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Veröffentlicht am 23.08.2021

Ob wahr oder nicht - einfach eine schöne Geschichte!

Die Dame mit der bemalten Hand
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Auf nicht einmal 160 Seiten erzählt uns Christine Wunnicke von einer Begegnung zwischen Ost und West, wie sie schöner kaum sein kann.

1764 strandet der persische Astrolabienbauer und Astronom Musa al-Lahuri ...

Auf nicht einmal 160 Seiten erzählt uns Christine Wunnicke von einer Begegnung zwischen Ost und West, wie sie schöner kaum sein kann.

1764 strandet der persische Astrolabienbauer und Astronom Musa al-Lahuri auf einem kleinen Eiland vor Bombay, wo er einen offenbar schwer kranken Europäer findet. Es ist Carsten Niebuhr, ein Forschungsreisender aus Norddeutschland, der am Sumpffieber (Malaria) leidet und erneut einen Fieberanfall hat. Auf der kleinen Insel wollte er einen Tempel erforschen und wurde von seinem Schiff bei der Abfahrt schlicht vergessen. Musa al-Lahuri nimmt sich des Kranken an und zwischen den beiden Zurückgelassenen entsteht fast so etwas wie eine Art Freundschaft. Ihre Gespräche finden auf Arabisch statt, das Beide beherrschen und sowohl Musa al-Lahuri wie auch der wissbegierige Niebuhr erfahren und staunen über das Gesagte des jeweils Anderen. Man versteht sich im sprachlichen Sinne, aber der Sinn bleibt oft genug nebulös, sehr zur Freude der Lesenden, für die diese oft genug aneinander vorbeilaufenden Unterhaltungen ein wahrer Genuss sind.

Während die Figur des Carsten Niebuhr tatsächlich existierte und die Autorin sich weitestgehend an die historischen Begebenheiten hält, entspringt Musa al-Lahuri, der nicht weniger real wirkt als sein Gegenüber, jedoch ihrer Phantasie. In dieser glaubwürdigen fiktiven Begegnung wird deutlich, wie relativ vermeintliche Tatsachen doch sind wie beispielsweise in ihrem Gespräch über das Sternbild Kassiopeia.

„So klein“, seufzt Musa, „Ihr seht das ganze Weibsbild in den paar Sternen. Wir sehen dort nur ihre bemalte Hand“. (Seite 124)

Oder die Beschreibung der Frau, die den Weg aller Beteiligten kreuzt. Für Niebuhr ist sie

"Ein Mädchen, vielleicht fünfzehn, vielleicht achtzehn Jahre alt, hoch gewachsen, mit langem Hals und langen Fingern und Zehen. Ihr Gesicht war rund wie ein Apfel und schmutzig, die Züge weich, die Brauen dramatisch geschwungen. Ihr Haar war zu Zotteln verfilzt und eine weiße Kette … zog sich kreuz und quer hindurch …. Als Kleid trug sie nur ein Tuch, das ihre Brüste kaum bedeckte." (Seite 78)

Für Malik, den Diener Musas, ist sie hingegen

"… seine Zuflucht geworden, seine Helferin und Wohltäterin und der Gegenstand seiner Liebe. … Wäre sie kein Bettlermädchen gewesen, man hätte sie der Hoffart bezichtigen können, wie sie dort stolz einherschritt, als sei sie die Herrin der Insel." (Seite 117)

Und als endlich ein britisches Trüppchen auf der Insel landet, sehen sie

"Ein großes, hageres Frauenzimmer in Lumpen … ; … die jüngere Frau sah verhärmt und auf tragische Weise verlaust aus;" (Seite 140)

Herrlich auch die Sprache, in der die Autorin den Deutschen Niebuhr Arabisch sprechen lässt. Das Märchen ‚Tischlein deck dich‘ wird zu ‚Deck dich selbst, oh kleiner Tisch des Wunders.‘ oder Zufall zu ‚Welch lustvolle Gleichzeitigkeit der Ereignisse.‘

Heiterer und unterhaltsamer als in dieser wunderbaren Geschichte mit ihren liebenswerten Figuren sind Unterschiede und Missverständnisse der Kulturen wohl selten beschrieben worden.

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Veröffentlicht am 23.08.2021

Biographie und Märchen in einem

Herzfaden
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Die Augsburger Puppenkiste – wer kennt sie nicht mit ihren Helden Jim Knopf, Lukas dem Lokomotivführer, Urmel aus dem Eis? Doch wer steht dahinter? Wer kam auf die grandiose Idee dieses Marionettentheaters? ...

Die Augsburger Puppenkiste – wer kennt sie nicht mit ihren Helden Jim Knopf, Lukas dem Lokomotivführer, Urmel aus dem Eis? Doch wer steht dahinter? Wer kam auf die grandiose Idee dieses Marionettentheaters? Einfühlsam erzählt Thomas Hettche über die Entstehung der Puppenkiste, die praktisch ein Ergebnis des II. Weltkrieges ist. Denn ohne diesen Krieg würde es dieses wunderbare Theater nicht geben, so grotesk sich dies vielleicht auch lesen mag.

Walter Oehmichen, ein Schauspieler in Augsburg, fertigt für seine beiden kleinen Töchter ein Marionettentheater, das 1944 in einer Bombennacht völlig zerstört wird. Nach dem Ende des Krieges erbaut er mit Unterstützung der ganzen Familie ein neues Theater, das in einem leeren Saal des Heilig-Geist-Spitals seine Stücke zeigt. Es sind schwere Zeiten, die Menschen haben nur wenig Geld, dass sie meist für andere Dinge brauchen. Doch Familie Oehmichen glaubt an den Erfolg, vor allem Walter und Hannelore, seine jüngere Tochter, von Allen nur Hatü genannt, für die das Schnitzen und Spielen der Marionetten eine Berufung ist. Sie übernimmt später die Verantwortung für das Theater und sorgt dafür, dass auch neue Stücke gespielt werden wie beispielsweise ‚Der kleine Prinz‘ oder ‚Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer‘.

Die Biographie des Theaters ist eingebettet in ein Märchen, in dem ein 12jähriges Mädchen nach einer Vorstellung der heutigen Augsburger Puppenkiste durch eine geheime Tür auf einen Dachboden gelangt, wo sich die Marionetten befinden, die nach und nach zum Leben erwachen. Auch die erwachsene Hatü erscheint, die dem Mädchen die Geschichte der Augsburger Puppenkiste erzählt …
Doch Herzfaden ist nicht nur die Biographie einer deutschen ‚Institution‘, sondern auch ein Stück Zeitgeschichte, glaubwürdig und überzeugend beschrieben. Denn ohne die damaligen Verhältnisse würde es das Theater vermutlich nicht geben – Walter Oehmichen wäre wohl Schauspieler geblieben.

Die eigentliche Geschichte mit einem Märchen mit den allseits bekannten Marionetten zu umrahmen ist eine pfiffige Idee, aber mir kam es meist doch recht konstruiert vor. Wunderbar gelungen ist hingegen die optische Aufmachung des Buches. Die beiden Erzählstränge sind jeweils in roter und blauer Farbe gehalten und werden mit Zeichnungen der Augsburger Puppenkiste ergänzt. Ein schönes Buch zu einem Thema, das einem beim Lesen manchmal etwas nostalgisch werden lässt 😊

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Veröffentlicht am 29.06.2021

Wenn plötzlich Alles anders ist

Der Morgen davor und das Leben danach
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Eddie ist 12 Jahre alt, als sein bisheriges Leben ein plötzliches Ende nimmt. Bei einem Flugzeugabsturz ist er der einzige Überlebende; auch sein geliebter Bruder Jordan und seine Eltern sind unter den ...

Eddie ist 12 Jahre alt, als sein bisheriges Leben ein plötzliches Ende nimmt. Bei einem Flugzeugabsturz ist er der einzige Überlebende; auch sein geliebter Bruder Jordan und seine Eltern sind unter den Opfern. Die einzigen Verwandten, die Schwester seiner Mutter und deren Ehemann nehmen ihn bei sich auf und versuchen, ihm beim Weiterleben zu helfen.

Erzählt wird zum Einen aus Eddies Sicht nach dem Absturz, der vor Schmerz praktisch keinen Lebensmut mehr spürt und nur versucht, seiner Tante und seinem Onkel so wenig Last wie möglich zu sein. Der einzige Lichtblick ist die nur wenig ältere Nachbarstochter Shay, mit deren Hilfe es ihm gelingt, ein zumindest nach außen hin möglichst normales Leben zu führen.

Der zweite Teil der Geschichte berichtet über den Flug und erzählt vom Leben von Eddies Familie, aber auch einiger Passagiere wie beispielsweise von Benjamin, einem jungen Kriegsveteranen; von Florida, die überzeugt ist, bereits mehrere Male wiedergeboren zu sein oder von Crispin, einem Milliardär, der schwer krebskrank ist.

Dies hätte ein vor Kitsch triefendes Werk werden können angesichts der Thematik. Doch die Autorin hat glücklicherweise auf allzu viel Gefühlsduselei verzichtet, leider jedoch nicht auf Satzkonstruktionen, die einen nur den Kopf schütteln lassen.

Als die Nacht hereinbricht, wird Edward düsterer, wie der Himmel. (Seite 100)

Es hatte seit Wochen nicht geregnet. Sie waren von trockenem Frieden belagert worden. (Seite 156)

Edward kann fühlen, wie sich in seinem Innern Stränge versammeln und versuchen eine Form zu finden … (Seite 309)

Wenig einleuchtend zeigt sich auch die Entwicklung des Jungen. Praktisch zwei Jahre gibt es keine; Eddies Leben, der nun Edward genannt werden will (die Zeit von Eddie ist vorüber), wird noch immer vollständig von seiner Trauer beherrscht. Doch zwei Jahre später, schwuppdiwupp, wendet sich Vieles zum Besseren durch nur ein einschneidendes Erlebnis. Nicht sehr nachvollziehbar.

Gut gefallen hat mir in der zweiten Hälfte der Blick auf die Reaktionen der Menschen bezüglich Edward. Wenn auch nur ein Teil davon der Realität entsprechen sollte (beispielsweise bei dem kleinen Ruben, dessen Schicksal als Vorlage für dieses Buch diente), frage ich mich, ob Empathieunfähigkeit eine zwangsläufige Folge von Trauer ist. Was diese ebenfalls vom Verlust von geliebten Menschen Betroffenen diesem 12jährigen Jungen zumuten ist eine Rücksichtslosigkeit ohnegleichen.

Eine traurige, aber auch Mut machende Geschichte, die besser geschrieben und ohne Wiedergeburt 😉 richtig klasse sein könnte.

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Veröffentlicht am 29.06.2021

Drei Kunsterzählungen

Tasso im Irrenhaus
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Das schmale Büchlein umfasst drei Erzählungen, die bereits getrennt voneinander vor mehreren Jahren erschienen sind. Für diese Ausgabe wurden sie überarbeitet oder umgeschrieben, ganz im Sinne der ersten ...

Das schmale Büchlein umfasst drei Erzählungen, die bereits getrennt voneinander vor mehreren Jahren erschienen sind. Für diese Ausgabe wurden sie überarbeitet oder umgeschrieben, ganz im Sinne der ersten Erzählung, Das Deutschlandgerät.
Hier schreibt der Ich-Erzähler einer Museumsdirektorin einen langen Brief in dem er darlegt, weshalb sich seine Arbeit, eine Beschreibung dieser schwarzen Maschine (wie er sie nennt) verzögert und was diese mit einem von ihm bewunderten Schriftsteller zu tun hat, der aus der DDR ausgebürgert wurde. Letztendlich kulminiert das Ganze in der Feststellung, dass nicht das Kunstwerk seiner jeweiligen Umgebung angepasst wird, sondern auch der Mensch und seine Haltung. Über 60 Seiten braucht es zu dieser Feststellung, die auch eine Kunstbeschreibung enthält (empfehlenswert: parallel Bilder und Videos aus youtube dazu anschauen) – wozu jedoch 30 Seiten sicherlich gereicht hätten.

Die zweite Erzählung befasst sich mit dem titel(bild)gebenden Tasso im Irrenhaus, einem Gemälde von Delacroix‘, das in Winterthur zu besichtigen ist. Hier korrespondiert der ‚Inhalt‘ des Gemäldes mit dem, was der Ich-Erzähler beim Betrachten des Bildes mit einem weiteren Museumsbesucher im Gespräch erfährt. Über die Beschreibung der damaligen Verhältnisse geht es kunstvoll über ehemalige Kolonien zu dem was die heutige Schweiz darstellt – mir war das etwas zu kunstvoll.

Abschließend steht der Maler Johannes Grützke im Mittelpunkt, der sich zum Zeitpunkt der Erzählung im Hospiz befindet. Er bittet den Ich-Erzähler, über ein Bild von ihm zu schreiben, der sich eher widerwillig darauf einlässt. Bei einem vereinbarten Termin findet er im Hospizzimmer des Malers eine illustre Gruppe von Personen vor, die jenem offenbar nahe stehen. Diese führen ein ’skurriles‘ Gespräch über Kunst, das mir irgendwann zu verworren war. 39 Seiten – 20 hätten mir locker gereicht.

Zwar war ich vom Inhalt der Geschichten nicht allzu begeistert, dafür umso mehr von der Sprache des Autoren. Wenn ich jetzt noch ein Buch mit einem ansprechenderen Inhalt von ihm lese, dann steht einer Lobeshymne sicherlich nichts im Wege 😉

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Veröffentlicht am 29.06.2021

Von Frauen und Männern

Letzte Ehre
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Ein 17jähriges Mädchen ist nach einer Party im Haus des Freundes ihrer Mutter verschwunden, die Oberkommissarin Nasri ermittelt. Was wie eine herkömmliche Vermisstengeschichte beginnt, entwickelt sich ...

Ein 17jähriges Mädchen ist nach einer Party im Haus des Freundes ihrer Mutter verschwunden, die Oberkommissarin Nasri ermittelt. Was wie eine herkömmliche Vermisstengeschichte beginnt, entwickelt sich zu einem Alptraum männlicher Gewalt und Brutalität gegenüber Frauen, der auch Nasris Privatleben berührt.

Während der Vermisstenfall bereits nach weniger als einem Drittel des Buches aufgeklärt ist und man sich fragt, was da noch kommen soll, findet man sich beinahe unbemerkt bereits mit Oberkommissarin Nasri in der nächsten Ermittlung wieder, die nicht weniger spannend und überraschend ist. Damit nicht genug, geschieht auch in ihrem privaten Umfeld ein grausames Verbrechen, das sie fast aus der Bahn wirft.

Nasri ist die Ich-Erzählerin dieses Buches und lest uns Lesende detailliert an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben. Sie ist kein einfacher Mensch, sie liest in den Menschen und erkennt mehr, als diesen und auch insbesondere ihren Kollegen lieb ist. Doch dieses Erkennen hat seinen Preis – sie fühlt und leidet mit, wo Abstand vielleicht vonnöten wäre.

Der Autor schildert das Auftreten und Seelenleben der Figuren durch seine Protagonistin so detailliert und empathisch, als wäre man unmittelbar dabei. Und obwohl er auf jegliche Gewaltszenen verzichtet, ist das Grauen überdeutlich spürbar – es lauert praktisch an jeder Ecke.

Friedrich Ani hat mit diesem Buch ein unmissverständliches Zeichen gesetzt, dass Gewalt gegen Frauen noch immer Alltag ist – auch bei uns.

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