Leider enttäuschend
Someone NewSomeone New ist unglaublich wichtig – das ist der Satz, der bereits Wochen vor dem Erscheinungstermin von jedem gesagt wurde, der das Buch vorab lesen durfte. Lauras Bücher begleiten mich ...
Someone New ist unglaublich wichtig – das ist der Satz, der bereits Wochen vor dem Erscheinungstermin von jedem gesagt wurde, der das Buch vorab lesen durfte. Lauras Bücher begleiten mich seit Jahren – seit 2014 genauer gesagt – und ich mag ihre Romane sehr. Zu hören, dass auch ihr neuestes Werk vielen gefällt, stimmte mich natürlich freudig. Nun habe ich es gelesen und kann schon vorab so viel sagen: Ja, das Buch ist wichtig. Doch die Wichtigkeit alleine macht Someone New nicht zu einem guten Buch. Für mich hat das Gesamtpaket leider nicht gestimmt.
Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich mit dieser Rezension anfangen soll. Ich möchte etwas Positives schreiben, aber es gibt so vieles, das mir nicht positiv in Erinnerung geblieben ist. Vielleicht fasse ich mich einmal kurz. Someone New macht süchtig, ist fantastisch verfasst und behandelt wichtige Themen, die definitiv öfter besprochen werden dürfen – das steht vollkommen außer Frage. Gleichzeitig habe ich große Schwierigkeiten mit einigen Charakteren, die Handlung empfinde ich als langatmig und alles in allem wirkt Someone New auf mich mitunter zu gewollt. Bauen wir die Buchbesprechung mal anhand dieser Punkte auf.
Laura Kneidl versteht es einfach mit Worten umzugehen. Sie schreibt für jedes Genre angepasst und man merkt bei Someone New eindeutig, dass es sich um einen New Adult Roman handelt. Die Geschichte liest sich flott, ist nicht unbedingt anspruchsvoll verfasst, und die Seiten fliegen nur so dahin. Das Lesen von Lauras Sätzen macht unglaublich viel Spaß und der Einstieg in die Lektüre fällt mehr als leicht. Laura Kneidl nimmt sich die Zeit den Hintergrund von jeder Person ausführlich zu erläutern, sodass man nach siebzig bis achtzig Seiten von jedem Charakter weiß, was in etwa seine Geschichte ist. Allerdings beginnt hier meine Kritik …
Es ist nämlich so, dass sich viele Dinge beginnen zu wiederholen und Someone New dadurch ziemlich langatmig wird. Micah besucht ihre Eltern, sie geht zur Uni, sie trifft sich mit Freundinnen und begegnet Julian. Diese Szenarien werden zwar immer wieder durch unterschiedliche Dialoge aufgepeppt, aber dennoch kann ich das Gefühl nicht ablegen, dass einfach nichts passiert und sich die Handlung im Kreis dreht. Als aufmerksamer Leser hat man zu diesem Zeitpunkt begriffen, dass Micah ziemlich auf Graphic Novels steht, und sie und ihre Freunde generell ganz schöne Profis im Bereich »nerdige Popkultur« sind. Das soll nun auch nicht heißen, dass es schlecht ist, wenn man in Büchern Anspielungen auf Popkultur macht. Ganz im Gegenteil bin ich sogar ein Fan davon und mag es, wenn man hin und wieder Vergleiche zu Serien, Filmen oder Musik zieht. Die Betonung liegt hier jedoch auf »hin und wieder«.
Ich finde dieses Stilmittel ansprechend, da Leser sich vielleicht in der ein oder anderen Figur wiedererkennen und somit eine stärkere Bindung zu einem Charakter aufbauen können. Man fühlt sich auf eine besondere Art mit der Figur verbunden. Schwierig wird es für mich, wenn diese Anspielungen zu oft gemacht werden, was in Someone New definitiv der Fall ist. Ich bin ein riesiger Game of Thrones Fan und habe sogar meine Bachelor Arbeit über die Buchreihe geschrieben, ich bin auch ein großer Fan von Stranger Things – aber meine Herren, ich konnte mein Augenrollen bei den ständigen »Eleven«-Ausrufen und »Winter is coming« irgendwann nicht mehr unterdrücken.
Mein größtes Problem war dabei jedoch nicht die Menge – das ging mir einfach nur auf den Keks –, sondern dass ich den zahlreichen Vergleichen mitunter nicht folgen konnte. Ich würde schon behaupten, dass ich viele Serien und Filme geguckt habe und bei vielem mitreden kann. Bei Comics bin ich jedoch raus und ich mag auch keine Comic-Verfilmungen mehr – mir persönlich ist es in den letzten Jahren schlichtweg zu viel geworden. Dementsprechend fiel es mir während der Lektüre wirklich schwer, wenn ein Charakter mit einer Comicfigur verglichen wurde. Für mich waren diese Vergleiche oft absolut schwammig. Ich konnte nichts damit anfangen und so begann für mich ein Ratespiel, was diese und jene Anspielung wohl bedeuten könnte. Ich will mir nicht vorstellen, wie sich Leser fühlen, die kein Netflix haben oder sich mit den Fandoms nicht auskennen.
Was sich wie die ständigen Erwähnungen von Serien und Comicfiguren durch das gesamte Buch zieht, ist die auf mich gezwungen wirkende Diversität. Durch die diversen Figuren sticht Someone New wirklich hervor. Wenn ich mich richtig erinnere, stellt ausnahmslos jeder Charakter eine Minderheit dar: Eine Figur ist homosexuell, eine ist eine Teenie-Mum, eine andere wiederum Vegetarierin – es gibt Persons of Colour, eine muslimisch sozialisierte Figur und noch jede Menge mehr. Dieses Buch ist wirklich bunt.
Für mich reicht die Darstellung jedoch nicht aus, und obwohl jede Figur – sei es Haupt- oder Nebenfigur – eine beachtliche Seitenanzahl gewidmet bekommen hat, bleiben sämtliche Charaktere für mich oberflächlich. Es hat auf mich den Anschein, als würden insbesondere die Nebenfiguren lediglich anhand ihrer »diversen Charaktereigenschaft« definiert werden. Ansonsten bleibt für meinen Geschmack nicht viel übrig und generell wirkt die Diversität auf mich zu gewollt, zu verkrampft. Ich finde die Darstellung leider auch etwas misslungen, da die Charaktereigenschaften doch eigentlich die Werte sind, die im Fokus stehen sollten – nicht die dargestellte Minderheit, wenn man so will. Es gibt so viele gute Bücher, die ebenfalls mit diversen Charakteren punkten, und bei denen man vergisst, was für einen Hintergrund sie haben, weil es schlichtweg normal ist und nicht negativ verurteilt wird.
Ein anschauliches Beispiel für meine Aussage, dass die »diverse Charaktereigenschaft« eine Person definiert und die Handlung sich im Kreise dreht, ist Micahs Suche nach ihrem Zwillingsbruder Adrian. Was die Handlung für mich deutlich spannender gemacht hätte, wäre eine ausgereiftere Suche nach Micahs Bruder. Dass sie tatsächlich Fortschritte macht, ihm näher kommt oder Hinweisen nachgeht. Ich war unglaublich neugierig auf Adrian und jedes Mal voller Vorfreude, wenn Micah erzählte, dass sie einen Club, ein Museum oder ein LGBTQ Zentrum aufsuchen würde – stets in der Hoffnung dort ihren Bruder zu finden. Man hätte so viel daraus machen können und meine Enttäuschung war jedes Mal aufs Neue groß, wenn Micahs Suche erneut mit dem Satz »Die Suche war erfolglos« zusammengefasst wurde.
Dass Micah überhaupt auf der Suche nach ihrem Bruder ist, liegt daran, dass er sich unfreiwillig vor seinen Eltern geoutet hat und diese ihn daraufhin verstießen. Dass Micahs Eltern Adrians Sexualität nicht akzeptieren, finde ich schade. Unter anderem weil es auf mich den Eindruck macht, dass Adrian lediglich durch seine Homosexualität und die Homophobie der Eltern charakterisiert wird. Leider ist das mein Eindruck, der sich durch das gesamte Buch zieht: dunkelhäutige Personen werden diskriminiert, die homosexuelle Person wird verstoßen, die durch Schwangerschaft übergewichtige Freundin wird für ihr Gewicht verurteilt. Kann man in Büchern nicht lieber das Bewusstsein stärken, dass es andersrum auch geht? Ich wünsche mir mehr tolerante Eltern in Büchern, die mit gutem Beispiel vorangehen.
Eine letzte Sache, die mir bei diesem Thema einfällt, ist, dass ich es nicht nachvollziehen kann, wieso Adrian Micah bestraft. Micah steht zu einhundert Prozent hinter ihm. Sie liebt ihren Bruder und will ihm helfen. Ihre Eltern sind diejenigen, die Adrian verstoßen haben und dennoch straft er Micah monatelang mit Ignoranz. Womit hat sie das verdient? Gerade bei Zwillingen bin ich immer davon ausgegangen, dass sie ein ganz besonderes Band verbindet und ein Leben ohne einander unglaublich schwerfällt. Wie kann Adrian seine Schwester so behandeln, wenn es doch die Eltern sind, die ihn verstoßen haben?
Kommen wir einmal zu Micah, denn Micah ist trotz all den genannten Punkten, der ausschlaggebende Grund, dass ich mich nicht mit Someone New anfreunden kann. Ich konnte während der gesamten Lektüre keine Bindung zu ihr aufbauen. Micah ist humorvoll, selbstbewusst, offen und verständnisvoll, was ihre Freunde betrifft. Das sind alles wunderbare Eigenschaften, aber sie sorgten auch dafür, dass mir Micah extrem unsympathisch ist. Gerade ihre offene, selbstbewusste und humorvolle Art wechselte für mich schnell zu penetrant, nervig und aufdringlich.
Micah akzeptiert kein Nein – das ist eine Tatsache. Julian gibt ihr immer wieder auf höfliche Art zu verstehen, dass er kein Interesse an ihr hat und dass zwischen ihnen alles in Ordnung ist – auch wenn er wegen ihr seinen Job verloren hat. In Micahs Augen kann Julian ihr aber nicht verziehen haben, egal, was er sagt. Deswegen lauert sie ihm im Morgengrauen auf und guckt durch den Spion an ihrer Tür, um mitzubekommen, wann er das Haus verlässt. Sie sucht ihn auch bei seiner Arbeit auf, obwohl er ihr deutlich zu verstehen gibt, dass er das nicht möchte.
Was Julian nicht möchte scheint Micah den gesamten Roman über gleichgültig zu sein. Ich hatte beim Lesen zudem oft den Eindruck, dass sie Tatsachen verdreht. Julian wird von ihr beispielsweise häufig als Lügner bezeichnet, dabei lügt er sie nie an. Er behält private Dinge nur für sich, da er (noch) nicht über sie reden möchte. Das macht Julian für mich nicht zum Lügner.
Ganz ehrlich, ich an Julians Stelle hätte auch keine Lust auf eine derart aufdringliche Person wie Micah. Ich würde mich vollkommen überfallen fühlen und würde mir von Micah mehr Geduld wünschen. Sie weiß ganz genau, dass Julian etwas aus seiner Vergangenheit verbirgt und in meinen Augen ist es kein Verbrechen, dass Julian sich ihr nicht sofort offenbart. Sie kennen sich ja auch kaum! Deswegen finde ich es auch etwas befremdlich, dass Micah ein gehöriges Drama aus der Tatsache macht, dass Julian nicht sofort mit ihr schlafen möchte. Ein Nein ist ein Nein, das Micah zu akzeptieren hat.
Ich finde es von Micah absolut taktlos, sich in Auris und Cassies Beziehung einzumischen. Sie hat ihnen ungefragt ein Date organisiert, und mir persönlich wäre so eine Situation extrem unangenehm. Vor allem da sie der Beziehung mit ihrer aufdringlichen und fordernden Art keinen Gefallen getan hat! Micah sollte sich nicht nur in Geduld und Taktgefühl üben, sondern auch darin, ihre Nase nicht in fremde Angelegenheiten zu stecken.
Nennt mich ruhig prüde oder spießig, aber wenn wir schon aufs Taktgefühl zu sprechen kommen, muss ich sagen, dass ich Micahs Aussagen oft absolut geschmacklos finde. Laura Kneidl hat schon immer Charaktere erschaffen, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Ihre Dialoge bringen mich zum Schmunzeln, sind keck und einfach witzig. Wirklich wahr, ich genieße die Gespräche von Lauras Figuren sehr! Umso schockierter bin ich über Micahs vulgäre Art. Auf mich wirkt Micah so, als würde sie nur darauf warten, dass ihr Gegenüber Worte ungünstig wählt, sodass sie eine zweideutige Anspielung machen kann.
Des Weiteren mag ich ihre Doppelmoral nicht. Micah studiert Jura, weil ihre Eltern einen Erben für ihre Kanzlei brauchen. Nun, wo ihr Bruder untergetaucht ist, opfert sie sich. Sie hat überhaupt keine Lust auf das Studium, möchte sich lieber selbst verwirklichen und verabscheut zudem alles, wofür ihre Eltern stehen. Dies gibt Micah ihnen unmissverständlich zu verstehen. Sie ist stolz darauf, selbstständig zu sein und endlich auf eigenen Beinen zu stehen – dass sie nicht weiß, wie man eine Waschmaschine bedient, lassen wir mal unkommentiert.
Diese Aussage entspricht in meinen Augen einfach nicht der Wahrheit. Sie lässt sich von vorne bis hinten von ihren Eltern finanzieren und ich glaube, würde sie wirklich einmal auf eigenen Beinen stehen, würde ihre Welt ziemlich schnell ins Wanken geraten und sie den Boden unter den Füßen verlieren. Ganz zu schweigen dass ich unter keinen Umständen Geld von meinen Eltern annehmen würde, wenn sie ihr eigenes Kind so hart verurteilen, wie Micahs Eltern es tun. Ich weiß auch nicht … Micahs Charakter wirkt auf mich vollkommen wirr und ohne Konstrukt.
Nachdem ich etwa vierhundertsiebzig Seiten des Buches gelesen hatte, begann endlich der spannende Teil. Es passierte viel und ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Umso erstaunter war ich, als das Buch abrupt beendet war. Der Leser erfährt Julians Geheimnis, es gibt ein aufklärendes Gespräch, einen Ausblick und dann ist das Buch zu Ende? Wo kam dieses Ende her? Oh man, für meinen Geschmack wird zum Schluss alles viel zu schnell abgehakt. Und so schön Micahs Reaktion ist, so unwahrscheinlich finde ich sie. Ich bezeichne mich als sehr toleranten Menschen, hätte aber an Micahs Stelle unzählige Fragen gehabt und müsste Julians Geheimnis doch kurze Zeit sacken lassen.
Mich stört am Ende des Romans jedoch nicht vorrangig Micahs Reaktion. Mich stört hauptsächlich die Art, wie Someone New beendet wurde. Man liest beinahe fünfhundert Seiten und gerade als die Lektüre beginnt, spannend zu werden und der Roman meine volle Aufmerksamkeit hat, ist er vorbei. Auf mich wirkt das Ende so, als würde man das Geheimnis ausplaudern und sich nicht weiter mit der Thematik beschäftigen wollen. Ich habe mich abgefertigt gefühlt. Und ich kann wie viele andere sagen: Die Thematik ist wichtig. Es gibt viel zu wenige Bücher mit diesem Thema. Doch an der Umsetzung dürfte meiner Meinung nach noch etwas gearbeitet werden. Julian selbst finde ich absolut gelungen. Ich kann ihn und sein Verhalten verstehen. Mir haben auch die ganzen Anspielungen auf sein Geheimnis im Laufe des Romans sehr gefallen, doch das ganze Drumherum hat für mich nicht gepasst.
Ich finde es toll, dass Laura Kneidl Themen wie das in Someone New in Geschichten anspricht. Ich finde es toll, dass sie dadurch vielen Lesern einen Zugang zu dem Thema schafft. Ein Buch mit queeren Charakteren und einer Thematik, die sehr selten in Romanen angesprochen wird, sorgt natürlich dafür, dass sich viele Leser dafür begeistern. Allerdings muss für mich auch der Rest des Buches stimmen. Mich können die bunte Figurenvielfalt – die auf mich passagenweise zu erzwungen wirkt – und der wunderschöne Schreibstil alleine nicht überzeugen.
Ein hartes, aber in meinen Augen wahres Urteil: Someone New ist der 0815 New Adult Roman mit diversen Figuren – junges Mädchen zieht aus, um studieren zu gehen und trifft auf einen Jungen, beide verlieben sich. Man ordne jeder Figur eine Minderheit zu, schreibt in wirklich fantastischer Sprache fünfhundertfünfzig Seiten nieder und tada, Someone New ist fertig. So leid es mir tut, und so wichtig das Thema auch ist, mich konnte dieses Buch nicht überzeugen. Ich bin vollkommen dafür, dass das angesprochene Thema in viel mehr Büchern thematisiert wird. Egal welches Genre, aber dann bitte auf ansprechendere Weise und mit ein bisschen mehr Spannung.
Someone New konnte mich leider nicht begeistern. Ich konnte keine Bindung zur Protagonistin aufbauen, die Handlung ist zäh wie Kaugummi und gleichzeitig wirkte für mich das meiste vollkommen erzwungen und nicht natürlich. Schade!