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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.05.2017

Ein etwas anderer Pfarrer

Glaube Liebe Tod (Ein Martin-Bauer-Krimi 1)
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Martin Bauer ist ein Polizeiseelsorger, dessen Verhalten nicht so ganz zum herkömmlichen Bild eines Theologen passt, wie so mancher seiner Vorgesetzten leidgeprüft feststellen musste. Doch davon lässt ...

Martin Bauer ist ein Polizeiseelsorger, dessen Verhalten nicht so ganz zum herkömmlichen Bild eines Theologen passt, wie so mancher seiner Vorgesetzten leidgeprüft feststellen musste. Doch davon lässt er sich nicht beirren und so springt er beispielsweise von einer Rheinbrücke, um einen Selbstmörder von seinem Tun abzuhalten - was ihm auch gelingt. Doch kurz darauf findet man diesen (einen Polizisten) tot nach einem Sturz vom Deck eines Parkhauses - für seine Kollegen ist der Fall klar: Selbstmord. Doch Bauer zweifelt und beginnt auf eigene Faust, Nachforschungen anzustellen.
Es ist der Beginn einer neuen Regionalkrimireihe, die im Ruhrgebiet angesiedelt ist. Man merkt der Geschichte an, dass das Autorenduo Gallert/Reiter vom Fach ist: Beide schreiben seit Jahren Drehbücher, unter anderem auch für Krimis, was diesem Buch zugute kommt. Die Örtlichkeiten sind gut beschrieben, sodass DuisburgerInnen sicherlich viele Aha-Erlebnisse haben werden Die Geschichte, die zu Beginn recht schlicht daherkommt, entwickelt sich zusehends zu einem stets komplexeren Gebilde, in dem aber am Ende alles aufgeklärt wird. Es gibt eine Reihe Actionszenen, die sich bestimmt auch in einem Film gut machen würden. Und nicht zuletzt Figuren, die jede Menge Entwicklungspotential bieten. An erster Stelle selbstredend Seelsorger Bauer mit seinen Zweifeln; aber auch Kommissarin Dohr, die nicht nur beruflich mit Intrigen und Neidern zu kämpfen hat, sondern auch in ihrem Privatleben ziemlichen Problemen gegenübersteht.
Also ein rundum gelungener Krimi? Ich fand, nicht ganz. Obwohl Martin Bauer jede Menge ungewöhnliche Verhaltensweisen an den Tag legt, hatte er mir dennoch zu wenig Ecken und Kanten, irgendwie kam er mir nicht so nahe wie beispielsweise Harry Hole (der 'Held' bei Jo Nesbö). Vielleicht lag es an den häufiger zitierten Bibelsprüchen (was ich nicht glaube) oder an seiner Tätigkeit als Seelsorger - auf jeden Fall verringerte sich die Distanz zu dieser Figur bis zum Ende des Buches nicht. Aber das könnte sich ja im nächsten Band noch ändern...

Veröffentlicht am 25.05.2017

Das Leben in Kalifornien in den 50er Jahren

Fat City
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Kalifornien in den 50er Jahren, es gibt kaum Arbeit. Die Männer drängen sich um schlecht bezahlte, beschwerliche Erntearbeiten, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. Der Boxsport scheint da zumindest ...

Kalifornien in den 50er Jahren, es gibt kaum Arbeit. Die Männer drängen sich um schlecht bezahlte, beschwerliche Erntearbeiten, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. Der Boxsport scheint da zumindest für Einige das große Los zu sein: Hat man Erfolg, steht man im Rampenlicht und verdient gutes Geld, ein wahrhaft besseres Leben als das eines Erntehelfers. Billy Tully, Ende Zwanzig, versuchte es und hatte Erfolg. Doch als seine Frau ihn verließ, begann er zu trinken und ging nicht mehr zum Training; seitdem schlägt er sich mit solch schlecht bezahlten Jobs durchs Leben. Ernie Munger, 18 Jahre, verdient seinen Lebensunterhalt an einer Tankstelle. Auf Empfehlung Tullys geht er zu dessen früheren Box-Manager, der ihn unter seine Fittiche nimmt.
Leonard Gardners Buch ist keine Geschichte im herkömmlichen Sinn, mit Anfang und Ende und zwischendrin einer Entwicklung. Es ist eher eine Art Zustandsbeschreibung aus dem Leben mehrerer Menschen aus dem Boxermilieu. Gardner gibt schnörkellos, fast schon roh den Tonfall der Menschen dieses Milieus und dieser Zeit wieder und stellt anschaulich die damaligen Lebensbedingungen dar. Es ist dreckig, laut, brutal, vulgär und man mag kaum glauben, dass so das sonnige Kalifornien gewesen sein soll, gerade mal 60 Jahre früher. Dennoch ist es kein Buch, das einen trostlos zurücklässt, trotz der abgerissenen Gestalten und beklagenswerten Verhältnisse. Denn so erbärmlich es Billy, Tully und all den anderen auch gehen mag; ihren Lebensmut haben sie noch immer. Selbst wenn sie ins Jammern verfallen, kommt früher oder später der Punkt, an dem sie wieder daran glauben, dass es besser werden wird. Irgendwann…

Veröffentlicht am 12.05.2017

Dshamilja in einer miserablen Neuübersetzung

Dshamilja
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Dshamilja ist eine wunderbare Geschichte, die ich vor einigen Jahren während meiner Reise durch Kirgisistan mit Begeisterung gelesen habe. Sie erzählt von der Liebe zweier Menschen, die eigentlich nicht ...

Dshamilja ist eine wunderbare Geschichte, die ich vor einigen Jahren während meiner Reise durch Kirgisistan mit Begeisterung gelesen habe. Sie erzählt von der Liebe zweier Menschen, die eigentlich nicht sein durfte, aber noch mehr von der Liebe zu Kirgisistan, zum Leben an sich. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Beschreibungen sehr poetisch sind, hatte ich während des Lesens ständige Aha-Erlebnisse. Die Menschen, die Pferde in den Luzernenfeldern, die Berge, die Weite, die Steppe - durch Aitmatows Darstellungen erblickte ich schon Alles in meiner Vorstellung, bevor ich die Gegend mit meinen eigenen Augen betrachtete, um Alles bestätigt zu finden. Ja, ich weiß, das hört sich jetzt superkitschig an, aber so war es.
Als ich dann die neue Ausgabe des Insel-Verlages mit der wirklich schönen Covergestaltung und neuer Übersetzung entdeckt habe, war klar: Dieses schmale Büchlein muss ich haben. Gesagt, getan - und das Cover hat mich nicht enttäuscht. Die Zeichnungen, viele in schwarz-weiß oder in diversen Rottönen coloriert, passen wunderbar zu dieser gefühlvollen Geschichte. Was mich jedoch völlig ernüchtert hat, ist die meiner Ansicht nach misslungene Übersetzung.
Ich habe das Buch ebenfalls in der Ausgabe mit Hartmut Herboth als Verantwortlichem. Und auch wenn Manches darin durchaus etwas angestaubt klingen mag (immerhin ist sie mindestens 30 Jahre alt) - die Atmosphäre, die Stimmung hat er überzeugend ins Deutsche übertragen. Denn genau so ist es: die Menschen und das Land. Aus Interesse habe ich die beiden Fassungen dann parallel gelesen und bin schlicht entsetzt, was aus Dshamilja gemacht wurde. Um eines klarzustellen: Nein, ich kann kein Russisch. Aber die neue Fassung enthält ausser schlechtem Deutsch ebenso sachliche Fehler, die auch ohne Russisch-Kenntnisse festzustellen sind. Beispielsweise trägt in der neuen Fassung die Mutter des Erzählers einen Turban (S. 14), in der alten ein Kopftuch. Fakt ist, dass in Kirgisistan die Frauen Kopftuch und keinen Turban tragen. Oder die Beschreibung "… glühte die müde Junisonne wie die runde Öffnung eines Backofens …" (S. 28), wo bei Herboth statt Backofen Tandyr steht, ein neben dem Haus in die Erde gebauter Ofen mit runder Öffnung, in dem Fladen gebacken werden. Darüber verfügt in Kirgisistan praktisch jedes Haus, während Backöfen (insbesondere in der Zeit, in der die Geschichte spielt), Mangelware sind. Auch die Ausdrucksweise ist in der neuen Ausgabe stellenweise sehr gewöhnungsbedürftig: Auf Seite 27 "…; es lohnte nicht, mit ihm anzubinden.", hingegen in der alten Fassung "Sie wusste, dass es nicht lohnte, mit ihm Streit anzufangen, …", was auch im Zusammenhang gelesen wesentlich besser klingt. Oder Seite 7 (neu) "… damals noch Buben von fünfzehn, sechzehn Jahren .." gegenüber "Wir Halbwüchsigen, etwa fünfzehn Jahre alt…". Ich möchte die Fünfzehnjährigen sehen, die sich noch Buben nennen lassen
Dinge dieser Art ziehen sich durch den gesamten Text hindurch und viel von der Poesie dieser Geschichte ist einfach verloren gegangen. So schön ich die Illustrationen auch finde, ich werde das Buch verkaufen und dafür die alte Ausgabe behalten. Denn letztendlich ist es der Text, der Dshamilja ausmacht.
PS: Und um Bücher dieser Übersetzerin werde ich zukünftig einen riesigen Bogen machen.

Veröffentlicht am 05.05.2017

Ein toller Titel macht noch lange kein gutes Buch

Weshalb die Herren Seesterne tragen
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Der Titel dieses schmalen Büchleins fiel mir gleich ins Auge: Ja weshalb tragen denn die Herren Seesterne? Wenn es dazu noch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, dann muss sich die Lektüre ...

Der Titel dieses schmalen Büchleins fiel mir gleich ins Auge: Ja weshalb tragen denn die Herren Seesterne? Wenn es dazu noch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht, dann muss sich die Lektüre doch lohnen, oder ?
Um es kurz zu machen: eher nicht. Die Hauptfigur ist Karl, ein pensionierter Lehrer, der im Gegensatz zu seiner Ehefrau Margit nicht so recht etwas mit sich anzufangen weiß. Er möchte die Welt verstehen, die Menschen, "... woher diese Unzufriedenheit kommt, diese Angst, die manche in die falsche Richtung treibt." Auf der Grundlage des Fragebogens zum bhutanischen Bruttonationalglück will er seine eigene Befragung starten und fährt los, ohne Margit zu informieren. In einem kleinen Dorf quartiert er sich in einem Gasthof ein und versucht, sein Projekt umzusetzen. Doch es geht nur stockend voran...
Der Aufbau der Geschichte ist anders als meine Zusammenfassung es hier vermutlich suggeriert. Es wird konsequent Alles aus Karls Sicht berichtet und zwar nicht chronologisch, sondern mit Sprüngen in diverse Vergangenheiten. Zu Beginn ist Karl bereits wieder auf der Rückreise, auf der er sich das Geschehene nochmals durch den Kopf gehen lässt. Dabei springt er in seinen Erinnerungen auch in Zeiten davor, sodass man Margit und ihren Sohn Helmut kennenlernt (ohne ihnen im Buch als realistische Figuren zu begegnen), seine Nachbarn daheim, aber auch eine Jugendliebe.
Eine richtige Geschichte ist es eher nicht, denn der Aufenthalt im Dorf plätschert so dahin und die weiteren Erinnerungen sind eher Stückwerk. Auf mich wirkte es wie die Darstellung eines furchtsamen Mannes, der versucht zu erfahren, wie man glücklich, besser: zufrieden leben kann. Denn auch wenn er seine Frau Margit offensichtlich liebt, machte er auf mich während der ganzen Lektüre weder einen glücklichen noch zufriedenen Eindruck. Zwar ist es deutlich, dass sie die Dominante in der Ehe ist, es wird aber nie explizit dargestellt und Karl scheint nicht darunter zu leiden (oder wenn, dann nur still und leise). Vielmehr hatte ich das Gefühl, als hätte er stets Angst, seine Frau zu verärgern oder zu verlieren, ohne dass es dafür einen konkreten Hinweis gibt.
Die Autorin versteht es durchaus, eine Atmosphäre aufzubauen und schöne Sätze zu schreiben ("Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die so gut ist, dass keine Hoffnungen auf ein Leben nach dem Tod aufgespart werden müssen."), doch sie alleine machen ein Buch noch nicht lesenswert. Es fehlt einfach eine Geschichte, ein Ansatz, an dem sich die eigene Phantasie entlanghangeln könnte. Karl, sein Umfeld und auch sein Projekt bleiben derart farblos, dass ich vermute, dass ich Alles beim nächsten Buch schon wieder vergessen haben werde.
Und weshalb tragen die Herren nun Seesterne? Hm, tja, ich befürchte, ich weiß es schon nicht mehr so genau. War auch nicht so wichtig.

Veröffentlicht am 02.05.2017

Wundervoll schräge Geschichte mit herrlich skurrilen Figuren

Der Freund der Toten
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Irgendwo an der Küste Irlands, im kleinen Dorf Mulderrig, taucht im Jahre 1976 ein junger Mann auf, der vielen Einheimischen merkwürdig bekannt vorkommt. Kein Wunder, denn der 26jährige Mahony ist seiner ...

Irgendwo an der Küste Irlands, im kleinen Dorf Mulderrig, taucht im Jahre 1976 ein junger Mann auf, der vielen Einheimischen merkwürdig bekannt vorkommt. Kein Wunder, denn der 26jährige Mahony ist seiner Mutter Orla wie aus dem Gesicht geschnitten, die in Mulderrig lebte und kurz nach seiner Geburt verschwand. Mahony wuchs in einem Waisenhaus in Dublin auf und ist nun auf der Suche nach Orla, was offensichtlich Vielen überhaupt nicht gefällt. Doch er bekommt auch Unterstützung - und nicht nur von den Lebenden.
Wer sich mit übersinnlicher, eher etwas weniger realitätsgetreuer Lektüre schwertut, sollte besser die Finger von diesem Buch lassen. Denn hier spielen beispielsweise Tote eine wichtige Rolle: "Die Toten zieht es zu den Verwirrten und Ungeschriebenen, den Beschädigten und Gebrochenen.... Denn die Toten haben gebrauchte Geschichten für dich, wenn du sie hereinlassen würdest." Mahony lässt sie herein (wenn auch wohl eher unfreiwillig), während die meisten von uns sie übersehen, denn wir sind "... mit einem beruhigenden Mangel an Visionen gesegnet." Die Toten haben sich ihre Eigenheiten bewahrt, vermutlich sind sie sogar noch verstärkt, sodass die Beschreibungen herrlich skurril und gleichzeitig liebenswert wirken (wie zum Beispiel Johnnie, der immer wieder nur halb bekleidet toten Zimmermädchen nachstellt). Trotzdem erscheinen sie wie auch andere übernatürliche Erscheinungen (seltsame Wetterphänomene, eine plötzliche Quelle in einem Bibliothekszimmer incl. Fröschen, ...) hier weniger mystisch als einfach dazugehörend; ein Teil von Irland, der etwas schräg und einnehmend ist wie viele der Figuren.
Was dem Ganzen zudem etwas Phantastisches verleiht, ist der wunderbare Sprachstil der Autorin. Unbelebten Dingen verleiht sie eine Seele, in dem sie sie zu handelnden Subjekten werden lässt: "Bald wurde der Regen selbstbewusster, platschte auf Kopfsteinpflaster, hüpfte durch die Traktorspuren in der festgebackenen Erde." oder "Und natürlich wussten auch die Bäume Bescheid, aber sie trieben ihre Pfahlwurzeln einfach tiefer in die Erde und behielten ihre Meinung für sich."
Doch was nicht vergessen werden sollte: spannend ist die Suche nach Orla zudem. Alles in Allem ein durchweg tolles Lesevergnügen!