wem die Handlung, der Autor oder die Namen der Figuren bekannt vorkommen: Patrick Ness´ Trilogie ist schon 2009 unter den Namen "New World - Die Flucht", "New World - Das dunkle Paradies" und "New World - Das brennende Messer" im Ravensburger Buchverlag erschienen. Schon im Januar 2021 ist Band 1 der Reihe erneut bei cbt erschienen und trug ein Filmcover passend zur Verfilmung von Lionsgate mit Tom Holland und Daisy Ridley (HIER geht´s übrigens zur Filmkritik). Band 3 ist nun genau wie Band 2 schon stark an der Originalausgabe orientiert und zeigt den Titel in großen, weißen Buchstaben, welcher sich vom dunklen Hintergrund mit wildem Buchstabengekritzel in einem interessanten Kontrast abhebt. Auch wenn mir sowohl der Kontrast als auch die optisch und haptisch hervorgehobenen Buchstaben des Hintergrund gut gefallen und ich auch den Untertitel "Die Zukunft der Welt" treffend gewählt finde, sind zwei Dinge an der Gestaltung schade. Erstens passt die äußere Gestaltung des zweiten und dritten Teils schlecht zum ersten (wobei die Paperbacks immerhin dieselbe Größe haben). Und zweitens gibt es keinen treffenderen Titel als den Originaltitel "Monsters of Men".

Erster Satz: "Krieg", sagt Bürgermeister Prentiss mit funkelnden Augen. "Endlich ist es soweit."

Dafür gefällt mir die innere Gestaltung dieses Finalbands wieder sehr gut. Genau wie in den vorherigen Bänden ist auch hier der sogenannte "Lärm" der männlichen Bewohner von New World als wildes Gekritzel in unterschiedlichen Schriftarten quer über die Seiten dargestellt und der Wechsel der Erzählperspektiven zwischen den beiden Hauptfiguren Todd und Viola wird ebenfalls durch einen Wechsel der Schriftart deutlich gemacht. Genau wie in Band 1 und 2 hat Patrick Ness seine Handlung darüber hinaus wieder in acht übergeordnete Abschnitte eingeteilt, welche wiederum in 24 Kapitel inklusive eines unnummerierten Prologs und Epilogs unterteilt sind. Zusätzlich erleichtert uns eine kurze "Was bisher geschah"-Zusammenfassung den Einstieg. Anders als zuvor kommt in "Chaoswalking - Die Zukunft der Welt" noch eine dritte Erzählperspektive hinzu, die den Einstieg in jedes der 24 Kapitel darstellt. Dazu später mehr...

Zeitlich knüpft Teil 3 wieder punktgenau an das Ende des zweiten Bandes an und erzählt, was passiert, nachdem Todd und Viola Bürgermeister Prentiss endlich bekämpft haben, nur um ihn angesichts der nahenden Spackle-Armee und des landenden Raumschiffs der Siedler wieder freilassen zu müssen. Eine unbedachte Handlung von Viola, der Kriegswille des Bürgermeisters und die Rachlust der Spackle treffen aufeinander und schon befindet sich New World in einem großen letzten Krieg mit mehreren Fronten, der das Ende des Planeten zu bedeuten scheint...

Todd: "Hier kommt es.
Das Ende
Das Ende von allem
"Oh ja, Todd", sagt der Bürgermeister und reibt sich die Hände. "Oh ja, in der Tat", wiederholt er, und sagt es, als wäre gerade sein allergrößter Traum in Erfüllung gegangen.
"Krieg".


Ich hatte sehr geringe Erwartungen und noch weniger Ideen davon, in welche Richtung sich die Geschichte nach dem offenen Ende von Band 2 weiterentwickeln würde. Dass wir hier von Seite 1 an mitten in einem blutigen Krieg voller Psychospielchen, Populismus, Genozid, Terrorismus und Grausamkeit zu tun bekommen würden, hätte ich aber nicht in tausend Jahren gedacht. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen meiner großen Überraschung kann ich nur meinen Hut vor Patrick Ness ziehen, der hier auf interessante Art und Weise davon erzählt, wie sich scheinbar aus dem Nichts ein Krieg entwickeln und wie eine ganze Zivilisation von den Ideen einzelner gelenkt untergehen kann. Neben den erschreckenden Entgleisungen befasst sich der Autor auch auf eindringliche Art und Weise mit den Themen Gehorsam, Verantwortung, Moral, Macht, Rache, Wiedergutmachung, Frieden, kollektive Traumata, Schuld und Menschlichkeit und legt damit den Finger in eine aufgrund des aktuellen Weltgeschehens offene Wunde. Patrick Ness zeigt hier, dass die Entscheidung jedes einzelnen zählt und dass wir alle die Verantwortung dafür haben zu entscheiden, in was für einer Welt wir leben möchten.

Neben der politischen Message und den vielen schweren Themen überzeugt "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" auch mit einer verrückt hohen Handlungsdichte. Hier passiert auf jeder Seite ALLES und NICHTS ist unmöglich, ein Kampf folgt auf den nächsten, folgt auf den nächsten, folgt auf den nächsten und ich konnte kaum atmen, weil ich Angst hatte, was auf der kommenden Seite passiert. Ich habe selten so sehr mitgelitten, geschwitzt und gehofft, dass nicht doch noch etwas schief geht und die Situation weiter eskaliert. Ich habe selten so oft innehalten müssen, um zu verstehen, was gerade passiert ist. Selten so dringend weiterlesen müssen, um endlich zu erfahren, wie das Ganze ausgehen wird. Allein für den einzigartigen Zustand zwischen Hoffen und Bangen, in den mich die Geschichte versetzt hat, müsste ich schon 5 Sterne geben.

Viola: "Man kann einen Krieg nicht aus persönlichen Gründen führen", widerspreche ich ihm. "Sonst wird man nie die richtigen Entscheidungen treffen."
"Wenn man keine persönlichen Entscheidungen trifft, dann ist man kein Mensch mehr."


Ganz objektiv betrachtet hätte ich schon Band 1 und 2 für den meisterhaften Schreibstil, die originelle Grundidee, die schneidende Gesellschaftskritik, die irrsinnig hohe Spannung und die menschlichen Figuren, die uns selbst den Spiegel vorhalten mindestens 4,5 Sterne geben müssen. Ich habe das jedoch nicht getan, da sie beim Lesen eine Flut an negativen Gefühlen ausgelöst haben, die ich kaum ertragen konnte. "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" ist ebenso düster und ernst wie die vorherigen Bände, für mich war dieses Finale aber lange nicht so emotional belastend. Aufgrund der zuvor genannten Themen müssen wir auf den über 600 Seiten sehr viel Grausamkeit ertragen. Folter, sexuelle Übergriffe, Verstümmelung, Entwürdigung, Unterdrückung und gezielter Mord - die hier beschriebenen Verbrechen gegenüber Menschen (insbesondere Frauen), aber auch gegenüber der einheimischen Bevölkerung des Planeten, den Spackle ist kaum zu ertragen und unterstreicht erneut, dass "Chaos Walking" trotz des jungen Alters der Hauptfiguren keine wirkliche Kinder- oder Jugendbuchreihe ist! Auch das Leiden der beiden Hauptfiguren trägt zu dringlichen, düsteren, unter die Haut gehenden Atmosphäre der Geschichte bei, welche mich vor allem beim Lesen des zweiten Bandes dazu gebracht hat, das Buch an die Wand werfen zu wollen.

Todd: "Beherrsche deinen Lärm und du beherrschst dich selbst. Und wenn du dich sich selbst beherrschst..."
"Dann beherrschst du die Welt", beende ich seinen Satz. "Ja, ich habe Euch schon beim ersten Mal verstanden. Aber ich will nur mich selbst beherrschen, vielen Dank. Der Rest der Welt interessiert mich nicht."
"Das sagen sie alle. Bis sie die Macht zum ersten Mal gekostet haben."


Nach wie vor wird die Geschichte abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Todd und Viola erzählt. Der Autor nutzt dabei sehr viele direkte Gedanken, die manchmal in langen Satzreihen mit vielen Absätzen oder fließenden Nebensätzen beinahe gedankenstromartig aus den jungen Erzählern herausströmen. Wie beim "Lärm" - der innovativen Grundidee der Geschichte - scheint es hier keinen Filter zu geben, sodass sich die Erzählung sehr erlebnisnah liest. Diese Art der Erzählweise reißt zwar mit, man ist dem was passiert aber auch ausgeliefert. Genauso ist es auch mit dem allgemeinen Sprachstil, der recht derb und direkt ist und sich kaum Zeit für Beschönigungen, Erklärungen oder Beschreibungen nimmt. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass Todd uns LeserInnen an einigen Stellen direkt anspricht, indem er Fragen stellt, sein Verhalten erklärt oder sich rechtfertigt. So ist man schon recht bald in einem Zwiespalt zwischen dem Drang, sich etwas von Handlung und Erzähler zu distanzieren und dem mitreißenden Sog durch die erlebnisnahe Erzählweise. Ich habe lange überlegt, weshalb dieser dritte Band in mir nicht denselben Abscheu und Abwehrmechanismen getriggert hat wie die vorherigen Bände und bin zu dem Schluss gekommen, dass es an der höheren Kontrolle der beiden Figuren über die Handlung liegt. Während Todd und Viola zuvor allen schrecklichen Geschehnissen hilflos ausgeliefert waren, sind sie nun endlich am Zug, gestalten mit und erhalten auch Unterstützung von verschiedenen Seiten.

Viola: "Ich hätte es genauso gemacht, Viola", sagt Todd noch einmal, und ich weiß, dass ist die reine Wahrheit. Aber mir geht ein Gedanke nicht aus dem Kopf, obwohl Todd mich zum Abschied wieder in den Arm nimmt. Wenn wir alles füreinander tun würden, tun wir dann das Rechte? Oder sind wir nicht doch eine Gefahr für alle anderen?"

Ein zweiter Punkt ist, dass die beiden deutlich älter und erwachsener wirken, durch die zu vorigen Geschehnisse gestählt und weiterentwickelt wurden. Auch wenn beide einige furchtbare Dinge tun, die ich ihnen nicht verzeihen kann (und sie selbst sich auch nicht) und ich vor allem Todd an einigen Stellen fast gehasst habe, ist es Patrick Ness´ große Stärke, hinterrücks dafür zu sorgen, dass man die Figuren trotz allem lieben muss. Denn all die Verfehlungen, all die Handlungen, all die Entscheidungen, all die Gefühle sind so menschlich und nachvollziehbar geschildert, dass man sich nie ganz sicher sein kann, dass man in der Situation nicht anders gehandelt hätte. Ich denke, dass jeder von uns davon überzeugt ist (oder zumindest stark hofft), in Situationen großer Ungerechtigkeit oder Grausamkeit nicht einfach nur dazustehen, sondern sich laut für die Wahrheit einzusetzen und NEIN zu sagen. Dadurch dass wir Viola und Todd trotz ihrer Fehler und Schwäche verstehen können, stellt genau diese intrinsische Überzeugung aber in Frage, was natürlich unbequem ist und weh tut - aber eben auch dringend notwendig ist, um uns in der Realität vor Gleichmut und Abstumpfung zu schützen. Somit ist "Chaos Walking" auch ein Buch über Freundschaft, über Liebe und über Entscheidungen. Denn egal in welcher Situation wir uns befinden sind es doch unsere Entscheidungen, die uns zu dem machen, was wir sind.

Todd: "Ich schaue ihm in die Augen, in das Schwarze seiner Augen, in eine Schwärze, die mich verschlingt.
ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH. Das ist alles, was ich noch hören kann."

Neben Todd und Viola stehen nach wie vor die beiden in Band 2 entwickelten Lager rund um den Bürgermeister Prentiss und Mistress Coyles "Antwort" im Vordergrund. In "Chaos Walking - Es gibt immer eine Wahl" wurden ja beide schon als zwei Seiten derselben Medaille enthüllt. Absolute Diktatur und terroristischer Widerstand, beide gefährlich für Land und Menschen. Besonders die Charakterentwicklung des Bürgermeisters, der ja von Anfang an sowohl etwas Wahnsinniges als auch etwas Geniales und Übernatürliches an sich hatte, hat mich hier sehr mitgerissen. Auf berührende Weise wird enthüllt, was hinter seinem wachsenden Wahnsinn und seiner wachsenden Macht steckt, was ihn zum besten Bösewicht aller Zeiten macht.
Mit dem gelandeten Schiff der Siedler kommen außerdem zwei neue Figuren und damit eine neue Partei mit hinzu, die moderne Waffensysteme zur Verfügung stehen hat, aber auch über die Zukunft von 5000 schlafenden neuen Siedlern im Raumschiff entscheiden muss.
Das mit Abstand BESTE an dieser Geschichte ist jedoch die vierte neue Partei und damit auch die zuvor erwähnte neue Erzählperspektive, die hier dazukommt: die Spackle! Zu Beginn eines jeden Kapitels dürfen wir einen Abschnitt aus der Perspektive von 1017 lesen, welcher dank Todd als einziger Spackle den Genozid des Bürgermeisters überlebt hat und seither auf Rache sinnt. Durch ihn bekommen wir einen Einblick in die kollektive Gemeinschaft der Spackle, die sich selbst "das Land" nennt und deren Lärm sich zu einer gemeinsamen Stimme vermischt hat, die durch ihren Anführer, "den Himmel", spricht. Die Beschreibung der Spackle, die klar keine Menschen sind, aber dennoch fühlende und intelligente Wesen, die wie ein einziger Organismus denken, aber dennoch aus Individuen bestehen und zugleich vom Wunsch nach Rache und dem Bedürfnis nach Frieden angetrieben werden, fand ich inspirierend, originell und wahrhaft großartig!!!!

1017: "Das Land zeigt mir den Weg. Aber bei all ihrer Hilfsbereitschaft vernehme ich auch ihre Zweifel. Wer bin ich denn schließlich? Bin ich ein Held? Ein Retter? Oder bin ich ein Gebrochener? Eine Gefahr? Bin ich Anfang oder bin ich Ende? Gehöre ich wirklich zum Land? Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Und so weisen sie mir den Weg zum Himmel, während ich durch ihre Mitte gehe, und ich fühle mich wie ein Blatt, das auf dem Fluss treibt, in dem Fluss, mit dem Fluss. Aber bin ich auch Teil des Flusses? Und dann senden sie Kunde aus von meinem Kommen. "Der Zurückgekehrte kommt", teilen sie einander mit. "Der Zurückgekehrte kommt." Denn so nennen sie mich: der Zurückgekehrte. Aber ich habe noch einen anderen Namen."

Damit werden in "Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" die letzten verbliebenen Fragen und offenen Punkte des Worldbuildings geklärt. Das außerirdische, sehr ursprüngliche, naturbelassene Setting, das an das unkolonialisierte Amerika erinnert, nur dass die Weiten der Landschaft nicht von grasenden Büffeln, sondern von seltsamen Geschöpfen wie die vogelstraußartigen "Cassors" oder laut die "HIER!"-denkenden "Viecher" bewohnt werden und alle Lebewesen durch ihren Lärm sprechen können, war in Band 1 und 2 sowohl ein Quell an Originalität als auch Verwirrung. Wer sind die Spackle? Was ist im ersten großen Krieg passiert? Woher nimmt der Bürgermeister seine Kraft? Was ist sein Plan für die Welt? Weshalb kamen die Siedler ursprünglich nach New World? Was ist in Prentisstown wirklich passiert als Todd noch klein war? Und vor allem: Wie wird die Zukunft dieser Welt aussehen? Wie Patrick Ness es geschafft hat, neben der Charakterentwicklung, den vielen Themen, der Vorstellung einer gänzlich neuen Lebensform und dem unnormal hohen Erzähltempo auch noch all die offenen Fragen befriedigend zu beantworten ist wirklich ein Wunder. Ich ziehe mein Hut in Verehrung vor diesem Autor und packe alle seine weiteren Werke umgehend auf meine Wunschliste!


Fazit:


"Chaos Walking - Die Zukunft der Welt" überzeugte mich mit einem großartig weiterentwickelten Worldbuilding, einer sinnigen politische Message, pointierten Figuren, einem intensiven Spannungsbogen und originellen Schreibstil. Mit Themen wie Krieg, Gehorsam, Macht, Rache, Wiedergutmachung, kollektivem Traumata, Genozid, Schuld und Menschlichkeit ist die Geschichte über Todd und Viola weiterhin emotional anstrengend und teilweise fast nicht zu ertragen. Mit diesem Finale gelingt Patrick Ness allerdings ein Geniestreich, der für alle emotionalen Unannehmlichkeiten entschuldigt.

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