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Veröffentlicht am 18.02.2020

Düstere Aussichten für eine junge Generation

Fehlstart
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Die 19jährige Aurélie träumt von einem besseren Leben: raus aus der Armut ihres Stadtviertels, weg von ihrer Unterschichtfamilie und hin zu Wissen, Bildung und der Gewissheit, etwas Sinnvolles im Leben ...

Die 19jährige Aurélie träumt von einem besseren Leben: raus aus der Armut ihres Stadtviertels, weg von ihrer Unterschichtfamilie und hin zu Wissen, Bildung und der Gewissheit, etwas Sinnvolles im Leben zu tun. Doch tatsächlich landet sie an der Universität ihres Heimatortes Grenoble, wo sie weiterhin bei ihren Eltern in ihrem alten Kinderzimmer wohnt. Auch die Universität entpuppt sich als Ort der Langeweile mit uninteressanten und öden Vorlesungen. Erst Alejandro, ein junger Kolumbianer, der ebenfalls in Grenoble studiert, weckt ihre Lebensfreude und setzt Energien in ihr frei, die sogar ihre Lernfreude für das Studium wecken. Doch als er sie verlässt, scheint ihr jegliche Motivation wieder abhanden zu kommen.
Was sich wie eine traurige Liebesgeschichte anhört, ist eher die ebenfalls traurige Beschreibung einer Generation, die sich in der Illusion verliert, irgendwann einmal in der Gesellschaft aufzusteigen. Wir folgen Aurélie nach Paris, wo sie sich wie zehntausende Anderer ein besseres, aufregenderes Leben verspricht, fernab von der Ödnis der Provinz und der Armseligkeit ihres Elternhauses. Doch tatsächlich landet sie in einem miserabel bezahlten Hostessenjob mit schlechteren Arbeitsbedingungen als jene ihrer Eltern, nur, um sich ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können und eine völlig überteuerte kärgliche Unterkunft in Paris.
Marion Messina, die Autorin, macht deutlich, dass die Realität weit davon entfernt ist, allen Menschen in Frankreich die gleichen Chancen zu bieten. Wer nicht einer bestimmten Gesellschaftsschicht angehört, ist dazu verdammt, für kleines Geld so hart zu arbeiten, dass für nichts Anderes mehr Zeit und Energie übrig bleibt. Der Aufstieg in ein besseres Leben ist ein Versprechen, mit dem die Armen ruhig gestellt werden. So düster wie sich das Alles anhört, ist dieses Buch auch. Jeder Versuch eines neuen Anfangs endet mit einer Trostlosigkeit, aus der es kein Entkommen zu geben scheint.
Es ist eine zutiefst französische Lektüre; jede Menge Bezüge auf französisches Fernsehen, Literatur, Politik und so frage ich mich: Ist es wirklich so schlimm um diese Generation in Frankreich bestellt? Gibt es wirklich keine Hoffnung mehr? Nicht dass ich bezweifle, dass solche Verhältnisse existieren, die es bestimmt auch in Deutschland gibt. Aber ist es wirklich die Mehrheit wie hier beschrieben?
Ich habe eine Weile überlegt, ob ich diesem Buch drei oder vier Sterne gebe, denn im Grunde finde ich das Thema wie auch die Schuldzuweisungen zu einseitig und das Handeln der Protagonistin häufig nicht nachvollziehbar. Doch in Vielem hat die Autorin recht und trifft mit ihren Aussagen voll ins Schwarze. Hinzu kommt ein bemerkenswerter Schreibstil, nüchtern und ausdrucksstark und so lande ich schlussendlich bei 3,5 Sternen

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Veröffentlicht am 15.02.2020

Ein faszinierender ScienceFiction-Thriller aus der Welt des Holonets

Qube
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Im London des Jahres 2091 wird auf offener Straße ein Journalist niedergeschossen, der Täter entkommt. Die UNO-Agentin Fran beginnt zu ermitteln und stellt bald fest, dass das Opfer offenbar geheimen KI-Umtrieben ...

Im London des Jahres 2091 wird auf offener Straße ein Journalist niedergeschossen, der Täter entkommt. Die UNO-Agentin Fran beginnt zu ermitteln und stellt bald fest, dass das Opfer offenbar geheimen KI-Umtrieben auf der Spur war. Gleichzeitig verfolgt der Unternehmer Clifford skrupellos seinen Plan, sich Unsterblichkeit und seine eigene KI zu sichern - ob er mit dem Anschlag etwas zu tun hat?
Der Autor Tom Hillenbrand hat hier eine zukünftige Welt entworfen, in der nicht mehr das Internet, sondern das Holonet bestimmend für das Leben ist. Es ist der zweite Band, der in dieser Welt spielt, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass mir an Wissen etwas fehlt. Grandios stellt er Möglichkeiten dar, die ein solch weiter entwickeltes Netz den Menschen bietet, die durch die Klimakatastrophe zunehmend auf einer unwirtlichen Erde leben. Unschöne 'Szenarien' wie zerstörte Landschaften oder hässliche Gebäude werden durch entsprechende 'digitale Schminke' aufgehübscht, auch Menschen können ihr Aussehen verändern. Selbst vor dem Gehirn hat die Digitalisierung nicht halt gemacht, was jedoch nur sehr Vermögenden und hochrangigen StaatsmitarbeiterInnen vorbehalten bleibt.
Vor diesem Hintergrund entwickelt sich eine Jagd nach, ja, nach was? So richtig klar ist es Fran und den Lesenden lange Zeit nicht, denn parallel zu ihrem Auftrag entfalten sich weitere Handlungsstränge, deren Zusammenhänge sich erst nach und nach erkennen lassen.
Es ist ein vergleichsweise anspruchsvoller Thriller, denn nicht nur die unterschiedlichen Ebenen, auch jene weit entwickelte Technologie erfordern einiges an Aufmerksamkeit. Da können Menschen mit digitalisierten Gehirnen (Quants) ihre Körper (Gefäße) und unterwegs auch ihr Aussehen (Holomasque) wechseln; durch den Weltraum reisen und in holografischen Orten wie dem Ludorama Schlachten schlagen - Fremdworte und Fachworte gibt es zuhauf, sind aber dankenswerterweise im Anhang aufgeführt und erklärt. Lässt man sich voll und ganz auf diese Geschichte ein, ist man schnell darin versunken und hat es mit dem Wiederauftauchen nicht ganz so eilig - zumindest mir ist es so ergangen.
Eine richtig tolle und spannende Unterhaltung! Und den ersten Teil werde ich bestimmt auch bald lesen!

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Veröffentlicht am 10.02.2020

Eine wunderbar gelungene Mischung von Witz und Trauer

Marianengraben
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Es mag wie ein Widerspruch klingen: eine tieftraurige Geschichte mit vielen witzigen Ideen über die Trauer um einen kleinen Bruder. Und doch ist es der Autorin gelungen, genau so ein Buch zu schreiben, ...

Es mag wie ein Widerspruch klingen: eine tieftraurige Geschichte mit vielen witzigen Ideen über die Trauer um einen kleinen Bruder. Und doch ist es der Autorin gelungen, genau so ein Buch zu schreiben, das sich wunderschön liest.
Paulas geliebter kleiner Bruder Tim ist mit nur zehn Jahren plötzlich gestorben. Die Ich-Erzählerin versinkt in eine schwere Depression, die ihr auch nach mehr als einem Jahr jeden Lebensmut und -freude nimmt. Doch als sie auf sehr ungewöhnliche Weise Helmut kennenlernt, einen 83jährigen grantigen alten Herrn, geschehen Dinge, die ihr Leben durcheinanderbringen.
Das Besondere an diesem Buch ist der stete Wechsel von Witz und Trauer, Ernst und Fröhlichkeit. Paulas Gedanken an ihren kleinen Bruder sind voller Schmerz und Leid und an manchen Stellen ging es nicht anders - mir stiegen die Tränen in die Augen. "Du warst immer da, egal, was ich tat, du warst die Nuss und ich die schützende Schale, und seit du fort bist, fühle ich mich aufgebrochen, ausgehöhlt und beraubt." Oder "Wie soll man auch weinen, wenn in einem nur das Nichts ist?"
Doch dann kommen Szenen, die so schräg sind, dass ich mit Kloss im Hals loslachen musste. Die nackte Seniorengruppe auf der Lichtung oder die Überlegung, ob es schon Kannibalismus ist, wenn man die Asche einer Verstorbenen vom Finger leckt. Was allein schon auf den ersten 40 Seiten passiert, erlebt man in anderen Büchern nicht auf 200.
Zudem besitzt Jasmin Schreiber einen sehr bildhaften und ausdrucksstarken Schreibstil, egal, ob witzig oder voller Kummer. Zwar empfand ich gelegentlich einige Darstellungen etwas übertrieben ("... um uns herum brüllten die Rapsfelder mit ihren gelben Blüten die Stäbchen und Zapfen unserer Netzhäute an."), doch die meisten gefielen mir richtig gut ("Aber erst jetzt verstand ich, dass man nur wirklich einsam ist, wenn man zurückbleibt, wenn man übrig ist.").
Auch wenn es ein Buch über ein im Grunde todtrauriges Thema ist (der Verlust eines geliebten Menschen), ist es nicht im Geringsten deprimierend - ganz im Gegenteil. Vielleicht können Lesende mit einem solchen Schmerz sogar einen Trost aus dieser Lektüre ziehen. Für alle Anderen bietet es auf jeden Fall schöne Lesestunden!

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Veröffentlicht am 05.02.2020

Die Zivilisation ist ein dünner Firnis, darunter brodelt die Barbarei (Kurt Imhof)

Wie die Schweine
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Dass mit dem Konsum von Fleisch, insbesondere mit dessen Herstellung, etwas bei uns im Argen liegt, ist ja bereits länger bekannt. Und auch andere Länder haben offenbar so ihre Schwierigkeiten damit. Denn ...

Dass mit dem Konsum von Fleisch, insbesondere mit dessen Herstellung, etwas bei uns im Argen liegt, ist ja bereits länger bekannt. Und auch andere Länder haben offenbar so ihre Schwierigkeiten damit. Denn dieses Buch, das die Gier der Menschen nach Fleisch auf eine allerhöchste Spitze treibt, ist in Argentinien erschienen, wo es ausgezeichnet wurde und wochenlang auf der Bestsellerliste stand.
Marco ist der stellvertretende Chef eines Schlachthofes. Doch dort werden keine Tiere mehr geschlachtet, da alle ein Virus befiel, der für den Menschen tödlich ist. Die Gier nach Fleisch ist jedoch ungebrochen, so dass, zuerst heimlich, mit Zustimmung der Regierung mit der Züchtung von menschlichem Fleisch begonnen wurde. Diejenigen, die es sich leisten können, kaufen es sich in offiziellen Metzgereien; die anderen versuchen ihr Glück auf dem Schwarzmarkt oder auch auf Friedhöfen.
Was sich so makaber anhört, führt Agustina Bazterrica bis ins Detail aus: die Anlieferung in den Schlachthof, die Ruhigstellung (Stress macht das Fleisch schlecht), das Betäuben, das Köpfen und Ausbluten, usw. Was heute die tägliche Routine beispielsweise bei Schweinen ist, wird in diesem Buch an Menschen vollzogen, was einem die Rohheit und Grausamkeit dieses Tuns überdeutlich macht.
Marco ist nicht immun gegenüber diesem Grauen, das er täglich vor Augen hat. Und durch den plötzlichen Tod seines eben erst geborenen Sohnes und dem Weggang seiner Ehefrau erkennt er das entsetzliche Leid der zu schlachtenden Stücke (wie diese Menschen umschrieben werden) um einiges deutlicher. Der Zwiespalt zwischen seiner Arbeit und seinem Bedürfnis nach Empathie und Zuwendung werden immer größer. Und um ihn herum erkennt er die zusehende Verrohung der Gesellschaft.
'Wie die Schweine' ist wirklich keine leichte und unterhaltsame Lektüre. Obwohl die Autorin in einem völlig nüchternen klaren Stil schreibt, ist das Buch eklig, grausam und brutal - und stellt ein extrem übersteigertes Abbild unserer Gesellschaft dar. Grandios gemacht!

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Veröffentlicht am 05.02.2020

Ein Single-Leben

Nicht mein Ding
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Die fast 40jährige Andrea lebt als Single in New York und erlebt, wie um sie herum Familien gegründet und Kinder geboren werden – etwas, mit dem sie überhaupt nichts anfangen kann und will. Doch mit ihrem ...

Die fast 40jährige Andrea lebt als Single in New York und erlebt, wie um sie herum Familien gegründet und Kinder geboren werden – etwas, mit dem sie überhaupt nichts anfangen kann und will. Doch mit ihrem Singleleben ist sie ebenso wenig zufrieden wie mit ihrem Job, ohne jedoch konkret zu wissen, was sie tatsächlich möchte. Eine Entscheidung für oder gegen etwas zu treffen vermeidet sie und so vergehen die Tage ohne Sinn und Ziel und mit einem zunehmenden Gefühl der Verlassenheit.

Eigentlich ist es ein trostloses Buch, denn das Leben von Andrea zeigt tatsächlich wenig Erbauliches und sie selbst bietet zudem nur wenig Anreiz, sie sympathisch zu finden. Dennoch lohnt es sich zu lesen, denn die Art und Weise, wie die Autorin uns an Andreas Gedanken und ihrem Leben teilhaben lässt, wirkt derart authentisch und realitätsnah, dass zumindest ich Vieles mit ihr fühlen, wenn auch nicht wirklich Alles nachvollziehen konnte. Haben nicht viele Menschen Zeiten, in denen sie sich unfähig fühlen, Entscheidungen zu treffen und/oder Verantwortung zu übernehmen oder das Leid anderer zu ertragen? Doch darüber redet man nicht, denn es ist ein Zeichen von Schwäche und wer gibt die schon gern zu? Bei Andrea tauchen diese ‚Mängel‘ in geballter Form auf, aber was für sie spricht, dass sie sie klar benennt, zumindest sich selbst gegenüber. Somit mag Jede und Jeder sich in etwas wiederfinden, wenn auch vermutlich nicht in dieser Extremform wie bei Andrea.

Trotz des eher trostlosen Themas gibt es ein versöhnliches Ende, das jedoch sehr unterschiedliche Lesarten zulässt. Und so mag sich Jede und Jeder seine eigenen Gedanken dazu machen, wie es mit Andrea weitergeht.

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