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Veröffentlicht am 27.07.2020

Was am 21. Juli 1969 sonst noch so geschah

Wo wir waren
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Was für eine schöne und auch traurige Geschichte - fast ein richtiger Schmöker. Doch zum völlig darin Versinken hat es nicht ganz gereicht, ohne dass ich so genau weiß, woran es liegt.
Ausgangspunkt ist ...

Was für eine schöne und auch traurige Geschichte - fast ein richtiger Schmöker. Doch zum völlig darin Versinken hat es nicht ganz gereicht, ohne dass ich so genau weiß, woran es liegt.
Ausgangspunkt ist der 21. Juli 1969, also ziemlich genau vor 51 Jahren, als die ersten Menschen den Mond betraten. Obwohl man im Nachhinein das Gefühl haben könnte, dass an diesem Tag sonst nichts weiter Aufregendes passierte 😉 geschah doch so einiges Andere, was für manche Menschen zu enormen Veränderungen im Leben führte.
Die wichtigste Figur ist der fünfjährige Hardy Rohn, der mit einem älteren Jungen aus dem Waisenhaus flieht, wo sie täglich gewalttätigen und erbarmungslosen Aufsichtspersonen ausgesetzt sind. Zwar misslingt die Flucht (zumindest für Hardy), doch sie ist der Grund, weshalb er ein Jahr später adoptiert wird und so ein um vieles besseres Leben verbringen kann. Und vermutlich ist diese Flucht auch der Grund dafür, dass Jahre später ein brutaler Mensch ebenso brutal ermordet wird.
Doch nicht nur Hardy flieht an diesem Tag - auch seine wegen Mordes zu lebenslänglich verurteilte Mutter unternimmt einen Fluchtversuch.
Diese beiden Personen sind der Ausgangspunkt für die rund 500 Seiten umfassende Geschichte, die deren Leben und das ihrer Vorfahren und nächsten Verwandten schildert. So spannt sich ein Erzählbogen über das Jahrhundert von Memel bis Vietnam, vom Rhein bis in die USA, von 1901 bis 2009. Norbert Zähringer nimmt seine Leserinnen und Leser mit durch Raum und Zeit und wir erleben das Jahrhundert durch die Beschreibungen von Hardys Großvater, seiner Mutter, seines Vaters undundund.
Eigentlich sind die Voraussetzungen ideal für einen Schmöker zum darin Versinken, denn der Autor weiß gute Geschichten zu erzählen, unter anderem indem er durch kleine Ausblicke in die Zukunft Spannung erzeugt. Doch ich blieb zu den Figuren auf Distanz - vielleicht liegt es an den doch recht häufigen Zeit- und Raumsprüngen, vielleicht an der etwas spröden Persönlichkeit Hardys.
Dennoch: Ein schön zu lesendes Buch mit einer unterhaltsamen Geschichte.

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Veröffentlicht am 12.07.2020

Eine grausame Kindheit - und eine stellenweise schaurige Schreibweise (oder Übersetzung)

Das wirkliche Leben
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Ein namenloses junges Mädchen erzählt von ihrer Kindheit bis hin zu dem Tag, an dem das Grauen jener Zeit fast so endete wie es begann - mit einem zerstörten Gesicht. Obwohl - das Grauen begann schon viel ...

Ein namenloses junges Mädchen erzählt von ihrer Kindheit bis hin zu dem Tag, an dem das Grauen jener Zeit fast so endete wie es begann - mit einem zerstörten Gesicht. Obwohl - das Grauen begann schon viel früher ...
Die Eltern des kleinen Gilles und seiner vier Jahre älteren Schwester sind ein ungleiches Paar und alles andere als glücklich. Der Vater grobschlächtig, cholerisch, dominant, gewalttätig; die Mutter voller Angst, ohne Selbstbewusstsein, wie eine Amöbe wie ihre Tochter sie nennt. Regelmäßig wird sie wegen Nichts von ihrem Mann verprügelt, ohne dass sie sich wehrt. Und die Kinder wissen, irgendwann wird es auch sie treffen. Doch die große Schwester schützt ihren Bruder, bis dieser wie auch sie Zeuge eines entsetzlichen Unglücks wird. Ab diesem Tag zieht Gilles sich von seiner Schwester zurück und beginnt, sich in Richtung seines Vater zu entwickeln.
Es ist eine grauenvolle und auch brutale Geschichte, die im Tonfall eines jungen Menschen erzählt wird. Grundsätzlich gelingt dies recht gut, aber wie manche Stilmittel völlig überzogen werden, ist stellenweise wirklich gruselig. Beispielsweise Vergleiche wie 'Denn das Leben war nun mal eine Ladung Fruchtpüree in einem Mixer und man musste aufpassen, in dem Strudel nicht von den Klingen nach unten gezogen und zerkleinert zu werden.' oder Allegorien wie 'Die tief stehende Morgensonne leckte mir die Tränen von den Wangen.' oder '... ein Schluchzen legte seine Tentakeln um meine Kehle.'. Was hat die Autorin während des Schreibens denn zu sich genommen? Und falls sie das wirklich geschrieben haben sollte: So etwas mögen tatsächlich die französischen Buchhändlerinnen? Oder liegt es vielleicht an der Übersetzung?
Störend empfand ich auch die Verachtung des jungen Mädchens gegenüber seinem ganzen Umfeld. Die anderen Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse: praktisch alles Deppen. Die Nachbarschaft in ihrem Zuhause: alles Idioten. Merkwürdigerweise sind jedoch die Leute, die sie näher kennenlernt, dann plötzlich alles tolle Menschen - wie kann das denn sein?
Meine Begeisterung hält sich aus diesen Gründen in Grenzen, auch wenn ich trotz der sprachlichen Schaurigkeiten unbedingt wissen wollte, wie die Geschichte endet. Ein Lieblingsbuch von mir wird es aber bestimmt nicht.

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Veröffentlicht am 09.07.2020

So schön - und doch so traurig

Winterbienen
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Was für ein schönes Buch, das von einer entsetzlichen Zeit erzählt. Es ist das letzte Kriegsjahr des II. Weltkriegs und in der Eifel ist es bisher vergleichsweise ruhig geblieben. Egidius, der aufgrund ...

Was für ein schönes Buch, das von einer entsetzlichen Zeit erzählt. Es ist das letzte Kriegsjahr des II. Weltkriegs und in der Eifel ist es bisher vergleichsweise ruhig geblieben. Egidius, der aufgrund seiner Epilepsie nicht eingezogen wurde und dank des Einflusses seines Bruders der Euthanasie entging, kümmert sich nach seiner Entlassung als Lehrer um seine Bienenvölker und um manche zurückgelassene Frau. Hin und wieder bringt er Juden über die Grenze, um sich so Geld für seine Medikamente zu verdienen, doch mit dem Vorrücken der Alliierten wird es immer gefährlicher.
Es ist eigentlich ein gemächliches Buch, wenn sich der kriegerische Hintergrund nicht immer wieder in den meist friedlichen und beschaulichen Tagebucheinträgen des Egidius in den Vordergrund drängen würde. Hauptthema seiner Einträge ist die Beobachtung und Pflege sowie Entwicklung seiner Bienen, denen er sich eng verbunden fühlt. Seine restliche freie Zeit widmet er der Übersetzung alter Dokumente seines Vorfahren Ambrosius aus dem Latein und den Frauen, denen er zugetan ist. Es wirkt, als wäre er ein glücklicher Mensch, wenn nicht stets aufs Neue das Grauen des Krieges in Erscheinung treten würde.
An Handlung gibt es nicht viel zu berichten, denn die Tage verlaufen recht gleichförmig. Doch wie der Autor dieses Wenige erzählt, ist so voller Zuneigung und Aufmerksamkeit, dass man beim Lesen unweigerlich eine grosse Sympathie zu Bienen und Ambrosius entwickelt und die Entsetzlichkeit des Krieges im Gegensatz dazu noch stärker wirkt.
Ein schönes und trauriges Buch über das Leben, die Liebe und die Sinnlosigkeit des Krieges.

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Veröffentlicht am 05.07.2020

Ein wunderbarer Comic für Gross und Klein!

Manno!
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Anke Kuhl, Illustratorin vieler wunderbarer und schöner Kinderbücher, hat mit 'MANNO!' einen herrlichen Comic über ihre eigene Kindheit verfasst. Aufgewachsen in den 70ern gemeinsam mit einer etwas älteren ...

Anke Kuhl, Illustratorin vieler wunderbarer und schöner Kinderbücher, hat mit 'MANNO!' einen herrlichen Comic über ihre eigene Kindheit verfasst. Aufgewachsen in den 70ern gemeinsam mit einer etwas älteren Schwester, wird hier ein Stück (fast) heile Welt heraufbeschworen, die nur selten durch mittlere und kleine Katastrophen ins Wanken gebracht wird. Und selbst die sind (zumindest im Rückblick) häufig genug Anlass zum Lachen (ich schreibe da nur: Freischwimmer 😁).
Sehr realitätsnah wird das Familienleben mit der großen Schwester in 18 kleinen Geschichten beschrieben, das meist harmonisch wirkt und unter anderem durch gelegentlichen Geschwisterzoff gestört wird, der jedoch nicht lange anhält (herrlich: der Klobürstenkampf).
Obwohl Anke Kuhl ihre Figuren nicht allzu detailliert zeichnet, sind sie unverwechselbar. Hingegen sind die einzelnen Bilder voller Details, die typisch waren für die damalige Zeit: das Wählscheibentelefon im Krankenhaus, die Fensterkurbel im Auto, die Wohnzimmereinrichtung. Erwachsene im ähnlichen Alter wie die Autorin werden Vieles vermutlich wiedererkennen und in Erinnerungen schwelgen 😉.
Aber auch Kinder werden mit den Geschichten sicherlich ihr Vergnügen haben. Vieles von dem, was Anke damals erlebte, dürfte ihnen auch bekannt sein: die Angst vor großen Hunden, die Liebe zu den Großeltern, der Streit mit der Schwester. Dazu die fröhlichen bunten Bilder, die einige der nicht so schönen Dinge so überzogen darstellen, dass sie schon wieder lustig wirken und den Geschichten ihren Schrecken nehmen.
Ein durchweg richtig schönes Buch zum immer wieder Anschauen für Jung und Alt!

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Veröffentlicht am 05.07.2020

Zoë Beck wusste es schon vorher 😉

Paradise City
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VerschwörungstheoretikerInnen aufgepasst: Dieses Buch befand sich gerade erst im Druck, als wir in Europa noch dachten, Corona sei nichts weiter als eine weitere etwas stärkere Grippewelle. Wer also mehr ...

VerschwörungstheoretikerInnen aufgepasst: Dieses Buch befand sich gerade erst im Druck, als wir in Europa noch dachten, Corona sei nichts weiter als eine weitere etwas stärkere Grippewelle. Wer also mehr wissen möchte über unsere nächste Zukunft, kommt nicht umhin, dieses Buch zu lesen sowie alle anderen der Autorin. Und an den Rest: Auch wenn es nur Zufall ist, es ist erschreckend, wie manche der Szenarien in Zoë Becks neuem Buch der Realität ähneln.
In 'Paradise City' ist Deutschland durch zunehmende Klimaveränderung und Pandemien in weiten Teilen entvölkert, die Menschen leben überwiegend in Millionenstädten. Bestimmender Faktor des Lebens ist die Überwachung und Kontrolle durch eine Gesundheitsapp, die permanent registriert, in welchem Zustand sich der Mensch befindet und gegebenenfalls eigenständig Maßnahmen ergreift. Als kleiner Nebeneffekt ist zudem die völlige Überwachung jedes Einzelnen möglich - man muss ja wissen, wohin man einen eventuellen Rettungswagen schicken muss. Liina, die bei einem der wenigen noch unabhängigen Nachrichtenportale arbeitet, wird zu einem Rechercheauftrag in die nahezu unbewohnte Uckermark geschickt, währenddessen ihr Chef einen eigentümlichen Unfall hat, der ihn fast das Leben kostet. Gemeinsam mit ihren KollegInnen machen sie sich auf die Suche nach den Hintergründen und bringen sich dabei in Lebensgefahr.
Die Welt, die Zoë Beck hier entwirft, ist verstörend, aber angesichts der Geschehnisse der letzten Monate nicht mehr undenkbar. Was mit einer guten Idee begann - Gesundheit und Sicherheit für Alle -, uferte aus und setzte sich nach und nach eigene Regeln und Vorgaben, zugunsten derer die Menschen freiwillig den größten Teil ihrer Freiheit aufgaben. Was daraus erwachsen kann, zeigt dieser Thriller exemplarisch.
Das Buch habe ich eher als Roman denn als Thriller empfunden - zu lange dauert es, bis die Geschichte tatsächlich an Fahrt aufnimmt. In der ersten Hälfte liegt der Schwerpunkt mehr auf der abwechselnden Beschreibung von Liinas aktuellem sowie ihrem vergangenen Leben, um so die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse bzw. wie es dazu kam, darzustellen. Dennoch ist es lesenswert: unterhaltsam und spannend, mit einem Ausblick auf eine Zukunft, wie sie wohl keiner haben möchte.

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