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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.03.2021

Wunderschön - nur das Ende hätte etwas besser sein können

Hard Land
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Im Sommer 1985 findet der 15jährige Sam nicht nur einen Ferienjob in einem Kino, sondern auch Freunde und er verliebt sich zum ersten Mal. Obwohl seine Mutter schwer krank ist, erlebt er die schönsten ...

Im Sommer 1985 findet der 15jährige Sam nicht nur einen Ferienjob in einem Kino, sondern auch Freunde und er verliebt sich zum ersten Mal. Obwohl seine Mutter schwer krank ist, erlebt er die schönsten Monate seines Lebens. Zum ersten Mal ist er anerkannt und kein Sonderling wie in der Schule. Doch dann trifft ihn ein schwerer Schicksalsschlag, der alles wieder zunichte zu machen scheint.
Es ist keine außergewöhnliche Geschichte, die Benedict Wells uns erzählt, sondern vielmehr ein typischer Jugendlichensommer wie er sein sollte, angereichert mit jeder Menge Beigaben aus den 80ern. Nicht zuletzt auch mit einer Playlist der im Buch erwähnten Songs, von der man im Anhang erfährt, wo man sie finden kann.
Wunderschön ist die Sprache, in der der Autor Sam als Ich-Erzähler von dieser Zeit berichten lässt. Einerseits gibt es tragische Ereignisse, die einem als Lesenden fast das Herz zerreißen (ich gebe zu, ich habe hin und wieder ein Tränchen verdrückt), aber kurz danach schildert er selbstironisch Szenen, bei denen man laut lachen muss. Wells trifft den Ton wie auch die Gedanken und Gefühle des später 16jährigen so gut, dass einem Sam schnell ans Herz wächst und man mit ihm leidet, sich freut, ärgert und jubelt.
Auch wenn die Zielgruppe Erwachsene zu sein scheinen und das Umfeld die Südstaaten der USA Mitte der 80er sind, werden sich vermutlich auch heutige Jugendliche in Europa schnell mit Sam identifizieren und mitfühlen können, was ihn bewegt. Denn diese Dinge sind universell und nicht auf Zeit oder Raum begrenzt.
Mit dem letzten Teil hadere ich etwas, denn hier ist der Hang zum Happyend selbst mir 😉 einfach zu groß. Auch dass der Schwerpunkt auf dem Gedicht ruht, das dem Buch den Titel verleiht, ist nicht so ganz mein Fall - mir war es ein bisschen zu poetisch und zu weit hergeholt.
Trotzdem: Es ist eine wirklich gelungene Unterhaltungslektüre mit viel Zeitkolorit der 80er Jahre.

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Veröffentlicht am 10.03.2021

Ein Wochenende tief in der Provinz

Mission Pflaumenbaum
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Kramer, der keinen Vornamen zu haben scheint (oder habe ich den überlesen?), besucht übers Wochenende seine verheiratete Tochter auf dem Land, zu der er kein besonders enges oder gutes Verhältnis hat. ...

Kramer, der keinen Vornamen zu haben scheint (oder habe ich den überlesen?), besucht übers Wochenende seine verheiratete Tochter auf dem Land, zu der er kein besonders enges oder gutes Verhältnis hat. Auf dem Weg von der Bushaltestelle zu ihrem Haus trifft er einen alten Mann, der ihn ungefragt mit Informationen über das Dorf versorgt und dem er ihm Laufe des Wochenendes immer wieder begegnet. Das Zusammensein mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn gestaltet sich nicht unproblematisch, sodass Kramer sich fast schon nach der Gesellschaft des schrulligen Alten sehnt.
Tja, viel mehr passiert auch nicht an diesem Wochenende 😉 Es ist eine ruhige, gemächlich fortschreitende Geschichte, die mit unglaublich vielen Details erzählt wird. "Unterhalb des Giebels klebten die Reste alter Schwalbennester, und eine Taube versuchte gerade auf einem schmalen Sims Halt zu finden, wild schlug sie mit dem Flügel, er hörte das Schleifen der Federn auf dem Putz, das Kratzen ihrer Krallen auf dem Blech, immer wieder versucht das Tier auf der schmalen Kante Fuß zu fassen, doch vergeblich, endlich ließ es sich fallen und segelte knapp über seinem Kopf davon." Die Sätze wirken manchmal endlos und der Autor scheint von seiner Sprachkunst derart begeistert zu sein, dass er sie bedauerlicherweise auch Personen in den Mund legt, zu denen es überhaupt nicht passt. Beispielsweise wenn der schrullige alte Rottmann, der so gar nicht poetisch ist, plötzlich von der alten Gurtweberei erzählt: "..., am Tag war die Fabrik wie ein riesiges, stampfendes Tier, aber abends, wenn die Spätschicht am Werk war und im Innern die Lampen honiggelb leuchteten, war es ein Palast, ein goldener Kristallpalast, ganz leicht sah das Gebäude dann aus, es schien zu schweben wie ein Lampion aus Seidenpapier, und wenn die Fabrik tagsüber stampfte, so war es in der Dunkelheit ein Klirren, als begänne ein gigantischer Kronleuchter zu zittern."
So wie Rottmann all dem dem Neuen und Modernen skeptisch und teils sogar zornig entgegenblickt, so misstrauisch ist Kramer gegenüber seiner Tochter. Jedes Tun von ihrer Seite wird von ihm zuerst meist argwöhnisch beäugt im Glauben, es zeige ihre Abneigung gegen ihn; jedes Handeln von seiner Seite hingegen ist von Vorsicht geprägt, um nur keinen Unmut auszulösen. Andersherum scheint es nicht viel besser. Doch das Ende birgt Hoffnung (vielleicht auch für Rottmann?): Mission Pflaumenbaum.
Alles in allem: Schöner Stil, wenn auch nicht immer passend, mit einer mittelguten, etwas drögen Geschichte.

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Veröffentlicht am 10.03.2021

Trotz schrecklichem Titel und Cover - ein schönes Buch

Das Leben ist zu kurz für irgendwann
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Im Buchladen hätte ich dieses Buch aufgrund des kitschigen Covers und merkwürdigen Titels keines weiteren Blickes gewürdigt. Da ich es jedoch überraschend als Rezensionsexemplar bekommen habe, habe ich ...

Im Buchladen hätte ich dieses Buch aufgrund des kitschigen Covers und merkwürdigen Titels keines weiteren Blickes gewürdigt. Da ich es jedoch überraschend als Rezensionsexemplar bekommen habe, habe ich mich, wenn auch skeptisch, daran gewagt. Und kaum zu glauben, es hat mir gefallen 😁

Terry und Iris sind beste Freundinnen, auch wenn sie kaum gegensätzlicher sein könnten. Iris liebt das Leben und lässt sich trotz ihrer schweren MS-Krankheit nicht unterkriegen. Terry hingegen, die Ich-Erzählerin, ist voller Ängste und kann sich ein Leben ohne sorgfältige Planung und Organisation nicht vorstellen. Als sie erfährt, dass Iris aufgrund ihrer Krankheit in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte und bereits auf dem Weg dorthin ist, reist sie ihr ganz entgegen ihrer Gewohnheiten spontan nach, inklusive ihres dementen Vaters. Eine ungewöhnliche Reise nimmt ihren Lauf …

Ok, Manches in diesem Buch ist vermutlich wirklich zu schön, um auch nur annähernd wahr zu sein. Beispielsweise wäre eine solche Reise mit einem schwer dementen alten Mann wohl für alle Beteiligten in der Realität eine Tortur, und nicht wie hier der Auslöser für so einige amüsante Geschehnisse. Aber sei’s drum – Terry erzählt so herrlich naiv-ängstlich-liebevoll von all den Ereignissen, dass ich die meiste Zeit ein Grinsen im Gesicht hatte. Dennoch gelingt es der Autorin, die Dimensionen der Themen Sterbehilfe und Demenz immerhin ansatzweise darzustellen, was angesichts der humorvollen Erzählweise schon erstaunlich ist.

Alles in allem eine wirklich unterhaltsame Lektüre zu ganz und gar nicht seichten Themen – für mich eine wirklich gelungene Überraschung 😀

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Veröffentlicht am 04.03.2021

Wie Frauen leben - Heute!

Kim Jiyoung, geboren 1982
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Kim JiYoung ist eine junge Frau in Seoul, studiert, glücklich verheiratet und Mutter eines kleinen Mädchens – eigentlich ein perfektes Leben. Eigentlich … Denn plötzlich verwandelt sie sich im Beisein ...

Kim JiYoung ist eine junge Frau in Seoul, studiert, glücklich verheiratet und Mutter eines kleinen Mädchens – eigentlich ein perfektes Leben. Eigentlich … Denn plötzlich verwandelt sie sich im Beisein ihres Mannes in andere Personen: ihre Mutter, eine frühere Freundin, immer Frauen aus ihrem näheren Umfeld.

Cho Nam-Joo erzählt sachlich und neutral die Lebensgeschichte JiYoungs, die sich vermutlich nur wenig von der anderer Südkoreanerinnen unterscheidet. Im Vergleich zur Generation ihrer Mutter eher modern aufgewachsen, muss sie nach Schule und abgeschlossenem Studium feststellen, dass die Begünstigungen ihrer Studienkollegen im Arbeitsleben noch wesentlich größer sind als zuvor, obwohl deren Abschlüsse deutlich schlechter sind. Und auch im Alltag muss sie immer wieder realisieren und selbst erfahren, wie respektlos Männer mit Frauen umgehen und auf sie herabschauen.

Die Geschichte ist ein einziges Trauerspiel, das nüchtern aufzeigt (zeitweilig wie ein Sachbuch), wie immens die Benachteiligung von Frauen noch immer ist. Auch wenn Südkorea wirtschaftlich betrachtet ein fortschrittliches Land sein mag, gesellschaftspolitisch scheint es sich in der Steinzeit zu befinden. Doch es wäre unbillig, alleine Südkorea an den Pranger zu stellen. Denn Kim JiYoungs Erlebnisse sind universal – ich wette: Jede Frau wird sich in diesem Buch wiederfinden; die eine mehr, die andere weniger, aber alle haben ihre Erfahrungen gemacht mit Benachteiligungen, Feindlichkeiten und Respektlosigkeiten ihresgleichen gegenüber.

Auch wenn Viele das Wort Emanzipation nicht mehr hören können oder wollen: Dieses Buch macht überdeutlich, dass es noch ein weiter Weg ist, und zwar auf der ganzen Welt, bis wir tatsächlich von Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann reden können.

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Veröffentlicht am 04.03.2021

Deutsche Nachkriegsgeschichte vom Feinsten!

Die Experten
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Nach dem Ende des II. Weltkrieges waren die deutschen Nazi-Wissenschaftler begehrte Arbeitskräfte; die USA wie auch die Sowjetunion holten mehr als 1.000 von ihnen ins Land. Doch nicht nur bei den Siegermächten ...

Nach dem Ende des II. Weltkrieges waren die deutschen Nazi-Wissenschaftler begehrte Arbeitskräfte; die USA wie auch die Sowjetunion holten mehr als 1.000 von ihnen ins Land. Doch nicht nur bei den Siegermächten war das Interesse groß an den erfahrenen Raketenbauern und Flugzeugingenieuren – auch in Ägypten fanden sie besondere Beachtung. Ab Anfang der 60er Jahre begannen immer mehr deutsche Staatsbürger an ägyptischen Rüstungsprojekten mitzuarbeiten, was nicht nur wegen Deutschlands Vergangenheit heikel war, sondern ebenso dass ehemalige Nazigrößen mitmischten.

Hier setzt Merle Krögers Roman ein, der eher eine spannende Familiengeschichte als ein Thriller ist (was aber keine Abwertung sein soll!). Die 16jährige Rita muss mit ihrer Familie nach Ägypten, genauer nach Kairo ziehen, wo ihr Vater im Auftrag der dortigen Regierung gemeinsam mit früheren Kollegen Flugzeuge konstruieren soll. Nur der ältere Bruder bleibt zurück, der sich so gar nicht in Vaters gewünschte Richtung entwickelt. Rita beginnt als Sekretärin zu arbeiten im Bereich der Raketenbauer und stellt bald fest, dass ihr neues Leben doch nicht so übel ist. Als Expertentochter genießt sie jede Menge Privilegien und die Familie ist finanziell gut aufgestellt; Kairo und überhaupt Ägypten sind aufregend schön. Aber plötzlich geschehen Dinge, die sie das Tun der Deutschen in Frage stellen lässt. An ihrem Arbeitsplatz detonieren Briefbomben, die Tote und Verletzte zur Folge haben; ein Kollege verschwindet und es machen die verschiedensten Gerüchte die Runde.

Die Geschichte Ritas basiert auf der Familiengeschichte einer Freundin Merle Krögers, die geschickt mit den wahren historischen Geschehnissen im Zusammenhang mit den Experten in Ägypten verflochten wird. Alle realen Figuren werden in dokumentarischer Form (knapp und sachlich) dargestellt, sowohl für vergangene wie auch künftige Zeiträume, was des öfteren zu ungläubigem Staunen bei mir führte (Wie, so ein Nazi an so einer Stelle?). Auszüge aus BND-Akten sowie Artikel aus diversen Zeitschriften und Zeitungen ergänzen das Ganze und vermitteln auf diese Weise einen Überblick über die damalige gesellschaftliche Situation im Nahen Osten wie auch in Deutschland.

Merle Krögers Schreibstil mag nicht Allen gefallen. Sie schreibt meist kurz und knapp im Präsens, detailliert und meist sehr sachlich. Dennoch ist das Buch trotz seiner fast schon dokumentarischen Form spannend, unterhaltsam und nicht zuletzt informativ. Ein historischer (Thriller)Roman und Geschichtsschreibung in seiner besten Form!!!

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