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Veröffentlicht am 29.10.2020

Ein Ehedrama in Trumpschen Zeiten

Unter uns das Meer
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Dass Trump die Spaltung der USA immer weiter vorantreibt, dürfte vermutlich den Meisten bekannt sein. Doch wer macht sich klar, wie viele (auch enge) Beziehungen davon betroffen sind? Gegensätze ziehen ...

Dass Trump die Spaltung der USA immer weiter vorantreibt, dürfte vermutlich den Meisten bekannt sein. Doch wer macht sich klar, wie viele (auch enge) Beziehungen davon betroffen sind? Gegensätze ziehen sich an und bereichern im positiven Fall das Miteinander. Doch was macht es mit Menschen, die in den aktuellen Zeiten für unterschiedliche politische Lager stehen?
Davon und von noch viel mehr handelt dieses Buch, das vordergründig einen Segeltörn beschreibt, zu dem ein junges Ehepaar mit seinen beiden kleinen Kindern aufbricht, um ein Jahr auf dem Meer zu verbringen. Michael träumt schon lange davon, seinen Traum von Freiheit in die Realität umzusetzen und hofft, damit auch die kriselnde Ehe mit Juliet in ruhigeres Fahrwasser zu führen. Doch Juliet ist alles andere als begeistert und willigt eher widerwillig in diese Reise ein.
Das Ganze beginnt wie ein Krimi, denn gleich zu Beginn ist klar, dass etwas Furchtbares geschehen sein muss ohne dass Juliet, die Icherzählerin, über Details berichtet. So ahnt man das Schlimmste und die Befürchtungen steigern sich noch, als der zweite Erzählstrang einsetzt. Michaels Eintragungen ins Logbuch werden von Beginn der Reise an wiedergegeben und wechseln sich im Fortlauf der Geschichte mit Juliets Erzählungen ab.
Die Autorin vermittelt überzeugend die Sichtweisen ihrer beiden Hauptfiguren, die so unterschiedlich sind, dass man immer wieder darüber staunt, wie sie zusammengefunden haben. Michael studierte BWL und ist ein überzeugter Republikaner und Trumpwähler (auch wenn dieser nicht namentlich genannt wird), wobei es Amity Gaige gelingt, den Lesenden seine Einstellung bis zu einem gewissen Grad sogar nachvollziehbar zu vermitteln. Juliet wiederum ist das Gegenteil: Sie absolvierte ein Lyrikstudium, ist Demokratin und kann den Beinahe-Hass ihres Mannes auf den Staat nicht nachvollziehen. Zudem leidet sie an Depressionen aufgrund eines Kindheitstraumas, was ihrem Mann bekannt ist. Allerdings fühlt er sich eher hilflos mit dieser Situation und weiss nicht, wie er damit umgehen soll.
Auf dem Boot sind sie gezwungen, gemeinsam mit ihren beiden Kindern auf engstem Raum zu leben, ohne sich aus dem Weg gehen zu können, was natürlich dazu führt, dass sie sich grundsätzlich miteinander auseinandersetzen müssen und wobei eine Menge zur Sprache kommt. Etwas, was im normalen Leben vielleicht viele Paare zu vermeiden versuchen
Es ist eine Menge, was in diese Geschichte hineingepackt wurde und im Großen und Ganzen auch nachvollziehbar und glaubhaft. Aber dass am Ende zusätzlich noch ein übler Verdacht im Raum steht, als wäre Alles noch nicht schlimm genug, hätte wirklich nicht sein müssen. Das Buch hat auch so schon eine Menge zu erzählen.

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Veröffentlicht am 29.10.2020

Zeit vergeht - Schuld nicht

Ihr Königreich
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Harry Hole ist zwar nicht zurück, aber Roy Opgard ist meiner Meinung nach ein würdiger Stellvertreter 😉 Zwar handelt es sich bei diesem Buch eher um eine Familiengeschichte (wenn auch mit mörderischem ...

Harry Hole ist zwar nicht zurück, aber Roy Opgard ist meiner Meinung nach ein würdiger Stellvertreter 😉 Zwar handelt es sich bei diesem Buch eher um eine Familiengeschichte (wenn auch mit mörderischem Hintergrund), aber die Ähnlichkeiten des Protagonisten mit Harry Hole sind unverkennbar. Beide haben es nicht so mit Menschen; überflüssiges Gerede ist nicht ihr Ding; Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Fairness und beständige Schuldgefühle bestimmen ihr Leben.

Die Brüder Roy und Carl leben mit ihren Eltern außerhalb der kleinen Stadt Os auf einem Hof in den Bergen Norwegens. Kurz vor Roys 18. Geburtstag (Carl ist ein Jahr jünger) stürzen ihre Eltern mit dem Wagen einen Abgrund hinab und sind sofort tot. Die Brüder geben sich gegenseitig Halt und bleiben auf dem Hof, während Roy eine Ausbildung zum Automechaniker macht und Carl die Schule beendet. Er verlässt Norwegen, um in den USA zu studieren und kehrt nach 15 Jahren unerwartet mit seiner Ehefrau zurück mit einem großen Plan im Gepäck, der ganz Os vermögend machen soll.

Roy ist der Ich-Erzähler der Geschichte und von ihm erfahren wir in verschiedenen Rückblicken, was sich in seiner Jugend und nach Carls Rückkehr ereignet. Obwohl die Beiden wenig gemeinsam haben, liebt Roy seinen ‚kleinen‘ Bruder über alles und stellt sich stets schützend vor ihn, früher wie heute. Dies ist auch zwingend nötig, denn Carl ist nicht nur der fröhliche, optimistische, offenherzige Junge von damals, sondern bringt sich durch sein impulsives verantwortungsloses Handeln immer wieder in schier ausweglose Situationen. Doch Roys Liebe zu ihm siegt – oder ist es sein Schuldgefühl?

Wer darauf hofft, ähnlich brutale und in gewisser Weise abgedrehte Szenen wie in den letzten Harry Hole-Büchern lesen zu können, wird enttäuscht werden, denn dieser Kriminalroman ist eher bodenständig – so wie die Menschen um die es hier geht. Aber auch wenn das Nervenzerreissende dieser Reihe fehlt und die Wendungen nicht ganz so spektakulär sind – spannend und überraschend ist die Geschichte allemal. Zwar kann man ahnen, wie Alles enden wird, da man als Jo Nesbø-Fan natürlich weiß, dass seine ‚Helden‘ nicht die Fähigkeit zum Glücklichsein haben – aber ist das nicht auch der Grund, weshalb man sie liebt 🤭? Mir hat dieses Buch gefallen, sehr sogar! Und bin so froh, dass Macbeth ein Ausrutscher war.

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Veröffentlicht am 27.09.2020

Auf der Suche nach einem besseren Leben

Die verschwindende Hälfte
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Passing ist ein Phänomen, dass es bereits länger gibt, in Europa aber eher unbekannt ist, obwohl es auch hier existiert. Dabei wird die soziale Identität eines Menschen (Geschlecht, Klasse, Ethnie usw.) ...

Passing ist ein Phänomen, dass es bereits länger gibt, in Europa aber eher unbekannt ist, obwohl es auch hier existiert. Dabei wird die soziale Identität eines Menschen (Geschlecht, Klasse, Ethnie usw.) von seiner Umwelt nicht erkannt, so dass die damit verbundenen Erwartungen, Rechte und Pflichten nicht existieren. Wie beispielsweise in Deutschland die Juden während des Dritten Reiches, die ihr Jüdischsein verheimlichten, um so der Verfolgung zu entgehen. Heute ist es insbesondere in den USA Thema, wobei Schwarze mit sehr heller Haut für Weiße gehalten und entsprechend behandelt werden, wovon dieses Buch unter anderem auch erzählt.

1938 werden die Zwillinge Desiree und Stella in dem kleinen Nest Mallard im Süden der USA geboren, dessen BewohnerInnen es sich zum Ziel setzen, mit jeder Generation hellhäutiger zu werden. Mit 16 Jahren brennen die Beiden durch und gehen nach New Orleans, wo sich ihre Wege trennen. „… Desiree heiratete den dunkelsten Mann den sie finden konnte.“ und bekommt eine Tochter, „… so schwarz, schwärzer geht’s nicht.“
Stella hingegen „… wurde zur weißen Stella.“, was sie jedoch nur sein konnte, „…, wenn Desiree nicht dabei war.“ Sie heiratet einen vermögenden weißen Mann aus dem Geldadel und bekommt eine blonde Tochter.
Die Lebenswege der beiden Frauen entwickeln sich so weit auseinander, dass sie sich nie wieder gesehen hätten, wären ihre Töchter sich nicht begegnet. Denn Desiree kehrt mit ihrer Tochter Jude nach Mallard zurück, während Stella ihr Leben als Weiße in der High Society in Los Angeles führt.

Brit Bennett, die Autorin, zeigt in diesem Buch überdeutlich, wie groß die Unterschiede der Möglichkeiten sind, die je nach Hautfarbe zur Wahl stehen. Während Stella praktisch alles werden kann, bleibt für Desiree letzten Endes der Job in der Kneipe. Aber das Leben auf einer Lüge aufzubauen, hat ebenfalls seinen Preis.
Überzeugend stellt Bennett dar, wie Stella aus Angst, enttarnt zu werden, am heftigsten gegen die ersten schwarzen Nachbarn protestiert. Und wie sie ständig in der Furcht lebt, als das erkannt zu werden, was sie ist: schwarz.
Auch gut gefallen hat mir, wie Bennett die Charaktere der Töchter in Teilen fast spiegelbildlich zu denen ihrer Mütter entwirft. Desirees Tochter Jude hat mehr Ähnlichkeit mit Stella, während Stellas Tochter Kennedy viele Wesenszüge ihrer Tante aufweist. Doch Beide tragen ganz klar das Erbe ihrer Mütter in sich, während die Väter kaum eine Rolle spielen.

Wirklich lesenswert!

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Veröffentlicht am 27.09.2020

Wenn der Autor selbst ermittelt

Mord in Highgate
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Eigentlich wäre Mord in Highgate ein ganz gewöhnlicher Kriminalroman, wenn nicht eine der Hauptpersonen der Autor selbst wäre. Da er im Auftrag eines Privatdetektivs, eines früheren Polizisten, ein Buch ...

Eigentlich wäre Mord in Highgate ein ganz gewöhnlicher Kriminalroman, wenn nicht eine der Hauptpersonen der Autor selbst wäre. Da er im Auftrag eines Privatdetektivs, eines früheren Polizisten, ein Buch über dessen Fälle schreiben soll, nimmt er die Gelegenheit wahr, bei den gemeinsamen Nachforschungen selbst eigene Überlegungen anzustellen – sehr zum Vergnügen der Lesenden.

Ein Scheidungsanwalt ist tot – erschlagen in seinem vornehmen Haus mit einer äußerst teuren Weinflasche. Verdächtige gibt es genug und immer, wenn man glaubt, auf der richtigen Spur zu sein, tauchen neue Hinweise in die genau entgegengesetzte Richtung auf. Klienten, Verwandte, die Vergangenheit – überall gibt es Motive zuhauf.

Horowitz‘ Auftraggeber Hawthorne ist ein hoch intelligenter, aber eher schwieriger Mensch, den es nicht interessiert, was Andere von ihm denken. Entsprechend ist sein Verhalten und es ist immer wieder amüsant, wie der Autor stellenweise vor Fremdscham am liebsten im Boden versinken möchte. Sich selbst stellt er mit einiger Selbstironie als einen gelegentlich etwas ungeschickten Menschen dar, der mühsam und leider mit nicht allzu viel Erfolg versucht, Hawthornes Ermittlungserfolge zu übertrumpfen. Gewisse Ähnlichkeiten zu dem (noch 😉) berühmteren Ermittlerpaar Sherlock Holmes und Dr. Watson sind sicherlich nicht unbeabsichtigt.

Da Horowitz nicht nur Schriftsteller sondern ebenfalls Drehbuchautor ist, erfährt man Einiges über diesen Teil seiner Arbeit, was nicht minder unterhaltsam ist wie die Mordermittlung. Insgesamt ein kurzweiliger, amüsanter und spannender Krimi, der auch gut zu lesen ist, wenn man den ersten Teil nicht kennt (wie ich).

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Veröffentlicht am 27.09.2020

Mehr Wut als Trauer

Blaue Stunden
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Joan Didions geliebter Ehemann verstarb 2003 völlig überraschend und keine zwei Jahre später musste sie ihre Adoptivtochter Quintana Roo mit nur 39 Jahren zu Grabe tragen. In ‚Blaue Stunden‘ erzählt sie ...

Joan Didions geliebter Ehemann verstarb 2003 völlig überraschend und keine zwei Jahre später musste sie ihre Adoptivtochter Quintana Roo mit nur 39 Jahren zu Grabe tragen. In ‚Blaue Stunden‘ erzählt sie von der Zeit danach, von den Fragen die sie sich stellte, den Gedanken, aber auch von den Erinnerungen an ihre Tochter. Doch es ist nicht nur der Schmerz über den erlittenen Verlust über den sie berichtet, sondern auch die Feststellung, dass sie nicht nur älter, sondern alt wird.

Alt werden und sterben – die Meisten schweigen lieber über diese Themen, obwohl sie zu den wenigen Dingen im Leben gehören, die zweifelsfrei eintreffen werden. Wäre es also nicht sinnvoll, sich schon frühzeitig damit auseinanderzusetzen, um möglichst gut damit klar zu kommen, wenn der Fall eintritt? Joan Didion hat sich bereits mit dem Tod ihres Mannes literarisch auseinandergesetzt und nun ist es der Tod ihrer Tochter und ihr eigenes Altwerden. Doch statt, wie zumindest von mir erwartet, ein besonnenes und vielleicht schmerzerfülltes Ringen um Worte fand ich eine beinahe wütende und verletzte Autorin jener Zeit vor, die mit sich und dem Lauf der Dinge hadert.

Natürlich hadert man mit dem Tod des eigenen Kindes, keine Frage! Aber warum mit dem eigenen Altwerden? Ja, die Kräfte lassen nach, Krankheiten nehmen zu und der Tod ist keine ferne Erscheinung mehr. Es ist der Lauf der Dinge, der nicht zu ändern ist. Doch es scheint für eine erfolgreiche, schöne Frau wie Joan Didion schwer zu akzeptieren zu sein, dass auch sie nicht von diesem Prozess verschont bleibt.

" Eigentlich habe ich mein ganzes Leben bis heute nicht ernsthaft daran geglaubt, dass ich alt werden würde."

"Ich will den Notfall noch nicht einmal in Erwägung ziehen. Notfall, glaube ich noch immer, ist das, was jemand anderem passiert."

Weil mich Manches in diesem Buch gestört hat (dieses ständige Namedropping beispielsweise), habe ich noch ein paar weitere Artikel über Joan Didion und ihre Familie gelesen. Fakt ist, sie hat bis zum Tod ihres Mannes ein bemerkenswert privilegiertes Leben ohne größere Dramen geführt, was sie auch offen anspricht. Doch trotz dieses Bewusstseins scheint sie jeden Schicksalsschlag als persönliche Kränkung zu empfinden. Kaum eine Spur von Dankbarkeit für das, was ihr bisher vergönnt war – was wohl mehr war und auch noch ist, als die meisten Menschen je erreichen können. Auch ihr selbstkritisches Denken über die Zeit mit ihrer Tochter Quintana Roo hinterlässt einen faden Nachgeschmack: Offensichtlich war diese seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten schwer alkoholkrank, was letztendlich zum Tod führte. Doch darüber verliert Joan Didion kaum ein Wort, statt dessen gibt es beschönigende Worte zum vielleicht allzu lockeren Umgang mit Alkohol.

"Alkohol mag als Medizin gegen Deprimiertheit seine Mängel haben, aber niemand hat je auch nur angedeutet – fragen Sie jeden Arzt -, dass er nicht das wirksamste bekannte Mittel gegen Beunruhigung ist."

Es ist mein erstes Buch von dieser Autorin gewesen und leider habe ich keinen allzu guten Eindruck von ihr. Ja, sie hat einen besonderen, eigenwilligen Schreibstil mit bemerkenswert guten Gedanken, aber als Persönlichkeit wirkt sie auf mich recht selbstherrlich und ohne jede Spur von Demut. Schade für sie, denn vermutlich werden ihre letzten Jahre so keine guten werden.

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